Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft
- Dezember 2002-

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1. Spurensuche in den Pyrenäen
2. KTG-Aktivitäten
3. Aus den Arbeitskreisen
4. Vereinsnachrichten
5. Auslandsaktivitäten
6. Vermischtes
7. Aus Wissenschaft & Forschung
8. Schnipsel

 

 
  Herbstliche Spurensuche 2002 in den Pyrenäen - ein Tagungsbericht

Gewiss, 2000 Kilometer Entfernung vom heimischen Herd und zu befürchtende Spurensuchen in zerklüfteten Gebirgsregionen mögen manchen zunächst Reisemutigen schließlich doch davon abgehalten haben, sich auf die Fährnisse eines Pyrenäen-Abenteuers einzulassen. Wie anders sonst wäre es zu erklären, daß 16 zunächst euphorische Tucholsky-Jünger ihre Anmeldungen im Laufe der Inkubationszeit, zum Teil noch wenige Tage vor dem Countdown, stornierten.

Gewiss, es war auch nicht mit einer urlaubsnahen minutiösen Begehungsfahrt zu rechnen, und wer schlecht mit einer kurzfristigen Programmumstellung oder einer zeitlichen Verschiebung leben kann, sollte sich besser mit einem professionellen Reiseveranstalter engagieren.

Und unser Verein ist - wer wollte das in Abrede stellen - leider auch kein Jugendklub, und sich verändernde persönliche Konditionen sind einzukalkulieren. Deshalb gilt all jenen Freunden unser volles Verständnis, die anfangs mehr Courage und Reisewillen aufbrachten, als es die gesundheitliche Situation letztlich zuließ. Jedwede Schuldgefühle sind da unangebracht.

Wie dem auch sei: Die aus der sich ständig verändernden Teilnehmerzahl erwachsenden Probleme wurden bewältigt und am Ende bestand die Seilschaft, aufgefüllt durch Nicht- oder Noch-Nicht-Mitglieder der KTG, aus 24 wackeren Fährtenspürern. Sie nahmen im französischen und spanischen Teil Katalaniens Eindrücke in sich auf, die durch Reiseberichte wohl kaum zu vermitteln, geschweige denn zu ersetzen sind. Und auf einen solchen Versuch will sich unser Beitrag auch gar nicht erst einlassen.

Keine Enttäuschung
Soviel aber kann und muss gesagt werden: Im Fazit enttäuschte die Spurensuche - zumindest aus der Sicht der Initiatoren und Organisatoren - die Erwartungen nicht, und der September 2002 kann sich würdig in die Tagungen an jenen Stätten und in jenen Regionen einordnen, die unser Namensgeber im Laufe seines zu kurzen Lebens berührte und mit satirischer Feder beschrieb.

Wenn auch nur ein Abschnitt der damaligen Tucholsky-Gerold-Reise (Mary Gerolds Mitfahrt wurde ja vom Autor des Pyrenäenbuches erstaunlicherweise verschwiegen) zu Fuß, per Bus und mittels des legendären "Gelben Zuges" nachvollzogen werden konnte, wurden die Teilnehmer doch dadurch entschädigt, dass sich die Vorträge und Exkursionen nicht auf den berühmt-berüchtigten Reisenden des Jahres 1925 beschränkten. Es erwies sich als richtige Entscheidung, sich nicht nur an die Fersen Tucholskys zu heften und die Orte seiner originellen Beschreibungen aufzusuchen, sondern Auge und Ohr für diejenigen zu öffnen, die anderthalb Jahrzehnte später illegal die manchmal rettenden Pyrenäen überwanden - je nach der aktuellen Notlage von Spanien nach Frankreich oder von Frankreich nach Spanien -, stets aber als Gegner des Faschismus.
Unseres Vereinspatrons warnende Feststellung "Der Feind steht rechts!", die die "Weltbühnen-Tagung" des Vorjahres mitgeprägt hatte, erhielt durch dieses Tagungskonzepts einen nachträglich-ergänzenden Akzent.

Die Schilderungen und Kindheitserinnerungen Frau Noacks, deren Eltern die Begegnungsstätte La Coume oberhalb Mossets, in der wir tagten und uns rundherum wohl und hervorragend betreut fühlten, begründet hatten, gingen "unter die Haut". Das französisch-deutsche Ehepaar Krüger, selbst in die Emigration gezwungen, verbarg in einem ehemaligen Berghof unter Lebensgefahr Nazi-Gegner und betreute Emigrantenkinder. Frau Noacks Erinnerungen waren nicht weniger ergreifend als der Vortrag des engagierten und geschichtsbewussten Bürgermeisters von Banyuls sur Mer, Roger Rull, der sich erfolgreich für die Errichtung einer Gedenkstätte für die Fluchthelfer Lisa und Hans Fittko eingesetzt hatte. Er ließ es sich nicht nehmen, am letzten Exkursionstag die Anfangsstrecke des lebensrettenden Pfades durch das Gebirge gemeinsam mit seinen interessierten Gästen abzuschreiten.

Zwei Tage zuvor waren die Tagungsteilnehmer nicht nur durch gründlich recherchierte und informative Themen-Vorträge unserer KTG-Mitglieder Dr. Hilde Stutte und Dr. Hans-Detlef Mebes eingestimmt worden, sondern auch durch die Begegnung mit Institutionen, die die Erinnerung an die Emigranten, ihre Verfolgung, ihre Fluchtwege und ihre Internierung wachhalten und damit an sehr gegensätzliche deutsch-französische Kooperationsbeziehungen erinnern. Auszüge aus der Literatur von und über Emigranten, am abendlichen real existierenden Kamin zu Gehör gebracht, ergänzten diesen Aspekt der Spurensuche auf bewegende Weise.

Europäisches Dorf
Das malerische Bergdorf Mosset, das vom Aufenthalt der Tucholsky-Gesellschaft mehr als nur Notiz nahm, ist allein schon einen ausführlichen Bericht wert. Dort leben alteingesessene Bergbauern und Hirten, deren katalanischer Stolz sie nicht davon abhält, ihren angestammten Aktionsraum mit zugezogenen englischen Schriftstellern und Pensionären, umgesiedelten holländischen Künstlern, Intellektuellen und Zuwanderern aller Couleur zu teilen.
Und das Zusammenleben vollzieht sich, wie wir beobachteten und wie uns von Einheimischen überzeugend versichert wurde, ohne Feindschaft, Besitzneid und nationalen Dünkel. Kurt Tucholsky mit seinen Vorstellungen vom europäischen Haus und von der friedlichen Koexistenz der Gattung Mensch hätte sicher seine helle Freude daran gehabt.

Im Ort gibt es eine von Schülern und vielen Bewohnern gut frequentierte, ehrenamtlich geführte Bibliothek, zu deren Bestand wie selbstverständlich französische und deutsche Ausgaben des Pyrenäenbuches gehören, einen Kunstladen, in dem einheimische und eingewanderte Künstler Plastiken, Zeichnungen, Stoff- und Metallarbeiten vorstellen und zum Kauf anbieten und und und ...

Nicht wenige Pyrenäenbürger, gleich welcher Völkerschaft sie angehören und unter welchen Umständen sie in die Bergregion geraten sind, wirken im katalanischen Volkskunstensemble mit, das im nahegelegenen Bergdorf Eus seinen Sitz hat. Zu den Sängern und Amateurdarstellern des in der ostpyrenäischen Region geschätzten Ensembles gehört auch unser KTG-Mitglied Margriet Wyffels. Ihr und ihrem Lebensgefährten Hans Peters, ohne dessen tatkräftiges, selbstloses, sach- und ortskundiges Engagement vor und während der Tagung die Spurensuche 2002 nicht hätte stattfinden können, sei an dieser Stelle nochmals die besondere Anerkennung des Vorstandes ausgesprochen.

Die Wertschätzung der Konferenzleitung gilt nicht weniger dem Bürgermeister von Mosset, Olivier Betoin, und seiner unermüdlichen und stets gutgelaunten Frau Marta, der als guter Seele der Begegnungsstätte La Coume kein Wunsch zu viel und kein Anliegen zu ungewöhnlich war.

Last but not least: Ein Konzert des spanischen Komponisten- und Sängerpaares Manelic und Blanca, das als offizieller Konferenzbeitrag in der mittelalterlichen Capellata von Mosset stattfand, machte mit katalanischer Folklore und internationalen Chansons bekannt, vereinte Tagungsteilnehmer, Dorfbewohner und eigens dazu angereiste Gäste und gestaltete sich zu einem weiteren emotionalen Höhepunkt.

Wolfgang Helfritsch

Literaturempfehlungen:

a) PRIMÄRLITERATUR / TAGUNGS-VORINFORMATIONEN UND -BERICHTE:

Anny Oakley: Hilltowns of the Pyrenees (erschienen 1924; war Tucholskys "Fahrplan" für seine Pyrenäenreise 1925).

Kurt Tucholsky: Ein Pyrenäenbuch (verschiedene Ausgaben, Werkauswahl etc.).

Ein Pyrenäenbuch. Kurt Tucholsky. Mit Fotografien von Axel Cleske. Redaktion Harald Vogel und Axel Cleske. Herausgeber KTG e.V., Ludwigsburg 1990.

Jutta Scherer: Emigranten und andere Vagabonden. Eine Pariser Ausstellung von lästigen Wahrheiten und unverhofften Folgen. In: "Die Zeit", Feuilletonteil, Nr.23 v. 3. Juni 1983.

Pyrenäen - Rettende Grenze. Aus: Madeleine Klaus: "Das französische Katalonien", S. 83 - 103 (als Kopie in La Coume übergeben von Frau Noack).

Wolfgang Helfritsch: Und überall sind da Spuren. Reisebericht v. Aug./Sept. 00. In: KTG-Vereinsnachrichten, Dezember 2000.

Auf in die Pyrenäen! Informationen zur Vorbereitung der Pyrenäenfahrt. In: KTG-Vereinsnachrichten, Dezember 2001.

Wolfgang Helfritsch / Anne Schneller: Spurensuche in den Pyrenäen. Tagungs-Vorschau. In: ALG-Umschau, Nr. 28, April 2002.

Tagungs-Referate von Dr. Hilde Stutte "Fast vergessen: Varian Fry" und Dr. Hans-Detlef Mebes "Zum Lager Gurs und weiteren Deportiertenlagern in den Pyrenäen", gehalten am 20. September 2002 in La Coume

Jochen Reinert: Tucholsky in den Pyrenäen. In: "Das Blättchen", Nr. 21 vom 14.Oktober 2002.

Frank-Burkhard Habel: Ein Esel schreit nicht. Kurt-Tucholsky-Gesellschaft auf Spurensuche in den Pyrenäen. In: "Neues Deutschland", Feuilletonteil, 7. Oktober 2002.

Jochen Reinert: Flucht-Passagen über die Pyrenäen. In: "Neues Deutschland", Reportage, 19./20. Oktober 2002.

b) EMIGRANTENLITERATUR Lisa Fittko: Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41. Carl Hauser Verlag München Wien, 1985.

Anna Seghers: Transit. Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1974.

Walter Mehring: Wir müssen weiter. Fragmente aus dem Exil. Ullstein-Werkausgaben, Ullstein-Buch Nr. 37024, 1981.

Joachim Seyppel: Abschied von Europa. Die Geschichte von Heinrich und Nelly Mann, dargestellt durch Peter Aschenback und Georgiewna Mühlenhaupt. Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1975.

Exil in Frankreich. Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945, Bd. 7. Reclams Universal-Bibliothek Bd. 867. Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 1981.

Patrik von zur Mühlen: Spanien war ihre Hoffnung. Die deutsche Linke im Spanischen Bürgerkrieg 1936 - 1939. Dietz Taschenbuch 12, 1985.

Anmerkung:
Wolfgang Helfritsch teilte der Redaktion mit, dass sich durch die Tagung auch einige Aktivitäten von spurensuchenden Nichtmitgliedern ergeben hätten. Frau Dr. Christa Reder-Winterstein (Joyeusse/Ardeche), die der "Französisch-deutschen Gesellschaft Süd-Ardeche" angehört, habe ihn um biografische Angaben und literarische Empfehlungen gebeten. Sie benötigt diese für einen Vortrag über "Tucholsky in Frankreich", den sie im März 2003 auf einer Veranstaltung der "Französisch-deutschen Gesellschaft Süd-Ardeche" halten wird. Wolfgang Helfritsch hat ihr dafür Hilfe zugesagt - wie er schrieb, "auch mit dem Hintergedanken einer weiteren KT-Dependance in Frankreich."


 
  KTG-Aktivitäten

2. April 2002:

Gedenktafel für Siegfried Jacobsohn


V.l.n.r: Bildhauer Reinhard Jacob, "Initiator" Friedhelm Greis, S.J.-Biographin Stefanie Oswalt, Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen, Sponsor Peter Hess. Foto: Hannelore Teutsch

Charlottenburger: Aus der wackeren "Berliner Morgenpost" durftet Ihr Anfang April entnehmen, dass Euer schöner Bezirk einmal nicht betteln gehen musste. Dem Hamburger Kunstsammler Peter Hess sei es zu verdanken, dass zu den 297 Gedenktafeln in Charlottenburg-Wilmersdorf eine weitere hinzukommen konnte. In der Dernburgstraße 57 für den Gründer und Herausgeber der "Weltbühne", Siegfried Jacobsohn. Wobei Peter Hess der "Morgenpost" nicht verraten wollte, "wie viel Geld er in die Tafel gesteckt hat". Euch Charlottenburgern wollte dagegen die "Morgenpost" nicht sagen, dass die Kurt-Tucholsky-Gesellschaft vor der Gedenktafelenthüllung hatte ein wenig betteln gehen müssen. Und zwar beim Bezirk. Schließlich wollte das zuständige Amt die Tafel partout am falschen Haus anbringen. Und das nur, weil dieses heute dieselbe Hausnummer 25 trägt wie Jacobsohns Wohn- und Arbeitsstätte zur damaligen Zeit. Da die Erfüllung dieser Bitte vermutlich nichts kostete, wurde sie der KTG ebenso gewährt wie der Wunsch, am Textentwurf für die Tafel mitzuwirken. Was unter Mithilfe von Walter Jens dann auch geschah.


Alles Betteln half jedoch an jenem 2. April Frau Ursula Madrasch-Groschopp nichts. Musste sich die frühere Redakteurin der Ost-Berliner "Weltbühne" für ein Gruppenfoto doch neben einem Offizier des Charlottenburger Wachbataillons aufstellen. Ausgerechnet vor einer Gedenktafel für S.J. Der KTG-Rundbrief kommt jedoch gerne der Bitte von Frau Madrasch-Groschopp nach und druckt das Bild nicht ab. Kostet ja nichts.

Friedhelm Greis

7. November 2002:

"Rheinsberg"-Lesung im Literaturhaus Berlin


 
  Aus den Arbeitskreisen


AK Schulen:

Nachrichten aus der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule Minden

Im Frühjahr wurde die KTG beim Schul-Contest des Westdeutschen Rundfunks (Schulfernsehen) mit einem 1. Platz für die beste Präsentation der Schulen Nordrhein-Westfalens im Internet ausgezeichnet. Dies war für Dieter Naroska, Klaus Lindemann und einige Schüler/innen eine schöne Bestätigung ihrer langjährigen Arbeit an der Site. Wer sich dafür interessiert, kann ja mal unter www.ktg-minden.de hineinschauen. Das Gästebuch wartet.

Die von Eduard Schynol geleitete Tucholsky-Bühne wird - nach der intensiven Arbeit an Carls Zuckmayers "Rattenfänger", an dem über vierzig jugendliche und erwachsene Darsteller mitwirkten - als nächstes Projekt den "Besuch der alten Dame" einem interessierten Publikum präsentieren.

Am 12. Juli fand das traditionelle Sommerfest der Schule statt. Hier treffen sich alljährlich Schüler, Eltern, Lehrer und besonders viele ehemalige Schüler zum bunten, kommunikativen Schuljahresausklang mit Sport, Spiel und Sound. Brigitte Rothert und Wolfgang Helfritsch reisten aus Berlin an und konnten sich über einige Neuerungen freuen, die Leben und Werk K.T.s anschaulich den Schülern näher bringen sollen: Friedhelm Klinger, ein Mindener Freizeit-Maler, übergab ein von ihm in mehrwöchiger Arbeit gestaltetes, eigenwilliges Tucholsky-Portrait. Das "Werk" fand seinen Platz im Eingangsbereich.

In der Mediothek konnten sich Schüler, Eltern und Gäste erstmalig anhand von Bildtafeln über die Vita ihres Namensgebers informieren, während in der Mensa eine Weltkarte mit der Angabe der Länder, aus denen unsere Schüler/innen kommen, die Besucher faszinierte. "Wir sind eben doch eine multi-kulturelle Schule mit Schüler/innen aus momentan 35 Ländern!" Finanziert wurden diese Exponate hauptsächlich aus Mitteln des Fördervereins, aber auch durch Sponsoren und öffentliche Gelder.

Klaus Lindemann (KTG Minden)

Vorschau:

Seit einigen Jahren veranstaltet die Schule zu Tuchos Geburtstag eine öffentliche Feier. 2003 findet sie am 11. Januar um 19.00 Uhr im Preußen-Museum Minden statt.

Im Zusammenhang mit der Geburtstagsfeier findet am 11. Und 12. 11./12. Januar in Minden das erste Treffen aller Tucholsky-Schulen statt. Anfang Dezember hatten die Schulen aus Minden, Krefeld und Hamburg ihre Teilnahme zugesagt.

Im Rundbrief 1-03 werden wir ausführlich über die Geburtstagsfeier und das Schultreffen berichten.


 
  Vereinsnachrichten

Britta Schahn-Hepp zum Gedenken (1951-2002)

"Die Männer sind die gleichen geblieben... geändert hat sich überall in allen Ländern der Menschheit anderer Teil, die Frau." Das schrieb die Journalistin Gabriele Tergit (1894-1982) im "Berliner Tageblatt" 1930. Heute könnte ohne berufstätige Frauen das Netz sozialer Kommunikation nicht funktionieren. Literarische Gesellschaften, so unsere Kurt Tucholsky-Gesellschaft, verdanken ihre Existenz Frauen, die Tergit "der Menschheit geänderten Teil" nannte. Eine "offene Gesellschaft" ist möglich geworden. Wirklich ist, was man messen kann, heißt ein anderer Satz der Moderne, eine weibliche Grunderfahrung von jeher: Frauen verstehen sich auf Distanzen, darum sind sie besser.

Britta Schahn, 1951 geboren, machte Abitur, wurde Kaufmannsgehilfin, Diplomingenieurin, diplomierte für Entwerfen und ländliches Bauen, erwarb das English Certificate im Cambridge. Sie entwarf Architektur hauptsächlich für öffentliche Bauten, machte Projektleitungen im Hochbauamt Bremen - auch für das Operationszentrum, in dem sie dann medizinisch hervorragend betreut wurde.

Als Michael Hepp seine "Biographischen Annäherungen an Tucholsky verfasste, war sie seine erste Kritikerin. Ihr hochentwickelter Sinn für exakte Maße kam der KTG in ihrem Logo-Entwurf wie den Publikationen des Vorstandes zugute, bis 1999 der Krebs sie zu peinigen begann. Wer das Ehepaar Schahn-Hepp - die "geänderte Frau", den "gleich gebliebenen Mann" - in den Jahren der Not begleiten durfte, verneigt sich in Respekt vor der tapferen Humanität dieser beiden. Nach langer Qual entschlief Britta erlöst, als sie am 23. November 2002 den Kampf verloren hatte.

Harry Pross

Ein Europäer in Saarlouis

Ein großes Ziel hatte sich Kurt Gergen gesetzt: Die Ausstellung "Gesichter eines Europäers. Kurt Tucholsky - Texte und Bilder", die bereits in Amsterdam und Paris Station gemacht hatte, wollte er nach Saarlouis holen. Und er holte sie nach Saarlouis. Mit immensem Arbeitsaufwand und in enger Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen vor Ort arrangierte Gergen um die Ausstellung (24. März - 30. Juni 2002) herum ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm. Zur Ausstellungseröffnung im Saarländischen Museum war Dr. Peter Böthig aus Rheinsberg gekommen (die Gedenkstätte Rheinsberg war Mitveranstalter) und hielt den einführenden Vortrag. In den folgenden 13 Wochen besuchten mehr als 2.500 Menschen die Ausstellung. Zum Rahmenprogramm gehörten unter anderem ein Kabarettabend mit Susan Ebrahimi und Fritz Maldener und eine Finissage mit Gisela May. Oliver Steller machte vor 250 Schülern Jugendkabarett; auch eine gut besuchte Lehrerfortbildung (45 Teilnehmer) fand statt. Die Buchabteilung des örtlichen Kaufhauses hatte für die Dauer der Ausstellung eigens ein Tucholsky-Schaufenster gestaltet und präsentierte auf einem Sondertisch die gesammelten Werke.

Das Engagement Kurt Gergens kann als voller Erfolg gewertet werden. Presse, Funk und Fernsehen berichteten. Die Saarbrücker Zeitung schrieb: "Die Ausstellung ist liebevoll zusammengestellt, ansprechend gestaltet und macht Lust auf die Werke von Tucholsky. Ein großes Kompliment für eine literarische Ausstellung." Kann man sich eine bessere Presse vorstellen?

Ein Resultat der Ausstellung in Saarlouis ist, dass Tucholskys Werk im kommenden Jahr im Saarland zum Abiturthema werden soll - ein schöner Erfolg für Kurt Gergen und ein weiterer Beweis für die Zeitlosigkeit des Journalisten.

Aktive Botschafterin

Brigitte Rothert hat auch in diesem zu Ende gehenden Jahr wieder ein Mammutprogramm absolviert. Im Rahmen ihrer Aktivitäten für den Arbeitskreis Schulen war sie vom 9.-13. Januar 2002 als "Botschafterin" der KTG an der Tucholsky-Gesamtschule in Minden zu Gast. In zahlreichen Gesprächen und Begegnungen mit Schülern, Lehrern und Besuchern der öffentlichen Feier zu Tucholskys Geburtstag am 11. Januar im Preußen-Museum machte sie einmal mehr unsere Gesellschaft bekannt und konnte neue Beziehungen knüpfen.

Im Feburar veranstaltete sie eine Tucholsky-Lesung in Berlin. Im April war sie zu eine viertägigen Vortragsreise im Sauerland unterwegs. Themen dort waren neben "Leben und Werk Tucholskys" und der KTG auch die Gedenkstätte Rheinsberg, die "Restauration Tucholsky" in Berlin, die "Weltbühne" und deren Nachfolgeorgane "Blättchen" und "Ossietzky". Die Vorträge hielt sie in der Volkshochschule Iserlohn, vor dem Bildungsforum Aspekte - Bürgerinitiative für Frieden und Abrüstung in Ost und West (Märkischer Kreis), im Burg-Gymnasium Altena, in der Burg Holtzbrinck und in Hagen. Brigitte Rothert war begeistert von der Resonanz auf ihre Vorträge - großes Interesse und eine rege Beteiligung an den sich immer anschließenden Diskussionen zeigten wieder einmal, daß Tucho nicht an Aktualität verloren hat.

Am 29. Juni ging es nach Rheinsberg, am 12. Juli zusammen mit Wolfgang Helfritsch zum Sommerfest der Kurt -Tucholsky-Gesamtschule nach Minden, usw. usf. - auf alle Veranstaltungen die Brigitte Rothert bestritt ausführlich einzugehen, sprengte leider den Umfang dieses Rundbriefs.

Lebensüberblick mit Musik

Auch Beate Schmeichel-Falkenberg nimmt ihren Informationsauftrag weiterhin sehr ernst und engagiert sich nach Kräften. Im März stellte sie im Haus des Gastes "Erzhammer" in Annaberg-Buchholz "in einer literarisch-musikalischen Stunde unseren Namensgeber vor und setzte sich - "musikalisch hervorragend begleitet", wie die Annaberger Zeitung bescheinigte - mit der Frage "Kurt Tucholsky - Erfolg, aber keine Wirkung" auseinander. Die Annaberger Zeitung schrieb: "Beate Schmeichel-Falkenberg gehört zu jenen Persönlichkeiten, über die man mit Fug und Recht sagen kann, nur wer selbst brennt, kann andere entzünden. Engagiert und ausgerüstet mit Detailkenntnissen holte sie Tucholsky vom Bucheinband zurück ins Leben, ließ die aufmerksamen Zuhörer nachvollziehen, warum dieser lebensbejahende, außergewöhnliche Mensch den "Mut" zum Freitod hatte. Gekonnt setzte sie Parallelen zur Gegenwart. Beispielsweise: Gibt es einen heiligen Krieg?" Der KTG-Vorstand bedankt sich bei Brigitte Rothert, Beate Schmeichel-Falkenberg und Kurt Gergen für ihr Engagement.


 
  Auslandsaktivitäten

Tucholsky in Osteuropa

Sehnsucht nach der Sehnsucht

"Tucholsky auf Deutsch? Verstehen die Russen und Ukrainer oder Rumänen überhaupt Tucholskys Texte?" - diese Frage wurde uns, dem Lyrik-Bühne Duo, mir und Johannes Weigle, dem bildenden Künstler und Musiker aus Remseck-Schloss Hochberg, immer wieder als erste gestellt, als wir berichteten, dass wir musikalisch-literarische Tucholsky Soireen in Russland (Samara und Togliatti), in der Ukraine (Czernowitz und Kiew) und in Rumänien (Bukarest, Hermannstadt und Iasi) gegeben haben.
Unsere Antwort ohne Einschränkung: "Und wie gut, nicht nur im Hörverständnis, sondern auch im Erlauschen der Hintergründigkeit und der Betroffenheit über eine von Widersprüchen geprägte Zeit."

Wie kam es dazu? Wie wir schon bei der Tucholskytagung 2000 in Berlin im Rahmen des Themas "Tucholsky und das Kabarett" erläutert und präsentiert haben, porträtieren wir seit 1996 LyrikerInnen in Texten und Chansons mit einer moderierenden Einbettung. Mit Tucholsky hat unsere Zusammenarbeit angefangen und zusammen mit Bernard Tewes zu der Gründung des Literaturprojektes "Lyrik-Bühne" in Esslingen geführt (bisher 7. Spielzeit mit 30 Autorenportraits, dazu eine begleitende bibliophile Autorenedition).

Überregional gehen wir seitdem mit lyrisch-musikalischen Programmen als "Lyrik-Bühne Duo" auf Tournee. Das Interesse dokumentiert sich auch im Ausland durch regelmäßige Auftritte in der Schweiz und in den Osteuropatourneen, bisher Russland, Ukraine, Rumänien, Polen und ganz aktuell nach Sibirien. Dabei immer wieder unser "Hausprogramm": Tucho, Tucho, Tucho ("Ja, das möchste...!" und "Das Schönste an der Liebe ist die Liebe selber").

Wie hat sich dies entwickelt?
Im Rahmen einer Gastprofessur an der Universität Samara und Togliatti in Russland 1998 lud das Goethe-Institut Moskau auf Bitten Stuttgarts, der Partnerstadt von Samara, das Lyrik-Bühne Duo zu einem Gastspiel ein. Neben Goethe, Heine, Kästner und Brecht auch: Tucholsky, dessen Texte ich auch an der Universität in Vorlesung und Seminar einbezog. Die Texte waren den Studierenden über das von mir konzipierte Leseportrait "Tucholsky lesen" zugänglich. Auch unserem Gründungsmitglied aus Samara, Irina Wastschenko, verdanken wir die besondere Tucholsky-Resonanz. Die herausragende Sprachsensibilität und Sprachkompetenz gegenüber der deutschen Sprache bei den russischen Deutschstudierenden sicherte Verständnis und Aufmerksamkeit auch bei den Soireen.

Spannend wurde für uns die Frage, wie diese intensive Tucholskyrezeption einzuschätzen sei. Gespräche vermittelten eine Hypothese, die sich in der Ukraine und in Rumänien bestätigen sollte. Nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Herrschaftssystems war auch eine Utopie verloren gegangen. Den Orientierungsverlust und die existentielle Verunsicherung konnte kein westliches Lebenskonzept kompensieren, ganz im Gegenteil. Der kapitalistisch erlebte Einbruch und das marktwirtschaftliche, für die meisten unbezahlbare Angebot entpuppte sich als Plattform für die neue Nutzung und Ausbeutung des Kapitalmarktes durch eine versiert operierende Minderheit (in aller Munde "die neuen Russen", "die neuen Ukrainer, Rumänen ..."). Für die Jugendlichen erhielt der Erwerb von Fremdsprachkompetenz als Vermittlungschance zum Westen einen neuen Stellenwert. Dies erklärt auch den Sog, Deutsch als Fremdsprache zu studieren. Die Zahl der Dozenten an den Lehrstühlen für Fremdsprachen/Deutsch stieg enorm.
Die Lebensveränderungen mit den inneren und äußeren Widerspruchswahrnehmungen finden in den Tucholsky-Texten eine Korrespondenz in einer unterhaltsamen, empfindsamen und intellektuellen Ansprache. Man versteht Tucholskys "Sehnsucht nach der Sehnsucht".

Im Sommersemester 2001 wiederholte sich dieser Eindruck noch vielfältiger und erlebnisintensiver während der Auftritte in der Ukraine und in Rumänien. Die Tourneen fanden im Zusammenhang mit einer Gastprofessur an der Universität Czernowitz aus Anlass des Gedenkens an den 100. Geburtstag Rose Ausländers statt und wurden möglich durch die Unterstützung der Deutschen Botschaft und der Goethe-Institute Kiew und Bukarest. Auch hier beschäftigten sich die Studenten in den Seminaren mit Tucholsky-Texten und verfolgten die Tucholsky-Soireen mit besonderer Aufmerksamkeit.

Im Auftrag des Instituts für Auslandsbeziehungen starteten wir im SS 2002 eine Polen-Tournee, die sich im Jahr 2003 fortsetzt. Im Rucksack natürlich Tucho! Im September gastierten wir auf Einladung der Robert Bosch-Stiftung mit Tucholsky auch am Baikal und in sieben sibirischen Universitätsstädten entlang der 4000 km langen transsibirischen Eisenbahnstrecke von Irkutsk bis Ekaterinenburg. Die Reise geht im nächsten Jahr wahrscheinlich auf Einladung des Goethe-Institutes Jerusalem weiter nach Israel. Man darf gespannt sein ...

Harald Vogel

Literaturtipps:
Die Dokumentation des internationalen Kolloquiums zu "100 Jahr Rose Ausländer" in Czernowitz ist erschienen im Schneider Verlag Hohengehren, "Immer zurück zum Pruth", hrsg. von Michael Gans und Harald Vogel, Baltmannsweiler 2002.
Das Leseportrait, bearbeitet von Harald Vogel, ist in 2. (aktualisierter) Auflage im Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 1997, erschienen. Dazu liegt eine CD des Lyrik-Bühne Duos vor: "Ja, das möchste...!".

Weitere Titel der "Leseportrait"-Reihe des Schneider Verlags, hrsg. von Harald Vogel:
Bd. 2: "Rose Ausländer lesen" (mit CD "In Nichts gespannt")
Bd. 3: "Bertolt Brecht lesen"
Bd. 4: "Erich Kästner lesen".

Aktuelle Informationen können unter www.lyrik-buehne.de abgerufen werden.
Kontakt via E-Mail: Vogel_Harald@ph-ludwigsburg.de

Aufruf zur Bücherspende für die tschechische Universität Usti nad Labem

Liebe Mitglieder der KTG,

die böhmische Industriestadt Usti nad Labem (dt.: Aussig an der Elbe) liegt unweit der deutschen Grenze im Norden der tschechischen Republik. An der dort ansässigen Universität gibt es eine kleine Fakultät für deutsche Sprache und Literatur, in der ausschließlich Deutsch-Lehrer ausgebildet werden.

Im Rahmen der Durchführung einiger Gastseminare (Usti verbindet eine langjährige Institutspartnerschaft mit der Universität Dortmund) musste ich immer wieder mit Bedauern feststellen, dass das große Interesse der Studierenden an Werk und Person Tucholskys vielfach an der äußerst spärlichen Ausstattung der dortigen Fachbereichs-Bibliothek scheiterte. Lediglich einige versprengte Sammelbände und zwei vergilbte Kurzbiographien stellten den traurigen Bestand dar, auf den zurückgegriffen werden konnte und bei vielen anderen kanonisierten Autoren deutscher Sprache sah es ähnlich aus. Eine Besserung steht angesichts der immensen finanziellen Probleme tschechischer Universitäten nicht in Aussicht.

Deshalb hat der Vorstand der KTG beschlossen, an Sie, liebe Mitglieder, einen Aufruf zu richten und Sie um eine Bücherspende zu bitten:

Wessen Regale überquellen und wer sich von Teilen seiner deutschsprachigen Primär- und Sekundärliteratur trennen kann und möchte, möge sich bitte an die anderen Vorstandsmitglieder der KTG oder direkt an mich wenden:

Uwe Wiemann
Blücherstr. 30
44147 Dortmund
Tel.: (0231) 88 22 042
e-Mail: u_wiemann@gmx.de

Herzlichen Dank, vor allem im Namen unserer tschechischen Kollegen!

Uwe Wiemann

Schweden

Kurt-Tucholsky-Stipendium des schwedischen PEN-Clubs

Das Kurt-Tucholsky-Stipendium des schwedischen PEN-Clubs wurde 2002 dem Roma-Schrifsteller Rajko Djuric zuerkannt.

Rajko Djuric wurde 1947 in Malo Grasje in der Nähe von Belgrad geboren. Seit 1991 lebt er im Exil in Berlin, wo er politisch und kulturpolitisch für die Sache der Roma kämpft. Djuric schreibt Poesie, Novellen und Essays in drei Sprachen - Romanes, Serbokroatisch und Deutsch - und ist daneben als Kulturjournalist tätig. Er ist einer der Drehbuchautoren des Filmes "Die Zeit der Zigeuner" von Emir Kusturica aus dem Jahr 1989.

Das Stipendium beläuft sich auf 150.000 Kronen. Es wird vom schwedischen PEN-Club jedes Jahr an einen verfolgten, bedrohten oder landesflüchtigen Schriftsteller oder Publizisten verliehen/ausgezahlt.


 
  Vermischtes

Mühe gegeben

Die Jüdische Theaterbühne Bamah hat sich mit literarischen Programmen zu Isaac Bashevis Singer, Georg Kreisler, Friedrich Hollaender oder auch Erich Fried (wie hier schon wohlwollend bemerkt), einige Meriten erworben. Die neueste dieser Hervorbringungen heißt höchst einfallsreich "Kurt Tucholsky Revue". Eine Revue ist laut Lexikon eine Bühnendarbietung aus lose aneinandergereihten Szenen mit Gesang, Tanz u. Artistik. Nun denn. Bühnendarbietung stimmt ohne Einschränkung. Lose aneinandergereiht trifft auch zu. Gleich am Anfang mühen sich die Schauspieler, die zahlreich erschienenen Zuschauer mit einem roten Wollknäuel einzuwickeln. (Das ist dann das Stück Artistik.) Nachdem der Akt nach ungefähr fünf endlosen Minuten beendet ist, stellt sich heraus, dass er einem Witz dient. Wir sollen den roten Faden nun festhalten, denn, so wird versprochen, ein anderer werde nicht geliefert. Das Versprechen wird strengstens gehalten, und der Faden, den fast jeder brav zwei Stunden lang in den Händen hält, vergisst das Publikum ebenso wie die Künstler. Seine körperliche Anwesenheit genügt.

Die Texte scheinen wahrhaftig dem Kraut-und-Rüben-Prinzip zu gehorchen. Immer mal wieder unterbricht sie der apostrophierte Gesang, zu dem manchmal sogar etwas wie Tanz angedeutet wird. Natürlich haben es Interpreten kleiner Theater schwer, wenn sie bei den Zuschauern an die Erinnerungen anknüpfen müssen, die Stars wie Annemarie Hase, Paul Graetz oder Ernst Busch, die May, der Pfitzmann oder Grethe Weiser hinterlassen haben. Zu dem Handikap, daß keiner der drei Bamah-Darsteller über eine ausreichende Gesangsstimme verfügt, kommt noch hinzu, dass ihnen das Berliner Idiom, bei Tucholsky eine Grundvoraussetzung, offensichtlich fremd ist. Dafür allerdings haben sie sich wacker geschlagen. Man merkte, welche Mühe sie sich gaben!

In dieser Revue werden einige Lieder vorgetragen, die Kurt Tucholsky unter seinem Pseudonym Theobald Tiger selbst vertont hat. Anderes klingt nach Hollaender, Eisler oder Olaf Bienert, aber das Programmheft gibt der Vermutung Raum, auch diese Titel seien von Tucho. Naja.

Die Inszenierung von Hausherr Dan Lahav hat eine Idee. Viele der vorzutragenden Texte sind auf den Bühnenboden und Aufsteller, auf Wände und Requisiten geschrieben (Ausstattung Dan Lahav). Immer wieder sind die Darsteller gehalten, die Texte abzulesen. Selbst der hübsche Sketch um das Ehepaar, das einen Witz erzählt, ist aufgeschrieben. Zuerst wird wortreich erklärt, warum der Text aus einem Heft abgelesen wird, und dann wird mit dieser Tatsache nicht mal gespielt. Wenn andere Texte von der Dekoration abgelesen werden, so entsteht durchaus ein brechtscher V-Effekt. Einfühlung unmöglich. Der Tucholsky-Kenner erinnert sich, daß Tucho Brecht hasste, und fragt sich: Soll das eine verspätete Versöhnung sein? Oder eher der Sieg Brechts über Tucholsky?

Kurt Tucholsky, so viel Witz er auch aufwandte, war ein politischer Dichter. Die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg machten ihn zum Pazifisten. Gerade angesichts der züngelnden Flammen, von denen man nicht weiß, ob sie zum erneuten Weltbrand führen, hätte man diesen Aspekt herausstreichen müssen. Stattdessen werden zur Aktualisierung Reizworte wie Euro und Castorf bemüht, und ein positiv gefärbter Schnipsel über Kommunisten wird bedeutungsvoll dem Müll übergeben. Das muss reichen.

Der flaue Beifall lag wohl daran, daß so mancher noch krampfhaft an seinem roten Faden festhielt, um sich dann etwas umständlich davon zu befreien. Vielleicht ein Sinnbild.

Frank-Burkhard Habel
(aus: Das Blättchen, Nr. 24/2002)


 
  Aus Wissenschaft & Forschung

Sabina Becker / Ute Maack (Hrsg.):
Kurt Tucholsky. Das literarische und publizistische Werk

2002. 317 S., kart.
Euro 26,90 [D] / sFr 45,50
ISBN 3-534-15407-X
(Zugleich Ausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt)

Im Rahmen eines Studienbuchs Kurt Tucholskys Werk "unter spezifisch germanistischer Perspektive vorzustellen und der Versuch einer literaturwissenschaftlichen Würdigung seiner Schriften zu unternehmen" hatten sich die Literaturwissenschaftlerinnen Sabina Becker und Ute Maack (beides KTG-Mitglieder) vorgenommen. Im Herbst diesen Jahres ist dieses Studienbuch erschienen.

Auf die Idee zu dem Buch kam Sabina Becker, weil "die Erfahrungen im universitären Lehrbetrieb zeigen, dass Tucholsky immer weniger als ein literarischer Autor wahrgenommen wird, der er doch zweifelsohne ist. Der Band könnte den germanistischen Bemühungen um diesen Autor neue Impulse geben, zumal in den letzten Jahren wenig nennenswerte literaturwissenschaftliche Arbeiten zu Tucholsky erschienen sind. Darüber hinaus ist ein solcher Band jedoch sicherlich auch für ein breiteres Publikum von Interesse - Tucholsky ist nach wie vor ein populärer und bekannter Autor."

Als Zielgruppe wurden daher nicht nur Lehrende und Studierende der Germanistik, Literaturwissenschaftler, Bibliotheken, sondern auch "ganz normale" Tucholsky-Leser ins Visier genommen.

In der Kurzinformation des Verlages zu dem Buch heißt es: "Mit diesem Band liegt eine intelligente und zeitgemäße Einführung in das Werk Kurt Tucholskys vor, die zugleich Einblick in die Literatur- und Kulturgeschichte der Weimarer Republik gibt. In einer ausführlichen Einleitung und zwölf Einzelbeiträgen geben die Autoren einen systematischen Überblick über die verschiedenen Werkgruppen, Gattungen und Genres, die Tucholskys vielseitiges Schaffen ausmachen.

Die Herausgeberinnen, Sabina Becker und Ute Maack haben es sich zum Ziel gesetzt, den Autor Kurt Tucholsky für die germanistische Wissenschaft und Fachwelt neu in Erinnerung zu bringen. Sein literarisches Werk wird unter spezifisch germanistischer Perspektive vorgestellt und literaturwissenschaftlich gewürdigt.

Die Herausgeberinnen und Autoren, allesamt ausgewiesene Tucholsky-Kenner, stellen nach Werkgruppen, Gattungen und Genres geordnet die wichtigsten Texte vor und machen u.a. mit Tucholsky als Romanautor, Reiseschriftsteller, Lyriker, Kritiker und Briefschreiber bekannt. Damit liegt erstmals nach langer Zeit wieder eine aktuelle Einführung in Tucholskys Werk vor, die dem Leser auch ein Stück Literatur- und Kulturgeschichte der Weimarer Republik näher bringt."

Zu den Herausgeberinnen:
Sabina Becker, lehrt Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität des Saarlandes. Sie ist Herausgeberin des seit 1995 erscheinenden Jahrbuchs zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik sowie mehrerer Bände der Gesamtausgabe der Werke und Briefe Kurt Tucholskys.

Ute Maack, Mitarbeiterin der Kurt-Tucholsky-Forschungsstelle der Universität Oldenburg, ist Herausgeberin und Mitherausgeberin mehrerer Bände der Gesamtausgabe der Werke und Briefe Kurt Tucholskys.

Inhaltsübersicht:

SABINA BECKER, UTE MAACK: Kurt Tucholsky. Das literarische und publizistische Werk

SASCHA KIEFER: "Meine ganze Jugend". Tucholsky und Rheinsberg (1912)

GÜNTER HÄNTSCHEL: Kurt Tucholskys Ein Pyrenäenbuch (1927)

DIETER MAYER: "Aktiver Pessimismus". Kurt Tucholskys: Deutschland, Deutschland über alles (1929)

WALTER DELABAR: Eine kleine Liebesgeschichte. Kurt Tucholskys Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte (1931)

SABINA BECKER: Gegen deutsche "Tiefe" und für poetisch "Leichtigkeit". Kurt Tucholskys und Walter Hasenclevers Komödie Christoph Kolumbus oder die Entdeckung Amerikas (1931/32)

HERMANN KORTE: Kurt Tucholskys Lyrik

RENKE SIEMS: Gesprochene Schrift. Zu Kurt Tucholskys Erzählprosa

UTE MAACK: "Warum schreibt das keiner?" Kurt Tucholskys Literaturkritik

GERHARD KRAIKER: "Vertikaler Journalismus". Kurt Tucholskys politische Publizistik der Jahre 1911-1933


 
  Schnipsel

Bei dem im Rundbrief vom Dezember 2001 auf Seite 12 abgedruckten Text "Moorlandschaft Mitte" (Neues Deutschland, 8. Oktober 2001, Seite 11) fehlte der Hinweis auf den Autor. Verfasser des Beitrags ist Jochen Reinert.

Das Zimmertheater Karlshorst feiert im Dezember 2002 sein zehnjähriges Bestehen. Die KTG gratuliert Wolfgang Helfritsch als Vorsitzendem des Theater-Vereins und seinen Mitstreitern und Mitstreiterinnen ganz herzlich!

Die Kurt Tucholsky Gedenkstätte in Schloss Rheinsberg ist umgezogen; sie befindet sich jetzt im Marstall. 16831 Rheinsberg, Tel.: (03 39 31) 39007, Fax: (033931) 39103.
Öffnungszeiten: Täglich außer Montag von 9.30 - 12.30 Uhr und 13.00 - 17.00 Uhr.
http://www.rheinsberg.de/tucholsky
KTucholsky@rheinsberg.de


Redaktion: Anne Schneller + Maren Düsberg + Uwe Wiemann