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Tucholsky im Spiegel [Dezember 2016]

Nachzutragen ist zunächst aus einer kleinen, bereits 2015 im Selbstverlag von dem Mindener Autor, Kommunikationsdesigner, Werbetexter und Theatermacher Guido Meyer, Jahrgang 1964, herausgegebenen Samm­lung Seitenweise Weise Seiten. Ein Denkzettel aus dem Alltagsheim, 96 Seiten, gefüllt von der »ungebändigten Lust am Wort«; folgendes Gedicht (S. 19):

Neues aus Blöd am Rhein
Kästner, Erhard, Ringelnatz,
Tucholsky, Roth und Morgenstern,
schreiben sich `nen Kringelsatz
auf ihren Allerwertestern.
Fulminanz und Kohärenz,
Konsequenz und Trallala,
Heine, Rilke, Fallada.
Renitenz und Ignoranz,
glockenrein und silberhell,
Exzellenz und Ordonanz,
Goethes Faust auf Schillers Tell.
Rückzugswelt und Wunderorte
im Wiederbad der Wechselworte.

Dass insbesondere in Minden kaum eine literarische Veranstaltung, aus welchem Anlass auch immer, ohne Tucholsky auskommt, berichtet uns zu­verlässig das inzwischen allseits bekannte, weil häufig benannte, Mindener Tageblatt.
In der Ausgabe vom 9. Juli 2016 heißt es über eine Wasser-Spezial-Le­sung des Duos »Vorleserin und Er« vom Theater am Eck, gemeint sind An­nette Ziebecker und Detlev Schmidt, auf der historischen Schiffmühle un­ter anderem:

Mit »Das Ideal« von Kurt Tucholsky begann die Lesereise und das Pu­blikum musste gleich lernen, dass jedes Glück einen kleinen Stich hat. (S. 11)

Über eine Lesung des im Mindener Land bekannten Autors, Komponisten und Rezitators Frank Suchland berichtet die gleiche Zeitung wie folgt:

Liebe und Leben mit einem Schuss Humor
(…)Doch auch das Thema Liebe durfte an einem literarischen Abend natürlich nicht fehlen und deswegen stellte Frank Suchland abschlie­ßend noch einige thematisch passende Gedichte von Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz und anderen Autoren vor, die für viel Heiterkeit und manch einen nachdenklichen Moment sorgten und den literari­schen Abend für das sehr zufriedene Publikum perfekt  beendeten. (MT v. 3. August 2016, S. 4)

Unser Ehrenmitglied Wolfgang Helfritsch produziert seit langem fast zwei­wöchentlich Zuschrift(en) an die Lokalpresse, jeweils abgedruckt auf der letzen Seite des roten Ossietzky, Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft. In der Ausgabe 16/2016 vom 13. August 2016, S. 596, ist ein Leserbrief von Baldur Deutschländer (46), Praktikant, 09548 Deutsch-Einsiedel abgedruckt, in dem ihn Helfritsch u.a. folgendes schreiben lässt:

In der Ostthüringer Zeitung vom vorletzten Juli-Wochenende wurde darüber berichtet, dass sich die Eiche, »der deutscheste aller Bäume«, vom Eichen-Prozessionsspinner weitgehend erholt hat. (…) Und dass der Rhein der »deutscheste aller Flüsse« ist, wurde schon von unseren Altvorderen hervorgehoben (…). Jetzt frage ich mich aber, ob man die offensichtlich deutscheste aller Würdigungen auch auf andere Be­reiche übertragen kann, zum Beispiel auf Lebensmittel. Seinerzeit hat­te ja bereits Tucholsky seine deutschen Landsleute dazu aufgefordert, nur deutsche Zitronen zu kaufen (…).

Die tageszeitung widmet in ihrer Wochenendausgabe vom 20./21. August 2016 unserem Gründungsmitglied Beate Schmeichel-Falkenberg zu ih­rem 90. Geburtstag eine ganze Seite.
Zeit vergeht, das Herz vergisst ist das Interview mit Waltraud Schwab überschrieben, zu dem Gabriele Mittag eine fast halbseitige Farbaufnah­me beigesteuert hat, die die Jubilarin in ihrer riesigen Bibliothek zeigt und passend untertitelt ist: In den Bücherregalen: die Literatur des letzten Jahr­hunderts. Tucholsky wird in verschiedenen Passagen erwähnt:

(…) Drin: eine Wohnung voller Bücher. Dazu Grafiken und Drucke – viele hat ihr vor zwei Jahren verstorbener Mann gezeichnet. Beate Schmeichel-Falkenberg ist Fan all jener Schriftsteller und Schriftstelle­rinnen, die keine Jasager sind. Lange fand sie, Philipp Roth sei der Größte. Das sei dann aber abgeebbt. »Else Lasker-Schüler dagegen hat meine Dauerverehrung.« Von Tucholsky hat sie auch so gut wie jede Zeile gelesen. (…)
Die Überwindung der Krise: Schmeichel-Falkenberg war ungefähr 50, als die Depression kam, der Burn-out. Sie wurde frühberentet und fand zurück zur Literatur. Tucholsky, Else Lasker-Schüler – die Gesell­schaft für beide gründet sie mit und später auch die Organisation »Frauen im Exil«. (…)
Tucholsky: Sie sagt, er konnte die Dummheit der Nazis nicht aufhal­ten, aber demaskieren. Sie sagt, wir bräuchten viele Tucholskys heute, denn die Dummheit, nein: Verdummung ist wieder groß und auch die Nazis sind zahlreich.

Patrick Spät beschäftigt sich in der Zeit vom 26. Oktober 2016 unter der Überschrift Was ist das für 1 Job? mit der Sinnhaftigkeit von Beschäftigun­gen und formuliert im Untertitel: Oft müssen wir nur der Arbeit wegen ar­beiten – und verplempern Lebenszeit. Trotzdem wagt es kaum jemand, sinnentleerte Bullshitjobs zu kritisieren. Neben Henry David Thoreau be­zieht sich der Autor auch auf Kurt Tucholsky:

Es gibt, schrieb Tucholsky bereits 1931, eine »Überbelastung des ge­samten Industrie durch ein geradezu formidables Schreibwerk, das hinter dem Leerlauf der Staatsbürokratie um nichts zurücksteht. Was da an Pressechefs, Syndicis, Abteilungsleitern, Bürofritzen herumsitzt und Papierbogen voll schreibt, ohne auch nur das leiseste zu produ­zieren, das belastet uns alle. Aufgeblasen der Verwaltungsapparat.« Die Statistik gibt Tucholsky heute noch recht: Jeder dritte Lohnarbeiter hierzulande hält seinen Job für sinnlos.

Miriam Meckel, Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, wird in turi2 edition3 von dem Interviewer Peter Turi am 30. Oktober 2016 gleich zu Beginn des Gesprächs mit einer Aussage von Kurt Tucholsky konfrontiert:

Miriam Meckel, Sie kennen wahrscheinlich das Zitat von Kurt Tuchols­ky: »Was die Lage der Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten.« Wer erklärt uns diese Verflochtenheit?
Kurt Tucholsky hat recht: Die Welt ist verflochten, die Globalisierung lässt sich nicht zurückdrehen. Ich glaube, niemand erklärt uns die Verflochtenheit ganz, weil sie so kompliziert, so komplex ist, dass man sie gar im Ganzen erklären kann. Aber viele versuchen es: Die Wissenschaft versucht es, die Ökonomen versuchen es und wir als Wirtschaftswoche natürlich auch.

In einer Sendung des Deutschlandradio vom 7. November 2016 zum 150. Geburtstag von Paul Lincke – Vater der Berliner Operette ist Albrecht Dümling, in früheren Jahren schon Referent bei einer Jahrestagung und einer Tucholsky-Geburtstagsveranstaltung in Minden, wie folgt zu hören:

Von Kurt Tucholsky verspottet
Doch Linckes Geschäftssinn rief auch Spott hervor. So schrieb Kurt Tucholsky 1914 im sozialdemokratischen Vorwärts:
»Und auch die Tonkunst ist allhier
da hinten trommelt am Klavier
für viele Pinke-Pinke
Paul Lincke.«

Ebenfalls am 7. November 2016 berichtete Lena Schneider in Potsdamer Neueste Nachrichten unter der Überschrift Rotzflecke auf barocker Archi­tektur über eine Diskussionsveranstaltung zum Thema »Stadt der Zukunft: Land in Sicht« in der Potsdamer Reithalle.
Und bei diesem Gegensatzpaar für Tucholskykenner*innen nicht überra­schend, begann sie ihren Bericht mit einer Bezugnahme auf Tucholsky:

Kurt Tucholsky, der urbane Experte für Träume und das Platzen dersel­ben, wusste schon 1927, wie die Dinge stehen. »Ja, das möchste«, heißt es in seinem Gedicht »Das Ideal«:
»Vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße`.« Wäre das nicht herr­lich, so ein unmittelbares Nebeneinander von Land und Stadt, die Vorteile der beiden Lebensweisen nur ein paar Schritte auseinander? Ja, das wäre es. Aber, auch das wusste Tucholsky schon: »Immer fehlt dir irgendein Stück.«

In der Ausgabe vom 9. November 2016 findet sich im Hamburger Abendblatt unter der Überschrift Von Kronen, Manuskripten und anderen Geschenken ein Bericht über die Ausstellung Die Gabe/The Gift im Litera­turmuseum in Marbach.

Marbach am Neckar. Der Weg, auf dem ein silbernes Krönchen ins Deutsche Literaturarchiv Marbach gelangte, beginnt mit einem Rätsel. Schriftsteller Ernst Toller, dem ein Hang zu schönen Frauen nachge­sagt wird, schenkte das kleine Schmuckstück Mary Tucholsky, Frau des bekannten Autors Kurt Tucholsky.
Ob die beiden Liebe, Verehrung oder Freundschaft verband, ist un­gewiss. Fest steht: Sie verschloss es sorgsam in einem Kuvert und gab es mit dem Nachlass Tucholskys nach Marbach. Dieses »Geschenk« schmückt das Plakat zur neuen Wechselausstellung »Die Gabe/The Gift«, die im Literaturmuseum der Moderne zu sehen ist.

(Anmerkung: Die Ausstellung ist seit dem 10. November 2016 bis zum 12. März 2017 zu sehen)
Am 9. November 2016 verstarb der Schauspieler Herbert Kromann im Al­ter von 86 Jahren nach langer, schwerer Krankheit in Fürstenfeldbruck. Florian J. Haaman würdigt in einem Nachruf, Süddeutsche Zeitung vom 14. November 2016, das Lebenswerk des Verstorbenen:

Herbert Kromann, Schauspieler und Dramaturg, war vor allem ein be­gnadeter Rezitator. In Weimar waren seine Vortragskünste genauso gefragt, wie in Rom und Paris. Vor 20 Jahren hatte es den gebürtigen Düsseldorfer nach Fürstenfeldbruck verschlagen. Schnell haben sich seine Vorträge im Haus 10 und dem Museum zum Publikumsmagne­ten entwickelt: Wenn Kromann Heine, Tucholsky, Kraus, Brecht, Käst­ner oder Goethe las, da wollte man einfach dabei sein.

Mein Dank gilt diesmal Steffen Ille aus Leipzig für viele »sachdienliche« Hinweise. Sämtliche Artikel sind wie immer über die Geschäftstelle abruf­bar.

Bernd Brüntrup

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