Pleite für Nazis, Lehren für Gegner

Von Ian King
Zum ersten Mal wurde eine KTG-Jahrestagung unterbrochen, damit deren Teilnehmer sich an einer politischen Demonstration beteiligen konnten: So geschehen am Samstag, den 16. September. Wir haben zusammen mit Bürgern der Stadt Minden, Pfarrern, Gewerkschaftlern und nicht zuletzt Schülern und Lehrern der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule gegen ein geplantes Treffen von Nazi-Kameradschaften »Gesicht gezeigt«.

Wer eine solche Tat für überzogene Betroffenheitsduselei hält, hat meines Erachtens weder Tucholskys Leben und Werk, die Lehren aus den 1930er Jahren noch die der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern verstanden. Fast die ganze Welt hat unter den Nazis gelitten: Nie wieder! Selbst die kleinsten, lächerlichsten Auswüchse eines neuen Nazi-Aufstiegs, wie der zersprengte Haufen, der Minden erreichte und nach kurzem, ruhmlosen Aufenthalt nach Hause geschickt wurde, waren und sind zu bekämpfen.

Zuerst die positiven Nachrichten. Über 2000 Teilnehmer, davon gut die Hälfte unter 25 Jahren, Deutsche und Ausländer, liefen zum Rhythmus von Bongotrommeln hinter Transparenten wie »Vielfalt statt Einfalt« und »Ausländerpower macht Nazis sauer«. Letzteres von unserem Schatzmeister und einer Schülerin der Tucholsky-Gesamtschule hochgehalten, die uns gerade von der Anne-Frank-Ausstellung in ihrer Stadt erzählt hatte. Auch die Mutter einer KTG-Lehrerin half mit. Solche generationenübergreifende Solidarität um der guten Sache willen lässt einem das Herz höher schlagen. Am Zielort gab’s noch Getränke, Musik; Wolfgang Helfritsch, Renate Bökenkamp und Frank-Burkhard Habel haben passende Tucholsky-Texte rezitiert. (»Der Graben« sticht immer!) Warum war das Ganze doch eine Enttäuschung?

Zugegeben, es geht um meinen persönlichen Eindruck. Ich bin auch kein hauptberuflicher Demonstrant: Mal ging’s gegen Thatcher - für die streikenden Bergarbeiter oder gegen britische Atomwaffen -, mal gegen Bush und Blair und den bevorstehenden Irak-Krieg. Bin kein Experte.

Und trotzdem.

Guter Wille reicht nicht gegen schlechte Organisation. Pfarrer jeder Konfession bieten Gemeinplätze, meistens in Predigtenlänge. Eine Band braucht keine acht Songs vorzutragen, drei tun’s auch. Ein Posaunenchor ist fehl am Platz. (Was hätte Tucholsky über die Teilnahme eines »Kreisposaunenwarts« gelästert!) Vor allem: Es war eine Zumutung, dass die anwesenden Jugendlichen stundenlang warten mussten, bis eine der ihren das Wort erteilt bekam: Lisa Diesterweg, Schülersprecherin der Tucholsky-Gesamtschule. Ihre kurze, griffige Erklärung zeigte sie als gute Rednerin, was man von den meisten männlichen Vorrednern mittleren Alters nicht sagen konnte. Aber neun Zehntel aller Teilnehmer waren schon weg!

Fazit: Eine Pleite für die Nazis, ein Erfolg für die Stadt Minden, dass es gelang, so viele, vor allem junge Leute, auf die Beine zu bringen. Fürs nächste Mal: Weniger Pfarrer, oder vielleicht ein Vertreter der Trappisten; mehr Lisa Diesterwegs und Mareike Müllers. Und merkt den Churchill-Spruch: »Unsterblich reden, heißt nicht ewig reden.«

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