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Kurt Tucholsky Preis für literarische Publizistik

Laudatio für Erich Kuby zur Verleihung des Kurt-Tucholsky-Preises

Laudatio für Erich Kubys Tucholsky-Preis
Der Tucholsky-Preis an Erich Kuby? Lieber so spät als nie, dachte ich, als mich die Nachricht von dieser spontanen Jury-Entscheidung erreichte. Kuby gehört nicht zu jenen, die man in Deutschland mit Auszeichnungen bedenkt, und als die Stadt München ihm 1992 schließlich doch ihren Publizistikpreis zuerkannte, kommentierte der immerhin 82-Jährige: »Da hat man die Katze grad noch beim Schwanz erwischt«.
Nun also dieser Tucholsky-Preis, den er nicht mehr entgegennehmen kann, was uns heute um das Vergnügen bringt, seine Dankesrede zu hören; Kuby war nämlich ein begnadeter Redner.
Nicht nur das Redetalent verband ihn mit Tucholsky, wie jener war er ein schier unermüdlicher Journalist, der unter vielen Pseudonymen (zum Beispiel Alexander Parlach, Georg Neufforge, Wendulin) um der »Wahrheit« willen schrieb, der sagen wollte »wie es ist«. Er las Tucholsky noch in den Weimarer Jahren aus bayrischer Ferne und begann zu schreiben, als jener Anfang der dreißiger Jahre schon ein »aufgehörter Schriftsteller« und ein »aufgehörter Deutscher« war: erst nach dem Kriege aber publizierte er bisher ungezählte Aufsätze, Feuilletons, Reportagen, Glossen, Kommentare, Leitartikel, Kritiken, neben Features, Hörspielen, Drehbüchern und schließlich über dreißig Bücher. Die Anthologie Mein ärgerliches Vaterland (1989) vermittelt eine Ahnung von der Vielfalt seiner Schreibanlässe und Themen.
Wie Tucholsky »hasste« er im besonderen: das Militär, die Vereinsmeierei, Lärm und Geräusch und das nationalistische »D/Teutschland«.
Wenn er auch nicht im existentiellen Sinne unter Deutschland gelitten hat wie Tucholsky bis hin zum Tode, so war es doch aber das eigentliche Thema all seines Schreibens, er stritt und schrieb für ein anderes Deutschland, das nach 1945 einen anderen, einen »unteren« Weg hätte einschlagen können, der nicht schnurstracks in die Nato und den Kalten Krieg hätte führen müssen. Auch seine Studien und Bücher zu den italienisch-deutschen und polnisch-deutschen Beziehungen wollten die Deutschen »aufklären«.
Kuby hat sich sein Leben lang mit nichts anderem als mit diesem Land beschäftigt.
Da war er nicht allein, natürlich gab es in einem kleinen Land wie dem unseren noch andere, die aufklären wollten; es lassen sich allerlei Verbindungen ziehen: zum Beispiel zu Friedrich Sieburg, auch einer, der unter Deutschland gelitten und immer wieder darüber geschrieben hat. Er kam von der Weltbühne und war viele Jahre Korrespondent der Frankfurter Zeitung in Paris und Autor des berühmten Buches Gott in Frankreich?; er war in den zwanziger und den ersten dreißiger Jahren mit Tucholsky befreundet – es gibt da allerlei anrührende Familien-Ausflugsphotos und Briefe. Tucholsky und andere Emigranten taten sich nach 1933 mit einem wie Sieburg, der deutscher Korrespondent blieb, natürlich schwer. Aber Sieburg hatte es auch mit Deutschland schwer: Bald nach Hitlers Regierungsübernahme schrieb in der Frankfurter Zeitung, das ging damals noch, nun komme er in eine schwierige Situation, weil er sein Land draußen gegen vieles in Schutz nehmen müsse, was er im Grunde nicht verteidigen wolle. Das hat seiner Beziehung zu den Emigranten am Ende natürlich nicht geholfen, weil er sich, ein Nationaler, von seinem Lande trotz Hitler nicht trennen mochte. Vor 1933 hatte er Hitlers Regierungsübernahme als Kostgänger Schleichers zu verhindern gesucht – und ist dann später, zur Zeit der deutschen Besatzung als Botschaftsrat in Paris doch noch ausgerutscht. Ich spreche von ihm nicht nur, weil sein Leben, seine unentschiedene Entscheidung besonders exemplarisch waren, sondern weil er es auch mit Tucholsky zu tun hatte – und er später meine Mutter heiratete, mein letzter Stiefvater war.
Ich erwähne diese seltsame Querverbindung in einem unglücklichen, kranken Land – und das ist es bis heute geblieben -, weil ich dem Erich Kuby schon begegnete, als Sieburg noch lebte – der starb 1964 -, aber ich wollte Ihnen nicht verschweigen, mit welch Seltsamem wir uns kannten, allmählich miteinander befreundet waren und uns immer wieder sahen, in Hamburg, in München, in Venedig, und auch mit Susanna und Daniel zu einem Weihnachten bei uns in Cortona.
Natürlich hatte ich Kuby schon viele Jahre gelesen, aber 1962 kam er zum Stern, dessen – freier – Redaktionsanwalt ich damals und bis zu den trostlosen Hitler-Tagebüchern 1983 war, über die und deren Hintergründe keiner so gnadenlos und richtig wie Kuby geschrieben hat. Ich habe damals meinen Beratungsvertrag gekündigt.
1962 war das Jahr der Spiegel-Affäre, als Augstein und Ahlers wegen angeblichen Landesverrats verhaftet und eingesperrt und die Redaktion – damals noch wie Zeit und Stern – im Pressehaus in Hamburg – durchsucht und auf den Kopf gestellt wurden. Man erinnere sich bitte des Aufschreis, der damals nicht gerade durchs ganze Land, aber doch durch die Medien und die Politik ging. Man erinnere sich des – allerdings vergleichsweise geringeren – Aufsehens, das 1970 bis 1976 unser Münchener Prozess der CSU gegen den Stern machte, als es um die CSU-Spielbanken-Affäre ging – wir hatten Körbe voller Zeitungsmeldungen und Kommentare – und als es später, in den achtziger Jahren in München vor Gericht darum ging, dass der Stern behauptet hatte, der bayerische Minister Gerold Tandler habe sich mit einem gefälschten Dokument ein Grundstück aus einem Nachlass herausgeholt, hat schon kaum noch einer zugehört, geschweige denn wie früher darüber geschrieben, aber – ungedruckt – gesagt, so sei das eben in unserem Lande. Die wahrhaft letzte Aufregung war die Neue-Heimat-Affäre – und auch das ist schon viele, viele Jahre her.
Wenn Innenminister Schily heuer veranlasst, die Cicero-Redaktion zu durchsuchen, hören in diesem Lande allmählich wieder ein paar mehr Leute hin, da wird ein wenig berichtet, wie sich’s heuer gehört – aber regen sich etwa wirklich viel im Lande darüber auf, geht einer auf die Straße, um zu demonstrieren oder gar eine Fensterscheibe einzuschlagen, weil unsere Freiheit vernichtet und jeder eingeschüchtert werden soll? Wie abgestumpft und ängstlich sind nun sogar schon die Journalisten dieses Landes? Was muss passieren, damit sich noch einer aufregt wie Kurt Tucholsky oder Erich Kuby, der 1963 zur Spiegel-Affäre schrieb: »Das Volk ist in keiner Weise aufgestanden, da mache man sich nichts vor«? Sieburg schrieb gleich 1962 einen FAZ-Leitartikel, in dem es hieß: »Der Zauber ist gebrochen, oh, nicht für immer; die selbstzufriedene Stimmung in der Bundesrepublik wird sich schon wieder einstellen.« So recht hatten sie wohl beide nicht haben mögen.
Gibt es solche archaischen Typen überhaupt noch? Und hört noch einer zu? Damit sich etwas ändert? Damit nicht alles in den Graben geht? Wer will noch schreien und gehört werden, damit wenigstens das meiste so bleibt, wie es ist, damit’s nicht noch schlimmer wird? Mehr kann der Journalismus ohnehin kaum je ausrichten. Wenig genug ist es allemal. Mit gutem Grund hatte Kuby 1957 seinem Buch Das ist des Deutschen Vaterland diesen Wortwechsel von Bert Brecht vorausgeschickt:
»Sagredo: Galilei, du sollst Dich beruhigen!
Galilei: Sagredo, du sollst Dich aufregen.«
Friedrich Sieburg besprach das Kuby-Buch in der FAZ voller Achtung, war aber damals, eben 1957, von der Wirkung des »Donnerkeils« der Kubyschen »massiven Polemik« nicht überzeugt: »Die bundesdeutsche Gegenwart ist an polemischen Unternehmungen nicht reich, einmal, weil unserer Publizistik das Talent dazu abgeht, zum anderen aber, weil die totale Wirkungslosigkeit von vornherein feststeht. Der Polemiker mag schreiben, was er will, niemand, der an der Macht beteiligt ist, wird auf ihn hören, es sei denn, dass ›Unannehmlichkeiten‹ zu befürchten seien.« Aber das war der Blick aus den verschlafenen fünfziger Jahren. Mit der Spiegel-Affäre 1962 hat sich dann schon einiges verändert – Strauß musste damals zurücktreten – sonst wäre er am Ende Bundeskanzler geworden -, später, 1978 auch Filbinger – sonst wäre der wohl Bundespräsident geworden!
Man soll ja vor allem als einer der Alten nie sagen, früher sei alles besser gewesen. Aber eines war wirklich besser: es gab in den sechziger und siebziger Jahren keine oder kaum Arbeitslose – und das machte die Menschen freier, offener, sie hatten weniger Angst und wagten mehr – und in so einem Kreis fühlte sich einer wie Erich Kuby naturgemäß wohler. Kommt man heute in Redaktionen, herrscht Angst; Angepasstheit und Mittelmaß sind erschreckend. Fast alle fürchten, ihren Job zu verlieren, weil es hunderte gibt, die ihn gern hätten und bereit sind, ohne zu maulen oder gar aufzubegehren zu arbeiten – so wie es von oben gewünscht wird.
Sieburg ernannte Kuby in einer Rezension zum »Bundesnonkonformisten« – und das ist er auch geblieben. Kuby hatte wahrlich bessere journalistische Zeiten als wir sie heute vorfinden – und er hatte bessere Nerven, er nahm sich Freiheit, die freilich auch etwas mit seiner privilegierten Herkunft und seinem eigenwilligen, unbürgerlichen Leben zu tun hatten, über das man in seinem Buch Lauter Patrioten – Eine deutsche Familiengeschichte 1800-2000 viel erfährt. Wer sich traut, über seine Familie zu schreiben, der gibt sich Blößen, die, auch wenn er sie zu verbergen sucht, mehr über ihn aussagen, als ihm lieb ist. Bei Erich Kuby war das schon immer anders: Er hat sich getraut und nie gescheut, etwas von sich preiszugeben; er ist dem Leser als »Kassandra vom Dienst« mit bedingungsloser Opposition auf den Leib gerückt, indem er direkt und – wie Tucholsky – unideologisch alles aussprach, was Leser weder hören noch gar zugeben mochten. Das dokumentiert sich besonders deutlich in seinem Buch Mein Krieg aus dem Jahre 1975, das in Tagebuchaufzeichnungen schildert, wie er den Zweiten Weltkrieg erlebt hatte, als ewiger Gefreiter, ab September 1944 als Kriegsgefangener, immer begleitet von seiner Schreibmaschine, auf der er jeden Tag und in jeder Situation schrieb.
Kuby kam aus einer bürgerlichen Familie, in der Intellektuelle allerdings nicht vorkamen, wohl aber Metzger, Reeder, Bankiers, Weinhändler, Beamte, Richter und Ärzte. Kubys Vater hatte sich 1901 ein Gut in Westpreußen gekauft, nach einem Jahr aber schon alles verwirtschaftet. Er zog nach München zurück und wollte seine Stimme ausbilden lassen. Dort traf er Dora Süßkind, eine Opernsängerin. 1910 kam Sohn Erich zur Welt. Ab 1913 lebte die Familie im bayerischen Voralpenland, wo sein Vater ein Gut übernahm. Im Jahr darauf zog er mit all den patriotischen Bürgern, die sich nicht vorstellen konnten, dass »da oben« etwas nicht stimmte, in den Krieg. Als er zurückkehrte glaubte er an den »Dolchstoß« und nahm Erich 1923 zu dem im Weilheimer Bezirksamt festgesetzten Hitler mit, sprach mit seinem darob verstörten Sohn indessen nie darüber. Der bekam bei einem jüdischen Gymnasiallehrer indes anderen, wirksamen Unterricht: »Sie machen Hitler zu groß, sagte Lamm (der Lehrer). Solche Hitlers haben auch andere Völker, aber sie bleiben Randfiguren. Hier nicht. Er erzieht nicht das Volk, das Volk hat ihn erfunden. Haben Sie mir nicht gesagt, Ihr Vater habe noch im Sommer 1918 den Krieg nicht für verloren gehalten? Verrückt? Keine Spur, ein ganz normaler Deutscher.« Das konnte Erich Kuby nicht vergessen.
Er studierte Volkswirtschaft, wurde Werfthilfsarbeiter bei Blohm & Voss in Hamburg und schrieb seine ersten Texte über die Arbeitswelt, die er dort erlebte. 1933 forderte ihn seine jüdische Freundin auf, mit ihr das Land zu verlassen. Das tat er zwar, per Fahrrad, kehrte aber schon nach wenigen Monaten zurück: »Ich wollte nicht nur aus der Ferne an der Entwicklung teilnehmen, ich wollte dem Selbstfindungsprozess meines Volkes, der ein Fäulnisprozess gewesen ist, nahe sein, ihn riechen und schmecken.« 1938 heiratete er die Tochter des Berliner Nationalökonomen Hermann Schumacher, des Gegenspielers von Werner Sombart, nachdem er 1936 in Berlin begonnen hatte, für den Scherl-Verlag zu arbeiten. Die Schwester seiner Frau war mit dem Physiker Werner Heisenberg verheiratet. Kuby war überzeugt, die Einberufung zur Wehrmacht sei für ihn selber gerade im rechten Moment gekommen – er wollte sich die Hände nicht schmutzig machen, und im zivilen Leben hätte er sich nicht länger tarnen können.
Nach der Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft arbeitete er zunächst als Berater der »Information Control Division« in München, zuständig für die Lizenzvergabe. 1947 wurde er Chefredakteur der legendären Zeitschrift Der Ruf, nachdem die US-Militärregierung die ersten Herausgeber Alfred Andersch und Hans Werner Richter abgesetzt hatte. Aber Kuby teilte bald das Schicksal seiner Vorgänger: Schon nach einem Jahr wurde er gefeuert, weil er Texte und vor allem einen Leserbrief veröffentlicht hatte, die den Lizenzträgern gar nicht gefielen, so dass sie, wie Kuby schreibt, »mit der Absicht umgingen, jemand für den Ruf zu finden, der ihrer stinkbürgerlichen Gesinnung eher entsprach«. So kam Erich Kuby zur Süddeutschen Zeitung, wo er unablässig und erbittert gegen die Wiederbewaffnung und die Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen wetterte.
Wirklich richtig berühmt wurde Kuby 1958 durch seine Idee und das Drehbuch für den Film Rosemarie, des deutschen Wunders liebstes Kind, den Rolf Thiele mit Nadja Tiller drehte. Der daraus entstandene Roman wurde in siebzehn Sprachen übersetzt – damit wurde Kuby der Émile Zola der deutschen Wirtschaftswunderjahre, denn er schilderte die Bundesrepublik der Mittfünfziger Jahre so gnadenlos, dass einem der Geschmack an CDU, Wirtschaftswunder und dem »Wir sind wieder wer« vollends verging – und man sich fragte: Waren wir je »wer« oder haben wir in den beiden Weltkriegen nur unsere nicht enden wollenden Minderwertigkeitskomplexe überkompensiert, weil wir es in bald dreihundert Jahren zu nichts mehr gebracht hatten? Das merke ich jetzt besonders eindrucksvoll, seit ich in London lebe und täglich spüre, wie viel angenehmer und beruhigender es ist, dreihundert Jahre die Welt regiert zu haben als in einem Jahrhundert zwei Weltkriege anzufangen – und verloren zu haben.
In jenem Jahr, 1958, landete Kuby, dessen journalistische Unabhängigkeit sich durch die Jahrzehnte erweisen sollte, für eine Weile bei der Welt, verließ sie aber bald wieder, nachdem sich das Blatt, ja der ganze Verlag nach Axel Springers und Hans Zehrers Moskau-Reise in eine Kampftruppe des Kalten Krieges verwandelt hatten. 1962, ich erwähnte es schon, kam Kuby zum Stern, wo er aber auch seine Probleme hatte: Als Chefredakteur Henri Nannen 1964 Franz Josef Strauß eine vierzehntägige Kolumne angeboten hatte, schmiss Kuby alles hin und ging zum Spiegel, kam aber nach anderthalb Jahren wieder zum Stern zurück.
Und er schrieb ein Buch nach dem anderen, vor allem eines, das auch sein privates Leben veränderte: Für den Stern recherchierte er Ende der siebziger Jahre, wie die Deutschen nach dem Badoglio-Putsch 1943 in Italien gehaust hatten. Da er kein Italienisch sprach und der wissenschaftlichen Assistenz bedurfte, suchte und fand er die Mitarbeit einer jungen, in Italien lebenden Germanistin, Susanna Böhme. Der Stern druckte die Italien-Geschichte nicht. Kuby schied endgültig aus der Redaktion aus und war mit 70 Jahren wieder ein freier Mann, dessen »Schreibmaschine überall stehen konnte«, wie er es ausdrückte. Geblieben sind ihm aus dieser umfangreichen Arbeit das sehr erfolgreiche und für die Deutschen gar nicht angenehme Buch Verrat auf deutsch – wie das Dritte Reich Italien ruinierte, und Susanna, die dann seine zweite Frau wurde und mit der er 1982 noch einen Sohn, Daniel, hatte, sein sechstes Kind. Bücher halten ja sehr lange, aber entgegen der Erwartung mancher hielt auch diese Ehe – bis zu seinem Tod.
Kuby lebte mit Frau und Sohn in Venedig, in einer Ecke, die von Touristen nicht überschwemmt wird – und dort schrieb er bis in die neunziger Jahre hinein Bücher, fast jedes Jahr eins, die längst nicht alle so wahrgenommen worden sind, wie sie es verdient hätten, ich denke nur an seine Warnungen in Bezug auf den Preis der Einheit (1990) oder Deutsche Perspektiven (1992). Seit 1993 schrieb er dann noch 10 Jahre lang für den Freitag, dessen Mit-Herausgeber der im vergangenen Jahr zu früh und unersetzlich gestorbene Günter Gaus war. Der »Zeitungsleser« Kuby faxte damals eine wöchentliche Presseschelte aus Venedig nach Berlin, die seine nach wie vor unbestechliche Urteilskraft dokumentierten. Tempi passati.
Man muss ja nicht gleich Ernst Jünger übertreffen – in gar keiner Hinsicht. Aber Erich Kuby hätte es zeitlich beinahe schaffen können, er hat bis zum Schluss noch gemalt, eine Tätigkeit, die ihn – wie sein Musizieren – lebenslang begleitet hat. Wir werden ja allmählich fast alle viel zu alt – aber den Erich Kuby hätten wir dennoch gerne noch eine Weile unter uns gehabt. Dann hätte er sich auch über diesen Preis freuen können.
Als wir noch jünger starben, gab’s ein paar Alte, die über die Vergangenheit sagen konnten, was sie wollten, weil keiner mehr da war, der hätte widersprechen können. Kuby hätte sich das mit seinen 95 Jahren auch leisten können, aber was hätte er erfinden sollen, was er nicht schon formuliert hatte? Vor allem nichts, um sich nach vorne zu lügen und Aufmerksamkeit zu bekommen – die war ihm ohnehin sicher.
Manche, gar viele, die nicht wissen, wovon sie reden, manche, die nicht richtig lesen können, hielten und halten Kuby für einen Linksintellektuellen, gar für einen Kommunisten. Er war hingegen ein freier, unabhängiger Mensch, fern aller Ideologie, auch darin Tucholsky vergleichbar, der sich, diesen paraphrasierend, als »Anti-Antikommunisten« hätte bezeichnen können. Beide nahmen sich immer das Recht, ihre Meinung zu sagen, auch wenn sie in kein Schema passte – und danach auch zu handeln: zum Beispiel in den endsechziger Jahren einen Hamburger Studenten-Revoluzzer wochenlang in Kubys Wohnung in der Parkallee unterzubringen, weil er vom Staatsschutz gesucht wurde. Weil er Unabhängigkeit – in seinem journalistischen Leben, wie im Privaten – dokumentierte, die manche fast wie Arroganz anmutete, haben ihn nicht wenige angefeindet, fast gehasst – und doch auch beneidet und respektiert. Er hat sich nie auf faule Kompromisse eingelassen.
Vor allem nicht auf die Verdrängung und Verharmlosung der Nazizeit, die doch in Wahrheit die Zeit der größten deutschen Selbstverwirklichung war, wie er nicht nur einmal formulierte. Nach 1945 aber »sind sie aus ihrer Geschichte ausgestiegen, haben aufgehört ein Volk zu sein. Tagtäglich werden wir Zeugen hilfloser Bemühungen, aus einer gestaltlosen, kulturlosen, demoralisierten Masse wieder ein Volk zu machen, als ließe sich das mit Feuilletons, Büchern und Ministerreden bewerkstelligen und von einer politischen Klasse, die mit nichts anderem beschäftigt ist, als die nächsten Wahlen zu gewinnen«, schrieb er 1996 am Schluss von Lauter Patrioten.
Wir ehren hier und heute einen Widerspenstigen, einen Aufsässigen, einen Herren, der nie wegschaute, sondern immer alles aufschrieb, was er gesehen hatte, gleichgültig, ob es ihm, seiner Redaktion oder seinen Lesern gefiel. Er war unbarmherzig auch mit sich, wenn er formulierte – und er fand bis zum Schluss immer wieder jemanden, der ihn druckte. Kuby war nicht etwa kompromissunfähig, aber er hatte instinktiv sichere Grenzen, die er nicht zu überschreiten bereit war; dann ging er sofort. Deshalb ist er auch der richtige Preisträger für Tucholsky – das sind zwei, die zusammenpassen. Es wird schwer werden, in Zukunft einen zu finden, der da mithalten kann.

Heinrich Senfft

Eine Antwort auf „Laudatio für Erich Kuby zur Verleihung des Kurt-Tucholsky-Preises“

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