90 Jahre "Rheinsberg"

Auszüge aus Kurt Tucholskys "richtiger" Vorrede zum fünfzigsten Tausend von "Rheinsberg".

 

"Die Sache war damals so, daß ich das Buch, nach dem später generationsweise vom Blatt geliebt wurde, an der See schrieb, auf die Postille gebückt, zur Seite die wärmende Claire, und es, nach Berlin zurückgekehrt, Herrn Kunstmaler Szafranski vorlas. Das war eine Freude -! Der Dicke sagte, einen solchen Bockmist hätte er wohl alle seine Lebtage noch nicht vernommen, aber wenn ich es ein bißchen umarbeitete, und wenn er es illustrierte, dann würde es schon gehen.

Ich arbeitete um, ließ die hübschen Stellen weg, walzte die mäßigen etwas aus, und inzwischen illustrierte jener, denn was ein richtiger Plagiatmaler ist, der ist fleißig. Während er abzeichnete, ging ich zu Herrn Verlegermeister Axel Juncker. Verleger sind keine Menschen. Sie tun nur so. Dieser warf mich mit Buch hinaus. Nun ist das weiter keine Schande. R. Tagore ist, wie Hans Reimann berichtet, auch erst bei Kurt Wolff abgewiesen worden, und nur der plötzlich bekommene Nobelpreis rettete ihn davor, bei Ullstein verlegt zu werden. Ich erhielt den Nobelpreis nicht - Rosegger stand damals in der engeren Wahl -; aber nachdem mir Verlegermeister Juncker noch rasch mitgeteilt hatte, daß Liebespaare niemals so miteinander redeten, nahm er es doch.

Das war ihm ganz recht. Inzwischen war Szafranski nicht müßig gewesen. Unter Zugrundelegung der Lipperheidischen Kostümbibliothek, seines reich ausgestatteten fotografischen Archivs und einiger anderer Vorlagen entsproß seinen dicken Händen langsam ein Werk, das man ruhig unter die besten Arbeiten Paul Scheurichs einreihen darf. Aber er wurde und wurde nicht fertig. Wir telefonierten damals recht lange und recht unfreundlich miteinander - schließlich bestellte er mich in die selige Queen-Bar und zeigte mir, was er angerichtet hatte, Ich trank vier Whiskys hintereinander. Dann sagte ich schüchtern, es sei sehr schön. Szafranski, leichtgläubig wie er nun einmal ist, glaubte das. Das Werk ging unter die Presse. Es wurde ein Bombengeschäft. Über meine Verdienste will ich gar nicht erst reden; Szafranski kaufte sich jedenfalls von den seinen etwas, das er in befreundeten Kreisen als Häuschen ausgibt, und gehört heute zu den geachtetsten Mitbürgern Zehlendorfs. Der Verleger tat das, was Verleger immer tun: er setzte zu. (...)

Wir wußten uns vor Honoraren gar nicht zu lassen. Ich zeigte damals meinen Vertrag, den ersten, den ich in meinem Leben gemacht hatte, dem damaligen Vorsitzenden des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller. Der weinte eine halbe Stunde vor Freude und streichelte mir dann leise den Kopf. Ich weiß bis heute nicht, was er damit hat sagen wollen. Und Juncker setzte inzwischen immerzu zu . . . Natürlich ist die Geschichte von ›Rheinsberg‹ wahr. Auch die Claire existiert noch. Sie lebt als eine wacklige, etwas tropfnasige Alte in Ducherow, unweit Pasewalk, wo sie neugierigen Fremden vom Rathauskastellan gegen ein Entgelt von fünfundzwanzig Pfennigen gezeigt wird; vormittags von elf bis eins und nachmittags von drei bis fünf. Sonntags ist sie zu. Ihr Lebensunterhalt wird in freundlicher Weise von unserm Verleger bestritten, sie ist also völlig verarmt.

Dieses da ist auch nicht die erste Luxusausgabe. Wir haben schon einmal eine gemacht, ganz privat, damals, als das Buch herauskam. Es waren dreißig Exemplare - und weil wir es unseren Damen schenken mußten, die im Verhältnis 29:1 unter uns aufgeteilt waren, malten wir in alle Exemplare, damit es keinen Arger gäbe, eine schöne 1. (...)

Wenn aber im Jahre 1985 ein neugieriger und verliebter junger Herr den Bücherschrank seiner Großmama durchstöbert, wird er von ganz hinten einen ›auf Bütten abgezogenen und in rotes Bockleder gebundenen‹ Band herausklauben - Nummer 18, vom Verfasser signiert. "Was ist das?" wird der junge Herr fragen. Und die Großmama wild sich den Band geben lassen, ihn ganz nahe an die Augen halten und dann leise lächeln. "Das", wird sie sagen, "hat mir mal dein Großvater selig geschenkt, als wir uns verlobten. Aber du darfst es behalten und für deine Lydia mitnehmen." Das tut der junge Herr. Er packt den Bocklederband mit einigen Dingen, die zu schenken in dieser Zeit schick sein wird, zusammen und sendet alles an Lydia. Und Lydia wird die schicken Dinge sehr bewundern, sich an ihnen und am zukünftigen Neid ihrer Freundinnen erfreuen und schließlich einen Blick in das Buch hineintun. Und ein bißchen darin blättern. Weil aber die Zeit läuft und sich das, was zwischen den Zeilen eines Buches ausgedrückt ist, niemals länger als fünfzig Jahre hält und mit den Menschen, von denen es und für die es geschrieben ist, dahingeht - deshalb wird die Dame Lydia mit den Achseln zucken und sagen: "Reizend!" Und dann wird die Geschichte mit ihr und dem jungen Herrn ihren Fortgang nehmen. Oben im Himmel aber, in einer besonders bevorzugten Ecke, gleich neben Cotta und Rowohlt, sitzt der Verleger und setzt zu."

Erschienen in: Die Weltbühne, 8.12.1921, Nr. 49, S. 579-582