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Kurt Tucholsky Preis für literarische Publizistik

Dankesrede zur Verleihung des Tucholsky-Preises von Lothar Kusche

Sehr geehrte Damen und Herren, geehrter diensthabender Vertreter der Feuerwehr,
auch ich begrüße Sie der Tageszeit entsprechend mit einem herzlichen (…) „Mahlzeit” allerseits!
Der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft, die Otto Köhler und mich in diesem Jahr mit dem Tucholsky-Preis bedacht und gewissermaßen noch aufgewertet hat, danke ich herzlich.
Da kann ich für meine Person nur sagen: Zuviel der Ehre. Klingt ziemlich kokett (und das ist es auch).
Und vor der wunderbaren Gisela May mache ich einen großen Kratzfuß für ihre Laudatio. Ich bin in meinem relativ langem Leben schon oft herabgewürdigt worden, besonders von Mathematiklehrern und Kulturkritikern. Niemals aber hat mich jemand dermaßen hinaufgewürdigt. Statt eines Gänseblümchens ein Lorbeerkranz! Die Lorbeerblätter lasse ich mir nun – um ein poetisches Bild zu benutzen – genießerisch auf der Zunge zergehen.
Gelegentlich wurde ich befragt, wann und wie ich denn eigentlich Tucholskys Persönlichkeit, seine Bedeutung, seine Sendung kennen gelernt und wann ich zum ersten Mal was von ihm gelesen habe. Das ist schwer zu beantworten. Soweit ich mich erinnere, existierte Tucho schon immer in meinem Hinterkopf. Und obwohl ich manchmal nicht genau weiß, wo bestimmte Sachen in meinen stilvoll unaufgeräumten Bücherregalen stehen, hatte ich seine Bände immer griffbereit, erstens, weil ich oft darin nachschlage oder durch ausführlichere Lektüre Rat und Trost suche. Und meistens auch finde. Und zweitens sehe ich oft nach, ob mir ein Tucholsky-Band geklaut worden ist. So was passiert dann und wann. Da sieht man doch, sagen wohlmeinende Freunde, wie wertvoll diese Bücher sind. Sie meinen: waren. Bücher, die nicht mehr da sind, waren allenfalls wertvoll. Wladimir Kaminer ist mir noch nie entwendet worden.
Natürlich konnte ich Kurt Tucholsky nicht mehr in persona kennen lernen. Wie schade! Filmaufnahmen oder Schallplatten sind mir nicht bekannt. Mir begegneten Menschen aus seinem Leben: Mary Gerold-Tucholsky, Ernst Rowohlt, Ernst Busch und Hanns Eisler, Rudolf Arnheim und Kate Kühl. Und ohne solche intelligenten und gründlichen Lektoren und Editoren wie Erich Kästner, Fritz J. Raddatz, Roland Links, Walther Victor und viele andere wäre meine Generation nie so intensiv mit seinem Werk vertraut geworden. Ein besonderes Erlebnis war das legendäre Tucholsky-Programm auf dieser Bühne hier – lange her, aber unvergesslich für viele Leute: Gisela May, Ernst Busch, Horst Drinda, der Komponist und Pianist Peter Fischer – als Ansager Karl Kleinschmidt, seines Zeichens Domprediger zu Schwerin. Kleinschmidt hat auch eine kleine, etwas flüchtige, aber lustige Bildbiographie des Mannes mit den 5 PS herausgegeben. Einer der großen Darsteller des letzten Jahrhunderts (nämlich ich) sollte mal in einem Film als Kurt Tucholsky auftreten. Soweit kam es nicht. Der Regisseur wollte mich nicht haben. Ich war ihm etwas zu dick für diese Zwei-Minuten-Szene, in der K. T. irgendwo hinten vorbeigeht. Auch missfiel ihm mein leicht berlinischer Tonfall. Er hatte sich seinen Helden anders vorgestellt und besetzte die Rolle mit einem Charakterdarsteller aus Erfurt. Vergessene Anekdote!
Eine Freundin fragte mich: Wer war oder ist eigentlich größer – Tucholsky oder du? Ich konnte nur antworten: Größer ist allemal Goethe.
Wie aber klang die Stimme des Schloß-Gripsholm-Dichters?

… Das gehauchte Berlinisch, in dem die Stimme Ruhepausen braucht, die von ‚nich‘ gebildet werden… Ein ganz einheitlicher Mensch von einundzwanzig Jahren (…) Will Verteidiger werden, sieht nur wenige Hindernisse – gleichzeitig mit der Möglichkeit ihrer Beseitigung… Zweifel an der eignen Fähigkeit zur Pose, die er sich aber von größerer Welterfahrung erhofft – endlich Angst vor einer Verwandlung ins Weltschmerzliche, wie er es an älteren Berliner Juden seiner Richtung bemerkt hat, allerdings spürt er vorläufig gar nichts davon… Er wird bald heiraten.
(Aus Franz Kafkas Tagebuch, 1911)

Neben dem gehauchten Berlinisch, das Kafka bei Tucholsky wahrnahm, schrieb und sprach der von uns schon als Schülern bewunderte Mann auch ein bestimmtes und sehr klares Deutsch wie in diesem Peter-Panter-”Schnipsel” (Weltbühne, Dezember 1930):

Die stupide Anschauung Ernst Jüngers, Kampf sei das Primäre, das Eigentliche, wofür allein zu leben sich verlohne, steht auf ähnlichem Niveau wie die eines falschen Friedensfreundes, der jeden Kampf verabscheut und für Kamillentee optiert. Weder ewiger Kampf ist erstrebenswert noch ewige Friedfertigkeit. Nur Krieg … das ist eine der dümmsten Formen des Kampfes, weil er von einer recht unvollkommenen Institution und für sie geführt wird.

Das muß laut gesagt werden, damit es auch gehört wird. Freunde und ich lasen Mitte der vierziger Jahre, um dem Krieg unseren Krieg zu erklären, in Berliner Klubs, Schulen und anderswo einschlägige Texte von Wolfgang Borchert und natürlich auch von Tucho vor.
In jenen Tagen hatten wir Kontakt zu Heinz Kraschutzki, einem Mann ganz nach unserem Geschmack. Kraschutzki, geboren 1891 in Danzig, Kapitänleutnant a.D., 1932 nach Spanien emigriert, wo er bald ausgebürgert und inhaftiert wurde (…). Uns gefiel er als verdienstvoller Organisator der Internationale der Kriegsdienstgegner. Ihm verdankte ich die Möglichkeit, einmal in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee Borchert und Tucholsky zu rezitieren. Die Insassen des wenig gastlichen Hauses begrüßten meinen Besuch, weil sie endlich mal aus ihren Zellen heraus in einen Vortragsraum geführt wurden. Ich schwitzte sehr. Bekanntlich ist es viel einfacher, in einen Knast reinzukommen als wieder aus ihm rauszukommen. Draußen wartete aufgeregt meine Begleiterin. Nun war ich wieder da . (Vielleicht hatte sie mit dem Gedanken gespielt, man würde mich für längere Zeit in der JVA festhalten? Das weiß ich heute nicht mehr so genau.)
Ungefähr 43 Jahre war ich Bühnenarbeiter, und zwar bei der „Weltbühne”, die im so genannten 1000-jährigen Reich nur in Exil-Ausgaben erscheinen konnte und 1946 von der Witwe Carl von Ossietzkys, Maud von Ossietzky, und Hans Leonard neu herausgegeben wurde. Ich hatte Sympathien für die Zeitschrift; für mich war sie ja Tuchos Blatt. 1951 erschien dort meine erste Glosse, und ich blieb ein treuer Mitarbeiter mit Marginalien, Kommentaren, Kritiken, Satiren, vertrug mich ziemlich gut mit den Redakteuren Hans Leonard, Ursula Madrasch, Hermann Budzislawski, Peter Theek – bis ein neuer Gesellschafter, Immobilienhändler aus Frankfurt am Main, die mittlerweile lauwarme „Weltbühne” fallen ließ wie eine heiße Kartoffel. Wie viele Journalisten konnte ich mir das Schreiben nicht plötzlich abgewöhnen.
Als Eckart Spoo vor zehn Jahren ein „Weltbühnen”-Nachfolge-Blatt namens „Ossietzky” ins Leben rief, holte er mich dazu. Im Kreis solcher Kollegen wie Ulla Jelpke, Daniela Dahn, Susanna Böhme-Kuby, Otto Köhler, Matthias Biskupek, Gerhard Zwerenz, Thomas Kuczynski und so weiter fühlt man sich wohl. Ich hatte nebenher ungefähr 40 Bücher und Bücherchen veröffentlicht. Die sind alle vergriffen.
Mit Kurt Tucholsky gabs mal ein kleines Problem. Keine Frage, dass ich ein Verehrer von Kurt Tucholsky war und bin (…). Die Umbenennung der alten Berliner Artilleriestraße in Tucholskystraße erfüllt mich noch heute mit Freude (…). Als noch jungem Menschen war mir die Ehre zuteil geworden, im VEB Kühlautomat zu Berlin-Johannisthal einen Vortrag über die „Weltbühne” im allgemeinen und Tucholsky im besonderen zu halten (…). Vorm Eingang zum Klubraum wurde ich von einigen netten jungen Männern (damals war ich auch noch so eine Art junger Mann) mit freundlichen Zurufen empfangen: „Imma mit die Ruhe, Kleena, jetzt brauchste noch nich rinjehn. Tanz fängt erstens frühestens inne Stunde an. Vorher hält erst noch eena ne Rede, na bitte, wennet sein sehnlichsta Wunsch is – aber ohne uns, wah!”
So was braucht jeder Referent zur seelischen Einstimmung. Das Furchtbare ereignete sich erst in der nachfolgenden Diskussion. Nach meinem profunden Vortrag über Tucholsky fragte einer dieser grauhaarigen Typen, die auf allen Versammlungen hauptsächlich deshalb anwesend sind, um die Referenten auf diesem Weg zur Hölle genügend zu beheizen: „Na schön, junger Mann, aber wie war das denn nun mit Theodor Tagger? Sie haben hier alle möglichen oder unmöglichen Tucholsky-Pseudonyme bemüht, sind aber nie auf Theodor Tagger gekommen.” Ich versuchte ohne nennenswerten Erfolg diesen Mann davon zu überzeugen, dass Theodor Tagger der wirkliche Name des erfolgreichen Theaterleiters und -autors Ferdinand Bruckner (1891–1958) gewesen sei. Der Bursche glaubte mir kein Wort. Oder er tat so. Wir debattierten zwanzig Minuten lang erfolglos. Und das war meine erste Tucholsky-Produktion. In seinem fernen Grab möge Tucho auch dies seinem Nachahmer verzeihen.
Mit meinen vielen Erinnerungen an ungezählte große (und kleine) Theater-Größen, die mich seit mehr als fünfzig Jahren – mit Unterbrechungen und Pausen (versteht sich) bezauberten, möchte ich das geduldige Publikum höflicherweise verschonen. Auf dieser Bühne, die für mich natürlich nicht nur aus ein paar Brettern besteht, sondern aus jenen speziellen Spundbrettern, welche die Welt bedeuten, saß ich auch mal mit meinem Freund Hans Bunge – da vorne noch vor dem eisernen Vorhang (aus Sicherheitsgründen? Keine Ahnung), als wir etwas über den schwierigen Umgang mit dem schwierigen Ernst Busch in einem Matinee-Gespräch zu erklären versuchten. Der Regisseur, Autor und Dokumentarist Bunge betreute damals auch ein nicht mehr existierendes kleines Theater mit 99 Sitzplätzen – die Kleine Komödie, befindlich unter den Kammerspielen. Ein hübscher und behaglicher Raum war das.
Bunge arrangierte dort neben vielen andren Sachen auch die Vorstellung einer damals neu erschienenen Märchensammlung Die Rettung des Saragossameers. Unter den sehr vielen Märchentanten und –onkels war auch ich mit einem auffallend kurzen Text. Der lautete so: Minutenmärchen Nr. 3. Es war einmal ein richtiger alter Deutscher, der hatte einen Fehler gemacht. Und nun will ich euch erzählen, liebe Kinder, was er danach tat: Er ghab den fehler zu. Peng, aus.
Der Einfachheit halber kriegte jeder von uns das gleiche Honorar. 150 Mark, glaube ich. Na immerhin.
Ein anderer meiner DT-Freunde, der Germanist, Schauspieler und Regisseur Ernst Kahler, Augen- und Ohrenzeuge des Events (den Ausdruck gabs seinerzeit noch nicht) offenbarte seine Talente als Rechenkünstler, indem er uns hinterher in der Kantine sein kleines feines Buch Eine himmlische Rolle mit folgender Widmung schenkte: Lothar und Ingelott überreicht an dem Tage, als Lothar für einen Stundenlohn von 72.000 Mark 1 Märchen erzählte. 5. Oktober 1976.
Das waren noch Zeiten!
Erinnern sich die Berliner etwa mit einem Denkmal an ihren früheren Mitbürger Kurt Tucholsky? Das wäre eine widersinnige Hoffnung. Niemand denkt wirklich an eine Figur, die ihn von einem sogenannten Denk-Mal herunter anglotzt. Wäre es anders, so müssten die Bewohner mancher deutschen Stadt täglich an Bismarck denken oder an Kaiser Willem. Oder Menschen auch aus kleineren Siedlungen hätten zu Sowjet-Zeiten rund um die Uhr an Väterchen Stalin gedacht. Das haben sie vielleicht sogar getan, aus gewissen Gründen, nicht wegen der Denkmäler.
In Berlin gibt’s indes eine Tucholskystraße. Ganz in der Nähe dieses Theaters. Diese Straße hieß früher Artilleriestraße, weil in der Gegend mal eine Kaserne für Artilleristen war. Diese Straße verläuft vom Spreeufer bis zur Torstraße. Auf der einen Seite befindet (oder befand?) sich die Charitéklinik für natürliche Heilweisen, worinnen einst der Professor Paul Vogler auf natürliche Weise heilte. Hauptsächlich mit Wasser. Daher nannte man den Professor auch „Plansche-Paule”. Auf der anderen Seite wohnte zeitweilig ein prominentes DT-Mitglied namens Eberhard Esche. Die Torstraße hieß früher Wilhelm-Pieck-Straße. Kleiner Hinweis für Gäste aus älteren oder exotischen Ländern: Pieck war mal DDR-Präsident.
Apropos: Der amtliche „Reichsanzeiger und Preußische Staatsanzeiger” gab am Freitag, dem 25. August 1933, bekannt, wem die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde: dem Dr. Tucholski, Kurt, geschrieben mit i. Und übrigens auch dem Pieck, Wilhelm.
Dazu möchte ich folgendes sagen: Gar nichts.
Gehalten am 21. Oktober 2007 im Deutschen Theater in Berlin

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