Podiumsdiskussion Tucholsky-Jahrestagung 2007

Zur Aktualität Tucholskys pazifistischer Positionen

Teilnehmer:
Helmut Kramer, Richter a. D. am OLG Braunschweig, Braunschweig
Gesine Lötzsch, Bundestagsabgeordnete, Die Linke, Berlin
Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr, Mitglied des Arbeitskreises Darmstädter Signal, München
Uwe Ziesak, Oberstleutnant der Bundeswehr, Wehrkreiskommando Berlin
Moderation:
Eckart Spoo, Herausgeber der Zweiwochenschrift Ossietzky
Spoo: Herzlich willkommen hier auf dem Podium. Frau Gesine Lötzsch, sie ist Abgeordnete hier aus Berlin, in der Fraktion der Linken und wahrscheinlich allen bekannt. Rechts von ihr Oberstleutnant Jürgen Rose, der hier nicht für die Bundeswehr spricht, sondern als Fachmann, denke ich, für viele Fragen, die wir erörtern. Als Publizist, den sicherlich auch die meisten kennen werden aus seinen Veröffentlichungen im Freitag oder im Ossietzky oder anderswo. Auch in den Blättern für deutsche und internationale Politik. Auf meiner Linken, Dr. Helmut Kramer, ehemaliger Richter am Oberlandesgericht in Braunschweig, der mit dem Thema Krieg, Frieden und Recht sich seit langem intensiv beschäftigt. Unter anderem auch als Gründer des Forums Justizgeschichte und in der Richter-Aus- und Weiterbildung. Er hat übrigens mit unserem Einleitungsreferenten Prof. Wette zusammen, im vorigen Jahr glaube ich, war es, auch ein Buch zu diesem Thema Krieg und Recht veröffentlicht, was nochmal sehr empfohlen sei. Schließlich, von mir aus gesehen ganz links, Uwe Ziesak. Er ist auch Oberstleutnant, diejenigen, die sich in Uniformen und Uniformschmuck auskennen, wissen natürlich auch sofort welcher Dienstgrad oder so was, er ist aber auch, wie ich gelesen habe, parteipolitisch tätig, und zwar in der SPD und sitzt in der Bezirksverordnetenversammlung Spandau. Ich erwähne das ganz besonders deswegen auch, weil jemand fehlt, der eigentlich angekündigt war, nämlich der Bundestagsabgeordnete Klaus Uwe Benneter, von der SPD. Ich hatte es sehr nützlich gefunden, dass er zugesagt hatte, weil er ja doch für die Politik steht, in den letzten Jahren, die sich zu entscheiden hatte etwa in Jugoslawien, oder in Afghanistan oder im Irak, wie sich die Bundesrepublik Deutschland dazu verhält. Ich denke, es wäre eigentlich notwendig gewesen, einen Sprecher dieser Position zu haben. Als ich von seiner kurzfristigen Absage hörte, dachte ich: Der arme Herr Ziesak, der ist jetzt ein bisschen im Stich gelassen, denn die Truppe ist ja sozusagen das, was ausführt, was die Politik vorgibt, und diese Position fehlt dann. Aber vielleicht hat diese auch politische Funktion, die Herr Ziesak hat, enthält sie die Möglichkeit, ihn auch für die politischen Zusammenhänge anzusprechen. Das werden wir im Lauf der Diskussion sehen. Das Thema der gesamten Tagung ist ja die Unsittlichkeit des Krieges. Ich darf das gesamte Zitat von Tucholsky nochmal in Erinnerung bringen: »Der moderne Krieg hat wirtschaftliche Ursachen. Die Möglichkeit, ihn vorzubereiten, und auf ein Signal Ackergräben mit Schlachtopfern zu füllen, ist nur gegeben, wenn diese Tätigkeit des Mordens vorher durch beharrliche Bearbeitung der Massen als etwas Sittliches hingestellt wird. Der Krieg ist aber unter allen Umständen tief unsittlich.« Das, was Tucholsky gesagt hat, muss nicht für jeden von uns selbstverständlich sein. Meine Frage an die auf dem Podium Versammelten ist deswegen: Würden Sie sich das für sich selbst zu eigen machen? Gerade diese Aussage: Der Krieg ist unter allen Umständen tief unsittlich.
Lötzsch: Ich kann mir dieses Zitat sehr zu eigen machen und ich möchte an den zweiten Teil des Zitates gleich anknüpfen, den sie gebracht haben. Man versucht vorher, oder auch währenddessen, den Krieg als etwas zutiefst Sittliches darzustellen. Wir haben ja im Deutschen Bundestag in der vergangenen Sitzungswoche wieder diskutiert und abgestimmt über die Verlängerung des Bundeswehrmandates, das vom Bundestag beschlossen werden muss, in Afghanistan, verbunden mit dem »Tornado«-Einsatz. Was mich an diesen Debatten immer so beeindruckt, im negativen Sinne, und fasziniert ist, dass überhaupt niemand mehr erwähnt, warum 2001 die Operation Enduring Freedom, die NATO-geführte Mission in Afghanistan, begonnen wurde. Das Ziel war, ich sage es mal etwas zugespitzt, Bin Laden zu fangen und die Taliban unschädlich zu machen, als Reaktion auf die angegriffene USA, World Trade Center. Wenn wir jetzt über die Frage diskutieren, Bundeswehr und Verbündete in Afghanistan, hören wir nur: Die Frauen sind befreit, die Mädchen dürfen in die Schule gehen, keiner spricht mehr davon, und es wird auch in der Öffentlichkeit, – wenn ich auch jüngere Leute frage: Wisst Ihr überhaupt, warum Bundeswehr und andere Truppen in Afghanistan sind? – wird überhaupt nicht mehr über den eigentlichen Kriegsbeginn und die eigentliche Motivation und Ursache gesprochen. Und es ist genau das verwirklicht worden, was in dem Tucholsky-Zitat gesagt wurde: Man versucht, diese Kriegshandlung als etwas zutiefst Sittliches darzustellen. Und wenn wir uns die Ergebnisse ansehen, sage ich: Es ist alles zutiefst unsittlich.
Spoo: Herr Ziesak: Darf ich gleich Sie mit derselben Frage konfrontieren?
Ziesak: Ich kann mich dem natürlich, was nicht sehr verwundern wird, was Frau Lötzsch gerade gesagt hat, so nicht anschließen. Und ich glaube auch, wenn man das mal in dem Kontext sieht, denn Herr Greis hat uns netterweise auch verschiedene Dokumente von Tucholsky zugesandt, dass sich wohl seine Meinung, auch zum Thema Gewaltanwendung und Krieg gegen Ende seines Lebens etwas geändert hat. Tucholsky ist 1935 gestorben, und, ich muss mal ein bisschen zurückfahren. Als ich zu dieser Veranstaltung eingeladen worden bin, da macht man sich natürlich Gedanken. Tucholsky habe ich mal gelesen, vor 30 Jahren, Schloß Gripsholm, Rheinsberg, oder auch andere Schriften, und da denkt man natürlich drüber nach. Da fragt man sich: Tucholsky, wer war das eigentlich? Da guckt man heutzutage einfach bei Wikipedia nach, holt sich da einen Lebenslauf raus und schaut sich entsprechende Werke dann an. Und ich fand es sehr bezeichnend und auch sehr gut, dass Herr Greis diese Dokumente noch mal zielführend für die Diskussion hier uns mitgeschickt hat und als ich hierher zu dieser Veranstaltung kam bin ich auch über den Bebelplatz gegangen. Dort sind ja 1933 unter anderem auch die Schriften von Kurt Tucholsky, von Thomas Mann, Heinrich Mann verbrannt worden. Und sie galten ja als entartete Dichter und Künstler. Und ich bin der Meinung, dass Kurt Tucholsky heutzutage bestimmt eine andere Einstellung hätte. Dass man bestimmte Regimes, ich nehme mal das nationalsozialistische Regime, einfach nur mit Gewalt beseitigen konnte, nicht von innen, sondern von außen, durch die Allianz Großbritannien, USA, Frankreich und Sowjetunion. Wenn man heute diesen Afghanistan-Einsatz sieht, Frau Lötzsch sprach natürlich sehr wohl die Diskrepanzen an, aber wer sich informieren will, kann sich informieren. Und wenn man entsprechende Werke liest, beispielsweise letztens in einer Ausgabe des Heftes Parlament, war eine sehr umfassende Diskussion darin, wo Für und Wider dieses Einsatzes beispielsweise auch angesprochen worden sind. Also diese Aussage, die Frau Lötzsch hier so absolut gemacht hat, die kann ich nicht teilen.
Rose: Ich denke, man muss diesen Satz von Tucholsky noch einmal genauer analysieren. »Der Krieg ist aber unter allen Umständen tief unsittlich«. Wenn man den ins Positive wendet, dann heißt es ja: Der Frieden ist der Zustand der Sittlichkeit. Frieden ist also sittlich. Und da bin ich von meiner Herkunft her sehr schnell bei Immanuel Kant. Ich habe es noch mal mitgebracht. Das kleine gelbe Büchlein Zum ewigen Frieden. Im ersten Definitivartikel für den ewigen Frieden schreibt Kant: »Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist kein Naturzustand, der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, das ist, wenngleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben. Er (also der Frieden) muss also gestiftet werden.« Ich denke, da hätte Tucholsky auch kein Problem damit. Das verweist aber auf das Grundproblem, wie man den Frieden stiften muss und wie man auch Frieden von Krieg unterscheidet. Krieg und Frieden auf dieser Basis gedacht, also auf der Basis von Kant gedacht, unterscheiden sich nicht durch das Maß, sondern durch die Rechtlichkeit beziehungsweise Unrechtlichkeit von Zwang und Gewaltanwendung. Der Friedenszustand ist also jener, in dem Zwang und Gewalt ausschließlich zur Sicherung von jedermanns Recht angedroht und notfalls angewendet werden kann. Das wird dann aufgegriffen und im Grunde genommen weist Tucholsky ja auch darauf hin, wenn er sagt: Wir müssen Militär ganz neu denken, anders denken, auf einer völlig neuen Grundlage. Das ist erst passiert nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Militärreform. Und einer der wesentlichen Vordenker dabei war der Graf Baudissin, der eben nicht nur General der Bundeswehr war, Generalleutnant, sondern zugleich auch der Gründungsvater des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Und was Baudissin zum Krieg oder zum Militär sagte, das will ich Ihnen in einem ganz kurzen Zitat noch einmal zur Kenntnis geben: Er fragt nämlich: Welches sind den nun die Aufgaben der Streitkräfte? »Wir haben ernsthaft und redlich umzudenken und uns bewusst zu machen, dass der Soldat in allererster Linie für die Erhaltung des Friedens eintreten soll. Denn im Zeitalter des absoluten Krieges mit seinen eigengesetzlichen, alles vernichtenden Kräften gibt es kein politisches Ziel, welches mit kriegerischen Mitteln angestrebt werden darf und kann. Außer, der Verteidigung gegen einen das Leben und die Freiheit zerstörenden Angriff.« Also ich würde den Satz auf dieser Basis des gerade Gesagten und Dargelegten so formulieren: Der Angriffskrieg, und das ist, denke ich, das was Tucholsky auch meint und viele Pazifisten meinen, der Angriffskrieg ist unter allen Umständen tief unsittlich. Und da sind wir auch beim Kern dessen, was uns heute bewegt. Denn seit 1999 ist diese Bundeswehr keine Verteidigungsarmee mehr, so wie sie ursprünglich gedacht war, von Baudissin und anderen konzipiert war, sondern sie ist eine Armee für den Krieg geworden. Und sie führt Krieg. Seit 1999. Und zwar völkerrechtswidrig und grundgesetzwidrig. Rot-Grün hat es geschafft, dieses politisch zu instrumentalisieren. Joschka Fischer und Gerhard Schröder, 1999 im Kosovo, völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen Jugoslawien unter Vortäuschung falscher Tatsachen. Nämlich einer angeblichen humanitären Katastrophe, die allererst durch die NATO-Bomber geschaffen worden war. 2001 waren wir plötzlich alle Amerikaner, wie mein Genosse Peter Struck in einem genialen Geistesblitz seinem Publikum weiszumachen versuchte, und Herr Schröder sprach von der uneingeschränkten Solidarität. Die hat uns bis an den Hindukusch geführt, und bis hin zur Kriegsbeteiligung in Form deutscher Kampfflugzeuge, sechs Tornados, die die Ziele aufklären, die dann die NATO-Partner zerbomben. Und 2002 und 2003 wurde ebenso völkerrechtswidrig und verfassungswidrig mit vielen tausenden Bundeswehrsoldaten das völkerrechtliche Verbrechen gegen den Irak und seine Menschen unterstützt. Die große Legende lautete: Wir seien nicht dabei gewesen. Ich sagte das schon vor zwei Tagen: Wir waren dabei und wir sind dabei. Mit allen Mitteln. Und wir sind und wir werden auch dabei sein, das hat Frau Merkel bereits deutlich gemacht, wenn es gegen den Iran geht. Wir stellen wieder unsere Basen zur Verfügung, die Bundeswehr wird wieder US-Soldaten bewachen, und alle anderen, die an diesem Angriffskrieg teilnehmen werden, alles wie gehabt. Und da sind wir beim Kern der Unsittlichkeit. Das ist auch in der Doktrin schon angelegt, wenn wir ins Weißbuch schauen. Da ist die Rede von der Förderung des freien Welthandels, von der Förderung unseres, wohlgemerkt unseres Wohlstandes, natürlich immer gedacht auch mit militärischen Mitteln, und, man höre und staune, von der Überwindung der Kluft zwischen Arm und Reich. Wie man sich das nun mit militärischen Mitteln vorstellen soll und was die Bundeswehr dazu beizutragen hätte, erschließt sich mir nicht ganz. Aber das ist der Füllfunk, den wir aus dem Planungsstab des Bundesverteidigungsministeriums heute zu hören bekommen. Das ist der orwellsche Neusprech, in den wir eingewickelt werden, und das markiert die tiefe Unsittlichkeit der gegenwärtigen Militär- und Verteidigungspolitik, der wir ausgesetzt sind, und das macht, denke ich, die Aktualität dessen, was Kurt Tucholsky uns vermittelt hat und nachgelassen hat, bis zum heutigen Tage deutlich.
Kramer: Die Behauptung, jeder Krieg ist unsittlich, mit anderen Worten: Krieg dem Kriege, ist eigentlich eher geeignet abzulenken von dem tatsächlichen Problem. Sie kann polemisch missbraucht werden, in dem dann dies Schreckbild eines wirklichen Angriffs, mit der von mir nicht verneinten Notwendigkeit, dass man dann auf diese Weise die Position der Kriegsgegner, der Gegner des Angriffskrieges, wie Herr Rose es gesagt hat, ad absurdum zu führen. Theoretisch halte ich durchaus für möglich, und auch für juristisch gerechtfertigt, wenn ein Land überfallen wird, dann sich zu verteidigen. Aber in den letzten Jahrzehnten dieser neuen Kriege ist das nie der Fall gewesen. Man hat es nur unter dem Deckmantel der sogenannten Landesverteidigung getan, und in dem man also den Begriff der Verteidigung verwässert hat, durch die Erfindung neuer Feinde, auch durch den Aufbau von Feindbildern, da war der Terrorismus. Terroristen müssen natürlich bekämpft werden, durch polizeiliche Maßnahmen, wie sie vielleicht noch nicht mal selbst beim 11. September 2001 in New York ausgeschöpft worden waren. Inzwischen weiß man ja, wie viel, wie die amerikanischen Geheimdienste über diese Möglichkeit vorher informiert waren. Also nicht mal das wird ausgenutzt. Und dann natürlich wird jetzt unter dem Deckmantel der sogenannten humanitären Intervention, was hat denn die angebliche, die angebliche Verteidigung der Menschenrechte in andern Ländern mit der Landesverteidigung der Bundesrepublik zu tun? Oder mit diesem nachgeschobenen Argument zum Irak-Krieg: dem Demokratie-Export in den Irak, nachdem alle anderen von den amerikanischen Geheimdiensten, dem US-Establishment erfundenen Fakten sich als eben reiner Schein entpuppt haben. Also ein bewusstes Missverständnis eben durch Schaffung einer künstlichen Konfrontation zwischen angeblichen Totalpazifisten, die es ganz wenig gibt, und eben dieser Notwendigkeit, wie die Süddeutsche Zeitung, und andere Medien machen das ja auch, in dem sie ständig versuchen, Stimmung zu schaffen für diese neuen Kriege, vor zwei Tagen, Süddeutsche Zeitung, am 12. Oktober, unter der Überschrift: »Verantwortung wagen«. Hinter »wagen« steht schon: bewusst Risiken eingehen, Va-banque-Spielen, und einfach action als solche, ohne aber nach den Hintergründen zu fragen, was will man eigentlich mit diesem Krieg? Nach der Motivation der angeblich aus Gründen der Landesverteidigung Handelnden, das wird alles weggewischt. Und um eine weitere Sache, das wäre auch ein Thema, aber vielleicht führt das heute zu weit, auch die Rolle der Medien. Ich möchte mich vielleicht noch mehr mit der Rolle der Juristen beschäftigen. Wie etwa der Spiegel im Vorfeld des sogenannten Kosovo-Krieges schrieb, in einer Parenthese: »Die Völkerrechtslage, das ist eher eine Sache für Feinschmecker.« Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Die Funktion, auch hier, der Medien.
Lötzsch: Darf ich vielleicht noch ganz kurz eine Sache aufgreifen, die Herr Ziesak angesprochen hat. Es ist ja immer ein beliebtes Argumentationsmuster, zu sagen, also wäre Deutschland nicht militärisch von der Anti-Hitler-Koalition befreit worden, hätten die Nazis gesiegt und alle, die sich jetzt an militärischen Handlungen beteiligen, um es mal ganz neutral zu formulieren, sind quasi Erben der Anti-Hitler-Koalition. Sie können sich ja vielleicht noch dran erinnern, dass Joschka Fischer sich damals hingestellt hat und gesagt hat: weil er die Lehren aus Auschwitz gezogen hat, ist er für den Jugoslawien-Krieg. Ich finde diese Argumentation ehrlich gesagt nicht redlich, nicht seriös, und will die auch ablehnen. Ich bin natürlich auf der Seite derer, die gegen einen Angriffskrieg kämpfen. Ich war heute Vormittag bei der Beerdigung von Kurt Julius Goldstein, der sicher vielen von Ihnen bekannt ist oder bekannt war, Ehrenvorsitzender des Internationalen Auschwitz-Komitees und Spanien-Kämpfer. Der hat auch auf der Seite der spanischen Republik gekämpft. Gegen einen Angriffskrieg. Das sind natürlich kriegerische Handlungen gegen einen Krieg, die auch meine Unterstützung finden. Aber es geht gegen den Angriffskrieg. Und ich finde, Leute die einen Angriffskrieg führen und vorbereiten, haben nicht das Recht, sich als Erben der Anti-Hitler-Koalition darzustellen.
Spoo: Wenn ich da einfließen lassen darf: In der Verfassung steht, relativ vorn und prominent, dass der Angriffskrieg geächtet sein soll. Und dass das auch strafbar sein soll, zur Vorbereitung eines Angriffskriegs beizutragen, nur haben wir neuerdings eine höchstrichterliche Aussage, dass zwar die Vorbereitung eines Angriffskriegs verboten sei, aber nicht das Führen eines Angriffskriegs. Das erscheint mir in diesem Zusammenhang doch sehr diskussionswürdig. Ich glaube, dass Jürgen Rose dazu noch ein paar Erläuterungen geben kann.
Rose: Ich bin darauf gestoßen, im Zuge meiner eigenen Auseinandersetzungen, auf diesen Umstand. Wir haben den Artikel 26 in unserem Grundgesetz. Der besagt: Alle Handlungen, die gegen den Frieden gerichtet sind, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Vorbereitung eines Angriffskrieges, sind verfassungswidrig, grundgesetzwidrig, sie sind unter Strafe zu stellen. So weit, so gut. Und so bedeutungslos. Denn: Es wird erst strafrechtlich dann wirksam, wenn es in eine Strafrechtsnorm gegossen wird, wenn diese Verfassungsnorm in eine Strafrechtsnorm gegossen wird. Dieses geschah 20 Jahre lang in dieser Republik nicht. Das dauerte bis zum Jahre 1968, da gab es einen Sonderausschuss für die Strafrechtsreform. Im Zuge einer Überarbeitung des Grundgesetzes, der Einführung der gesamten Notstandsgesetzgebung, Definition des Verteidigungsfalles etc. pp. was hier zu weit führt. Bemerkenswert ist, dass die beiden großen Volksparteien damals, sowohl die SPD als auch CDU/CSU Vorschläge machten für diese Strafrechtsreform. In keinem dieser beiden eingebrachten Vorschläge für die Strafrechtsreform fand sich eine Norm zur Umsetzung der Verfassungsforderung Artikel 26. Der Friedensverrat, so hieß das damals, wollte von keiner der beiden Parteien unter Strafe gestellt werden. Erst der Sonderausschuss selbst kam dann darauf, dass ja da sozusagen noch ein Auftrag des Verfassungsgesetzgebers offen stand, nämlich den Angriffskrieg unter Strafe zu stellen. Es gab dann lange Diskussionen, wie denn das geschehen solle, das führt jetzt zu weit in den Verästelungen, es wirkt allerdings bis heute nach, bis zum Statut für den Internationalen Strafgerichtshof von Rom, für den ICC, die Frage: Was ist denn überhaupt ein Angriffskrieg? Trotzdem hat man sich dann entschlossen, den Auftrag aus Artikel 26 in die Norm des Paragrafen 80 Strafgesetzbuch zu gießen, der da sagt: Die Vorbereitung eines Angriffskrieges ist strafbar und wird mit lebenslang und mindestens zehn Jahre und so weiter bestraft. Da steht aber nur drin: die Vorbereitung eines Angriffskrieges. Und jetzt haben ja, ich hatte das ja ausgeführt soeben, mehrere Angriffskriege stattgefunden, an denen sich die Bundesrepublik Deutschland, auch mit der Bundeswehr oder mit Unterstützungsleistungen beteiligt hat. Und dementsprechend gab es natürlich aufmerksame Zeitgenossen und –genossinnen dieser Republik, die daraufhin Strafanzeigen stellten. Gegen die verantwortliche Bundesregierung, auch in personam Schröder, Struck, Fischer und anderen. Die Generalbundesanwaltschaft weist habituell jede dieser Anzeigen zurück. Mit der putzigen Begründung: Paragraf 80 Strafgesetzbuch stelle ja lediglich die Vorbereitung des Angriffskrieges unter Strafe, nicht aber die Beteiligung an von anderen vorbereiteten Angriffskriegen oder die Durchführung von Angriffskriegen. Das ist die stehende Interpretation des Generalbundesanwalts. Da muss man dazu sagen, der Generalbundesanwalt, jetzt die Generalbundesanwältin, ist eine weisungsgebundene Beamtin. Sie unterliegt den Weisungen des Bundesministeriums für Justiz. Da regiert zurzeit Frau Zypries. Frau Zypries, bei der handelt es sich um eine Person, die noch im Januar 2006 der Wochenzeitung Die Zeit zu Protokoll gegeben hat: Wir seien durch das NATO-Truppenstatut und die NATO-Verträge gezwungen gewesen, die Unterstützungsleistungen für den Irak-Krieg zu erbringen. Da kann ich nur feststellen: Diese Frau kennt das Grundgesetz nicht, sie kennt den NATO-Vertrag offenkundig nicht, sie kennt offensichtlich auch nicht das NATO-Truppenstatut. Denn in keinem dieser Verträge steht irgendwie drin, dass die Bundesrepublik Deutschland gezwungen sein könnte, ihr eigenes Grundgesetz zu brechen. Das steht da nirgends. Also entweder sie weiß nicht Bescheid, oder, was noch viel schlimmer wäre, sie sagt vorsätzlich die Unwahrheit. Ich frage mich, wie so ne Frau immer noch Justizministerin sein kann. Die gibt aber die Weisung an den Generalbundesanwalt und der sitzt sozusagen wie ein Korken in der Eieruhr und schützt die Herrschenden in Berlin und anderswo, die die Angriffskriege vorbereiten, vor dem Zugriff der Justiz. Das ist die Systematik des deutschen Rechtssystems. Und dagegen muss man jetzt mal was tun. Die Linke macht das Gottseidank, sie haben das aufgegriffen. Es ist natürlich dringend erforderlich, eine Novellierung des Paragrafen 80 des Strafgesetzbuches, ungefähr in der Form: Wir verstehen als Bundesrepublik Deutschland unter Angriffskrieg Folgendes: erstens, zweitens, drittens. Absatz 2: Darunter fallen folgende Handlungen. Absatz 3: Das steht unter Strafe. Und unter Strafe steht nicht nur die Vorbereitung, auch die Durchführung, Beteiligung, Unterstützung etc. pp. Das ist enumerativ aufzuführen. Und damit könnte man dann, zumindest die Rechtsgrundlage konstruiert haben, um fürderhin weiteren Beteiligungen an solchen unsittlichen Angriffskriegen, im Sinne Tucholskys, einen hoffentlich dann effektiven Riegel vorzuschieben. Das ist, denke ich, ein sinnvolles Programm für hier und jetzt, und das wiederum, da bin ich wieder bei dem Punkt, macht auch die Aktualität von unserem Kurt Tucholsky deutlich.
Spoo: Ich habe eine Frage an Herrn Ziesak. Wir haben eben von Herrn Rose gehört, dass inzwischen in den letzten Jahren die Bundeswehr, beziehungsweise die Bundesregierung an mehreren Kriegen mal aktiver mal weniger aktiv teilgenommen hatm auf verschiedene Weise. Gehen wir nun zu dem ersten, nämlich dem Krieg gegen Jugoslawien. Es ist ja anderthalb Jahre nach dem Krieg durch eine Fernsehsendung des Westdeutschen Rundfunks »Es begann mit einer Lüge« sehr deutlich geworden, an der der damalige Bundesverteidigungsminister Scharping auch teilnahm, sehr deutlich geworden, dass dieser Krieg eingeleitet wurde mit wirklich sehr schwerwiegenden Lügen. Der damalige Bundeskanzler hat am Tage des Kriegsbeginns öffentlich gesagt: Wir führen keinen Krieg. Das mag damals etwas beschwichtigend auch gewirkt haben. Aber ich denke für die Opfer dieses Krieges war es durchaus ein Krieg. Dies ist inzwischen schon wieder Geschichte. Es ist schon wieder acht Jahre her. Wie hat das auf die Bundeswehr selbst gewirkt? Also: Wird innerhalb der Bundeswehr diskutiert über diese Lügen, mit denen sie in den Krieg geführt worden ist? Welche Folgen hat das für die Bundeswehr, für die Truppe selbst?
Ziesak: Also selbstverständlich wird innerhalb der Bundeswehr diskutiert. Man sieht das ja, dass Herr Rose und ich hier heute gemeinsam auf einem Podium sitzen. Er hat ja auch Herr Baudissin dankenswerterweise hier zitiert, dass sich doch im Verhältnis auch innerhalb des Militärs, auch des Militärs nach außen im Gegensatz zur Weimarer Republik, in der Zeit wo Tucholsky gelebt hat, doch einiges geändert hat. Und der Regierende Bürgermeister von Berlin würde sagen: Und das ist auch gut so. Dass man an solchen Veranstaltungen hier teilnimmt und dass man kontrovers entsprechend hier diskutiert. Selbstverständlich wird innerhalb der Bundeswehr darüber diskutiert. Das wird mir Herr Rose sicherlich auch bestätigen, dass unter Kameraden, Offizieren, Unteroffizieren, Mannschaften über die Einsätze in Afghanistan, auf dem Balkan, im Sudan gesprochen wird, und dass man seine Meinung austauscht. Eine Sache würde ich gerne mal, und da würde mich die Meinung interessieren hier von meinen Diskussionspartnern: Es wird immer so nonchalant von einem Angriffskrieg hier gesprochen. Aber diese Einsätze sind ja mandatiert, auch aufgrund von UN-Resolutionen, des Sicherheitsrates, und mich würde mal interessieren, wir sind ja auch Teil einer internationalen Gemeinschaft, und diese Mandatierung erfolgt ja nicht von ungefähr. Im Sicherheitsrat sitzen ja beispielsweise fünf Veto-Mächte. Ich sag mal wenn beispielsweise die Amerikaner, Engländer oder Franzosen da mitmachen würden, können die Chinesen und Russen immer noch sagen: Nein, machen wir nicht. Aber es wird entsprechend von diesen Mächten auch mandatiert. Und diesem Einsatz hier zugestimmt und mich würde mal von meinen Diskussionspartnern hier interessieren, wie sie zu diesem internationalen Bereich stehen.
Spoo: Darf ich noch mal zum Verständnis nachfragen? Meinen Sie jetzt speziell den Krieg gegen Jugoslawien?
Ziesak: Jugoslawien, Afghanistan-Einsatz. Da gibt es ja entsprechende UN-Resolutionen.
Spoo: Das, was Jugoslawien betrifft, habe ich das so nicht in Erinnerung. Sieht sich jemand – Jürgen Rose?
Rose: Wir haben für den Kosovo-Krieg null Mandatierung. Das bestreitet auch noch nicht mal die NATO selber, dass sie ohne Mandat gebombt hat. Wir haben nachholende Mandatierung dann für die friedenssichernden Missionen. Also KFOR zum Beispiel, die Kososo-Force. SFOR, auch die ISAF, die International Security Assistance Force für Afghanistan, ist nach dem Überfall auf Afghanistan mandatiert worden. Man muss da ganz genau hingucken, welches Mandat wofür erteilt wurde. Der Sicherheitsrat hat nie, zu keinem Zeitpunkt ein Mandat für den Überfall auf Afghanistan erteilt. Irak-Krieg: Ist völlig klar, das weiß ja nun jeder, hat ja jeder mitbekommen, was da sich auf dem Forum abgespielt hat. Das war das größte diplomatische Desaster, was die USA in ihrer gesamten Geschichte erlitten hat. Wir haben aber sehr wohl heute ein Mandat des Sicherheitsrates, was dazu auffordert, dass gefälligst diese Invasionstruppen, die dort anmarschiert sind, die anglo-amerikanischen, ihre aus dem Status als Besatzungstruppen resultierenden Aufgaben wahrnimmt. Zum Beispiel dort für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, was sie auch anfänglich überhaupt nicht getan hat. Das heißt, man muss wirklich ganz genau hingucken im Einzelnen: Was mandatiert überhaupt der Sicherheitsrat, und was steht dann wiederum selber in den Mandaten drin? Das ist nämlich auch sehr diplomatisch verklausuliert zum Teil, auch so formuliert, dass die einzelnen Sicherheitsratsmitglieder dann das rauslesen können, was sie rauslesen wollen. Ganz berühmt die Resolutionen zum 11. September, 1368, 1373, wo jeweils auf das Selbstverteidigungsrecht, was aus der Charta der Vereinten Nationen entspringt, verwiesen wird, und daraus leiten die USA ab: Wir haben ja Selbstverteidigungsrecht. Mitnichten! Der Sicherheitsrat stellt nirgendwo fest und ermächtigt an keiner einzigen Stelle, dazu, nach Afghanistan einzumarschieren, das dortige Taliban-Regime zu entmachten und durch einen eigenen Statthalter zu ersetzen, sondern ganz im Gegenteil. Das hat Gesine Lötzsch schon völlig korrekt gesagt: Der Sicherheitsrat fordert dazu auf, die Täter zu verhaften, sie vor Gericht zu bringen, abzuurteilen, die Finanzströme, die den internationalen Terrorismus finanzieren, zu unterbinden und all solche Dinge. Also polizeiliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit. Das ist das, was der Sicherheitsrat mandatiert hat. Was er nicht mandatiert hat, zu keinem Zeitpunkt, ist: der militärische Einsatz und der Einsatz militärischer Gewalt gegen Afghanistan, in Afghanistan oder auch andernorts. Und schon gar nicht im Kosovo damals.
Kramer: Eigentlich ist dazu alles gesagt. Ergänzend vielleicht nur: Selbst in den Fällen, oder wenn man die UN-Resolution so interpretiert, dass sie ein Mandat gegeben hätten: Es sind zweierlei Dinge nötig, um einen Krieg zu führen, nach der UN-Satzung. Erstens: Um auch mit einem UN-Mandat einen Krieg führen zu können, ist es erforderlich, dass es sich um einen Angriffskrieg handelt. Auch die UNO, die Vereinten Nationen, können einem Krieg nur zustimmen und das mandatieren, wenn eben der Krieg nötig ist, um einer Gewaltanwendung zu begegnen. Das ist ganz eindeutig. Also auch das. Und ich sehe das genauso wie Herr Rose: Es liegen hier, weder im Fall Afghanistan noch im jetzigen Irak-Krieg, bei dem ursprünglichen Angriff auf den Irak, lag ein UN-Mandat vor.
Spoo: Ist das für die Truppe unproblematisch? Also ich habe Sie eben so verstanden, wenn da eine Mandatierung ist, dann ist sozusagen alles in Ordnung. Aber, wenn das richtig ist, was wir jetzt von Dr. Kramer und Herrn Rose gehört haben, lag diese Mandatierung ja gerade nicht vor. Umso deutlicher wäre, dass hier von Deutschland aus Angriffskriege, oder jedenfalls in Sachen Jugoslawien, ein Angriffskrieg geführt worden ist. Also ein verfassungswidriger Krieg. Ist das sozusagen für die Truppe unproblematisch?
Ziesak: Also Herr Spoo, wir sind ja eine Parlamentsarmee. Und wir hatten ja letztens gerade – ja Frau Lötzsch lächelt, sie zählten nun zu der Minderheit, die haben keine Mehrheit im Bundestag – und wenn die Bundestagsabgeordneten entsprechend hier den Beschluss fassen, dann führen wir diesen Beschluss dann entsprechend hier aus. Das ist einfach so.
Spoo: Apropos Parlamentsarmee. Eine Nachfrage: Gerade im Afghanistan-Krieg, wozu ja jetzt die Mandate verlängert worden sind, gibt es eine Truppe KSK, über die das Parlament nichts erfährt, über die auch nicht einmal der Verteidigungsausschuss des Parlaments etwas erfährt, sondern eine wirklich geheime Aktion über Jahre hinweg. Kann man da noch von Parlamentsarmee reden?
Lötzsch: Darf ich noch mal sagen, warum ich gelächelt habe? Ich habe gesagt: Jetzt müsste eigentlich Herr Benneter oder ein anderer Kollege hier sitzen, die diese Beschlüsse fassen. Und Herr Ziesak muss dafür jetzt erstmal für die Beschlüsse rechtfertigen. Das ist der Grund für mein Lächeln.
Spoo: Ja, aber für die Truppe, denke ich, ist es schon wichtig. Sie sagten, Sie haben sich bisher als Parlamentsarmee verstanden, aber kann man davon heute noch so sprechen?
Ziesak: Ja selbstverständlich. Weil die KSK stellt ja nicht die Masse der Bundeswehr dar. Das ist einfach so. Mit KSK, das weiß Herr Rose genauso gut wie ich, da kann ich auch nichts zu sagen. Über den Einsatz von KSK, wo und wie sie eingesetzt werden, davon weiß ich nichts. Herr Rose, wissen Sie davon als Offizier etwas?
Rose: Aber wir sind, glaube ich, an einem wichtigen und interessanten Punkt: Selbstverständlich ist die Bundeswehr als Parlamentsarmee konzipiert, und das Bundesverfassungsgericht hat ja auch in seinem berühmten Urteil vom 12. Juli 1994 den konstitutiven Parlamentsvorbehalt als Erfordernis und Voraussetzung für Auslandseinsätze der Bundeswehr postuliert. So weit, so gut. Wir haben parallel zur Vergangenheit das interessante Phänomen, dass, nachdem die Bundesregierung das Mandat sozusagen erteilt hat und der Bundestag das abgenickt hat, offensichtlich das selbstständige Denken in der Armee ausgeschaltet wird. Nach dem Motto: Soldat ist ja eigentlich ein Akronym. Ausbuchstabiert: Soll ohne langes Denken alles tun. Klammer auf: Was das Parlament eben mandatiert und die Bundesregierung angeordnet hat. Das ist aber wieder ein völlig falsches Verständnis vom Primat der Politik. Es ist im übrigen auch die Negation der Lehre des 20. Juli. Natürlich muss man doch prüfen, was man da für Aufträge bekommt. Wir sind sogar rechtlich verpflichtet dazu, nach dem Soldatengesetz und nach dem Wehrstrafgesetz. Die Vorgesetzten allemal, weil die dürfen Befehle, die gegen Gesetze, Völkerrecht undsoweiter verstoßen, gar nicht geben. Und die Soldaten dürfen sie schon gar nicht ausführen. Und wir haben ja nun das interessante Phänomen, dass der Bundestag, offensichtlich von der militärischen Führung für unfehlbar erklärt wird. Wie der Papst. Was aus Berlin kommt, aus dem Reichstag, ist nicht mehr hinterfragbar gültig. Das kann natürlich nicht sein. Wir wissen ja vom Bundesverfassungsgericht, das sozusagen seriell verfassungswidrige Bundestagsbeschlüsse kassiert. Und was der Bundestag und die Bundesregierung zum Teil da fabrizieren, schlägt ja wirklich dem Fass den Boden aus. Siehe Luftsicherheitsgesetz. Da wird von Karlsruhe, da haben sie einmal wirklich ordentlich geurteilt, der Bundestag und die Bundesregierung aber rechts und links dermaßen abgewatscht, mit Artikel eins der Menschenwürde. Die fundamentale Norm unseres Grundgesetzes, die wird durch dieses Luftsicherheitsgesetz in Frage gestellt. Da müssen die Verfassungsrichter in Karlsruhe in der großen Masse akademisch gebildeten Bundestagsabgeordneten die Leviten lesen und darlegen, dass man Menschenleben nicht gegen Menschenleben aufrechnen darf. Dass es nicht erlaubt ist, von Staats wegen Unschuldige zu töten, um andere Unschuldige zu retten. So tief steht die Sonne der politischen und rechtlichen Kultur in diesem Lande, dass diese Zwerge da lange Schatten werfen. Und da frage ich mich natürlich, wie unsre Goldbetressten sich dann hinstellen können und sagen: Wenn der Bundestag entschieden hat, dann fragen wir nicht mehr, dann führen wir aus. Das ist sozusagen, ins Moderne gewendet, die neue Form von Kadavergehorsam. Also so kanns ja nicht gehen, vor allen Dingen nicht, wenn man die Lehre des 20. Juli ernst nimmt, wir sind ja auch wieder bei dem Punkt angelangt, den wir auf der Tagung schon diskutiert haben, heute morgen Herr Westphalen, nicht, letztlich ist der Soldat, der einzelne Soldat auf sich selber zurückgeworfen und natürlich hat er selber zu prüfen, was tue ich. Denn indem ich einen Befehl ausführe, würde Kant sagen, mache ich einen fremden Willen zu meinem eigenen. Und für den bin ich selber verantwortlich. Übrigens ist es auch völkerrechtlich kodifiziert, in Gestalt des Budapester Kodex, politisch-militärische Aspekte der Sicherheit, da haben wir das abgebildet, analog unsere Rechtsregeln aus dem Soldatengesetz auf einer internationalen, völkervertragsrechtlich abgesicherten Ebene, das gilt nicht nur für deutsche Soldaten, sondern das gilt für alle, ich glaube 50 sind wir in der OSZE, 50 Mitgliedsstaaten der OSZE und deren bewaffnete Streitkräfte.
Spoo: Ja, in dem Begriff »sittlich« beziehungsweise »unsittlich«, der ja dieser Diskussion zugrunde liegt, steckt natürlich der Appell an jeden Einzelnen auch, und das sicherlich nicht nur an jeden einzelnen Soldaten, sondern, das kam ja auch in diesem Einleitungszitat von Tucholsky drin vor, zum Beispiel an jeden Journalisten, der sich daran beteiligt, vor Kriegen die Öffentlichkeit zu belügen. Ein Thema das für Tucholsky, für Remarque, immer auch schon eine Rolle gespielt hat, wie wir wissen. Also, wenn wir hier, auch jetzt mit Herrn Ziesak als einzelnem diskutieren. Es ist natürlich nicht nur eine Frage an den Offizier Ziesak, an den Vertreter der Bundeswehr, sondern wirklich sind es Fragen, an denen jeder einzelne von uns Wenn ich etwa erinnern darf an dieses Borchardtsche Gedicht kurz nach dem Kriege, was immer auf das »Sag nein!« hinausläuft und wo viele andere Berufsgruppen mitangesprochen sind. Also dies auch, damit hier nicht eine etwas sehr kurze Front aufgebaut wird in der Diskussion. Die Frage ist ja auch, wie wir einzelne Soldaten sozusagen im Stich lassen in diesen Diskussionen oder wie weit wir selber die Diskussion suchen, wie es ja auch heute hier geschieht. Die aktuellen Kriege, an denen die Bundesrepublik beteiligt ist, laufen ja inzwischen schon eine ganze Reihe von Jahren. Vielleicht sollten wir uns doch auch mit dem Verlauf dieser Kriege etwas genauer beschäftigen. Das erste, worüber wir gesprochen haben, ist, wie sie in Gang gesetzt wurden. Dass es etwas Völkerrechtswidriges ist, dass es dem Grundgesetz widerspricht, ist jedenfalls hier erstmal so gesagt worden. Aber welches Bild inzwischen von ihnen entsteht, denke ich, müsste auch noch weiter besprochen werden. Also vielleicht zunächst eine kleine Bemerkung von mir zum Jugoslawien-Krieg. Ich bin in diesem Jahr wieder im Kosovo gewesen und habe erlebt, wie genau das eingetreten ist, was eigentlich verhindert werden sollte. Nämlich eine ethnische Säuberung, wie Serben aus großen Teilen des Kosovos inzwischen vertrieben worden sind, gewalttätig vertrieben worden sind, praktisch unter Aufsicht der Bundeswehr. Dass das alles ordentlich abgelaufen ist, allerdings gabs doch einige Tote dabei. Dies ist, nach meiner Erfahrung, bisher in der deutschen Öffentlichkeit eigentlich kein Thema. Was diese Truppe jetzt acht Jahre lang im Kosovo tut, kommt in den Medien auch kaum vor, ist der öffentlichen Diskussion praktisch weitgehend entzogen. Wie sieht es zum Beispiel rechtlich aus? Wird das alles einfach so hingenommen? Liegt das an den Medien? Helmut Kramer wollte, glaube ich, zu dieser Frage auch etwas sagen.
Kramer: Vielleicht vorweg: Wie sieht das heute dort aus? Was hat dieser Krieg, den ich für einen Angriffskrieg halte, bewirkt? Jetzt wäre es doch eigentlich das absolute Gebot, – wenigstens nach Beendigung eines solchen Krieges, oder der unmittelbaren Aggression, das waren die Bombenangriffe, und jetzt sind ja auch schon viele Jahre vergangen seitdem – wäre es doch nötig, eine Bilanz zu ziehen. Und in der Tat, ich weiß nicht, war es damals die PDS-Fraktion noch, ist beantragt worden, eben einen Untersuchungsausschuss im Bundestag oder auf eine andere Weise eben eine Untersuchung durchzuführen: Was hat dieser Krieg bewirkt? Das haben damals die Mehrheitsparteien, einschließlich natürlich SPD und Grüne, und auch FDP abgelehnt. Damals im Bundestag. Das ist doch das Minimum, das man wenigstens klärt, feststellt, wie viel Tote hat es gegeben, vor allem unter der Zivilbevölkerung, welches andere Leid hat dieser Krieg gebracht? Welche Zerstörung von Wohnung, von Häusern, von Industrie? Wie weit ist das Land, dem man ursprünglich doch angeblich Frieden bringen wollte, inwieweit ist das Land destabilisiert worden? Die Destabilisierung beispielsweise des Irak lässt sich ja überhaupt nicht mehr übertreffen. Eben das Äußerste, was da geschehen ist. Vor all dem scheuen sich die Politiker und Militärpolitiker wie der Teufel das Weihwasser. Weil sich dann jedenfalls nachträglich herausstellen könnte, wie unsinnig auch rein von der angeblichen Motivation, den angeblichen Zwecken ein solcher Krieg eben ist. Aber noch einmal: Es müsste auch eben geprüft werden, war dieser Krieg unter den Regeln des Völkerrechts gerechtfertigt oder nicht? Und zwar auch da müsste natürlich dann wieder geprüft werden, die ursprüngliche Motivation, unter welchem Zeichen ist dieser Krieg eben begonnen worden. Da würde sich eben herausstellen, dass ständig Zwecke, Ziele nachgeschoben worden sind. Das wissen wir alle, wie das im Irak-Krieg war. Erst waren es die Massenvernichtungsmittel, später den Diktator dann wenigstens wegzufegen und dann dem Land Demokratie zu bringen. [Seitenwechsel Kassette] …. aktuellen Kriegen. Diesen Fragen müsste das Bundesverfassungsgericht sich stellen. Und das tut es nicht. Also wenn ich dazu jetzt oder später etwas sagen darf.
Spoo: Ein paar Sätze.
Kramer: Also: Das Bundesverfassungsgericht hat ja schrittweise, scheibchenweise das Verbot des Angriffskrieges aufgelockert und den Begriff der Landesverteidigung bis ins Uferlose ausgeweitet. Aber immer nur scheibchenweise. Das konnten die Richter in Karlsruhe sich natürlich nicht erlauben, von Vorneherein die Katze aus dem Sack zu lassen. Außerdem wussten sie vielleicht auch nicht, wie sich das alles weiterentwickeln würde. Das hat ja eben schon sehr frühzeitig angefangen. Wann war der erste Beschluss des Bundesverfassungsgerichts dazu?
Rose: 1994.
Kramer: 1994, und so alle zwei, drei Jahre. Dann wurde also auch eben, dass der Bundestag das mandatieren muss, das wurde dann eben schrittweise gemacht, bis wir heute dabei sind, bei dem letzten Beschluss der Verfassungsgerichts, nämlich zum »Tornado«-Einsatz vom Juni dieses Jahres. Und da könnte man natürlich sagen, und die Bundesverfassungsrichter: Wir dürfen uns nicht in die Politik einmischen. Das ist richtig. Aber, die Karlsruher Richter tun genau das Gegenteil. Wenn die Richter sagen: Wir müssen uns genau an die Rechtsnormen halten, das ist das Völkerrecht, Verbot des Angriffskrieges und so weiter. Und wenn man nun jetzt, dieses Verbot auflockert und den Begriff der Landesverteidigung aufweicht, damit, dass Landesverteidigung sei auch der Import [Export??] etwa der Menschenrechte oder der Demokratie im Irak, oder eben die Verteidigung am Hindukusch, dann muss man das juristisch begründen. Und ein Jurist darf nichts begründen, ohne auch die Fakten in den Blick zu nehmen. Und das Bundesverfassungsgericht blendet geflissentlich die Fakten aus. Mit größter Geflissentlichkeit. Schon was eben die Kriegsziele angeht, aber eben auch das, was dort wirklich geschieht. Die Hintergründe der aggressiven US-Militärpolitik unter Beteiligung der Bundesrepublik, das will man dort nicht erörtern, und insofern, wenn das Bundesverfassungsgericht nur noch schablonenhaft die Rechtsnorm zitiert, ohne sie zu interpretieren, und nach den Folgen und Fakten zu fragen, dann betreibt das Bundesverfassungsgericht damit Politik. Eins muss man allerdings sagen: Bei Entscheidungen über Krieg und Rüstung da geht es an was? An das Eingemachte. Und die Entscheidung über Krieg, das muss auch seitens des Bundesverfassungsgericht hermetisch gegenüber jeglicher Kontrolle der Militärpolitik abgeschirmt werden, etwa, und gerade das wäre die Aufgabe der Karlsruher Richter, nämlich der Kontrolle und der Hinterfragung durch das Recht. Das ist keine Rechtsprechung mehr, was das Bundesverfassungsgericht macht. Dazu ließen sich viele weitere Beispiele bringen. Etwa auch eben der schon angesprochene Bundesgerichtshof oder vielmehr der Generalbundesanwalt, das ist aber vielleicht, um jetzt nicht diesen Redebeitrag zu überziehen, könnte am Beispiel einer grotesken Rechtsprechung des Generalbundesanwalts zum Begriff der Verschleppung [verdeutlichen?]. Das ist so grotesk, dass ich also kaum wage – weil man mit nicht glaubt –, das zu bringen. Und zwar es geht um die Verschleppung durch CIA-Agenten, unter anderem die Entführungsfälle El Masri und Abu Omar. Da ist nun Strafanzeige gestellt worden, beim Generalbundesanwalt, und zwar Verbrechen gegen Paragraf 234 a Strafgesetzbuch. Dieser Paragraf setzt voraus, dass jemand mit Gewalt aus der Bundesrepublik verschleppt worden ist und damit der Gefahr ausgesetzt wird, aus politischen Gründen verfolgt zu werden. Begründung des Generalbundesanwalts für die Zurückweisung der Strafanzeige: Wörtlich: Verschleppung wird historisch als Straftat gesehen, die von totalitären Regimen ausgeht. Zum Beispiel von der DDR. Im Fall Abu Omar und ähnlich auch im Fall El Masri seien die Täter aber, so weit man das überhaupt wüsste, nicht in einer Diktatur, sondern wahrscheinlich in einer Demokratie, nämlich in US-Institutionen zu suchen. Derartiges steht im Paragrafen 234 a nicht drin. Wenn ich Sie jetzt mal in die Feinheiten juristischer Infamie einführen darf. Der Generalbundesanwalt schreibt dahinter: Vergleich Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen soundsoundso. Ich habe die Entscheidung nachgesehen. Da steht überhaupt nichts drin. Das betrifft einen Entführungsfall aus der DDR. Also so etwas wie den Fall Linse. Es steht so überhaupt nicht drin. Genauso, um das noch nachzutragen, zu dem Fall des Paragrafen 80 StGB, Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges. Der Generalbundesanwalt unterlässt nach den Regeln, die ein Student im zweiten Semester beherrschen muss, die sogenannte herrschende Meinung zu zitieren. Er zitiert einen Kommentar, den Kommentar von Tröndle-Fischer, begründet von einem NS-Juristen mal, da steht das drin: In allen anderen StGB-Kommentaren steht es nicht drin, und vor allen Dingen hat damals der Strafrechtsausschuss, der Sonderausschuss für Strafrecht des Deutschen Bundestages, der ihn verabschiedete den Paragrafen 80, da hat man sich praktisch geeinigt darauf, dass darin steht, zwar Vorbereitung eines Angriffskrieges, aber es bestand Einigkeit, und so stehts auch im Protokoll, im Bericht des Sonderausschusses steht es drin, es bestand Klarheit darüber, dass selbstverständlich damit dann auch, wenn schon die Vorbereitung eines Angriffskrieges strafbar sei, dann auch die Durchführung und die Vorbereitung einer Durchführung eines Angriffskrieges unter Strafe gestellt wird. Das ist Rechtsbeugung. Nein, ich nehme es sofort zurück, es gibt keine Rechtsbeugung unter Juristen. Es sei denn, dass jemand ein Dokument gefälscht hat, und selbst den Beweis dafür erbracht hat. Die gibt es nicht in Deutschland. Der Rechtsbeugungsparagraf wird also höchstens mal gegen einen linken Richter, da ist es mal geschehen, angewandt. Da hat man dann gleich die Höchststrafe eben verwendet. Ja also dazu wäre eben viel zu sagen. Nur noch mal: Dieser Fall El Masri ist wirklich hanebüchen, das also ausgerechnet, es ist ja besonders unerträglich, wenn Verschleppung und andere Menschenrechtsverstöße in einem Staat verübt werden, der mit dem Anspruch der Menschenrechte und der Durchsetzung der Menschenrechte in aller Welt mit kriegerischen Mitteln auftritt.
Spoo: Zum Krieg, wir hörten es, gehört dann auch Verschleppung, Folter, Vergewaltigung oder so, während doch in Medien meistens, von der Politik her, von den Regierenden her, oder auch von hohen Militärs, es so dargestellt wird, jedenfalls anfangs, das sind chirurgische Schläge, der saubere Krieg wird doch immer für möglich erklärt und auch selbstverständlich beabsichtigt. Wie ist, aus Ihrer Sicht, Frau Dr. Lötzsch, der Verlauf jetzt etwa des Krieges in Afghanistan?
Lötzsch: Eine Äußerung von Minister Jung hat ja vor wenigen Tagen ziemlich viel Erregung in der Bundesregierung ausgelöst und in den Mehrheitsfraktionen im Deutschen Bundestag. Herr Jung hat nämlich, warum auch immer, gesagt: Na ja, wir müssen uns auf fünf Jahre Afghanistan einstellen. Und sofort wurde von Außenminister Steinmeier und anderen gesagt: Man habe keine Zeitbegrenzung. Und das ist ja, glaube ich, auch so eine ganz fatale Geschichte. Kaum jemand, also wenn man mal ne Umfrage machen würde auf der Straße, wissen Sie, seit wann die Bundeswehr in Afghanistan ist, ich weiß nicht, ob die Leute einem das spontan beantworten könnten, es sind immerhin schon sechs Jahre, seit dem 16. November 2001, beteiligt sich die Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom, der NATO-USA-geführten Operation, und, was wir wirklich als Ergebnisse sehen können, ist erstens: Dass es natürlich den sauberen, den sogenannten sauberen Krieg nicht gibt. Auch wenn das immer wieder gern behauptet wird. Wenn Hochzeitsgesellschaften, Familienfeiern als Kollateralschaden bombardiert werden und dort Tote zu beklagen sind, dann sind das Beispiele, von denen wir sicher gar nicht alle erfahren. Und wichtig, finde ich, ist auch, wenn man versucht zumindest eine Bilanz zu ziehen, dass alles, was als Ziel proklamiert wurde, nicht, definitiv nicht erfüllt wurde. Man kann sich ja auch die Frage stellen, wieso es 50.000 hochgerüsteten Soldaten aus allen möglichen Ländern der Welt nicht gelingt, maximal 5000 Taliban, so wird ja geschätzt, zu besiegen. Das ist doch auch eine erstaunliche Tatsache. Aber in den letzten Jahren ist die Zahl der Selbstmordattentate angestiegen, die Bombenanschläge nahmen zu, die Sicherheit im Land ist nicht größer geworden, sondern die alten Kriegsfürsten und Drogenbarone haben sogar ihre Positionen gefestigt, indem sie auch Sitze im Parlament haben. Also das ist eine Bilanz, finde ich, die verheerend ist und die natürlich unbedingt die Frage nach sich zieht, warum man diesen Weg, diesen militärischen Weg, der augenscheinlich keine Stabilität und keine Sicherheit, sondern mehr Tote bringt, warum man diesen unbeirrt fortgehen will und ganz aufgeregt wird in der Bundesregierung, wenn Minister Jung, was da sein Motiv war, können wir vielleicht nur erraten, vielleicht wollte er auch einfach mal ne Zahl sagen, also die Zahl fünf Jahre sagt, große Aufregung ausbricht und man sagt: Niemand kann hier eine Zeitbegrenzung geben.
Spoo: Wenn Sie sich einschalten möchten, sagen Sie’s. Sonst stelle ich weiter.
Ziesak: Ich kann mich gleich daran anschließen. Frau Lötzsch, das hat mich auch überrascht. Das war, glaube ich, letzten Freitag in einem Interview in der Welt gewesen, dieser Zeitraum, der angekündigt worden war. Da sagte ich auch: Huch, also fünf Jahre. Ansonsten ist man ja immer mit den Angaben von Zeiträumen vorsichtig. Eigentlich egal, ob es einen Afghanistan-Einsatz oder Senkung der Arbeitslosenzahlen oder ähnliche Dinge hier entsprechend betrifft. Ich wollte nochmal auf die Geschichte zurückkommen: Kosovo und Bosnien-Herzegowina. Und das fällt auch zusammen mit dem Bereich Afghanistan, dem Bereich: Wie lange bleibt denn die Bundeswehr oder andere Einrichtungen? Es ist ja nicht nur Bundeswehr da, sondern Bundespolizei da, Landespolizei, die die entsprechenden Sicherheitskräfte da ausbilden. Ich finde schon, dass man, so ähnlich wie Herr Kramer das eben angedeutet hat, dass man auch nach einer bestimmten Zeit immer eine Bilanz ziehen muss. Im Parlament beispielsweise in den entsprechenden Ausschüssen, im Verteidigungsausschuss, dass man da sagt beispielsweise: So, jetzt sind wir soundso lange da, was hat das gebracht, muss man vielleicht den Einsatz ändern, muss man vielleicht, was ja auch im Gespräch ist, immer mehr auf zivile Mittel hier beispielsweise zurückgreifen, dort den Ansatz entsprechend hier vergrößern. Das sind also alles Dinge, die man entsprechend hier auch einbringen muss. Und man muss dann auch irgendwann mal sagen, ich nehme mal des Beispiel Bosnien-Herzegowina, was ja ne Möglichkeit wäre, was ja auch mal in der Diskussion gewesen ist, ob man da die Bundeswehrstreitkräfte beispielsweise ganz abzieht, weil man sagt: Dieser Staat hat ein Entwicklungsstadium erreicht, wo man sagen kann, die Streitkräfte können wir hier abziehen.
Spoo: Jürgen Rose nochmal direkt dazu?
Rose: Ich möchte nochmal auf den Punkt zurückkommen, diesen Teil des Tucholsky-Zitates: Warum wird denn eigentlich der Krieg geführt? Nämlich aus wirtschaftlichen Gründen. Das ist ja heutzutage nicht anders als damals es war. Wir haben uns jetzt konzentriert und den Fokus gerichtet auf Kosovo und auf Afghanistan, da haben wir zwei Mandate, hinterher wenigstens, friedensstabilisierende Mandate, da könnte man da sogar sagen, okay das läuft ja einigermaßen in völkerrechtskonformen Bahnen, auch wenn das, was dann vor Ort dann tatsächlich damit erreicht wird, natürlich Anlass zur Kritik gibt. Aber wir haben ja noch ne ganze andere Operation laufen. Operation Enduring Freedom. Gesine Lötzsch hat das ja am Anfang schon mal thematisiert. Worum handelt es sich dabei? Es ist der Privatkrieg dieses texanischen Legasthenikers im Oval Office und seiner Junta, der im übrigen jeden Morgen, so viel auch zum Thema ideologische oder religiöse Unterfütterung des Ganzen, natürlich erstmal in seinem Oval Office beten lässt. Das ist ein Wiedererweckter, Evangelikaler, also wir sollten uns vor kurzschlüssigen Beurteilungen auch in der Wahrnehmung hüten, das ist also verbrämt. Aber dahinter stecken natürlich Cheney und seine Leute, und Condoleezza Rice, Rumsfeld, all diese Leute, die aufs Engste verquickt sind mit der Rüstungs- und Ölindustrie. Und was wir erleben, was sich vollzieht, vor unser aller Augen, ist im Prinzip nichts anderes als die ökonomische Kolonialisierung des Planeten mit militärischen Mitteln. Die Durchsetzung von Globalisierung mit militärischer Gewalt. Darum geht es im Kern. Man kann das auch nachlesen. Man kann den Amerikanern alles Mögliche vorwerfen, aber nicht, dass sie nicht deutlich und klar aller Welt zur Kenntnis geben würden, was sie denn eigentlich vorhaben und planen und machen. Man kann das nachlesen. Bei Brzezinski, Die einzige Weltmacht. Da ist die Folie drin. Wir sind in Afghanistan, weil es um die Kontrolle des, was Brzezinski nennt, des kaspischen Balkan geht. Es geht um die Kontrolle von Energieströmen, es geht nicht um die Kontrolle von Öl. Sie wollen dort kein Öl abzapfen, das können sie zu Hause an der Tankstelle haben. Aber es geht darum, zu kontrollieren, wer bekommt wie viel Öl und Gas und welche Rohstoffe zu welchem Preis wohin. Es geht zum Beispiel darum, zu verhindern, dass eine Pipeline gebaut wird aus dem Iran nach Pakistan nach China, wo Öl unter Umgehung der von den Anglo-Amerikanern kontrollierten Routen geliefert werden kann. Das sind die wahren Hintergründe, die jetzt nicht nur so linksradikale Barrikadenstürmer, wie vielleicht wir beide, hier thematisieren und formulieren, sondern so in der Wolle gefärbte ehemalige Atlantiker und Erzkonservative wie Willy Wimmer oder Peter Gauweiler. Wimmer gab vor einiger Zeit, neulich erst ein Interview, in dem er darauf verwies. Er hat mit Karsei persönlich gesprochen. Wimmer ist übrigens, by the way, jemand, der sich man mit Fug und Recht einen Afghanistan-Kenner nennen darf. Er kennt die Verhältnisse vor Ort, im Gegensatz zu vielen, die da nur mal kurz hingeflogen werden, man ihnen den üblichen von der Bundeswehr errichteten Türken vorführt und sie dann beeindruckt wieder nach Hause fahren, ins Parlament, und dort dem nächsten Mandat zustimmen. Also dieser Wimmer sprach mit Karsai, und Karsai sagte ihm, die Amerikaner hätten diesen Krieg vor drei Jahren schon beenden können. Und er stellt sich die Frage, warum sie es nicht getan haben. Und die sollten wir uns auch stellen. Es ist ganz klar: Wenn wir den internationalen Terrorismus nicht hätten, wir müssten wir ja erfinden. Weil man braucht ja einen Feind, einen Vorwand, unter dem man Krieg führen kann. Unter diesem Rubrum sollten wir das sehen. Also die Sicherstellung und die Aufrechterhaltung auch mit militärischer Gewalt eines Weltwirtschafts- und Weltwährungs- und Weltfinanzsystems, was parasitär einseitig zugunsten der USA organisiert und strukturiert ist. Das ist der Kern, um den es momentan bei den militärischen Einsätzen geht. Diese werden vom Imperium, das ist eine Begrifflichkeit, die Helmut Schmidt übrigens geprägt hat, er schreibt in seinem Buch Menschen und Mächte vom US- oder amerikanischen Imperium, also auch kein linker Kampfbegriff mehr. Und die Bundeswehr stellt die Vasallentruppe dazu und die übrigen NATO-Partner. Und was wir noch haben, als letzter Punkt vielleicht in diesem Kontext: Es wird ja momentan daran gearbeitet, ein Konkurrenzsystem zur UNO aufzubauen, die NATO zu erweitern, zu einem globalen, sogenannten Sicherheitsdienstleister, wir haben in Riga erlebt, dass die Amerikaner vorgeschlagen haben, Staaten wie Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland, Indonesien etc. man kann das fortführen, in eine neue NATO zu integrieren. Diese NATO besteht dann natürlich nur noch aus demokratischen Staaten, und das ist dann sozusagen die höhere Form der UNO. In der UNO sitzen ja noch die ganzen sogenannten Schurken drin. Und was die entscheiden, das braucht uns ja dann nichts mehr anzugehen, denn wir, die Guten, wir in der NATO, wir können dann in Brüssel entscheiden. Alles Demokratien. Und da können sich dann soundso viele, dann mehrere Dutzend, potenzielle Bankräuber zusammentun, und ab sofort, weil sie ja sozusagen mit demokratischen Weihen versehen sind, verkünden, dass ab sofort der Bankraub legal ist. Man will ja nur Demokratie, also man verteilt sozusagen die Beute an die Guten, sprich: Wir exportieren Marktwirtschaft, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Das ist die Idee, die vor unser aller Augen eigentlich sich entfaltet, die nur von unseren Mainstream-Massenmedien natürlich verbrämt, vertürkt, verdreht wird, so dass im Prinzip eine Öffentlichkeit, die auch unter der Informationsüberflutung leidet, und zum großen Teil durch Privatmedien degeneriert ist, das gar nicht mehr wahrnimmt. Wichtig ist, im Sinne von Aufklärung, dieses weiterzuverbreiten. Zu sagen, auch wie der schon zitierte Borchert: Wir machen da nicht mit. Wir stehen dafür nicht zur Verfügung. Wir als Soldaten sowieso nicht. Wir sind zur Verteidigung da. Nicht nur zur Landesverteidigung, sondern auch im Rahmen der UNO. Aber: Das ist unser Auftrag, und kein Jota mehr.
Spoo: Wir haben anfangs an Tucholsky erinnert und die ganze Tagung stand im Zeichen Tucholskys und Remarques. Da ist natürlich die Frage: Welche Konsequenzen, welche historischen Konsequenzen sind inzwischen gezogen worden? Welche Vorkehrungen sind getroffen worden, oder wären zu treffen? In dem Zusammenhang möchte ich gerne eine Frage an Frau Dr. Lötzsch stellen. Mit Schrecken habe ich gesehen, das nach wie vor diejenigen, die sogenannten Kriegsverrat im Zweiten Weltkrieg geübt haben, nicht rehabilitiert sind. Also diejenigen, die wirklich das »Krieg dem Kriege« ernst genommen haben. Gibt es da im Parlament Bemühungen, das doch endlich zu tun? Und das andere, weil es da auch um die Frage des Bruchs geht: Mit Entsetzen sehe ich, dass nach wie vor zig Kasernen der Bundeswehr nach Lettow-Vorbeck, Mackensen und solchen Leuten benannt sind. Wie verträgt sich das mit der Vorstellung, dass wir aus der Vergangenheit gelernt haben und einen Strich gezogen haben und einen Neuanfang gemacht haben? Und welche Bemühungen gibt’s im Parlament und wie sind sie bisher gelaufen?
Lötzsch: Zu der Frage der Rehabilitierung gibt es oder gab es in der Legislaturperiode in der, vorher sprachen wir ja kurz über Gerhard Zwerenz, auch im Deutschen Bundestag war, einen Antrag der damaligen PDS-Fraktion, zur Rehabilitierung. Der ist, soweit ich das weiß, abgelehnt worden. Und die Frage der Kasernenbenennung ist ja auch eine sehr interessante, weil es ja auch immer häufig Debatten darüber gibt, wenn man denkt, ein Thema ist schon abgeschlossen. Ich nehme mal das Thema Mölders. Mölders war ja, wie wir wissen, jemand, der auch als Flieger im Spanienkrieg, als ja schon geprobt wurde für den Zweiten Weltkrieg, sehr viele Untaten begangen hat, nach dem hießen Kasernen. Und es sind im Zusammenhang mit der Traditionspflege der Bundeswehr, der Diskussion darüber, gab es ja einen Bundestagsbeschluss, dass keine Kasernen nach Kriegsverbrechern mehr benannt werden – ich formuliere es mal etwas unrein – benannt werden dürfen. Und es sind auch Umbenennungen passiert. Und nun sahen wir, nun ist also diese Kaserne trägt nicht mehr den Namen Mölders' seit wenigen Jahren – ich hatte dazu auch mehrere Interventionen im Bundestag gemacht – eine Sendung in einem Politmagazin, wo ein Staatssekretär aus dem Bundesministerium der Verteidigung, Herr Christian Schmidt, auf seiner Homepage dafür geworben hat, dass man doch Mölders, wie es dann immer so schön heißt, differenzierter betrachten möge und sich für seine Ehrenrettung einsetzen möge. Ich habe dazu im Deutschen Bundestag eine Anfrage gestellt, wie die Bundesregierung das bewerte. Mir wurde dann durch den Herrn Schmidt selbst geantwortet, dass die Möglichkeit doch bestehen müsse, sich mit neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen zu befassen. Also ich fand schon erstmal sehr ungewöhnlich, wenn ich frage, wie die Bundesregierung das bewertet, dass derjenige, dessen Handlung bewertet werden soll, selber antwortet. Aber gut, das konnte ich dann nicht beeinflussen. Aber hier an diesem Beispiel sieht man, sehe ich sehr deutlich, dass man nie denken darf, man hat irgendwas erreicht. Es gibt immer wieder ein Zurückfallen. Und dann hatte ich ein Erlebnis, was mich wirklich sehr, also geradezu erschüttert hat. Es gibt ja in Berlin-Lichtenberg, in meinem Wahlkreis, das deutsch-russische Museum. Das deutsch-russische Museum wird getragen von der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation. Und jedes Jahr wird seit vielen Jahren dort zum 8. Mai, in der Nacht dann vom 8. auf den 9. Mai, die Befreiung gefeiert und ein Toast auf den Sieg ausgegeben. Zu der Feierlichkeit gehört in der Regel, dass es da auch Musik gibt. Da waren also schon amerikanische, britische, französische Orchester. Natürlich Alexandrow als Vertreter, nicht das gesamte Alexandrow-Ensemble. Und dann hatte die Leiterin des Museums bei der Bundeswehr angefragt, ob nicht, sozusagen auch im Sinne von Sparsamkeit usw., die Bundeswehr doch eine kleine Kapelle entsenden könne. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist?
Ziesak: Das ist mir sehr gut bekannt.
Lötzsch: Das ist Ihnen sehr gut bekannt. Und wurde das erst zusagt. 8. Mai war ja frei. Und ein paar Tage später kam die Absage. Die Bundeswehr spiele nicht am 8. Mai. Das wäre für die Bundeswehr kein, sozusagen, feierlicher Tag. Ich habe das eine Woche vorher erfahren, habe dann noch versucht, im Gespräch mit einem anderen Staatssekretär, also nicht mit dem von mir genannten Herrn Schmidt, Näheres zu erfahren. Das wäre also so festgelegt. Die Bundeswehr spiele eben nicht am 8. Mai, weil das nicht als feierlicher Tag für sie betrachtet werde. Ich habe daraufhin wiederum eine Anfrage gestellt, also dann offiziell nach dem Traditionsverständnis. Und man hat mir immerhin zugesagt, man wolle doch für das nächste Jahr überlegen, ob diese Entscheidung, dass eine Bundeswehrkapelle am 8. Mai nicht zu einem Fest der Befreiung und zum Tag, wie gesagt im deutsch-russischen Museum, anlässlich des Toastes zum Tag des Sieges aufspielen dürfe, zu überlegen wäre. Ich kann nur nochmal wiederholen, ich habs gerade schon mal gesagt: Viele Dinge, wo man manchmal, jedenfalls ich denke, das ist doch klar, oder das ist jetzt erreicht, darf man nie als gegeben sehen, sondern man muss immer wieder aufpassen, wachsam sein, nachfragen, und ist vor Rollback, wie im Beispiel Mölders und Schmidt, nie geschützt.
Spoo: Helmut Kramer zu dem Thema?
Kramer: Ja vielleicht nochmal zum Thema des sogenannten Kriegsverrats. Juristisch geht es um Landesverrat. Also Verrat von Geheimnissen zum Beispiel. Aber, speziell in der Form des Kriegsverrats, nämlich der Landesverrat, der während des Krieges begangen worden ist. Dazu hat es zahlreiche Todesurteile gegeben. Sämtlich gefällt hier in Berlin, vom Reichskriegsgericht. Das Gebäude in der Witzlebenstraße, das jetzt privatisiert worden ist, so dass jetzt in den Verhandlungsräumen, in denen die Todesurteile gesprochen wurden, nun Luxuswohnungen entstanden sind. Von der Berliner und sonstigen Presse völlig totgeschwiegen, nur der Tagesspiegel hat große Werbung für die Mietwohnungen gemacht. Zu diesen Todesurteilen wegen Kriegsverrats liegt noch immer im Bundestag der Antrag der Linken vor. In der ersten Lesung ist der Antrag von allen Parteien, mit Ausnahme natürlich der Fraktion der Linken abgelehnt worden, und mit diesem ablehnenden Votum an die Ausschüsse überwiesen worden. Da schmoren sie noch heute. Die Begründung lautete (sie ist also sehr interessant): Die Verräter, die, und reine Theorie, es ist übrigens niemals geschehen, hätten irgendwelche Angriffspläne ans Ausland verraten, das ist nur im Rahmen der Attentäter des 20. Juli, General Oster und so was geschehen, die haben also den Angriff auf die Niederlande und dann später auf Norwegen dann an ausländische Attachés mitgeteilt, aber in diesen Kriegsverratsdingen spielte das überhaupt gar keine Rolle. Aber selbst wenn es eine Rolle spielte, worum geht es denn, eigentlich? Aber die Begründung lautete eben, auch in der Fraktion der Grünen: Die Kriegsverräter, das sei ja moralisch höchst verwerflich gewesen. Denn sie hätten das Leben der Kameraden gefährdet. Also auf Deutsch: Sie hätten also die Verwirklichung des Endsieges auf diese Weise gefährdet. Warum aber nun dieser Widerstand gegen die Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter? Es waren übrigens, nebenbei gesagt, Wolfram Wette hat mich mit Recht darauf aufmerksam gemacht, es waren alles ganz arme, wie man im Militärjargon sagt, arme Hunde, die überhaupt gar keinen Einfluss verfügten, auch gar nicht über die Verbindungen ins Ausland, die aber es gewagt hatten, eben eine Gruppe zu bilden, vielleicht kommunistische Flugblätter in kleiner Anzahl gedruckt hatten. Wie gesagt: Das wurde alles mit Todesurteilen von dieser exzessiven Todesurteilspraxis der Wehrmachtsgerichte eben bestraft. Warum ist aber auch noch heute immer dahinter her, um Gottes Willen nicht nachträglich zu rehabilitieren? Frage: Gibt es da auch diesen Blick in die Zukunft? Dieser sogenannte Kriegsverrat, wenn es ihn denn gegeben hätte, war ja Widerstand gegen den Angriffskrieg der Nationalsozialisten. Und damit ist doch die Bundesrepublik angetreten. Wir haben doch den Artikel 21, nämlich das Widerstandsrecht. Ein Widerstandsrecht muss es nicht nur geben gegen alle möglichen anderen Unrechtsakte einer Regierung, sondern auch natürlich wenn eine Regierung einen, und gerade natürlich, wenn eine Regierung einen verbrecherischen Angriffskrieg vorbereitet oder gar durchführt. Wollte man sich mit diesem Votum nicht vielleicht die Tür, ähnlich wie bei der trickreichen Fassung des Paragrafen 80 StGB, alle Türen offenhalten für künftige Angriffskriege? Ein Nachtrag noch dazu: Über den Antrag ist noch nicht endgültig entschieden worden. Frau Zypries, die sich vehement gegen die Rehabilitierung ausgesprochen hat, hat bei der Eröffnung der Ausstellung zur Wehrmachtsjustiz erklärt, das müsse man vielleicht nochmal überdenken. Vielleicht hat man inzwischen gemerkt, es handelt sich, was die öffentliche Wirkung angeht, handelt es sich das um keinen so großen politischen Akt, so dass die Sache noch im Bundestag ist, wie gesagt noch nicht endgültig verworfen. Da wird man abwarten müssen.
Spoo: Speziell zu Mölders noch eine kurze Bemerkung von Jürgen Rose.
Rose: Vielleicht auch zu den Deserteuren. Ich war anlässlich dieser Tagung hier habe ich die Gelegenheit genutzt und habe mir mal die Gedenkstätte Deutscher Widerstand angeschaut, im Bendler-Block, und das ist sehr beeindruckend. Auch die Figur im Innenhof, wo die Widerständler hingerichtet worden waren. Was ich natürlich vermisst habe, ist sozusagen die Würdigung oder das Denkmal für den unbekannten Deserteur. Denn diejenigen, die aus Hitlers Wehrmacht desertiert sind, haben natürlich in keinem Punkt weniger und um kein Maß weniger ihr Leben riskiert und ihre Gesundheit riskiert als die Attentäter des 20. Julis. Auf Desertion stand schlichtweg Todesstrafe. Das war also ne hochriskante Sache. Das hatte nun mit Feigheit überhaupt nichts zu tun. Zu Mölders vielleicht noch mal ergänzend. Das ist ne ganz interessante Sache, denke ich, auch nochmal retrospektiv betrachtet, weil es deutlich macht, wie man in dieser Angelegenheit auch Dinge bewegen kann. Ich war ein Stück weit selber mit involviert in die Angelegenheit, das war das Fernsehmagazin »Kontraste«, das da zweimal ne Sendung brachte. Nach der ersten Sendung, in der ich da mit Entsetzen wahrgenommen hatte, wie die Luftwaffengeneralität und die Führung der Luftwaffe den damaligen Staatssekretär Walter Kolbow hatte ins Messer der Journalisten laufen lassen, schrieb ich ihm, und habe ihm dargelegt, dass die Herrschaften da oben also im Führungsstab der Luftwaffe das eigentlich hätten besser wissen müssen, denn Gutachten zu anderen lagen bereits vor, habe ich ihm dann auch mal einen von mir selber gefertigtes mitgeschickt, in dem genau dargelegt war, gemäß welcher Kriterien Kasernen, und in dem Falle gings um ein Geschwader, um ein Jagdgeschwader der Luftwaffe, JG 74 in Neuburg an der Donau, benannt werden dürfen. Das entscheidende Kriterium für Traditionsbenennungen ist die herausragende Tat für Recht und Freiheit. Und die ist ja nun bei Herrn Mölders nicht zu erkennen. Ich hab das dann mal ausgeführt. Mölders war jemand, der im Spanischen Bürgerkrieg in der Legion Condor als bezahlter Söldner geflogen ist, geschossen hat und getötet hat. Er hat dafür auch von dem Generalissimus Franco den höchsten spanischen Orden, den die Diktatur später zu vergeben hat, um den Hals gehängt bekommen. Der zweite Diktator, Adolf Hitler, hat eine eigens für Mölders kreierte Auszeichnung geschaffen, nämlich die Schwerter und Brillanten zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Mölders war nach 100 Abschüssen der allererste, der diesen bekam, und diese Auszeichnung haben in der Tat dann nur einige wenige bekommen. Und ich schrieb dann damals, in diesem Kontext, nicht auf Mölders alleine gemünzt, sondern mehr generell, also Auftragskiller von Diktatoren, Handwerker des Krieges, das können ja keine Vorbilder für eine Bundeswehr sein, die in aller Welt Menschenrechte, Freiheit, Demokratie durchsetzen soll. Neue Weltordnung. Im Rahmen und im Auftrag der Vereinten Nationen. Das brachte mir dann eine Strafanzeige ein. Diese Mölderianer, das ist also eine Gang von jungen und auch alten Angehörigen dieses Geschwaders, angeführt von einem Brigadegeneral namens Hermann Hagena, auch promoviert, Dr. Hermann Hagena, die animierten also diese alte, arme, 96-jährige Witwe von Mölders, Marie-Luise Petzold-Mölders, dazu eine Strafanzeige zu stellen. Und da muss ich jetzt mal einen Stab für die Justiz brechen. Das geschah in Stuttgart, eher die konservative Ecke dieser Republik, und da lehnte also der Staatsanwalt, der zuständige, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab, unter der Maßgabe, also das, was ich da formuliert hätte, in verschiedenen Beiträgen, auch im Freitag, das fiele ja nun schon unter die Meinungsfreiheit und sei ein Beitrag im politischen Diskurs. Aber dann haben die immer noch nicht aufgegeben. Dann haben sozusagen noch Rechtsbeschwerde eingelegt und haben sich sozusagen an die nächsthöhere Instanz gewendet, in Baden-Württemberg, ich glaube, der Oberstaatsanwalt, da könnte mir Herr Kramer weiterhelfen. Generalanwalt nennt sich das, glaube ich, dort.
Kramer: Generalstaatsanwalt Flieger.
Rose: Genau. Der Generalstaatsanwalt in Baden-Württemberg. Und selbst der hat es dann nochmal abgelehnt. Also da sieht man mal, mit welcher Verbissenheit, Borniertheit und Verbohrtheit sozusagen diese reaktionär rückwärtsgewandten Mitglieder des Lodenmantelgeschwaders, die laufen wirklich meistens im Lodenmantel, grün und so, rum, diese versuchen, ein überkommenes, wehrmachtsinspiriertes Traditionsverständnis verbindlich zu halten. Jetzt könnte man das sozusagen als Arabeske am Rande abhaken, und sagen: Na ja, das erledigt sich irgendwann biologisch. Mitnichten. Mitnichten. Denn die Problematik besteht darin, das die gegenwärtig aktuelle Bundeswehrführung genau diesen wehrmachtsorientierten Kämpferkult weiter zu vermitteln und weiter zu treiben sucht, unter den Vorzeichen einer Einsatzarmee Bundeswehr. Herausragend der amtierende Inspekteur des deutschen Heers, der Kamerad Generalleutnant Hans Otto Budde. Der fordert den archaischen Kämpfer. Hightech-Krieger. Den Kolonialkrieger, der in Gefahr steht, nach eigenen Gesetzen zu leben und zu handeln. Das haben wir teilweise auch schon erlebt in diesen Einsätzen. Auch von Bundeswehrsoldaten. Und der erklärt dann so en passant, der Staatsbürger in Uniform, das zentrale Element, das Leitbild, was der General Baudissin formuliert hat, ja der ist ja eigentlich überflüssig. Neue Zeiten erfordern einen neuen Soldatentypus. Und da, denke ich, müssen wir heutzutage ganz genau aufpassen, dass uns nicht sozusagen unter dem Anschein, dem demokratischen Anschein, der vermittelt worden ist in 50 Jahren Bundeswehr, durchaus auch zu Recht – solange bis zum Ende des Kalten Krieges lief das einigermaßen vernünftig – und dann fangen die Dinge an, in Fluss zu geraten und zu kippen. Und da kann man nur, auch im Sinne von Tucholsky aufrufen: Wachsam sein, das Auge auf diese Armee richten, damit dort nicht Dinge passieren, über die wir uns dann in den nächsten Jahren, in fünf oder im nächsten Einsatz, der vor der Tür steht vielleicht, dann sehr, sehr wundern werden.
Spoo: Nun werden ja voraussichtlich, falls es weitere Kriege geben sollte, was wir ja nicht wünschen, immer wieder Begründungen gegeben, dass da die Menschenrechte zu verteidigen seien. Das scheint mir jedenfalls so die durchgängige Linie in den letzten Jahre und Jahrzehnten zu sein. Dem Völkerrecht, also etwa der KSZE-Schlussakte mit all ihren Bestimmungen, wird das Menschenrecht entgegengesetzt, das nun militärisch zu erkämpfen sei. Weltweit. Vielleicht empfiehlt es sich, dass wir dazu, etwa von Helmut Kramer, noch ein paar Worte hören. Aber wenn es so gegen Ende der Diskussion geht, möchte ich ganz gern auch noch die Frage stellen: Wenn jetzt mehr und mehr, auch in den letzten Tagen, mit Krieg gegen Iran gedroht wird, wenn das eine akute Aufgabe ist, diesen Krieg zu verhindern, was können wir uns heute, hier da einfallen lassen? Ich denke so ganz abstrakt sollten wir es nicht besprechen, sondern möglichst konkret auf diesen Punkt hin, vor dem wir heute stehen, wo jetzt, in der nächsten Zeit vielleicht Gewissensentscheidungen zu treffen sind, jedes einzelnen, und wo er sich jeweils die Frage stellt, ob das nicht zutiefst unsittlich ist, was da verlangt wird, und wie wir uns dem widersetzen können.
Kramer: Vielleicht einiges, ja, sicherlich sind natürlich alle Bürger aufgefordert, und müssten da auch erfindungsreich sein, in Aktion – Zeitungsanzeigen für sich allein reichen natürlich nicht aus – und unser Recht, unter anderm das Demonstrationsrecht stellt da ja Instrumente zur Verfügung, und wir müssen aufpassen, dass nicht die Juristen dem wieder einen Riegel vorschieben, indem sie den Nötigungsparagrafen wieder aus dem Grabe holen, der ja, was die Sitzdemonstrationen angeht, diese Rechtsprechung, dass Sitzdemonstrationen verfassungswidrig seien, das ist ja gerade vom Bundesverfassungsgericht diese Rechtsprechung im Jahr 1996 überwunden worden. Aber es gibt jetzt schon, weiß ich, diese Demonstrationen, jetzt gerade im Vorfeld des jetzigen Irak-Krieges, da ist ja diese eine Airbase der USA bei Frankfurt eben blockiert worden, und da hat man wieder Strafverfahren eingeleitet, und da gibt es auch Richter, die sich da sehr reaktionär zeigen und nachdem dann das Oberlandesgericht in Frankfurt erklärt hat, dass der Paragraf nicht erfüllt ist, hat der entscheidende Amtsrichter dem Oberlandesgericht eine Sabotage dieses Krieges vorgeworfen. Aber, wie gesagt, die eine Möglichkeit wäre eben, das Demonstrationsrecht, etwa durch Sitzdemonstrationen Gebrauch zu machen. Das andere ist, die Juristen in die Pflicht zu nehmen. Dass man sie an ihre ureigenste Aufgabe erinnert und eben an ihre ständige Gefahr, ihr juristisches Instrumentarium trickreich zu missbrauchen, nämlich Unrecht, vor allen Dingen hier militärpolitisches Unrecht, zu legitimieren und als das Wahre und Richtige hinzustellen, und damit eben die Funktion der Medien, die ja eben kräftig da auch mitmischen, noch zu vervollständigen. Man sollte übrigens nicht nur vom militärisch-industriellen Komplex sprechen, sondern vom militärisch-industriellen-medialen Komplex. Und das ergänzen auch durch die Funktion, diesen Beitrag der Juristen, die immer wieder ihren Beitrag dazu leisten, dass es neue Kriege geben muss. Also wenn man nach den Ursachen fragt, und warum im 20. Jahrhundert noch immer von machthungrigen Politikern Angriffskriege angezettelt werden können, da muss man eben neben den Massenmedien vor allen Dingen auch die Juristen nennen und herausarbeiten eben die besondere Funktion der Juristen. Im 20. Jahrhundert, und, im Grunde genommen schon seit zwei Jahrhunderten, kann der Staat nicht mehr so als Potentat auftreten, die Regierung, die alles allein bestimmt ohne jegliche Kontrolle. Es gibt nicht nur die Parlamente, sondern auch, vor allem wenn das Parlament versagt, die Juristen. Und diese Funktion der Juristen ist zu wenig erkannt worden. Weil sie auf diese Weise eben auch, eben gerade, was die Juristen sagen, gilt ja sozusagen als die letzte Bestätigung der Richtigkeit. Das ist unendlich wichtig. Auch da müsste man das Bundesverfassungsgericht in die Pflicht nehmen und zum Beispiel aufzufordern, das Bundesverfassungsgericht sich daran auseinanderzusetzen, was dazu sonst schon gesagt worden ist. Etwa in dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die ja eben den aufrechten Major Florian Pfaff freigesprochen hat, von dem Vorwurf, er hätte hier zu Unrecht den Dienst verweigert. Er hatte also eben hier die Mitwirkung am Computersystem bei dem Irak-Krieg verweigert. Es wurde erst gegen ihn mit dem Ziel der Dienstentlassung betrieben, und das Bundesverwaltungsgericht hat ihm nicht nur hier dieses Recht der Befehlsverweigerung zugestanden, sondern mit Ausführung bis ins Detail erklärt, dass dieser Krieg höchstwahrscheinlich eben ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg war. Und die Beteiligung der Bundesrepublik auch daran.
Spoo: Herr Ziesak: Was tun, damit wir nicht wieder in einen Angriffskrieg hineingezogen werden, speziell auch im Fall Iran?
Ziesak: Lassen Sie mich dazu nur ganz kurz vier Punkte nennen. Also einmal ist gefordert, und deswegen ist schade, dass Herr Benneter heute nicht da ist, als Mitglied sozusagen einer der unterstützenden Regierungsfraktion, die Bundesregierung natürlich. Und zwar in persona der Bundeskanzlerin, des Außenministers hier auf die entsprechenden internationalen Staaten mäßigend einzuwirken. Denn was mich wirklich auch ein bisschen besorgniserregend stimmt, waren die Äußerungen von drei wichtigen Politikern in der letzten Zeit. Einmal letzte Woche, wo der amerikanische Präsident auf einmal das Wort des Dritten Weltkrieges wieder ins Spiel gebracht hat. Also, das muss ich sagen, dachte ich, das hat mich doch sehr nachdenklich gestimmt. Dann, ein zweiter Bereich, die Russische Föderation. Dass man auf einmal ein großes Aufrüstungsprogramm startet. Eigentlich auch, weiß ich nicht, aus welchen Gründen auch immer. Oder auch der französische Außenminister, der vor wenigen Monaten auch davon gesprochen hat, von einem möglichen Atomschlag gegen den Iran. Es sind ja nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch andere Staaten hier. Und da bleibt eigentlich, weil die Bundesregierung uns ja nach außen hin vertritt, eigentlich nur die Möglichkeit, dass sie entsprechend hier international ihren Einfluss geltend machen muss, um eben möglicherweise auch zu einer solchen Lösung zu kommen, wie man jetzt hier im Nordkorea-Konflikt gefunden hat.
Spoo: Danke. Jürgen Rose:
Rose: Vielleicht vorneweg: Wir sind ja am 6. September, 6., 7. September dieses Jahres haarscharf am Iran-Krieg schon bereits vorbeigeschrammt. Am 5. September dieses Jahres wurde eine B 52 mit sechs scharfen Air-Launch-Cruise-Missiles über USA verlegt. Das hat man entdeckt. Rechtzeitig. Dahinter steckte eine kleine Fronde, gesteuert von Cheney, von US-Airforce-Offizieren im Pentagon. Die Maschine hatte als Zielort den Nahen/Mittleren Osten. Sie sollte in dem Krieg gegen den Iran eingesetzt werden. Ein Tag später, am 6. September, greift die israelische Luftwaffe ein sehr ominöses Ziel im Norden Syriens an. Das Ganze war inszeniert und gedacht als ein Vorwand, das sollte also einen Gegenschlag provozieren, von Syrien, eventuell auch von Iran, um dann den großen Vorwand zu liefern für den vernichtenden Gegenschlag, kombinierten Gegenschlag der israelisch-amerikanischen Luftwaffe, sprich Seymour Hersh, zwei- bis dreitausend Ziele in Iran, die auf der Zielliste stehen. Also dieses Szenario ist real. Höchst real. Die Syrier waren intelligent genug, gemeinsam mit Achmadinedschad, beziehungsweise der iranischen Führung mit Chamenei, auf diese Provokation nicht einzusteigen. Also was ganz deutlich macht, wer hier Krieg will und keinen Krieg will. Die Mullahs wollen keinen Krieg. Das steht fest. Wir müssen uns davor hüten, dass jemand wie Achmadinedschad als Hitler deklariert wird und dämonisiert wird. Weil, ist klar: Gegen Hitler darf man Krieg führen. Logisch. Da brauche ich nicht lange zu fragen. Deswegen war ja auch: Milosevic war Hitler, Saddam Hussein war Hitler, und der nächste Hitler ist dann Achmadinedschad. Das wird immer weitergereicht, diese Rolle. Was kann man tun? Ziviler Widerstand ist natürlich gefordert. Wir brauchen Füße auf der Straße. Das ist das eine. Diejenigen, die in den Medien schreiben, müssen aufklären. Nicht Drumherumreden, wie Degenhardt das nennen würde, sondern auf den Punkt kommen. Ganz klar adressieren: Wer macht da was? Die Forderung: Cheney, Bush, Rice, die gehören nach Den Haag, vor den Internationalen Strafgerichtshof und abgeurteilt und hinter Gittern für die Vorbereitung und Durchführung verbrecherischer, völkerrechtswidriger Angriffskriege. Ich lese diese Forderung in unseren Medien, einmal abgesehen von so ehrenwerten Organen wie dem Ossietzky und dem Freitag nicht. Und, Helmut Kramer sprach das gerade an, die Soldaten sind natürlich gefordert. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 21. Juni 2005 festgestellt: Soldaten dürfen ein Gewissen haben. Und Soldaten sind nicht gezwungen, an völkerrechtswidrigen, verfassungswidrigen Angriffskriegen und an der Unterstützung derselben mitzuwirken. Und da sollte sozusagen auch der Schulterschluss zwischen Zivilgesellschaft und dem Militär erfolgen. Soldaten brauchen da ein wenig Unterstützung. Deswegen habe ich unter anderem dieses Flugblatt zum Unterschreiben ausgelegt, vor einigen Tagen. Das heißt, man kann natürlich auch von der Zivilgesellschaft aus Soldaten ansprechen, die man sieht, die man kennt. Von der Politik auch ansprechen. Und sagen: Leute, überlegt Euch, was Ihr da macht. Ihr habt einmal schon die Kasernen der Aggressoren bewacht. Während des Irak-Krieges, das hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt. Wollt Ihr sie wieder bewachen? Während des Iran-Krieges? Die deutsche Luftwaffe sichert den Luftraum. Eigentlich wäre sie, nach dem fünften Haager Abkommen von 1907, das führt das Bundesverwaltungsgericht 2005 auf fast 30 Seiten aus, beauftragt gewesen den US-Bombern den Überflug durch den deutschen Luftraum zu verweigern, ja sogar, diese notfalls abzuschießen. Darüber hinaus hätte den US-Streitkräften die Nutzung ihrer auf deutschem Boden befindlichen Hauptquartiere in Stuttgart und Heidelberg verweigert werden müssen. Jeglicher Transport von Truppen und Kriegsmaterial von Deutschland aus auf den irakischen Kriegsschauplatz hätte unterbunden werden müssen.

Außerdem stellte das Bundesverwaltungsgericht fest: Die US-Truppen, also jede Truppe, die hier auf deutschem Boden steht, die sich an solchen völkerrechtswidrigen Angriffskriegen beteiligen will, ist zu internieren. Allenfalls Offiziere dürfen auf Ehrenwort freigelassen werden, dass sie sich an solchen Kriegen nicht beteiligen. Alles dieses ist völkerrechtlich, vertragsrechtlich verbindlich geregelt. Dieses steht sogar in der zentralen Dienstvorschrift 15.2 der Bundeswehr. Jeder Soldat, insbesondere natürlich jeder Soldat mit den goldenen Sternen auf der Schulter, sollte sich diese Dienstvorschrift mal zu Gemüte führen. Dann weiß er nämlich, was seine militärische Pflicht ist. Und seine militärische Pflicht besteht darin, in diesem Falle, wenn dieses wieder politisch angeordnet ist, Nein zu sagen, sich zu verweigern. Denn der Primat der Politik gilt nur innerhalb von Recht und Gesetz, und jenseits davon gilt der Primat des Gewissens. Und wie der ehemalige Generalinspekteur dieser Bundeswehr, Klaus Naumann, mal formuliert hat: Sogar die Pflicht zur Verweigerung, sofern der Soldat sozusagen durch seinen Auftrag, der ihm da zugemutet wird, außerhalb der Rechtsordnung und der sittlichen Ordnung gestellt wird. O-Ton, Klaus Naumann, General der Bundeswehr, 1994.

Spoo: Danke. Frau Dr. Lötzsch:
Lötzsch: Ich denke, das Wichtigste, was man erstmal als Voraussetzung für den Widerstand gegen einen Krieg tun muss, ist aufklären. Aufklären, immer wieder aufklären, weil man merkt, es bleiben immer nur so Satzhälften. Das ist sehr schwer, das ist die allerschwerste Aufgabe. Das kann ich gerne bestätigen. Also ich merke in Diskussionen mit Schulklassen, dass Schüler, die gerade erklärt haben, wie sie sich so ihr Leben vorstellen, sagen: Aber wir müssen doch da für Ordnung sorgen in Afghanistan. 16-, 17-, 18-jährige Schüler aus dem vollsten Brustton der Überzeugung. Und wenn man dann etwas nachfragt, gelingt es, vielleicht auch eine nachdenkliche Position bei ihnen zu erreichen. Aber erstmal dieses Ankämpfen gegen Mainstream – und ich komme noch mal auf das Tucholsky-Zitat vom Anfang, das hier vorgelesen wurde, dass jeder Krieg so vorbereitet wird, dass die Menschen denken, er ist sittlich. Also das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich will nicht alles wiederholen, was hier schon gesagt wurde, aber auf einen Punkt möchte ich auch nochmal ganz nachdrücklich hinweisen. Ich denke, jeder Bürger, jeder Wähler ist aufgefordert, seinen Abgeordneten, seine Abgeordneten auch zu befragen auf welcher Grundlage sie sich dann für einen Bundeswehreinsatz, für einen »Tornado«-Einsatz zum Beispiel jetzt aussprechen. Auf welcher Grundlage, auf welchem Wissen, was sie darüber haben. Nun können Sie sich ja vielleicht erinnern, dass, als es zum ersten Mal um die »Tornados« ging, es heftige Diskussionen gab im Deutschen Bundestag gab, auch in der SPD-Fraktion. Und dann hat Peter Struck gesagt zu seinen Abgeordneten: Ihr fahrt jetzt alle mal nach Afghanistan hin und guckt Euch das an, wer noch nicht da war. Es stellte sich dann heraus, dass, das konnte ich einem Interview einer SPD-Abgeordneten in der tageszeitung, taz, entnehmen, dass nur sehr wenige Abgeordnete dann Lust hatten, dieser Aufforderung nachzukommen. Letztendlich sind drei hingeflogen. Die Abgeordnete, die interviewt wurde, war vor der Reise gegen den »Tornado«-Einsatz. Dann fuhr sie dort hin, für drei Tage, wurde sehr professionell sicher betreut von den Verantwortlichen vor Ort, und hat hinterher ein Interview gegeben, dass sie jetzt für den »Tornado«-Einsatz ist, weil sie gesehen hat, dass die Bundeswehr sich dort anstrengt. Dann wurde sie gefragt – und da war ich richtig fassungslos – dann wurde sie gefragt: Hatten Sie auch Kontakt zur einheimischen Bevölkerung? Sie sagte: Nein, das war zu gefährlich. Also da sage ich nur: Wenn unsere Abgeordneten oder Ihre Abgeordneten, ich bin ja selbst Abgeordnete, auf Grundlage einer kurzen Reise, wo sie vielleicht hinterher noch weniger wissen als vorher, entscheiden – ja, so muss man das einschätzen – entscheiden können und meinen entscheiden zu können über derartig weitreichende Dinge, muss man ihnen sagen: Damit würde man in anderen Berufen keine Prüfung bestehen. Und ich finde, hier ist es auch eine Pflicht, jedenfalls von aktiven, von bewussten Wählerinnen und Wählern, ihren eigenen Abgeordneten diese konkreten Fragen zu stellen, damit sie auch wissen, dass genau hingeschaut wird und nachgefragt wird und eben nicht hingenommen wird, wie mit großen Mehrheiten entschieden wird. Ein letzter Punkt vielleicht noch zu den Entscheidungen und der Rolle der Bundeswehr, es ist ja auch schon angesprochen worden: Selbstverständlich haben auch die Soldaten eine Verantwortung, die Verantwortung, sich zu entscheiden. Und natürlich, das will ich nochmal im Hinblick auf Herrn Ziesak betonen, entscheiden ja die Abgeordneten oder Entscheidungsträger in den Fraktionen auch auf Grundlage von Informationen der Bundeswehr, die wir bekommen. Also wir bekommen, ich weiß nicht, ob das alle bekommen, alle paar Wochen, nur für den Dienstgebrauch, Unterrichtung des Parlaments über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Und natürlich hängt auch davon ab, wie diese Berichte abgefasst werden, wie denn die Abgeordneten meinen, entscheiden zu müssen. Also mein größtes Plädoyer, von allen anderen Aktionen, die ich natürlich unterstütze wie Demonstrationen, Aktionen, ist Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung, beharrliche Aufklärung und in Frage stellen einfacher Wahrheiten.
Spoo: Danke. Wir kommen zum Ende dieser Diskussion, und ich möchte da ganz gern eins festhalten: Sowohl Herr Dr. Kramer als auch Herr Ziesak haben es für nötig befunden, dass gelegentlich eine Bilanz der sogenannten Auslandseinsätze der Bundeswehr gezogen wird. Ich halte das für eine ganz dringende, notwendige Forderung, damit zum Beispiel der deutschen Bevölkerung überhaupt nach acht Jahren mal bekannt wird, welche Schäden zum Beispiel in Jugoslawien, nicht etwa nur im Kosovo, sondern in ganz Jugoslawien angerichtet werden. Wie praktisch die gesamte Industrie zerstört worden ist, was hier nie zum Thema der öffentlichen Debatte geworden ist. Gerade deswegen, weil die großen Konzernmedien ja von vornherein diesen Krieg unterstützt haben, alle Lügen wirklich kritiklos weiterverbreitet haben, und bis heute nicht eingestanden haben, gegenüber ihren Lesern, gegenüber der Öffentlichkeit, wie sie sie mit belogen haben. Ich meine, die Bewältigung, diese Vergangenheitsbewältigung, muss in Angriff genommen werden. Das ist eine Notwendigkeit für die Politik, und da kommt es auf unsere Forderungen an. Während der Tagung ist einmal besonders hingewiesen worden darauf, dass, ich glaube, es war Wolfram Wette auch, der darauf hinwies, dass auf diese furchtbare Zumutung von Herrn Verteidigungsminister Jung, künftig auch Passagiermaschinen abschießen zu lassen oder abzuschießen, doch Piloten sehr wachsam und gewissenhaft reagiert haben, indem sie gesagt haben, dafür stehen wir nicht zur Verfügung. Dieses Beispiel des Neinsagens ist vielleicht ein gewisser Hoffnungsschimmer in dieser Situation, und ich denke, das müssen wir sehr ermutigen. Da, wo Leute Mut und Charakter zeigen, Nein zu sagen, – um ein Wort von Tucholsky aufzugreifen – da sollten sie unseren Beistand finden, unsere Rückenstärkung finden. In dem KSZE-Vertrag von 1975, der ja faktisch die Funktion eines Friedensvertrages nach dem Zweiten Weltkrieg hat, der ja sonst nie geschlossen worden ist, ist ein ganz klares Prinzip enthalten zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, zur Achtung der Souveränität, der Unabhängigkeit, der territorialen Integrität anderer Länder. Dieses Prinzip ist scheußlich verletzt worden, damals, 1999, im Krieg gegen Jugoslawien. Ich meine, es muss dringend wieder daran erinnert werden. Das sind sehr wichtige, sinnvolle Verabredungen für künftige europäische Politik gewesen, die sich leider so in den Verfassungsentwürfen für Europa oder so gar nicht wiederfinden. Ich denke, gerade diese Tradition wäre dringend aufzugreifen. Ich freue mich, dass ein paar Vorschläge gemacht worden sind, die uns vielleicht helfen, in der nächsten Zeit besonders wachsam zu sein, in Bezug auf die Vorbereitung eines Kriegs gegen Iran. Wir sollten jedenfalls keine der zu erwartenden Lügen akzeptieren, wir sollten vor allen Dingen aufpassen, wie wir da belogen werden, wie wir dem widersprechen können. Das ist, wenn von Aufklärung die Rede ist, glaube ich die Hauptfunktion: die Propaganda zu entblättern, ihr zu widersprechen. Und dazu ist letztlich jeder von uns in der Lage, im Gespräch mit jedem anderen, den er trifft. Das ist eine Aufgabe, die nicht nur beschränkt ist auf ein paar Bundeswehroffiziere oder ein paar Abgeordnete, sondern eine Aufgabe für jeden von uns. Tucholsky, in dessen Namen wir versammelt sind, sei nochmal zitiert: »Die geistige Militarisierung Deutschlands«, schrieb er in der Weimarer Zeit, »macht Fortschritte wie nie zuvor – nur die Form hat gewechselt. Was früher dümmlich und dickfäustig für Bauernjungen zurechtgehauen wird, ist heute aus bestem Stahl, biegsam und wesentlich moderner. Diese geistige Militarisierung, der fast alle Parteien hemmungslos unterliegen, ist unsittlich, verabscheuenswert und infam. Sie wird ihre blutigen Früchte tragen – und auch das nächste Mal wird niemand, niemand schuld sein.« Schließlich ein Satz von ihm: »Aber wenn wir nicht mehr wollen, dann gibt es nie wieder Krieg.« Also, es ist sozusagen in unsere Verantwortung gestellt. Ich möchte der Kurt Tucholsky-Gesellschaft danken, dass sie uns Gelegenheit gegeben hat, dieses wichtige, ich denke allerwichtigste Thema, miteinander zu erörtern.
Transkription: Friedhelm Greis
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