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[Bericht] Buchpremiere in Rheinsberg

Der Urenkel des Bankiers Hugo Simon stellt seinen Roman über dessen Schicksal im Kurt Tucholsky Literaturmuseum in Rheinsberg vor.
Dr. Peter Böthig, Leiter des Kurt Tucholsky Literaturmuseums,  ist stolz: In Rheinsberg fand am 13. Oktober 2016 die Premiere eines schwergewichtigen Buches statt: Auf 536 Seiten erfährt die Nachwelt vom Schicksal des zu seiner Zeit durchaus berühmten und nun vergessenenen Bankiers, Politikers und Kunstmäzen Hugo Simon.
Und der Ort hat seine Berechtigung: Auch wenn Tucholsky auf den Seiten des Romans nicht persönlich, sondern nur als Zitatengeber erscheint, es ist auch ein Teil seines Schicksals, das da verhandelt wird. Hugo Simon hatte Tucholsky 1923, mitten in der Inflation, als Privatsekretär in sein Bankhaus eingestellt (und mit Goldmark bezahlt).
Dass Tucholsky die Stelle sofort wieder aufgab, als die Währung wieder stabil wurde, hat er ihm auch nicht nachgetragen: Hugo Simon war ein bedeutender Kunstmäzen und dazu noch Pazifist und Demokrat. Nach der Novemberrevolution 1918 war er als Mitglied der USPD kurzzeitig Finanzminister im preußischen Rat der Volksbeauftragten, danach zog er sich aus dem offiziellen politischen Leben zurück. Erst im Exil in Paris war er wieder aktiv, unterstützte die Exil-Zeitung „Pariser Tageblatt“, bzw. „Pariser Tageszeitung“ finanziell und organisatorisch, war im „Bund Neues Deutschland“ zusammen mit Heinrich und Thomas Mann und war aktiv für das Flüchtlingskomitee Baron de Rothschilds, das Flüchtlinge aus Deutschland unterstützte.
Von den Faschisten vertrieben, ausgebürgert und auch im Ausland noch verfolgt, konnte er nur unter falschem Namen mit angenommener Identität und tschechischem Pass 1941 aus Frankreich entkommen. Zwar wollte er in die USA, wo auch Albert Einstein und Thomas Mann für ihn bürgten, aber er erreichte nur Brasilien.
Dort ließ Diktator Vargas bis zum Kriegseintritt Brasiliens die deutschen Faschisten wohlwollend gewähren, lieferte auch Olga Benario-Prestes an sie aus, obwohl sie mit dem Kind eines Brasilianers schwanger war. Hugo Simon sollte ausgewiesen werden, konnte sich dem aber dadurch entziehen, dass er sich im Landesinnern ansiedelte. Als Seidenraupenzüchter verdiente er seinen Lebensunterhalt bis zu seinem Tod 1950. Seine Bemühungen um Rückgabe seiner Kunstschätze und Güter, und vor allem seiner Identität, waren bis zu seinem Tod nicht erfolgreich. Das lag an der Bürokratie Brasiliens ebenso wie an der Nachkriegssituation in Deutschland.
Dieses bewegte Schicksal wird im Roman in einer Art Innenansicht erzählt. Die vielen Fakten und Namen (dankenswerterweise gibt es ein ausführliches Namensregister im Anhang) sind so psychologisch differenziert eingebettet in den Strom von Empfindungen, Gedanken und Geschehnissen, dass es sich anfühlt, als sei es das eigene Leben. Wie es in einem Menschen aussieht, der alles hinter sich lassen muss, um das nackte Leben zu retten, sogar seine Identität, seine Sprache, seine Familienbeziehungen verleugnen muss, das ist hier packend und in wundervoller Sprache geschrieben.
Rafael Cardoso, der Urenkel, ist Brasilianer, seine Sprache und seine Denkweise ist das Portugiesische, und das lässt die vortreffliche Übersetzung in einer Weise spüren, die die deutsche Sprache schöner, flüssiger, ornamentreicher erscheinen lässt. Dem Übersetzer Luis Ruby ist da etwas ganz besonderes gelungen!
Bei der Vorstellung des Buches las Frank Matthus, Regisseur und künstlerischer Leiter der Kammeroper Rheinsberg, zwei Kapitel mit klangschöner Stimme und ließ den Zauber dieses Romans auf die Hörer wirken. Der Buchstapel war im Nu leergekauft. „Das Vermächtnis der Seidenraupen“ kann ich nur wärmstens zum Lesen empfehlen.

Jane Zahn

Rafael Cardoso: „Das Vermächtnis der Seidenraupen“ , übersetzt von Luis Ruby, erschienen bei S. Fischer, 576 Seiten, 25,- €, ISBN 978-3-10-002535-7

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Kurt Tucholsky Preis für literarische Publizistik Pressemitteilung

[Pressemitteilung] Marc Reichwein in Jury berufen

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft beruft den Journalisten Marc Reichwein als Nachfolger für die viel zu früh verstorbene ehemalige Herausgeberin der Zeitschrift Der Literat Inka Bohl in die Jury des mit 5000 € dotierten Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik, der das nächste Mal im Jahr 2017 vergeben wird.

Marc Reichwein (Foto: Martin Lengemann / Die Welt)
Marc Reichwein
(Foto: Martin Lengemann / Die Welt)

Marc Reichwein, geboren 1975 in Konstanz, lebt in Leipzig und arbeitet in Berlin als Redakteur im Feuilleton der »Welt« und »Welt am Sonntag«.
Er studierte Germanistik, Italianistik und Journalistik in Leipzig, Zürich und Siena. Er ist Gründungsmitglied des Online-Feuilletons »Der Umblätterer«, das von 2005 bis 2015 jährlich die zehn besten Feuilletonartikel des Jahres kürte und 2010 für den Grimme Online Award nominiert war.
Zudem ist er Mitherausgeber des Fachportals literaturkritik.at, das sich mit der Geschichte und Gegenwart des Feuilletonjournalismus und insbesondere der Literaturkritik beschäftigt.
Herr Reichwein moderiert literarische Veranstaltungen und referiert auf wissenschaftlichen Tagungen. In seinen Essays beschäftigt er sich mit Themen wie Zeitungsjournalismus, Medienfiguren (gestern, heute, morgen) und dem Medienbetrieb.
Veröffentlichungen (Auswahl)
https://www.welt.de/autor/marc-reichwein/
https://www.uibk.ac.at/literaturkritik/archiv_index.html
http://www.umblaetterer.de/author/marcuccio/

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft ist froh, mit Marc Reichwein einen engagierten und kompeteten Journalisten für die Arbeit in der Jury gewonnen zu haben.
Marc Reichwein wird damit bereits an der Vergabe des 2017 vergebenen nächsten Preises mitwirken. Die Ausschreibung für den Preis erfolgt nach der diesjährigen Tagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft in Szczecin.
Über den Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik
Aus Anlass des 60. Todestages von Kurt Tucholsky wurde 1995 der Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik gestiftet. Alle zwei Jahre werden mit ihm engagierte deutschsprachige Publizisten oder Journalisten ausgezeichnet, die der »kleinen Form« wie Essay, Satire, Song, Groteske, Traktat oder Pamphlet verpflichtet sind und sich in ihren Texten konkret auf zeitgeschichtlich-politische Vorgänge beziehen.
Ihre Texte sollen im Sinne Tucholskys der Realitätsprüfung dienen, Hintergründe aufdecken und dem Leser bei einer kritischen Urteilsfindung helfen.
Die Auswahl der Preisträger erfolgt durch eine fünfköpfige Jury; das Preisgeld beträgt seit dem Jahr 2015 5.000 € (bis 2013: 3.000 €).
Die bisherigen Tucholsky-Preisträger sind: Der Heine-Forscher und Theaterkritiker Jochanan Trilse-Finkelstein, der Journalist Mario Kaiser, der Journalist Deniz Yücel, der Journalist und Literaturkritiker Volker Weidermann, der Schriftsteller und Satiriker Lothar Kusche, der Journalist und Publizist Otto Köhler, der Journalist und Schriftsteller Erich Kuby, der Journalist Wolfgang Büscher, der Autor und Hochschullehrer Harry Pross, die Schriftstellerin und Journalistin Daniela Dahn, Schweizer Schriftsteller Kurt Marti, der Journalist Heribert Prantl und der Liedermacher Konstantin Wecker.
Über die Kurt Tucholsky-Gesellschaft
Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft wurde 1988 gegründet, um dem facettenreichen »Phänomen Tucholsky« nachzuspüren. Sie will als literarische Vereinigung die Beschäftigung mit Leben und Werk Kurt Tucholskys pflegen und fördern und hat ihren Sitz in Tucholskys Geburtsstadt Berlin. Als Publikationsorgan der Kurt Tucholsky-Gesellschaft erscheint dreimal im Jahr ein Rundbrief. Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft gibt zudem eine eigene Schriftenreihe heraus, in der vorrangig die Dokumentationen der von ihr organisierten wissenschaftlichen Tagungen erscheinen.
Den jährlichen Höhepunkt der Vereinstätigkeit bilden Tagungen mit wissenschaftlichen Kolloquien, Vorträgen, Exkursionen und kulturellen Veranstaltungen. Aller zwei Jahre vergibt sie den Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik.
Die nächste Tagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft findet vom 28. bis 30. Oktober 2016 in Szczecin unter dem Thema »Tucholsky, Szczecin/Stettin, Polen und die Ostsee« statt. Das aktuelle Tagungsprogramm ist auf der Website einzusehen. Dort besteht auch die Möglichkeit, sich anzumelden.
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