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Jahrestagung 2019 Kurt Tucholsky Preis für literarische Publizistik Pressemitteilung Tagungen

Kurt Tucholsky-Preis 2019 an Margarete Stokowski

PRESSEMITTEILUNG

Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2019 an

Margarete Stokowski

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft vergibt den mit 5.000 € dotierten Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik an die Journalistin Margarete Stokowski.

Margarete Stokowski, Von Harald Krichel, CC BY-SA 4.0
Von Harald Krichel – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=73584111

Stokowski erhält den Preis insbesondere für ihre Kolumnen, zuletzt gesammelt erschienen im Rowohlt-Verlag und jede Woche zu lesen auf Spiegel Online.

Mit ihrer kompromisslosen Entlarvung gesellschaftlicher Misstände und Schieflagen, ihrer präzisen Sprache und gekonnten Ironie hebt sie die Kolumne auf neue Höhen. Damit steht sie unzweifelhaft in der Tradition Kurt Tucholskys. Ihr geschickter Umgang mit jüngeren und neuen Medien und Ausdrucksformen spiegelt zusätzlich Tucholskys lebenslanges Probieren neuer Ausdrucksformen – stets auf der Suche nach Wirkung. Damit spiegelt ihr Wirken ganz hervorragend den Geist des Werkes Kurt Tucholskys, dessen Tradition zu bewahren Ziel des Kurt Tucholsky-Preises ist.

Die Begründung der Jury im Wortlaut:

» Margarete Stokowski bringt in ihren gesammelten Kolumnen in „Die letzten Tage des Partiarchats“ vor allem eins auf den Punkt: dass wir alle weit davon entfernt sind, in einer gerechten Gesellschaft zu leben. Damit ist häufig, aber längst nicht nur, die Geschlechtergerechtigkeit gemeint. Stokowski rückt Schieflagen in noch krassere Perspektiven und schreibt dabei so einzigartig, lustig, unverfroren und intelligent, dass es unmöglich ist, diese Stimme zu überhören.

Ihre Analysen sind messerscharf. Jeder Satz, jede Metapher, jede Pointe sitzt, und bei aller Ironie schafft sie es, letztlich doch sachlich in ihrer Streitbarkeit zu bleiben. Sie legt mit bestechenden Argumenten den Finger in schwärende Wunden und zwingt die Lesenden dazu, bittere Wahrheiten über sich selbst zu schlucken.

Den Feminismus hat sie im deutschsprachigen Raum clubfähig gemacht und nicht nur die junge Generation zurechtgerüttelt, sondern auch die Älteren daran erinnert, dass der Kampf um Gleichberechtigung noch lange nicht vorbei und das F-Wort ganz sicher nicht eingestaubt ist.

Die kleine Form, die Kolumne, liegt ihr, als wäre sie eigens für Stokowski erfunden worden, und so liefert sie nun schon seit Jahren unermüdlich und unverwechselbar politische Einmischung und entlarvende Polemik.«

Die Preisvergabe findet als Höhepunkt und Abschluss der diesjährigen Jahrestagung » Schriftstellerinnen und Schriftsteller und politisches Engagement« der Kurt Tucholsky-Gesellschaft am 3.11. 2019 im Theater im Palais Berlin statt. Als Laudatorin wird Dr. Susanne Mayer sprechen, Buch-Autorin und Kulturreporterin der Wochenzeitung DIE ZEIT.

Der Vorstand der Kurt Tucholsky-Gesellschaft dankt der Jury aus Doris Akrap (Sprecherin), Zoë Beck (Sprecherin), Dr. Ulrich Janetzki, Prof. Dr. Stuart Parkes und Nikola Richter für ihre unermüdliche Arbeit.

Weitere Informationen:

Die Preisträgerin:

Margarete Stokowski, geboren 1986 in Polen, lebt seit 1988 in Berlin und studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie schreibt als freie Autorin unter anderem für die taz und die ZEIT. Seit 2015 erscheint ihre wöchentliche Kolumne „Oben und unten“ bei Spiegel Online. Ihr Debüt „Untenrum frei“ avancierte zu einem Standardwerk des modernen Feminismus.

Der Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik:

Aus Anlass des 60. Todestages von Kurt Tucholsky wurde 1995 der Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik gestiftet. Alle zwei Jahre werden mit ihm engagierte deutschsprachige Publizisten oder Journalisten ausgezeichnet, die der »kleinen Form« wie Essay, Satire, Song, Groteske, Traktat oder Pamphlet verpflichtet sind und sich in ihren Texten konkret auf zeitgeschichtlich-politische Vorgänge beziehen. Ihre Texte sollen im Sinne Tucholskys der Realitätsprüfung dienen, Hintergründe aufdecken und dem Leser bei einer kritischen Urteilsfindung helfen.

Die Auswahl der Preisträger erfolgt durch eine fünfköpfige Jury; das Preisgeld beträgt seit dem Jahr 2015 5.000 € (bis 2013: 3.000 €).

Die bisherigen Tucholsky-Preisträger sind: Der Journalist Sönke Iwersen, der Wissenschaftler und Publizist Jochanan Trilse-Finkelstein, der Journalist Mario Kaiser, der Journalist Deniz Yücel, der Journalist und Literaturkritiker Volker Weidermann, der Schriftsteller und Satiriker Lothar Kusche, der Journalist und Publizist Otto Köhler, der Journalist und Schriftsteller Erich Kuby, der Journalist Wolfgang Büscher, der Autor und Hochschullehrer Harry Pross, die Schriftstellerin und Journalistin Daniela Dahn, der Schriftsteller und Theologe Kurt Marti, der Journalist Heribert Prantl und der Liedermacher Konstantin Wecker.

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft:

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft wurde 1988 gegründet, um dem facettenreichen »Phänomen Tucholsky« nachzuspüren. Sie will als literarische Vereinigung die Beschäftigung mit Leben und Werk Kurt Tucholskys pflegen und fördern und hat ihren Sitz in Tucholskys Geburtsstadt Berlin. Als Publikationsorgan der Kurt Tucholsky-Gesellschaft erscheint dreimal im Jahr ein Rundbrief. Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft gibt zudem eine eigene Schriftenreihe heraus, in der vorrangig die Dokumentationen der von ihr organisierten wissenschaftlichen Tagungen erscheinen. Den jährlichen Höhepunkt der Vereinstätigkeit bilden Tagungen mit wissenschaftlichen Kolloquien, Vorträgen, Exkursionen und kulturellen Veranstaltungen. Aller zwei Jahre vergibt sie den Kurt Tucholsky Preis für literarische Publizistik.

Die aktuelle Jahrestagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft findet vom 1. bis 3. November 2019 in Berlin zum Thema »›Schriftstellerinnen und Schriftsteller und politisches Engagement« statt.

weitere Informationen:

»Das Ende des Patriarchats« bei Rowohlt

»Oben und Unten« auf Spiegel Online

Dankesrede von Margarete Stokowski

Theater im Palais

Jahrestagung der KTG 2019

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Jahrestagung 2019 Tagungen

Call for Papers: Qualifizierungsschriften zu Tucholsky

»› Engagierte Literatur oder Kunst um der Kunst willen? ‹«

Für die wissenschaftliche Tagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft (KTG) vom 1. bis 3. November 2019 in Berlin lädt die KTG junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein, ihre Diplom-, Master-, Examensarbeiten oder Dissertationen zum oben genannten Thema, zu Kurt Tucholsky oder anderen Autoren des Weltbühnekreises in einem 20-minütigem Vortrag einem breiteren Publikum vorzustellen und in einen interdisziplinären Diskurs zu treten.

Die Vortragenden erhalten Gelegenheit, ihre Thesen und Forschungsergebnisse zu diskutieren. Es besteht die Möglichkeit, die Beiträge im Dokumentationsband zur Tagung zu publizieren.

Bitte senden Sie bis 15. Juli 2019 ein Exposé (ca. 200 Worte) und einen Kurzlebenslauf an Dr. Ian King, 1. Vorsitzender der Kurt Tucholsky-Gesellschaft per eMail an: king@tucholsky-gesellschaft.de oder per Post an:

Kurt Tucholsky-Gesellschaft e.V.
Geschäftsstelle
Besselstraße 21/II
32427 Minden

Weitere Informationen erhalten Sie beim Tagungsleiter Dr. Ian King unter king@tucholsky-gesellschaft.de

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Jahrestagung 2019 Kurt Tucholsky Preis für literarische Publizistik Tagungen

[Ausschreibung] Kurt Tucholsky-Preis für literarische Publizistik

Der Preis

Der in der Mitgliederversammlung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft in Gripsholm 1994 beschlossene Kurt Tucholsky-Preis für literarische Publizistik, wird von der Kurt Tucholsky-Gesellschaft, mit Sitz in Berlin, verliehen und getragen. Der Preis wird im Zweijahresabstand verliehen.
Die Ehrung erfolgt für politisch engagierte und sprachlich prägnante Werke der literarischen Publizistik, die sich im Sinne des Namensgebers kreativ und kritisch mit zeitgeschichtlichen Entwicklungen und Vorgängen auseinandersetzen und Realitäten hinter vorgeschobenen Fassaden erhellen sowie für nachhaltige künstlerische Interpretationen von Texten Tucholskys.
Der Kurt Tucholsky-Preis für literarische Publizistik kann für journalistische und literarische Werke verliehen werden, wobei ein besonderer Fokus auf die »kleinen Formen« gelegt werden soll.
Die Begutachtung soll sich auf bisher unveröffentlichte oder innerhalb der letzten fünf Jahre veröffentlichte Publikationen beziehen. Möglich ist auch die Auszeichnung eines Lebenswerkes.
Die Preissumme beträgt 5.000 €
Die Jury
Die Jury für die Vergabe des Preises im Jahr 2019 besteht aus:

  • Doris Akrap
  • Zoë Beck
  • Nikola Richter
  • Ulrich Janetzki
  • Dr. Stuart Parkes

Die Jury wählt den oder die Preisträger_in durch Stimmenmehrheit. Sie kann eine Preiszuerkennung aus inhaltlichen oder formalen Gründen ablehnen. Sie kann für nicht ausgezeichnete Vorschläge ehrende Würdigungen aussprechen.
Einreichung von Vorschlägen
Die Ausschreibungsfrist beginnt am 5. November 2018. Die Vorschläge sind bis zum 31. März 2019 an die Geschäftsstelle der KTG zu richten:

Kurt Tucholsky-Gesellschaft e.V.

Besselstraße 21/II

32427 Minden

Tel: 0049-(0)571-8375440

Fax 0049-(0)571-8375449

info@tucholsky-gesellschaft.de

Vorschlagsberechtigt für die Würdigung durch den Preis sind die Mitglieder der KTG, frühere Preisträger_innen, ordentliche Mitglieder geistes- und sozialwissenschaftlicher Fachbereiche von Universitäten und Hochschulen, deutschsprachige Verlage und Bibliotheken sowie verantwortliche Redakteur_innen journalistischer Medien.
Mitglieder der Jury sind nicht vorschlagsberechtigt. Eigenbewerbungen sind nicht zulässig.
Die vorgeschlagenen Arbeiten – in Betracht kommen Manuskripte, Bücher, Artikel, Internetbeiträge und audiovisuelle Beiträge – müssen in fünffacher Ausfertigung eingereicht werden, soweit die Einreichung auf analogen Datenträgern erfolgt. Beizulegen ist ein kurzer Lebenslauf des/der Vorgeschlagenen und eine kurze Begründung des Vorschlages. Die Einreichung kann auch digital erfolgen. In diesem Fall ist auf gängige Formate und Vervielfältigbarkeit zu achten.[1]
Die Arbeiten der Preisbewerber_innen müssen in deutscher Sprache verfasst sein.
Die Entscheidung über den/die Preisträger_in erfolgt bis zum 15. September 2019.
Die Annahme des Preises verpflichtet den/die Preisträger_in zu einem öffentlichen Vortrag im Rahmen der Verleihungsfeierlichkeiten. Die KTG darf den Text des Vortrages honorarfrei veröffentlichen.
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Veröffentlicht am 5. November 2018 durch den Vorstand der Kurt Tucholsky-Gesellschaft.
[1] Da die Beiträge allen Jury-Mitgliedern zugänglich gemacht werden müssen, sind insbesondere seltene Formate oder mit DRM geschützte Beiträge nicht zweckmäßig. In diesen Fällen kann die Jury um Neueinreichung in geeigneter Form bitten. Ist dies nicht erfolgreich, kann die Jury Beiträge ablehnen.
Diese Ausschreibung herunterladen [pdf, 0,2 MB].

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Rundbrief August 2018

Rundbrief August 2018

Liebe Mitglieder und Freunde der Kurt Tucholsky-Gesellschaft,
der neue Rundbrief August 2018 ist erschienen. Sie können ihn (ohne Vereinsinterna) als pdf herunterladen [ca  MB].

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Befreundete Institutionen Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rundbrief August 2018 Rundbriefe

Darmstädter Signal: Kurt Tucholsky postum zum Ehrenmitglied ernannt

Der Arbeitskreis Darmstädter Signal hat Kurt Tucholsky posthum zu seinem Ehrenmitglied ernannt. Die Initiative dazu ging aus von unserem KTG-Mitglied Jürgen Rose, der zugleich auch im Vorstand des Darmstädter Signals sitzt.
Das Darmstädter Signal, gegründet 1983 von kritischen Führungskräften der Bundeswehr, wandte sich gegen die Nachrüstung, unterstützt die Friedensbewegung und fordert die Umsetzung des „Leitbilds vom Staatsbürger in Uniform“ in der Bundeswehr sowie die strikte Bindung des Auftrags der Bundeswehr an Moral und nationales sowie internationales Recht. Bis heute ist das Darmstädter Signal das einzige kritische Sprachrohr von Bundeswehrführungskräften und deren Angehörigen.
Auf der diesjährigen Tagung des DS am 08.04.2018 in Königswinter übergab der Vorsitzende Florian Kling die Ernennungsurkunde an unseren KTG-Vorsitzenden Ian King.
Der „Festakt“ vor 40 Teilnehmern mit Vorträgen von Jürgen Rose und Ian King machte deutlich, dass Kurt Tucholsky beim Darmstädter Signal gut aufgehoben ist.
KT kannte die Reichswehr aus allen Blick- und Erfahrungswinkeln, denn er legte im 1. Weltkrieg eine erstaunliche Karriere hin vom Armierungssoldaten im Stellungskampf an der Ostfront über den Kompanieschreiber an der Fliegerschule in Alt-Autz bis zum Feldpolizeikommissar in Rumänien. Das entspricht immerhin dem Rang eines Hauptmanns.
Direkt nach dem 1. Weltkrieg entwickelte sich Tucholsky insbesondere mit seinen „Militaria-Artikeln“ in der Weltbühne zu einem der fundiertesten Militärkritiker im linksliberalen, demokratischen und republikanischen Spektrum. Später wandelte sich Tucholsky vom Militärkritiker zu einem radikalen Pazifisten und konsequenten Militärgegner, der sich für Kriegsdienstverweigerung aussprach und mit dem Satz „Soldaten sind Mörder“ ein hartes aber treffendes Urteil über den Soldatenberuf fällte.
In seinem Einführungsvortrag verglich Jürgen Rose die Militärkritik Tucholskys mit dem Konzept der „Staatsbürgers in Uniform“ des Wolf Graf von Baudissin, das er im Jahr 1950 Im Auftrag der Bundesregierung zur Umsetzung der „inneren Führung“ in der noch zu gründenden Bundeswehr      ausgearbeitet hat. Die Gemeinsamkeiten sowohl in der Kritik am soldatischen Korpsgeist als auch bei Lösungsvorschlägen für eine Demokratisierung der Streitkräfte bis hin zu einer fast gleichen Wortwahl in manchen Punkten sind verblüffend. Hätte Kurt Tucholsky das gewusst, wäre sein Urteil „Erfolgreich, aber keinerlei Wirkung“ etwas versöhnlicher ausgefallen. Vielleicht sitzt Kurt „Nachher“ auf seiner Wolke und schmunzelt.
Baudissin beantwortet die zentrale Fragestellung der inneren Führung mit dem Konzept der „Entmilitarisierung des soldatischen Selbstverständnisses“. Seine Forderungen beziehen sich auf die innerorganisatorische, die binnengesellschaftliche und internationale Perspektive der soldatischen Berufsausübung. Eine „Zivilisierung des Militärs“ ist nach Baudissin erreicht, wenn Streitkräfte menschrechtskompatibel, demokratiekompatibel und friedenskompatibel sind.
Der elitäre Korpsgeist, der sowohl in der Reichswehr als auch in Wehrmacht herrschte, müsse überwunden werden. Die Demokratie dürfe „nicht am Kasernentor aufhören“. Baudissin knüpfte die Existenzberechtigung des Militärs an eine strikt defensive Ausrichtung der Streitkräfte zur Verteidigung von Demokratie und Freiheitsrechten und konzipierte die Bundeswehr in enger Einbindung in eine noch zu schaffende europäische Sicherheitsarchitektur.
Jürgen Rose verglich nun in seinem Vortrag die Ideen und Vorstellungen Baudissins für eine „demokratische Bundeswehr“ mit der von Kurt Tucholsky geäußerten Kritik und Änderungsvorschlägen für die Reichswehr in der Weimarer Republik ab. Dabei klopfte er die einschlägigen Aussagen Tucholskys mit Bezug auf die innerorganisatorische, die binnengesellschaftliche sowie die internationale Dimension von Streitkräften daraufhin ab, inwieweit sie zur Verbesserung der Menschenrechtskompatibilität, der Demokratiekompatibilität sowie der Friedenskompatibilität der Streitkräfte beitragen können. Jürgen Roses Ergebnisse des Vergleichs sollen hier kurz – aber hoffentlich nicht verkürzt skizziert werden.
Mit Bezug auf die innerorganisatorische Dimension rechnete Tucholsky in der 1919 in der Weltbühne erschienene „Militaria“-Reihe mit den deutschen Offizierskorps ab. Er verweist dabei auf die sadistische Schinderei von Untergebenen, die unumschränkte Macht der Vorgesetzten, deren „nerohafte Neigungen“ sowie die grassierende Korruption und attestierte dem wilhelminischen Offizierskorps den totalen moralischen Bankrott. „Der deutsche Offizier hat in sittlicher Beziehung im Kriege versagt. Der Geist des deutschen Offizierskorps war schlecht.“
Für eine zukünftige Truppe verlangte Tucholsky, dass deren Soldaten das Recht haben müssten als Menschen und nicht als Kerls behandelt zu werden. Für Tucholsky war daher klar, dass die Armeeangehörigen untereinander ungeachtet ihres Dienstgrades allesamt als Kameraden zu gelten hätten „Der Offizier sei ein befehlender Kamerad.“ Die Nähe zu Baudissins Konzept der „inneren Führung“ ist offensichtlich.
Mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Dimension der Streitkräfte forderte Tucholsky kurz nach dem Kapp-Putsch die Auflösung der Reichswehr und deren Umwandlung „in eine zuverlässige Volksmiliz“. Einer solchen Freiwilligenarmee gestand auch der spätere Pazifist Tucholsky noch das Recht für militärische Aktivitäten zu. Schon kurz nach dem 1. Weltkrieg urteilte Tucholsky aber grundsätzlich: „Eine Armee … ist – im besten Fall – ein notwendiges Übel und eine üble Notwendigkeit“
Nach Tucholskys Ansicht dürfe die neue Reichswehr nicht unpolitisch sein. Im Gegenteil sie müsse durch und durch politisch, ja sogar definitiv republikanisch sein. Damit ist Tucholsky in seiner Haltung, so urteilt Jürgen Rose, weitaus radikaler als Wolf Graf von Baudissin, der mehr als 30 Jahre später lediglich eine „Entmilitarisierung des soldatischen Selbstverständnisses“ fordert.
Auch in Bezug auf die internationale Dimension vertraten Tucholsky wie Baudissin eine europäisch-supranationale Sicht, Tucholsky schloss dabei aber bereits Militäreinsätze aus. Während Baudissin, so Jürgen Rose in seinem Vortrag, eine explizit nicht national, sondern „übernational“ strukturierte integrierte europäische Armee zum Zwecke kollektiver Verteidigung forderte, setzte Tucholsky  – als dieser sich bereits in seiner pazifistischen Phase Ende der 20ger Jahre befand – auf eine europäische Friedenspolitik ohne Einsatz des Militärs. „Der europäische Friede steht über den niederen Interessen der Vaterländer. … Wir halten den Krieg der Nationalstaaten für ein Verbrechen, und wir bekämpfen ihn, wo wir können, wann wir können, mit welchen Mitteln wir können. Wir sind Landesverräter. Aber wir verraten einen Staat, den wir verneinen, zugunsten eines Landes, das wir lieben, für den Frieden und für unser wirkliches Vaterland: Europa“ zitiert Jürgen Rose Tucholsky.
Abschließend versuchte Jürgen Rose eine Antwort auf die Frage zu geben, was von den Forderungen, Vorschlägen, Appellen, Mahnungen der beiden Militärkritiker und -reformer heutzutage als verwirklicht gelten darf. Seine Antwort: „Einiges ja, vieles nicht und insgesamt zu wenig.“ Er beklagt insbesondere den dreifachen Sündenfall gegen die Idee einer Friedenarmee nämlich 1999 bei der Beteiligung Deutschlands am Luftkrieg gegen Jugoslawien, erneut 2001 im Zuge der Invasion  in Afghanistan sowie 2003, als die Bundeswehr das völkerrechtliche nicht gedeckte Vorgehen der USA und ihrer Alliierten gegen den Irak unterstützte.
Ein weiteres gravierendes Manko, so Jürgen Rose, betreffe die bis jetzt ungenutzte Chance zur inneren Demokratisierung der Bundeswehr.
Am Ende seiner Analyse stellt Jürgen Rose fest, „dass Tucholsky zwar richtungsweisende und partiell durchaus revolutionäre Ideen und Vorschläge zu einer Militärreform zu liefern vermochte, diesbezüglich indes nie eine konsistente und umfassende Konzeption vorgelegt hat. Tuchos Denkansätze spiegeln sich nach Meinung von Jürgen Rose in der späteren Militärreform Baudissins wider, auch wenn sich in dessen Schriften keine Hinweise hierfür nachweisen lassen – der Name Kurt Tucholskys taucht jedenfalls in Baudissins umfänglichen Schriftensammlungen … nicht auf.“
Nach dem Vergleich von Tucholskys Militärkritik der frühen 20er Jahre mit Baudissins Konzept der „inneren Führung“ durch Jürgen Rose nahm Ian King in seiner „Laudatio“ den Pazifisten Tucholsky in den Blick und ging dabei auch auf den Kontext und Entstehungsgeschichte des bekannten Tucholsky-Zitates „Soldaten sind Mörder!“ sowie dessen Rezeption in den späten 80er und 90er Jahren in der Bundesrepublik ein.
Zuerst bedankte sich Ian King für den Mut des Darmstädter Signals, Kurt Tucholsky zum Ehrenmitglied zu ernennen. Würde dieser doch sehr häufig mit seinem Ausspruch „Soldaten sind Mörder“ identifiziert und als „Beleidiger der Soldatenehre“ verunglimpft, ohne Beachtung des Kontextes des Artikels, aus dem dieses Zitat stammt.
Ian King zitiert einen längeren Auszug aus „Der bewachte Kriegsschauplatz“ in dem das angeführte Zitat die letzte Schlussfolgerung ist. Der Artikel ist Ausfluss der Erfahrungen Tucholskys in seiner Dienstzeit als Militärpolizist unweit der rumänische-serbischen Grenze. Er war dort u.a. für die Aufgabe der Bewachung des Kriegsschauplatzes eingesetzt. Natürlich wusste Tucholsky als Jurist, dass der Begriff „Mörder“ niedrige Beweggründe voraussetzt. Juristisch genauer wäre der Begriff „Totschlag“ gewesen. Doch Ian King gibt mit seinem trockenen schottischen Humor zu bedenken, dass es einem Journalisten auf politische Wirkung ankommt und „Soldaten sind Totschläger“ sich nicht so effektiv angehört hätte. Übrigens wurde der Herausgeber der Weltbühne Carl von Ossietzky, der für den sich bereits in Schweden befindenden Tucholsky juristisch den Kopf hinhalten musste, 1931 in einem aufsehenerregenden Prozess von dem Vorwurf der „Beleidigung der Reichswehr“ wegen „Soldaten sind Mörder“ freigesprochen.
Die juristische Auseinandersetzung mit dem Tucholsky-Zitat in der Bundesrepublik begann im Jahr 1984, als Peter Augst, ein Mitglied der Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges, in einem Streitgespräch mit dem Bundeswehrhauptmann Klaus Peter Witt Soldaten als potenzielle Mörder bezeichnete. Der  Streit, in dem der Minister Stoltenberg als Nebenkläger auftrat und in den sich auch Weizsäcker als Verteidiger der beleidigten Soldatenehre einmischte, endete erst nach drei Jahren mit dem Sieg der Meinungsfreiheit und einem Freispruch von Augst durch das Bundesverfassungsgericht.
Ian King wies dann darauf hin, dass auf dem Höhepunkt der aufgeheizten Diskussion über das „Soldatenurteil“ sich Mitglieder des Darmstädter Signals mit einem Aufruf zur Mäßigung in die Diskussion eingeschaltet hätten. Die freie Meinungsäußerung sei wichtig, der Status von Soldaten als potenzielle Mörder sei angesichts der Strategie der atomaren Abschreckung gegeben, der Staatsbürger in Uniform brauche keinen Ehrenschutz. Für einige Unterzeichner dieser Stellungnahme zog dies empfindliche Disziplinarmaßnahmen – bis hin zur Degradierung – nach sich, die erst viele Jahre später wieder rückgängig gemacht werden mussten. Das alles könne man, so Ian King, in der im Ch. Links-Verlag erschienenen Dokumentation von Michael Hepp und Viktor Otto nachlesen.
Nach diesem Exkurs schildert Ian King die Wandlung Kurt Tucholskys vom Militärkritiker, der auf eine geistige und republikanische Erneuerung der Reichswehr setze, hin zum radikalen Pazifisten, dem Mitgründer des Friedensbunds der Kriegsteilnehmer. Als Tucholskys Mitarbeit an den Massendemonstrationen der Nie-wieder-Krieg-Bewegung nicht zu einem Meinungsumschwung im deutschen Bürgertum führte, habe er 1925 bekümmert geschrieben, Europa befinde sich wie 1900 zwischen zwei Kriegen. Er prophezeite Deutschland würde eine noch schlimmere Niederlage erleiden als 1918. Im Lichte dieser Ahnungen habe Tucholsky jede Hoffnung auf demokratische Reformen der Armee aufgegeben. Darum habe er die These vertreten, dass das einzige Mittel, neue Kriege zu verhindern, darin bestehe, den Militärdienst zu verweigern.  „Dieser Landesverrat kann eine Notwendigkeit sein, um etwas Großes und Wichtiges abzuwehren: den Landfriedensbruch in Europa. Der europäische Friede steht über den niederen Interessen der Vaterländer.“
Für Ian King steht die Idee, die Bundeswehr sei eine Friedensarmee, im krassen Gegensatz zu ihrem Einsatz am Hindukusch. Er stellt die rhetorische Frage, ob solche Einsätze den Frieden auf den Straßen von London, Berlin, Madrid oder Paris garantiert hätten. Nach Ansicht von Ian King hätte Tucholsky den Bundeswehrsoldaten geraten, niemals Mörder zu werden, sondern höchstens als eine Art Feuerwehr gegen einen Großbrand zu dienen, der hoffentlich nie ausbricht. Das sei Tucholskys Vermächtnis und darum passe der Friedenssoldat Tucholsky in die Reihen der kritischen Soldaten vom Darmstädter Signal.

Robert Färber

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Rundbrief August 2018

Krieg dem Kriege

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft Sektion Ruhrgebiet bot an zwei Abenden (am 15. März in Herne und am 16. März 2018 in Duisburg) zusammen mit der Volkshochschule Herne, der Erich-Fried-Gesamtschule Herne und der Bürgerstiftung Duisburg ein Tucholsky-Programm der besonderen Art. Nach „Tucholsky als Humorist“ (2016) und „Tucholsky und andere Geflüchtete“ (2017) war es die dritte Veranstaltung der Veranstaltergemeinschaft. Sie stand unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ und war Thema der 39. Duisburger Akzente.
„Wir fangen erst an, wenn mehr Zuhörer als Mitwirkende anwesend sind.“ vertröstete der Moderator die erst wenigen Gäste. Die Mitwirkenden dieser Abende waren 31 Schülerinnen und Schüler des vokalpraktischen Kurses der Erich-Fried-Gesamtschule in Herne unter der Leitung von Katrin Block. Die Sorge des Moderators war unbegründet: Sowohl in Herne als auch in Duisburg kamen jeweils 70-80 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer. Sie erlebten ein Ensemble von jungen Leuten, das das schwierige Thema „Krieg dem Kriege“ souverän interpretierte. Mit einigen Tucholsky-Gedichten – zum Beispiel „der Graben“, „Rote Melodie“, „Krieg dem Kriege“ – boten sie ein schauspielerisch und gesanglich außergewöhnliches Programm. Einige Gäste kämpften mit ihren Tränen, alle waren berührt. Das Programm endete mit Tucholskys „Lied vom Kompromiss“.
Die Bürgerstiftung Duisburg berichtete anschließend über ihre Erfahrungen mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen, die aus Kriegsgebieten geflohen waren. Zwei 14-jährige Jugendliche übermittelten eine Audiobotschaft mit eindringlichen, mahnenden Gedichten.
Mit der damals wie heute umstrittenen Aussage Tucholskys „Soldaten sind Mörder“ ging Dr. Ian King Tucholskys Karriere durch, als Journalist, Satiriker, Soldat, Militärpolizist und Friedenskämpfer, der die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich anstrebte. Die von antidemokratischem Geist verdorbene Reichswehr schien Tucholsky eher Kriegs- als Friedensgarant. Also trat er für die Dienstverweigerung als einziges Mittel ein, um einen noch blutigeren Konflikt zu verhindern. Damals setzten sich seine Nazi-Gegner durch, die Menschheit zahlte die Zeche. Lehre: Nie wieder Krieg!

Klaus Becker

Das Programm für 2019 wird vorbereitet. Foto: Klaus Becker

Das Programm für 2019 wird vorbereitet. Foto: Klaus Becker

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Presseschau Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rundbrief August 2018 Rundbriefe Tucholsky im Spiegel

Tucholsky im Spiegel [August 2018]

Das Badische Tageblatt weist in der Ausgabe vom 28. Februar 2018 seine Leserschaft auf eine Veranstaltung am 9. März 2018 im Rastatter Kellertheater mit dem 80jährigen Schauspieler Klaus Winterhoff aus eben dieser Stadt hin, der Gedichte und Prosatexte von Kurt Tucholsky präsentiert. Die Zeitung belässt es aber nicht nur bei diesem Hinweis, sondern gibt im weiteren Text das Leben von Kurt Tucholsky wieder.
Unter anderem heißt es:

Seine polemische Feder mit Hohn, Spott und Boshaftigkeit zeigt den Mut und die Hartnäckigkeit eines engagierten Moralisten. Daneben gibt es aber auch den humorigen Feuilletonisten, den Autor heiterer Plaudereien, den Bänkelsänger Kurt Tucholsky.

In der Ausgabe vom 12. März 2018 berichtet die Zeitung dann ausführlich über die Veranstaltung. Nur ein Auszug:

Eine Stecknadel hätte man oft fallen hören, so gefesselt von den ausdrucksstark und mit großer sprachlicher Klarheit vorgetragenen Texten waren die Zuschauer. Neben vielen guten Gründen zu applaudieren gab es für sie auch viel zum Lachen, zum Beispiel bei dem Gedicht „Einigkeit und Recht und Freiheit“, dass nach Ansicht des Verfassers viele falsch verstehen und für das er daher den Refrain geschrieben hat: „Doof ist doof, da helfen keine Pillen!“

In dem Programmblatt zu dieser Veranstaltung, welches die Titel der 42 (!!) vorgetragenen Tucholskytexte enthält, ist noch ein Originalleserbrief von 1964 abgedruckt, der unserer Mitgliedschaft als historisches Zeitzeugnis nicht vorenthalten werden soll:

Brief von Prof. Dr. Adalbert Hermann* aus Kaiserslautern, vormals NSDAP, danach bis 1966 CDU-Abgeordneter, danach NPD-Abgeordneter an die Buchhandlung Schmidt:
Kaiserslautern, den 31. März 1964
Sehr geehrter Inhaber der Buchhandlung Schmidt!
Sie halten es für richtig an bevorzugter Stelle in Ihrer Auslage das Machwerk des Kurt Tucholsky „Deutschland, Deutschland über alles“ auszustellen und zu propagieren.
Ich nehme an, daß Sie wissen wer Tucholsky war. Er war Mitarbeiter der probolschewistischen „Weltbühne“ und fanatischer Anhänger eines sowjetischen Deutschland. Wenn Leute wie Tucholsky gesiegt hätten, dann hätten wir heute Zustände der Stacheldrahtzone des Ulbricht.
Ich habe, da ich in Kaiserslautern beschäftigt bin, im letzten Jahr verschiedentlich Bücher bei Ihnen gekauft. Ich werde das natürlich nicht mehr tun.
Kommen Sie mir bitte nicht mit Geistesfreiheit, Besudelung des eigenen Volkes und Nestbeschmutzung ist k e i n e Geistesfreiheit!
Unterschrift
*Name aus rechtlichen Gründen geändert

Die Zeit widmet in ihrer Ausgabe vom 15. März 2018 der Weltbühne anlässlich ihres ersten Erscheinens am 4. April 1918 eine ganze Seite (S. 21) unter dem fettgedruckten Originalschriftzug „Die Weltbühne. Republikaner ohne Republik“ und dem Untertitel „Weimars legendäre Wochenschrift wird hundert: Die „Weltbühne“ deckte auf, eckte an und wagte mehr Demokratie als vielen recht war. Bis heute scheiden sich an ihr die Geister.“
Der Autor, Alexander Gallus, lehrt Ideen- und Zeitgeschichte an der Technischen Universität Chemnitz und veröffentlichte 2012 im Wallstein Verlag sein Buch „Heimat Weltbühne“.
Es muss nicht betont werden, dass selbstverständlich Tucholsky mehrfach erwähnt und zitiert wird. Die Seite endet mit drei Fotos von Tucholsky, Ossietzky und Jacobsohn, jeweils versehen mit einer kurzen Charakterisierung, und einem Originaltitelblatt der Weltbühne.
Zu dem bekannten Foto „Tucholsky mit Pfeife und weißem Oberhemd“ heißt es:

Kurt Tucholsky (1890-1935) schreibt von 1913 an für die „Weltbühne“. Mit seinen scharfen Satiren wird er rasch zu ihrem bekanntesten Autor.“

Der Artikel endet wie folgt:

„Jungen Schriftstellern von heute“ wünschte Axel Eggebrecht noch Ende der siebziger Jahre eine vergleichbare „geistige Heimat“, doch schwant ihm, dass es eine solche Heimat nicht mehr gibt. So viel Wehmut hier anklingt: die Weimarer Weltbühne bleibt 100 Jahre nach ihrer Gründung mehr als ein Sehnsuchtsort. Denn nicht nur gibt es seit 1997 in Kleinstauflagen zwei Nachfolger, die ihren Geist wiederzubeleben versuchen – die linken Zweiwochenschriften Ossietzky und Das Blättchen.
Die Weltbühne hat auch an Kraft und Ausstrahlung nicht verloren. Bis heute müssen sich die kritische Intervention, die investigative Reportage und der ironische Spott an ihr messen lassen.

Anne Fromm befasst sich in der taz vom 23. April 2018 auf Seite 17 mit Oliver Welke und seiner freitagabends im ZDF ausgestrahlten „heute Show“ und beginnt wie folgt:

„Satire, heißt es ja immer mit Verweis auf Kurt Tucholsky, dürfe alles. „Die echte Satire ist blutreinigend“, schrieb Tucholsky 1919. „und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.“ Das scheint für ZDF-Zuschauer allerdings nur so lange zu gelten, wie sich die Satire vom Heiligsten, nämlich dem Christentum fernhält.

Anlass für ihren Kommentar war die Tatsache, dass in der „heute Show“ ein gekreuzigter Osterhase, aufgehängt an seinen langen Plüschohren, gezeigt worden war. Damit sollte die vermeintliche Affäre um Schokoladenhasen, die bei Karstadt als „Traditionshasen“ gekennzeichnet waren, persifliert werden.
Diesen Beitrag hatten die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach, gerade zur Vorsitzenden einer neugegründeten AFD-nahen Stiftung gekürt, und einige AfD-Mitglieder in der Form skandalisiert, dass sie in dem Titel „Traditionshase“, eine Bezeichnung, die das Unternehmen Lindt seit jeher verwendet, als Unterwerfung unter den Islam bezeichneten.
Wie die Staatsanwaltschaft vier Strafanzeigen gegen die „heute Show“ wegen unzulässiger Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen beschieden hat, ist leider nicht bekannt.**

Bernd Brüntrup, mit Dank an Gerhard Stöcklin.

Wie immer können alle vollständigen Texte bei der Geschäftsstelle abgerufen werden

**Nachtrag: Die Staatsanwaltschaft Mainz hat zwischenzeitlich entschieden, kein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wie u.a. der Tagesspiegel berichtet.

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Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rundbrief April 2018 Rundbriefe

Rundbrief April 2018

Liebe Mitglieder und Freunde der Kurt Tucholsky-Gesellschaft,
der neue Rundbrief April 2018 ist erschienen. Sie können ihn (ohne Vereinsinterna) als als pdf herunterladen [ca 1 MB].
Ausgewählte Beiträge sind zudem direkt als Einträge im Blog zu lesen:
[Presseschau] Tucholsky im Spiegel
[Bericht] Ende eines Provisoriums
[Pressemitteilung] KTG beruft neue Jury für den Kurt Tucholsky-Preis
[FreeDeniz] Zur Freilassung von Deniz Yücel
[Rezension] Rüdiger Wolff vertont Tucholsky-Texte
[Bericht] Wir sind ja nicht zum Spaß hier
[Bericht] Auf die Freiheit

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Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rundbrief April 2018 Rundbriefe

Auf die Freiheit

Im Festsaal Kreuzberg war Deniz Yücel am 24. März zum ersten Mal nach seiner Freilassung in Deutschland zu erleben. „Auf die Freiheit“ war eine überaus zahl­reich besuchte Veranstaltung, die auch etliche Presseberichte nach sich zog. Eingeladen hatten der „Freundeskreis #FreeDeniz“ und „Reporter ohne Gren­zen“.

Für die Kurt Tucholsky-Gesellschaft hat Christiane Ille an den Freundeskreis die ersten Erlöse aus dem Verkauf der Solidaritäts­broschüre „Bester Preisträger wo gibt“ (die weiterhin in der Ge­schäftsstelle zum Preis von 10 € er­hältlich ist) übergeben. Immerhin 700 € durfte Ivo Bozic stellvertre­tend entgegen nehmen.

Außerdem hat sie die Ehrengast-Einladung an den Tucholsky-Preisträger von 2011 für die nächste Tagung wiederholt.

Die Veranstaltung selbst wurde vom WDR übertragen und kann noch bis zum 24.3.2019 nachgeschaut werden.

Steffen Ille (der seine Teilnahme erkrankt absagen musste )

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Wir sind ja nicht zum Spaß hier

Deniz Yücel: Wir sind ja nicht zum Spaß hierAm 14. Februar 2018, genau ein Jahr nach der Verhaftung und kurz vor der un­erwarteten Freilassung Deniz Yücels feierte in Berlin der Freundeskreis das Er­scheinen eines neuen Buches, verbunden mit einem eindrucksvollen Autokorso für Deniz durch mehrerer Berliner Bezirke. Es folgte ein Lese-abend aus Yücels neuestem Buch unter Mitwirkung namhafter Persönlichkeiten u.a. Herbert Grö­nemeyer, Hanna Schygulla, Anne Will, Mark Waschke, Gustav Seibt, Aynur Doğan, Igor Levit, Thees Uhlmann unter der Veranstaltungsleitung von Doris Akrap (taz-Berlin). Sie war es, die in Absprache mit Deniz Yücel, 45 Zeitungsveröffentlichungen des Autors zusam-mengestellt und noch einmal veröffentlicht hat. Das Buch gliedert sich nach fünf inhaltlich zusammen-hängenden Themenbereichen, als da wären:

Scheißefinden und Besserwissen – Texte über Journa­lismus; Mathe für Ausländer – Texte über Deutsche und Ausländer; Biokoks und Vokalmangel – Über Dieses und Jenes; Ein irres Land – Über die Türkei; Korrespondent müsste man jetzt sein – Texte aus der Haft. In seinen Beiträgen bietet Deniz Yücel die Spannbreite eines objektiven bis ironisch –satirischen Journalismus für den er zu Recht im Jahre 2011 Preisträger der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft wurde. Eine Spannbreite, die auch der Na­mensgeber des Preises im Laufe seines viel zu kur­zen Lebens zeigte. Beispielge­bend sei auf zwei Artikel in Yücels Buch verwiesen, die aber keineswegs den Kauf des Bandes ersetzen können.

In seinem Beitrag „Super, Deutschland schafft sich ab“, in Anlehnung an einen ehemaligen Finanzsenator in Berlin, der bereits während seiner Senatorenzeit in einen Nationalismus übelster Sorte abgedriftet ist, macht sich Deniz Yücel

lustig über die Zukunft der Deutschen. Zitat: „Endlich! Super! Wunderbar! Was im vergangenen Jahr noch als Gerücht die Runde machte, ist nun wissenschaft­lich (so mit Zahlen und Daten) erwiesen: Deutschland schafft sich ab! Nur noch 16,5 Prozent der 81 Millionen Deutschen, so hat das Statistische Bundesamt er­mittelt, sind unter 18 Jahre alt, nirgends in Europa ist der Anteil der Minderjäh­rigen so niedrig. … Besonders erfreulich: Die Einwanderer, die jahrelang die Ge­burtenziffern künstlich hochgehalten haben, verweigern sich nicht länger der Integration und leisten ihren (allerdings noch steigerungs-fähigen) Beitrag zum Deutschensterben. Noch erfreulicher: Die Ossis schaffen sich als erste ab…“ (er­schienen am 4. 8.2011 in der taz)

An dieser Stelle bricht der Autor dieses Beitrages aus Rücksicht auf die ostdeut­schen Mitglieder der Gesellschaft lieber ab.

Wesentlich ernster ist Deniz Yücel in seinem Beitrag „Der Putschist“, indem er die Ereignisse und Zweifel der türkischen oppositionellen Bevölkerung an den wahren Urhebern des „Putsches“ von 2016 darstellt. War es wirklich das Militär unter Führung der „Gülenbewegung“, dann stellt sich die Frage, wieso ein gut ausgebildetes und mit westlicher Hilfe hervorragend ausgebildetes Heer nicht wissen sollte, dass Erdogan zu diesem Zeitpunkt in einem kaum bewachten Ho­tel Urlaub machte, und statt dessen das türkische Parlament bombardierte. Wieso verfügte Erdogan, der den „Putsch“ als „Geschenk Gottes“ bezeichnete, über eine Liste mit tausenden angeblicher beteiligter „Putschisten, die in den darauf folgenden Tagen verhaftet wurden?

Deniz Yücel erzählt in seinem Beitrag, der erstmals am 6.11.2016 in der „Welt am Sonntag“ erschien, sachkundig über die Ursachen der türkischen Rückent­wicklung unter Erdogan hin zu einem totalitären, kriegstreibenden Staat, wie er in den Anfangsjahren der „modernen“ Türkei unter seinem Staatsgründer Ke­mal Atatürk und seinen Nachfolgern bis hin in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bestanden hatte.

Der Abend für Deniz Yücel am 14.Februar 2018 endete ab 22 Uhr mit einer

Tanzparty, der ich mich aber erschöpfungshalber entzogen habe.

H. Jürgen Rausch

Deniz Yücel: Wir sind ja nicht zum Spaß hier. Reportagen, Satiren und andere Gebrauchstexte. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Doris Akrap. Hamburg 2018, Edition Nautilus, 224 S., 16 Euro, ISBN 978-3-96054-073-1
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