Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft
- April 2004-

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1. Vorwort
2. Der neue Vorstand: Neue Ziele, neue Pläne
3. Tucholsky-Gedenkfeier in Minden
4. Die Tucholsky-Restauration in Berlin
5. Die Edition der Gesamtausgabe
6. »Sehr geehrter Herr Tucholsky, ...«"
7. Interview mit Oliver Steller
8. Aktivitäten unserer Mitglieder

 

 
  Vorwort

Sehr geehrte, liebe Mitglieder der KTG, liebe Freunde,
ein viertel Jahr ist vergangen seit dem letzten Rundbrief, der sich offiziell ja »Vereinsnachrichten« nennt. Der Vorstand hat sich in dieser Zeitspanne bemüht, die Überlegungen und Vorhaben des letzten Jahres auf den Weg zu bringen. Nicht alles ist schon gelungen, aber die sich zeigenden Konturen sind viel versprechend, so dass wir glauben, Ihnen Programme und Veranstaltungen anbieten zu können, die im Sinne der Gesellschaft und ihres Namenspatrons sind.

Die Mitgliederversammlung im Oktober 2003 hatte den Plan gut geheißen, eine Zusammenarbeit mit der Heinrich Heine-Gesellschaft in Düsseldorf anzustreben. Inzwischen hat diese eine Sektion für die Region Berlin-Brandenburg gegründet, die daran interessiert ist, dort Terrain zu gewinnen. Da der KTG dies im Rhein-Ruhrgebiet auch gut bekäme, planen wir gemeinsame Veranstaltungen in Berlin und Düsseldorf. Ein oder zwei Referenten/innen aus den beiden Gesellschaften werden versuchen, die von vielen Literaturwissenschaftlern betonten Gemeinsamkeiten Heinrich Heines und Kurt Tucholskys zu erhellen. Unser Mitglied Oliver Steller wird die Veranstaltungen mit Texten beider Dichter musikalisch bereichern.

Besonders am Herzen liegt uns nach wie vor, Tucholsky mit seinen so bestürzend aktuellen Texten und Ideen jungen Menschen näher zu bringen. Dass dies eine Herkules- (wenn nicht Sysiphos-) Arbeit ist, haben auch vorherige Vorstände schon erfahren. Da es aber einige sehr aktive Zentren in Deutschland gibt, sehen wir eine Chance darin, diese zum Teil recht unterschiedlichen Aktivitäten zu vernetzen. Gespräche in dieser Richtung haben stattgefunden und sollen intensiviert werden. Insbesondere die Kurt Tucholsky-Schulen in Berlin und Minden kommen dafür in Betracht und stehen einer Zusammenarbeit positiv gegenüber.

Mit gleicher Post (Porto-Ersparnis!) erhalten Sie die Dokumentation der Preisübergabe am 12. Oktober 2003. Da die Dankesrede des Preisträgers Wolfgang Büscher doch recht knapp ausfiel, hoffen wir, Ihnen damit eine Freude zu bereiten, die an diesem Tag von Volker Kühn so hervorragend auf die Bühne des Deutschen Theaters gebrachten Tucholsky-Texte zu wiederholen. Die Dokumentation der Tagung » "....ein wahnwitzig gewordenes Dorf" Tucholskys Berlin» steht kurz vor der Drucklegung und dürfte Ihnen mit dem Sommer-Rundbrief zugehen.

Bitte vergessen Sie nicht, dies alles kostet Geld, Ihr Geld, denn außer den Mitgliederbeiträgen stehen uns leider keine weiteren Mittel zur Verfügung. Sollten Sie Ihren im Januar fällig gewesenen Beitrag noch nicht überwiesen haben, helfen Sie uns, wenn Sie dies möglichst bald tun.

Mit freundschaftlichen und herzlichen Grüßen,
Ihr Eckart Rottka


 
  Der neue Vorstand: Neue Ziele, neue Pläne

Blühende Landschaften? Geld für alle? Weniger Steuern? Eine Neuwahl wird häufig von höchst interessanten Versprechungen begleitet, die gleich nach der Wahl im Nebel der Administration und des schnöden Alltags verschwinden.

In dieser Hinsicht hat der neu gewählte Vorstand der KTG zweifach Glück gehabt. Weder gab es im Vorfeld mehr oder minder leere Versprechen - unsere Ziele und Aufgaben sind uns schließlich qua Satzung vorgeschrieben -, noch quält uns Ehrenamtliche die Bürokratie so wie unseren Namenspatron in vielen beschriebenen Situationen.

So haben wir uns denn auch am 6. Januar ganz zwanglos zur ersten und wegweisenden Vorstandssitzung getroffen, um den Fahrplan für die kommenden zwei Jahre zu erstellen.

Herausgekommen sind zwei große Ziele: mehr Öffnung nach außen und mehr Kommunikation nach innen.

Die KTG ist nur eine von vielen literarischen Gesellschaften in der deutschen Kulturlandschaft. Es liegt nahe, sich auszutauschen, Verbindungen aufzuzeigen, Ziele gemeinsam anzustreben. Daher haben wir für die kommende Zeit einige Kooperationen angedacht. Die »Kleine Tagung« im Herbst diesen Jahres bietet hierzu einen passenden Rahmen. Wir werden zusammen mit der Heinrich Heine-Gesellschaft mit Sitz in Düsseldorf ein zweitägiges Programm erarbeiten, das Vorträge über die Verbindung zwischen Heine und Tucholsky, eine Führung auf den Spuren Heines, selbstverständlich unsere Mitgliederversammlung und ein musikalisches Abendprogramm mit unserem Mitglied Oliver Steller (siehe Interview) beinhalten wird. Tagungsort wird Düsseldorf sein - alle zentral-westlichen Mitglieder dürfen sich freuen. Um jedoch auch den eher östlich orientierten Mitgliedern eine Möglichkeit zu schaffen, sich über Heine und Tucho zu informieren, werden Vorträge und Teile des Rahmenprogramms bereits am 18. Juni in Berlin vorgestellt. Auch diese Veranstaltung wird zusammen mit der Heine-Gesellschaft geplant und durchgeführt.

Die Fühler ausgestreckt hat der Vorstand auch zur Erich Mühsam-Gesellschaft in Lübeck, mit der eine weitere Kooperationsveranstal- tung angedacht ist. Auf uns zugekommen ist außerdem die Hanns Eisler-Gesellschaft, die im Jahre 2005 den 100. Geburtstag Eislers begeht, während sich gleichzeitig Tucholskys Todestag zum 70. Mal jährt. Zur Zeit arbeitet der Vorstand an einem Konzept, das alle Seiten befriedigt.

Und dann sind da noch die Einrichtungen, die sich ebenfalls Tucholsky verschrieben haben: die Forschungsstelle der Universität Oldenburg etwa, über deren Arbeit an der Gesamtausgabe von Tucholskys Werken deren Leiter, Prof. Dr. Gerhard Kraiker, in diesem Heft berichtet. Auch hier soll der Kontakt intensiviert werden, auch, um wissenschaftliche Erkenntnisse, neue Funde und aufstrebende Forscher gezielt vorstellen zu können. Ebenso interessant ist der Kontakt zur Kurt Tucholsky-Gedenkstätte Rheinsberg. Leiter Peter Böthig hat gerade ein neues Konzept umgesetzt, und im kommenden Rundbrief werden die Neuerungen detailliert vorgestellt. Eine Vorstandssitzung in der ersten Jahreshälfte wird in Rheinsberg stattfinden, so dass der Artikel ganz sicher ein Augenzeugenbericht sein wird.

Soviel zu unseren Schritten nach außen. Doch auch nach innen möchten wir die Kommunikation anregen. Der Vorstand braucht Anregung, Mithilfe, Kritik - auf neudeutsch Feedback.

Viele unserer Mitglieder sind auch noch in anderen literarischen Gesellschaften aktiv. Hier ist eine Zusammenarbeit vielleicht ebenso denkbar wie mit der Heine- oder der Mühsam-Gesellschaft, vielleicht gab es gar schon Überlegungen im stillen Kämmerlein, ob man nicht... Ja, man könnte! Wir können viel, und wir wollen auch viel. Haben Sie Wünsche für Themen, mit denen wir uns beschäftigen sollen? Sei es in Form von Vorträgen, in Form eines Artikels im Rundbrief oder in Form eines regionalen Treffens, wie es die »Sektion Schwarzwald«, wie im letzten Heft angekündigt, vorhat?

Oder sei es in Bezug auf das Thema der »Großen Tagung« 2005 in Berlin? Wir stellen an diesem Ort unseren »Favoriten« vor und bitten um Reaktionen: es soll diesmal um Tucholsky und die Medien gehen. Sicherlich um Tucholskys eigene Medien - Zeitungen und Zeitschriften, die Bühne. Um seine Beziehung zu Rundfunk und Kino und vor allem auch um die bereits von ihm aufgezeigten Gefahren und Grenzen der Mediengesellschaft. Aber vielleicht stellen wir auch die Frage: Tucho und das Internet? Passt das? In welchen medialen Formen kann man sich Tucholskys Werk eigentlich inzwischen nähern?

Auch zu diesem Punkt möchten wir gern Meinungen hören. Planen wir im Interesse der gesamten Gesellschaft? Wenn ja, wo werden mögliche Schwerpunkte oder Fragestellungen gesehen? Man sieht: der Vorstand hat viel vor, aber er erwartet auch etwas. Für Steuern und Geldmangel können wir nichts - aber blühende Kultur- und Literaturlandschaften - dazu wollen wir zumindest ein Stück beitragen.

Für Anregungen, Fragen, Leserbriefe etc. wenden Sie sich bitte an:
Maren Düsberg
Säbener Straße 32, 81547 München
Tel.: (089) 69 39 5558
E-Mail: maren.duesberg@tucholsky-gesellschaft.de


 
  Geburtstag in der Kaserne: Tucholsky-Gedenkfeier in Minden

Wie intensiv man sich an der Kurt Tucholsky-Gesamtschule in Minden mit deren Namensgeber auseinandersetzt, wurde an dessen 114. Geburtstag öffentlichkeitswirksam demonstriert. Im Mindener Preußen-Museum (das zudem in einer ehemaligen Kaserne untergebracht ist) fand eine große Geburtstagsfeier statt, zu der etwa 150 Gäste erschienen waren. »Tucholsky würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, wo wir seinen Geburtstag feiern«, mutmaßte Eduard Schynol, Mitorganisator der Veranstaltung. »Allerdings«, so schloss er an, hätte Tucholsky selbst ja durchaus »preußische Züge wie Disziplin und Pünktlichkeit« gehabt.

Schynol, Leiter der an der KTG Minden angesiedelten Tucholsky-Bühne, hatte ein facettenreiches Programm zusammen gestellt, in dem sich Lesungen und Lieder, Monologe und Sketche abwechselten. Interpretiert wurden sie von Ensemblemitgliedern der Tucholsky-Bühne. Neben Schüler/innen und Lehrer/innen der Gesamtschule - aus »Schloss Gripsholm« lasen zwei Neuntklässler und ihre Lehrer/innen - gehören dazu auch einige Externe. Klassiker wie »Ein Ehepaar erzählt einen Witz«, »Lottchen beichtet einen Geliebten« oder »Herr Wendriner betrügt seine Frau«, haben eingefleischte Tucho-Fans schon von verschiedensten Interpreten und unterschiedlicher Qualität gehört. An diesem Abend zeigte sich, dass die Mindener Laien besser waren als manche Profis. Auch Bernd Brüntrup als Conferencier offenbarte bisher unbekannte Entertainer-Qualitäten.

War der Abend auch Tucholsky gewidmet, bestand er doch nicht nur aus »Tucho pur«. Das Motto - »Die Menschen an sich sind gut, aber die Leute ...« - stammte von Erich Kästner, gelesen wurde unter anderem aus Irmgard Keuns »Das kunstseidene Mädchen«, die Ata-Girls rappten »Mackie Messer« und - passend dazu - referierte Jan Eik über »Kriminalfälle zu Tucholskys Zeiten«. Ihn eingeschlossen erwiesen insgesamt acht - aus Berlin, Bremerhaven, Bielefeld Hannover und sogar München angereiste - KTG-Mitglieder, angeführt vom Vorsitzenden Eckart Rottka, den Mindener KTGlern ihre Reverenz. Clou des Abends war die doppelte Brigitte Rothert: Als alter ego saß neben der Schulpatin eine gleichnamige Lehrerin aus Minden, deren Identität im Verlaufe des Abends enthüllt wurde. "Mit viel Liebe und Engagement wurde die Feier zu Tucholskys 114. Geburtstag ein Erfolg", lobte das Mindener Tageblatt.

Und das, was Bernd Brüntrup einige Tage später in seinem Brief an die auswärtigen Gäste schrieb, soll hier als Tipp an alle KTG-Mitglieder weiter gegeben werden: »Der 9. Januar 2005 fällt auf einen Sonntag. Vielleicht das folgende Wochenende freihalten ...?«

Anne Schneller


 
  Dem Gourmet einen Tempel: Die Tucholsky-Restauration in der Berliner Torstraße

Wer sich in die Tucholsky-Restauration in der Berliner Torstraße begibt, ist gewiss kein Tor. Und wer in der Absicht dorthin geht, etwas über den Berliner mit den 5 PS zu erfahren, ist es erst recht nicht, denn er wird bestimmt nicht enttäuscht.

Üblicherweise ist eine Restauration ein Ort für Speisen und Getränke und eventuell noch dazu für ein angenehmes Ambiente und weder eine Bücherei noch eine Dokumentation. Aber Lutz Kellers Etablissement ist das alles und sogar noch ein wenig mehr. Das kann und muss man auch erwarten von einem Wirt, der der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft angehört und nicht nur Tucholskys Lieblingsspeisen anbietet, sondern auch des Dichters gepfefferte Wahrheiten auf den Bierdeckeln: »An einem Rausch ist das Schönste der Augenblick, in dem er anfängt, und die Erinnerung an ihn.«

Die Gaststätte trägt nicht zum erstenmal den Namen des aufmüpfigen Publizisten. Jahrelang ergab sich die Bezeichnung jedoch lediglich daraus, dass auf der gegenüberliegenden Seite die Tucholskystraße in die Torstrasse einmündet. Die Gasträume strahlten weder Tucholsky-Flair aus, noch vermochte es der damalige Inhaber, etwas über den Dichter an die Frau oder den Mann zu bringen. Das veranlasste die Verwandtschaft zum Eingreifen: Großcousine Brigitte Rothert setzte durch, dass der Name zunächst verschwinden musste.

Längere Zeit wurde das unliterarische Etablissement unter dem Namen Zur alten Tankstelle geführt, und das hatte auch seine Richtigkeit, denn an dieser Stelle hatte man früher seinen fahrbaren Untersatz auftanken können, ohne sich die Sinne benebeln zu müssen. Das änderte sich, als Lutz Keller als Inhaber einstieg und die Sache tatkräftig in die Hand nahm. Mit engagierter Unterstützung Brigitte Rotherts und den Erfahrungen und Ideen des Museumsrates Rüdiger Merten entstand ein literarisch-lukullisches Kleinod.

Heute sind in drei Gasträumen Fotos und Dokumente aus dem Leben und Schaffen des politisch engagierten und treffsicheren Dichters, Journalisten und vielseitigen Autors zu besichtigen, und jedermann kann sich über Werk und Leben Tucholskys ebenso informieren wie über die Interpreten, die seine Chansons zum Erfolg führten. Das Flair der Besinnung wird durch Ohrwürmer aus den Zwanzigern unterstützt, die das Nachdenken oder die Gespräche unaufdringlich begleiten. Und wer sich aktuell informieren will, blättert in den ausliegenden Tucholsky-Editionen oder in den aktuellen Ausgaben der Weltbühnen-Nachfolgern Ossietzky und Das Blättchen oder den neuesten Vereinsnachrichten der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft. Es versteht sich, dass auch andere Periodika dem Gast ebenso zur Verfügung stehen wie Illustrierte und Tageszeitungen.

Am »Tucholsky-Stammtisch« kommt der Gast nicht selten mit Persönlichkeiten ins Gespräch, die sich dem Werk des Namensgebers auf der Bühne widmen oder als Autoren auf den Spuren ihres streitbaren Vorbildes wandeln. Und so manche Jahrestagung der Tucholsky-Gesellschaft wurde am ovalen Tisch unter dem Porträt des pfeifeschmauchenden Namensgebers vorbesprochen oder nachgestritten. Und falls sich jemand für einen literarisch-musikalischen Tucholsky-Abend interessiert, informieren Lutz Keller und sein Team gern über die nächste Aufführung im Zimmertheater Karlshorst oder holen - wenn gewünscht - die Interpreten ins Haus.

Gelegen zwischen Hackeschem Markt und Oranienburger Tor, in unmittelbarer Nähe der Galerien des alten Scheunenviertels und mit Blick auf die goldene Kuppel der Synagoge stellt die Restauration eine Oase inmitten der belebten City zwischen der Friedrichstraße und dem Alexanderplatz dar. Und dieser Eindruck verstärkt sich noch im Sommer, wenn der grüne Biergarten vor dem Hause zum Verweilen lockt. Das Schild an der Ecke gegenüber enthält längst nicht mehr nur den Straßennamen, sondern auch Daten über den Autor, die der rührige Wirt auf eigene Kosten anbringen ließ. Seit Jahren ist die Restauration Tucholsky ein Ort der Entspannung und des Wohlbefindens, aber auch der Information und der Gespräche über Tucholskys und unsere Zeit.

»Deutschland ist eine anatomische Merkwürdigkeit. Es schreibt mit der Linken und tut mit der Rechten«. Wenn Lutz Keller wieder einmal Sprüche für seine Bierdeckel zusammensucht, sollte er an dieser leider schier zeitlosen Tucholsky-Weisheit nicht vorbeigehen.

Wolfgang Helfritsch

»Restauration Tucholsky«,
Torstraße 189, 10115 Berlin-Mitte
Tel.: 030 2817349, Fax: 030 2858016, www.restauration-tucholsky.de
Inhaber: KTG-Mitglied Lutz Keller


 
  Zwischenbilanz und Ausblick:
Die Herausgabe der Gesamtausgabe durch die Forschungsstelle Oldenburg

Im Mai dieses Jahres wird es in der Tucholsky-Forschungsstelle an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg eine Zäsur geben; die neun Jahre gewährte Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) - ein Jahr über die ursprüngliche Antragstellung hinaus - läuft aus. Die Forschungsstelle wird noch mindestens bis 2007 fortbestehen, aber ohne die höchst wertvolle, weil wissenschaftlich ungewöhnlich fundierte Mitarbeit von Dr. Ute Maack und voraussichtlich mit immer geringeren Mitteln der in Umbruch befindlichen Universität. Antje Bonitz, die Anfang der 90er Jahre zum Aufbau der Forschungsstelle und zur Mitarbeit an der Gesamtausgabe vom Marbacher Literaturarchiv an die Universität Oldenburg wechselte, ist dank des Entgegenkommens der Bibliothek für die Beendigung der Arbeit an der Gesamtausgabe freigestellt. Sie war die Erste, die mit ihren in Marbach erworbenen speziellen Kenntnissen die Hauptarbeit des Aufbaus der Forschungsstelle leistete, und sie wird die Letze sein, die die Gesamtausgabe zu Ende führt und mit deren Ausscheiden 2007 auch die Forschungsstelle sich auflösen wird. Zuvor schon, im Jahre 2005, wir der verbliebene Leiter der Forschungsstelle (der Verfasser dieses Berichts) emeritiert werden, aber es gehört zu den Rechten der Emeriti, dass sie begonnene Forschungen an der Universität zu Ende bringen können.

Bekanntlich hat die Forschungsstelle während ihres 12-jährigen Bestehens zwei ihrer Mitinitiatoren und Mitherausgeber der Gesamtausgabe durch frühen Tod verloren: Dirk Grathoff, dem vor allem die Förderung durch die Philologische Abteilung der DFG zu verdanken ist und der in den Anfängen entscheidend bei der Ausarbeitung des editorischen Regelwerks beteiligt war, und Michael Hepp, der während seiner Zeit als fester Mitarbeiter der Forschungsstelle gleichzeitig an seiner Tucholsky-Biografie arbeitete und seine ergiebigen Rechercheergebnisse in die Edition einbrachte. Auch nach Abschluss seiner Biografie und seinem auf eigenen Wunsch erfolgten Ausscheiden als fester Mitarbeiter hat Michael Hepp durch Publikationen und seine verdienstvolle Tätigkeit in der KT-Gesellschaft im Sinne der Forschungsstelle gewirkt, zur Tucholsky-Rezeption beizutragen.

Interessierte am Fortgang der Gesamtausgabe haben gelegentlich ihren Ärger darüber geäußert, dass der erste Editionsplan, veröffentlicht in dem von Michael Hepp herausgegebenen Marginalienband (Rowohlt 1996), nicht eingehalten wurde. Abgesehen davon, dass geistige Produktionen zeitlich immer nur vorbehaltlich planbar sind, gab es für die Umstellungen und Verzögerungen eine Reihe externer Ursachen. Die DFG wollte nur die Text-, nicht die Briefbände fördern (das taten dann die Tucholsky-Stiftung und der Rowohlt Verlag), so dass die von der DFG finanzierten Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen auch nur begrenzt für die Briefbände zur Verfügung standen. Dass gleichwohl schon zwei Briefbände erscheinen konnten, verdankt sich der erheblichen unbezahlten Mehrarbeit von Bärbel Boldt, Antje Bonitz und Ute Maack, nicht zuletzt auch der einiger Wissenschaftlicher Hilfskräfte (Stefan Ahrens, Sarah Hans, Ina Voss, Christa Wetzel). Eine zweite Ursache bestand darin, dass die insgesamt 16 externen Bandherausgeber/Innen ihre Dispositionen oft nicht einhalten konnten, schließlich war es für die meisten eine aufwendige Nebenarbeit; von dem zur Verfügung stehenden bescheidenen Anerkennungshonorar, oft noch geteilt, konnte niemand länger als zwei Monate leben. Schließlich trug zur Verzögerung der Veröffentlichungen auch noch bei, dass der Rowohlt Verlag aus ökonomischen Gründen zeitweilig jährlich nur einen Band herausbringen konnte statt der geplanten zwei. Die Forschungsstelle sah sich wegen des herannahenden Endes der Förderung deshalb gezwungen, gewissermaßen auf PC-Halde zu produzieren, was hie und da zum verständlichen Liegenlassen bei externen Bandherausgebern führte.

Von den 22 vorgesehenen Bänden sind inzwischen 13 veröffentlicht. Im Druck ist der Bd. 8 (Texte 1926), im Herbst erscheint der Bd. 12 (Deutschland, Deutschland über alles, 1929). Mit Ausnahme eines Briefbandes sind alle Bände in der Bearbeitung weit fortgeschritten, auf eine Reihenfolge ihrer Veröffentlichung wollen wir uns indessen nicht mehr festlegen; 2007 sollen die letzten erscheinen.

Wie schon vermerkt, ist dies auch der Zeitpunkt der Schließung der Forschungsstelle. Das Ossietzky/Tucholsky-Archiv wird für die Öffentlichkeit fortbestehen, vielleicht in Verbindung mit dem Fritz Küster-Archiv für die Geschichte der Friedensbewegung und dem Hannah Arendt-Archiv. Neue Forschungen wird es nur geben, wenn jemand aus den nachkommenden Wissenschaflern/Innen sich dafür interessieren sollte.

Gerhard Kraiker

Links
Die Tucholsky-Forschungsstelle in Oldenburg

Editionsplan der Gesamtausgabe

Rezension des 8. Bandes in der FAZ


 
  »Sehr geehrter Herr Tucholsky, ...«
Sichern Sie sich heute schon einen Platz für die Zukunft!

Sie erinnern sich an die Werbeanschreiben an Herrn Kurt Tucholsky in Rheinsberg aus der letzten Ausgabe des Rundbriefes? In diesem Heft möchten wir Ihnen noch einmal zwei »Schmankerl« vorstellen - passend zum Jahrtaussendwechsel wurde Tucholsky auch für die Marketingabteilungen wieder ganz modern ...


 
  Poesie und Musik miteinander verknüpft:
Im Gespräch mit Oliver Steller

KTG: Herr Steller, Sie bezeichnen sich selber als musizierenden Rezitator oder rezitierenden Musiker. Können Sie kurz beschreiben, was uns bei Ihren Auftritten erwartet?

Oliver Steller: Das läßt sich gut an den Titeln meiner Programme festmachen: »Gedichte für Kinder«, »Lust- und Liebesgedichte aus sechs Jahrhunderten«, »Gedichte von Goethe bis Gernhardt« sind Programme, in denen ich Gedichte aus allen Literaturepochen vortrage. Da ich von Hause aus Musiker bin, habe ich Poesie und Musik miteinander verknüpft und singe in meinen Programmen viele Gedichte, die ich selbst vertont habe.

In den Programmen »Erich Kästner zum 100. Geburtstag« und »Kurt Tucholsky. Lieder und Texte« versuche ich, den Zuschauern das Leben der beiden Autoren mit Hilfe von Gedichten, Briefen und rezitierten Prosatexten näher zu bringen. Im Herbst 2003 habe ich mich dann mit dem Programm »Das Verschwinden der Ferne« an die zeitgenössische Lyrik gewagt. Gedichte von lebenden Dichteinnen und Dichtern: Hilde Domin, Peter Rühmkorf, Eva Strittmatter, Robert Gernhardt, Heinz Kahlau, den Meisterschüler Bertolt Brechts, der hier im Westen leider weitestgehend unbekannt ist, uva.

KTG: Wie sind Sie überhaupt zu diesem ungewöhnlichen Beruf gekommen?

Steller: Ich habe bereits sehr früh begonnen Gitarre zu spielen und auch Unterricht zu nehmen. Bis zum Abitur 87 hatte ich bereits diverse Klassik- und Jazz Seminare absolviert. Nach einem dreijährigen Musikstudium in Boston (Gitarre, Komposition und Stimme), weitern drei Jahren als freischaffender Musiker in Chicago, trieb mich die Lust an meiner Muttersprache und meiner Kultur zurück nach Deutschland. Dort traf ich 1992 auf Lutz Görner, der nach einem gemeinsam aufgeführten Kinderprogramm völlig entnervt von der Bühne stieg und nie wieder Programme für Kinder spielen wollte. Das war die Geburtsstunde meiner Laufbahn als musizierender Rezitator. Erst mit Kinderprogrammen, später mit Programmen für Erwachsene. Lutz Görner ist heute noch mein Mentor.

KTG: Welche Menschen haben Ihre künstlerische Entwicklung am meisten beeinflußt?

Steller: Sicherlich mein Vater, der mich immer sehr unterstützt hat, musikalisch war natürlich die Zeit in den USA, in der unter anderem Aufnahmen mit den Bands von Carlos Santana und Miles Davis entstanden wegweisend. Maßgeblichen Anteil an meiner Entscheidung, Rezitator zu werden, hatte natürlich Lutz Görne,r mit dem ich heute noch gerne auf Tournee gehe.

KTG: Sie haben vor einigen Jahre erstmalig das Programm »Kurt Tucholsky. Lieder und Texte« vorgestellt in dem Sie biographische Aspekte und Werk verknüpft haben. Welchen Grund hatte es, dass Sie ausgerechnet Kurt Tucholsky ausgewählt haben?

Steller: In meinem Elternhaus hatte Tucho einen Ehrenplatz im Bücherregal, mein Vater schätzte ihn sehr und so kam ich relativ früh in Kontakt mit diesem Menschenfreund, den ich auch als Jugendlicher lesen und sogar teilweise verstehen konnte. Konkreter Anlass für das Tucholsky-Programm war allerdings die Arbeit mit Erich Kästner, bei der ich regelmäßig über den Zeitgenossen Tucholsky »gestolpert« bin.

KTG: Für Ihre CD »Gedichte für Kinder 2« sind Sie mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet worden. Wie erfolgreich war die Tucholsky CD?

Steller: Die Verkaufszahlen der CD zum Tucholsky-Programm liegen im fünfstelligen Bereich.

KTG: Was waren die schönsten Momente in Ihrem Privatleben?

Steller: Die Heirat mit meiner Frau Susanne und die Geburt meiner beiden Kinder Rubina und Leander.

KTG: Ein Kritiker schrieb über Sie, dass Sie es verständen, Lyrik lebendig zu machen. Sehen Sie sich auch als Pädagoge, der jungen Menschen einen Zugang zu Lyrik bieten will?

Steller: Ich freue mich, wenn es mir gelingt, Kindern und Jugendlichen, den Zugang zu Literatur und Lyrik zu erleichtern. Musik ist dabei ein wunderbares Vehikel. Da viele Eltern nicht mehr bereit sind mit ihren Kindern in Kindertheater zu gehen, gehe ich morgens mit großem Erfolg in die Grund- und weiterführenden Schulen.

KTG: Arbeiten Sie zur Zeit an einem neuen Projekt?

Steller: Im Herbst dieses Jahres wird mein neues Programm mit den Gedichten, Briefen und Prosatexten von Rainer Maria Rilke auf Tournee gehen. Musikalisch unterstützt werde ich dabei von den beiden hervorragenden Musikern Dietmar Fuhr (Kontrabass) und Bernd Winterschladen (Saxophon und Bassklarinette).

Die Fragen stellte Uwe Wiemann


 
  Aktivitäten unserer Mitglieder

Dietrich Kittner präsentierte sein Programm »Bürger, hört die Skandale« im Februar in Hannover, Hamburg, Bremen und München.

Jane Zahn und ihre Pianistin Marina Reichenbacher gastierten im Februar mit ihren Programmen »Wir KRIEGen Euch! Bombenstimmung in Deutschland« und »Sag beim Abwasch leise Servus - eine Kernseifenoper aus dem Feudelmilieu« in Berlin.

Marlis und Wolfgang Helfritsch und Pianist MD Manfred Rosenberg traten mit ihrem Kurt Tucholsky-Programm »Das Leben ist gar nicht so - es ist ganz anders ...« im November vor ca. 300 Schülern des Berufsbildungskollegs »Adolf Kolping« in Brakel auf und führten anschließend Gespräche mit vielen interessier-ten Jugendlichen. Anläßlich des Tucholsky-Geburtstages lief das Programm im Januar wieder im gut besuchten Zimmertheater Karlshorst. Am 3. April gastierte das Team mit Tucholsky-Texten, Chansons und Szenen im Wintergarten des Maritim-Hotels in Heringsdorf, am 24. April ist wieder »Heimspiel« im Zimmertheater angesagt, und für September ist ein Auftritt im Rahmen der Projektwoche der Berliner Kurt-Tucholsky-Gesamtschule vereimbart.

KTG-Mitglied Dolly Vellbinger wartet im süd- und westdeutschen Raum mit Tucholsky-Programmen auf und würde sich über Anfragen und Angebote aus anderen Regionen freuen.

Ruth Niemann stellte im Januar zum dritten Male in Berlin ihren Lichtbildervortrag »Auf den Spuren Tucholskys - Grabsteine erzählen« vor und informierte auf ungewöhnliche Weise über Verleger, Journalisten und Interpreten aus Tucholskys Berliner Schaffenszeit. Das seit zwei Jahren bestehende Satire-Forum »Tucholskys Erben«, das jeweils am 1. Montag im Monat im cabinett in Berlin-Tiergarten neue Texte vorstellt, versammelte im Geiste Tucholskys und unter der Moderation von Rainer Gerlach Anfang Februar und Anfang März wieder einige Spötter unserer Zeit und ließ sie vor dem zahlreich erschienen Publikum zu Wort und Szene kommen. Wolfgang Helfritsch überbrachte freundliche Grüße der KTG und steuerte eigene satirische Texte bei.

Thomas Bruhn gibt Literaturabende unterdem Motto »Bruhn liest spielend, laut und deutlich« (»Durst«-Texte irischer Autoren von Flann O'Brien bis Sean McGuffin).

Oliver Steller tourt mit Tucholsky-, Kästner- und Brechtprogrammen sowie mit »Zeitgenössischer Lyrik« und »Lust & Liebesgedichten« von Januar bis Mai durch die bundesdeutschen Landschaften.

Vorstandmitglied Susanna Böhme-Kuby hielt und hält folgende Vorträge:
19.Februar 2004: Tucholsky-Vortrag in Livorno, Deutsch-Italienisches Kulturinstitut
29./30. April 2004: Tucholsky-Vorträge an den Universitäten in Urbino
11. Mai 2004: Buchvorstellung (s. vorletzter Rundbrief) in Mailand, Goethe-Institut
18. Mai 2004: Tucholsky-Seminar in Wien, Europäische Journalismus-Akademie
27. Mai 2004: Tucholsky-Lesung in Venedig, im Veranstaltungsraum der Evangelischen Gemeinde

Am 6. Juni wird Daniela Dahn, Tucholsky-Preisträgerin von 1999, der Börnepreis verliehen. Der seit 1993 vergebene Preis erinnert an den Schriftsteller und Journalisten Ludwig Börne (1786-1837), der wegen seiner scharfsinnigen Prosa als ein Wegbereiter des politischen Feuilletons gilt. Zu den bisherigen Preisträgern zählen der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, »Spiegel«-Gründer Rudolf Augstein und der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger.


Redaktion: Maren Düsberg + Anne Schneller + Uwe Wiemann