Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft
- Dezember 2004-

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1. Vorwort
2. Über gute "gesamtdeutsche" Zusammenarbeit
3. "Arbeit, die in die Welt geht"
4. Das Internetangebot der KTG
5. Rückblick auf "Tucholsky und Heine"
6. Treffen in Nußbach
7. Das Literaturmuseum in Rheinsberg
8. "Nachher" - Ein Tucholsky-Stück in München
9. Patenschaften für verbrannte Bücher
10. Tucholsky-Reise durch Norddeutschland

 

 
  Vorwort

Sehr geehrte, liebe Mitglieder der KTG, liebe Freunde,
bitte erstaunen Sie nicht allzu sehr darüber, dass Sie diesmal Ihren Rundbrief in einer leicht veränderten Aufmachung erhalten. Wir versprechen, Sie auch in Zukunft nicht mit "unerwünschter Werbung" zu behelligen. Roland Links' beiden Beiträgen können Sie aber entnehmen, dass es allein darum geht, Ihnen unsere "Druckerei" näher zu bringen. Seit meinem ersten Besuch der Diakonischen Werkstätten in Leipzig, der mich über die Maßen beeindruckt hatte, wollten wir Ihnen vor Augen führen, in welcher Umgebung und unter welchen Bedingungen Ihre Rundbriefe und die letzten Dokumentationen über die Tucholsky-Preis-Übergaben entstehen.

Da wahrscheinlich vielen von Ihnen nicht bekannt ist, dass auch jedes einzelne Mitglied Kandidaten für unseren Kurt Tucholsky-Preis vorschlagen kann, stellen wir Ihnen die Auschreibungsbedingungen vor, die nach Möglichkeit in Zukunft wohl vereinfacht werden sollten und könnten. Vorschläge dazu aus Ihrer Mitte sind erbeten und willkommen.
Im unmittelbaren Zusammenhang dazu steht die vom Vorstand im Oktober 2004 neu gewählte Jury. Die KTG kann ziemlich stolz sein, dass sich wiederum namhafte Mitglieder und Nichtmitglieder bereit erklärt haben, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Es sind dies:
Frau Dr. Susanna Böhme-Kuby, Hochschullehrerin und Schriftstellerin in Venedig, der Schriftsteller Volker Braun (Berlin), die Publizistin und Tucholsky-Preisträgerin von 1999 Daniela Dahn (Berlin), der Schriftsteller Helmut Eikermann (Berlin), der vielen bekannter unter seinem nom de plume Jan Eik sein dürfte und schließlich der Publizist Mathias Greffrath, ebenfalls aus Berlin.

Besondere Aufmerksamkeit verdient der Beitrag des Leiters des Kurt Tucholsky-Museums in Rheinsberg, Dr. Peter Böthig. Nicht nur, weil er seine Konzeption der völlig umgestalteten Tucholsky-Ausstellung in Rheinsberg erläutert, sondern besonders auch, weil diese wirklich eine Reise dorthin - auch von entfernten Orten - wert ist.

Die "kleine" Jahrestagung im Oktober in Düsseldorf hat zwar (traditionell) keine Mitglieder-Massen in Bewegung gesetzt, sicher aber denen, die die Gastfreundschaft der Heinrich Heine-Gesellschaft und deren Vertreter, Frau Dr. Karin Füllner und Prof. Dr. Josef Kruse, genießen durften, Freude bereitet. Die anschließende Mitgliederversammlung diskutierte in freundschaftlicher Atmosphäre die künftigen Vorhaben unserer Gesellschaft und unsere schwierige finanzielle Situation. Ein nach eigenem Wunsch namentlich nicht zu nennendes Mitglied sagte danach spontan eine Spende von 1.000 Euro für die Übergabe des Tucholsky-Preises im nächsten Jahr zu. Auch von hier aus im Namen aller Mitglieder für die inzwischen eingetroffene Hilfe nochmals herzlichen Dank!

Ja, die leidige "Sache mit dem Geld" (KT): Im Januar 2005 werden die Jahresbeiträge fällig. Die Postbank Berlin ist nach wie vor nicht gewillt, diese über Einzugsermächtigungen einzuziehen. Sie müssen also leider selbst überweisen.

Ich wünsche Ihnen ruhige Weihnachtstage, ein friedlicheres und gesundes Neues Jahr, freue mich auf ein Wiedersehen im Januar in Minden und im November in Berlin und grüße Sie alle sehr herzlich,

Ihr Eckart Rottka


 
  Über gute "gesamtdeutsche" Zusammenarbeit

Diakonisches Werk. Wer von uns wüsste sofort, was das ist, was es bedeutet und wie es funktioniert? Mir hat die KTG zu solchen Kenntnissen verholfen. Als wir Ende der neunziger Jahre im Vorstand wieder einmal traurig in unsere leere Kasse blicken mussten und über Sparmaßnahmen nachdachten, fiel das Wort "Diakonie". Michael Hepp, der ja immer das Gras wachsen hörte, hatte irgendwo gelesen, dass die "Schwaben" in Leipzig diakonische Werkstätten eingeweiht hätten. Dort sollte ich doch vorsprechen.

Gemeint waren die 1997 gegründeten Diakonischen Leipziger Werkstätten, die nahe des Stadtzentrums in einer total umgebauten, also modernisierten ehemaligen Schule untergebracht waren. Außer Holz-, Metal- lund anderen Werkstätten sollte es dort auch einen Bereich "Mediengestaltung/ Druck" geben. Ich fand zu diesem Bereich und wurde nicht nur freundlich, sondern sichtbar erfreut aufgenommen. Man hatte schon erste Kunden, aber eine "internationale" literarische Gesellschaft hatte sich noch nicht eingefunden.

Der damalige Gruppenleiter dieses Bereiches, Herr Zeiler, machte mich mit seinen Mitarbeitern bekannt, ohne meine Verblüffung und mein Zögern zu beachten. Ich war umgeben von Schwer- und Schwerstbehinderten. Nicht alle saßen in Rollstühlen, aber die meisten bedienten Apparaturen, denen anzumerken war, dass es Spezialanfertigungen für Behinderte waren. Herr Zeiler führte mir ihre Funktionen vor, und ich verlor mein Misstrauen und meine Zurückhaltung. Ein stark sprachbehinderter junger Mann im Rollstuhl konnte meine Fragen nicht beantworten, zeigte aber auf seinen Monitor, und auf dem entstand vor meinen Augen eine druckfertige Seite. Diese jungen Setzer haben für uns zuerst Faltblätter gestaltet, später, seit dem Jahr 2000, die "Vereinsnachrichten" und Mitgliederverzeichnisse, schließlich sogar Begleitbroschüren zum KT-Preis.

Einen Stock tiefer wird der Druck besorgt. Dann kommen die Bogen zurück, werden gefaltet, gebunden, verpackt und schließlich versendet. Für jeden Arbeitsgang stehen Maschinen bereit, immer aber sind auch Menschen beteiligt. Körperlich behindert sind nahezu alle Beschäftigten, zum Beispiel gelähmt oder aus anderen Gründen auf den Rollstuhl angewiesen; einige sind auch sprach- oder hörbehindert.

Im Jahre 2001 wurde Herr Zeiler von Herrn Dr. Stein abgelöst, dem nun, 2004, Herr Liepe folgte. Längst ist der Kontakt mit der KTG über das Internet eingerichtet. Maren Düsberg braucht zum Korrekturlesen oder gar zum Falten nicht nach Leipzig zu fahren.

Als die von Michael Hepp angeführten "Schwaben" erwies sich die "Paulinenpflege Winnenden". Sie war weniger Gründerin als Helferin und Vorbild. In Winnenden bei Stuttgart existiert seit 1823 eine evangelische Einrichtung der Jugend- und Behindertenhilfe vor allem für Hör- und Sprachbehinderte. In einem Außenbezirk Leipzigs, in Knautnaundorf, entstand nach diesem Vorbild und mit Unterstützung u.a. aus Winnenden das erste und bisher einzige Berufsbildungswerk für hör- und sprachbehinderte Jugendliche im Osten Deutschlands.

Dass die dazugehörigen Werkstätten für Menschen mit Behinderungen nicht auch im Außenbezirk, sondern nahe der Innenstadt Leipzigs errichtet wurden, hat seine Gründe. In Blickweite liegt nämlich die Leipziger Gehörlosenschule. Die kann auf eine lange Tradition verweisen, länger als in Winnenden. Schon 1778 hatte Samuel Heinicke in Leipzig die erste Schule dieser Art gegründet. Und Friedrich Fröbel, der "Vater" der deutschen Kindergärten, gehört auch zu den einheimischen Ahnen. Nach ihm ist die Leipziger Sprachheilschule im Stadtteil Grünau benannt worden. Hier treffen sich die Kreise.

Das zurückliegende halbe Jahrzehnt guter Zusammenarbeit der Kurt Tucholsky-Gesellschaft mit der "DLG Diakonische Leipziger gGmbH" gehört zu dieser Tradition, und es gibt keinen Grund, sie nicht fortzusetzen. Unser Dank gilt vielen jungen Behinderten, die mit Herrn Zeilers und Herrn Dr. Steins Hilfe für uns gearbeitet haben und nun zusammen mit Herrn Liepe auf weitere Aufträge von uns warten.

Roland Links


 
  "Arbeit, die in die Welt geht":
Ein Interview mit Dr. Hendrik Stein und Jörg Liepe

KTG: Lieber Herr Stein, seit dem Sommer 1999 hatte Herr Zeiler die ersten Aufträge der KTG übernommen. Dann, ab August 2000, wurden Sie unser Partner und geben nun die "Staffete" an Herrn Jörg Liepe weiter. Können Sie heute sagen, dass Sie alles in allem mit der KTG zufrieden waren und sind?

Dr. Hendrik Stein: Ich denk schon. Ich finde es gut, wenn es Aufträge sind, bei denen den Mitarbeitern bewusst ist, dass ihre Arbeit in die Welt geht, also unter Leute kommt, die das bestimmt auch lesen und nicht etwa nur wegwerfen. Der Inhalt der KTG-"Vereinsnachrichten" hat sich meinen Mitarbeitern nicht in allen Details erschlossen. Manches blieb ihnen fremd. Aber sie wussten, dass sie jeden einzelnen Text im Zusammenhang gestalten mussten, und das haben sie meiner Meinung nach gut getroffen. Oft genug mussten sie knobeln, und wir Leiter mussten ihnen helfen. Das war gut so, denn so lernten sie ja. Diesen Lernprozess halte ich für ein wichtiges Element der Arbeit hier.

KTG: Habe ich Sie richtig verstanden, dass die mit unseren "Vereinsnachrichten" verbundenen Anforderungen Ihre Mitarbeiter herausgefordert und sie also gefördert haben?

Dr. Stein: Ja, das kann man so sagen.

KTG: Dann gilt das aber in noch höherem Maße für die Begleitbroschüren zum Kurt Tucholsky-Preis. Sie haben lange gezögert, bis sie endlich unserm Angebot zugesagt haben. Am Ende waren doch auch Sie zufrieden.

Dr. Stein: Das stimmt nicht ganz. Auch heute bin ich noch unzufrieden. Die von Japanern entwickelte "Risographie", mit der wir beim Druck arbeiten, ist mir für solche schon einem Buch ähnlichen Broschüren nicht edel genug. Die Seitenzahlen springen zu sehr. Das sehen Sie, wenn Sie das Buch umblättern. Bei der Maschine, die uns damals zur Verfügung stand (und immer noch steht) ist das leider unvermeidlich. Wir hoffen bald eine bessere erstehen zu können.

KTG: Wenn nun aber die Mitglieder der KTG selbst bei springenden Seitenzahlen zufrieden waren, und das waren sie ja in zwei Fällen (2001 und 2003), könnte doch auch diese Zusammenarbeit fortgesetzt werden - mit Aussicht auf Besserungen mit Hilfe der erwarteten neuen Druckmaschine.

Dr. Stein: Ja - aber. Wir sind bereit und weiterhin interessiert, aber mit zu großem Zeitdruck können wir nicht umgehen. Es muss alles gut geplant sein, und das Geplante muss eingehalten werden.

KTG: Die warnende Mahnung nehme ich aufmerksam zur Kenntnis und werde sie weitergeben, aber als Absage verstehe ich Ihre Antwort nicht.

Dr. Stein: Das ist richtig.

KTG: Ich kann es mir nicht verkneifen, Sie zum Schluss zu fragen, ob wir nicht doch ein zuverlässiger Partner waren.

Dr. Stein: Auf jeden Fall ein Partner, mit dem wir gern zusammengearbeitet haben.

KTG: Lieber Herr Liepe, die allerletzte zudringliche Frage stelle ich Ihnen, denn nun sind Sie unser Partner: Sind wir Ihnen als ein alles in allem seriöser Kunde genannt worden, oder hat man sie mehr gewarnt?

Liepe: Ihre Frage überrascht mich, denn die KTG gilt hier im Hause als seriöser und guter Kunde, mit dem man auch bei Schwierigkeiten, die ja immer auftreten, gut zusammenarbeiten kann. Und was Ihre Hoffnung auf weitere Broschüren zum KTG-Preis betrifft, da verlasse ich mich auf den Satz: "Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben".

Die Fragen stellte Roland Links


 
  Klicken, lesen, fragen:
Das Internetangebot der KTG

Wenn Tucholsky irgendwo im "Nachher" einen Internetanschluss besäße, hätte er sicherlich schon einmal das beliebte Spiel gespielt und seinen eigenen Namen in die Internetsuchmaschine Google eingegeben. Er würde anschließend wohl die halbe Ewigkeit brauchen, um die 150.000 gefundenen Einträge der Reihe nach durchzuklicken. Damit wäre er aber noch gut bedient, denn jemand wie Goethe könnte mehr als zehn Mal so viele Seiten anschauen, in denen sein Name vorkommt.

Aber bei Suchmaschinen wie Google ist das Entscheidende, welche Fundstellen ganz vorne in der Liste auftauchen. Schon an zweiter Stelle würde Tucholsky auf die Website der KTG treffen. Dieses hohe "Ranking", wie es im Computerdeutsch heißt, hat auch seinen Grund. Denn die KTG verfügt sicherlich über das umfangreichste Angebot zu Tucholsky im Internet. Außerdem gibt es viele andere Seiten, die auf die KTG hinweisen, wenn es um Tucholsky geht.

Daher ist es kein Zufall, dass dieses Angebot einen kontinuierlichen Zuwachs an Abrufen aufweist. Im November 2004 verzeichnete die Website mehr als 6000 Besucher, die sich insgesamt 26.000 einzelne Seiten angeschaut haben. Das entspricht einem Durchschnitt von 200 Besuchern pro Tag, wobei am Wochenende deutlich weniger Abrufe als unter der Woche zu verzeichnen sind. Verglichen mit den Zugriffszahlen vom November 2002 entspricht dies einem Anstieg um das Vierfache.

Dieser starke Zuwachs hat mehrere Gründe. Zum einen ist die Verbreitung des Internet in den vergangenen Jahren größer geworden, so dass es für fast alle Angebote eine größere Anzahl an potenziellen Nutzern gibt. Dies gilt auch für solche Nutzergruppen wie Schüler und Studenten, die besonders stark ans Auskünften über Leben und Werk Tucholskys interessiert sein dürften. So fällt auf, dass in den Schulferien die Zahl der Besucher um rund 30 Prozent zurückgeht. Einen weiteren Grund für den hohen Anstieg der Nutzerzahlen liegt in technischen Veränderungen, die im Sommer 2003 vorgenommen wurden. Diese ermöglichen es, dass Suchmaschinen wie Google die einzelnen KTG-Seiten nun besser finden können und dass Internetsurfer, die über Suchmaschinen zu den Seiten kommen, sich in dem Angebot besser zurechtfinden. Wie wichtig solche Anpassungen sind, zeigt die Tatsache, dass zwei Drittel aller Nutzer mit Hilfe von Google die KTG-Seiten finden.

Und zu guter Letzt hat der systematische Ausbau des inhaltlichen Angebots dazu geführt, dass es überhaupt etwas auf den KTG-Seiten zu finden gibt. Neu hinzugekommen sind im vergangenen Jahr mehrere Elemente. So zum Beispiel eine kleine Anthologie von Tucholsky-Texten, mit deren Veröffentlichung die Tucholsky-Stiftung und der Rowohlt-Verlag freundlicherweise einverstanden waren. Eine kleine Presseschau weist auf Zeitungsartikel hin, die sich mit Tucholskys Leben und Werk befassen. Außerdem hat die Tucholsky-Stiftung auf unser Angebot zurückgegriffen, deren Selbstbeschreibung und Kontaktadresse in der unsere Seiten zu integrieren. Das übrige Angebot, wie die Terminliste und die KTG-Rundbriefe, wird weiterhin kontinuierlich aktualisiert. In den vergangenen Jahren gab es außerdem noch Neuerungen, die sich speziell an die KTG-Mitglieder gerichtet haben. So ist es zum Beispiel möglich, sich direkt über das Internet für die Jahrestagungen anzumelden. Von diesem Service ist aber kaum Gebrauch gemacht worden. Vielleicht auch deswegen, weil sich im Rundbrief bislang keine Hinweise darauf fanden.

Trotz des großen Angebotes bleiben natürlich viele Fragen zu Tucholsky offen. Um diese zu beantworten, nehmen viele Leser per E-Mail Kontakt mit der KTG an. Durchschnittlich beantwortet das Internet-Team in der Woche zwei bis drei Anfragen, die sehr unterschiedliche Hintergründe haben können. Am häufigsten taucht das Problem auf, anhand einer diffusen Beschreibung einen Tucholsky-Text ausfindig zu machen. Wobei sich in der Hälfte der Fälle herausstellt, dass der gesuchte Artikel gar nicht von Tucholsky stammt. Viele Schüler möchten gerne "Interpretationen" von Gedichten haben, Studenten fragen eher nach geeigneter Sekundärliteratur. Die Anfragen kommen aus allen Teilen der Welt. Nicht nur aus deutschsprachigen Ländern wie Österreich und der Schweiz, sondern auch aus Schweden, den USA, Weißrussland oder gar Japan. Vor kurzem wollte beispielsweise eine Frau Regierer von uns wissen, wie Tucholsky auf die Idee gekommen ist, diesen Namen dem Freund von Herrn Wendriner zu geben. Um solch schwierige Fragen zu beantworten, verweisen wir gelegentlich auf die Tucholsky-Forschungsstelle an der Universität Oldenburg, die über die besten Recherchemöglichkeiten zu Tucholsky verfügt. Bei manchen Fragen muss wohl selbst die Forschungsstelle passen. So war im August ein Leser auf der Suche nach einer "bedenkenswerten Aussage von K.T. zur Beschäftigung mit der Vergangenheit. Insgesamt müsste die gesuchte Aussage aus neun Wörtern bestehen; die beiden ersten müssten jeweils drei, das dritte vier, das vierte sechs Buchstaben haben; nach dem siebten steht ein Komma." Um diesen Satz herauszufinden, der nach der Lösung eines Kreuzworträtsels aussieht, müsste wohl selbst Tucholsky eine halbe Ewigkeit suchen. Für solche Fälle hatte er aber schon damals die passende Lösung: nicht Google, sondern die Gewalt.

Friedhelm Greis


 
  Geständnisse eines krassen Außenseiters
Ein Rückblick auf "Tucholsky und Heine"

Anne Schneller ist an allem schuld!
Nicht nur, dass sie mir von ihrer Tätigkeit im Vorstand der Kurt TucholskyGesellschaft erzählte. Schlimmer: Als sie merkte, dass ich schon durch meine Eltern Tucho-infiziert war, - die hatten den Herrn mit den 5 PS noch live auf der Lesebühne erlebt -, da hatte sie genügend Wasser unterm Kiel und Druck auf den Blättern, dass sie mich shanghait hat.
Wer nicht weiß, was das Wort "shanghaien" bedeutet und woher es kommt, sollte einen Hamburger fragen. Nein, nicht McDonald's-Stadt! Am besten einen "geborenen", nicht nur einen "gewissen ..."

Ich bin einer. Ein Geborener. Zurück zu Anne Schneller. Sie ist Volljuristin und sollte sich in Fragen von Schuld und Sühne auskennen. Aber nein! Unter Hintanstellung aller denkbaren Bedenken (!) hat sie mich zur ersten gemeinsamen Veranstaltung der Kurt Tucholsky- und der Heinrich-Heine-Gesellschaften am 18. Juni 2004 nach Berlin geschickt. (Sie selbst, Anne Schneller, gab sich aus beruflichen Gründen verhindert - sic!)

Da stand ich - shanghait, auf dem Trockenen, ohne Wasser unterm Kiel, ohne Druck auf den Blättern, kannte niemanden. Aber man muss fair zugestehen: Das galt auch umgekehrt - niemand kannte mich. Ich durfte also unverhohlen neugierig sein. Das war meine Chance. Und die missbrauchte ich denn auch.

Ich hatte meinen Tucholsky durchaus gelesen, soweit der Verlag mit seinen unvollständigen und immer wieder neu gemischten Stückwerk-Publikationen das zuließ. Aber vom Professor Schiller hörte ich denn doch gedankliche Verknüpfungen, Beziehungen, Deutungen, die mir neu und interessant waren.

Das Schlimmere kommt noch. Schuld ist natürlich Anne Schneller. Anne Schneller ist immer an allem schuld! Was shanghait sie mich auch - und lässt mich dann da allein stehen ...! Ich gestehe: Ich hatte bis zu dem Tag Heinrich Heine eher beiläufig als "einen in der Reihe der bekannten Romantiker" registriert. Aber Professor Schnell hat mich in einer dreiviertel Stunde mit seiner Detail-Kenntnis, vor allem aber mit seinem spürbaren Engagement, seinem "emotionalen Druck" eines Besseren belehrt - und bekehrt. Mit einem Mal war Heinrich Heine für mich "wer".

Das Schlimmere kommt noch. (Das hatten wir schon.) Schuld ist natürlich Anne Schneller. (Das hatten wir auch schon). Ich schreibe für die Wirtschafts-Zeitschrift "absatzwirtschaft" aus der Verlagsgruppe Handelsblatt/ Düsseldorf), das Marketing-Muss-Magazin deutscher Sprache(c). Und ich schreibe unter anderem an einer regelmäßigen Serie "Neues Denken", die die Meinung von Querdenkern aus nicht strikt ökonomischen Disziplinen zur Überwindung der "ach so Krise" und Wege aus dem speziell deutschen Oberjammergau wiedergibt.

Professor Schnell und durch ihn Heinrich Heine waren für mich eine solche Überraschung, dass ich schon in der Kaffeepause die Idee hatte, dieses "Duo" für die Serie "Neues Denken" zu gewinnen. Vordergründig absurd. Aber er stimmte zu, ich besuchte ihn an der Uni Siegen, er war blendend vorbereitet, und der Artikel ist in der Oktober-Ausgabe der "absatzwirtschaft" erschienen - sehr zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Und er ist hintergründig gar nicht mehr absurd. Außerdem: Dass ein Literatur-Wissenschaftler in einer wirtschaftlich orientierten Fachzeitschrift seine Querdenker-Meinung publiziert, kommt auch nicht alle Tage vor.

Und dann noch Oliver Steller.
Pluspunkte genug, denke ich, um auszudrücken, dass mir die Veranstaltung in Berlin viel Neues und Anregendes gegeben hat. Immerhin so viel, dass ich jetzt auch die Wiederholungs-Veranstaltung in Düsseldorf (15./16.10.2004) besucht habe. Mit vertiefendem Ergebnis. Dazu noch: Maren Düsberg hat mir ganz fest zugesichert, dass meine "Erreichbarkeiten" fest bei ihr gespeichert seien, sodass ich als Wiederholungs-Täter durchaus in Frage komme. Und wer ist schuld an allem? Anne Schneller.

Eberhard Schrader


 
  Treffen in Nußbach

Getreu dem Motto "Aufgeschoben ist nicht aufgehoben", laden wir in Südwestdeutschland erneut zu einem Treffen der Sektion Schwarzwald nach Nußbach bei Triberg ein. Wobei alle angesprochen sind, die gern in den kleinen Ort kommen wollen, dem Kurt Tucholsky 1919 ein Besuch (bei seinem Freund Hans Fritsch) abstattete. Geplant ist der Samstag, 21. Mai 2005, im Hotel "Römischer Kaiser". Dort können wir tagen, aber auch übernachten und uns verpflegen lassen. Geplant ist, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dem Thema der KTG-Herbsttagung "Tucholsky und die Medien" annehmen. Ungefährer Verlauf des Treffens: Anreise entweder Freitagabend oder Samstagvormittag. Ab 10 Uhr dann sollen - mit einer Mittagspause - Nußbach und seine Beziehung zu Tucholsky, Neues aus der KTG, aber auch ein interessanter Vortrag zum Thema sowie die Beschäftigung mit der Tucholsky-Eisler-Brecht-Interpretin Gisela May behandelt werden. Musikbeispiele sollen das Gehörte abrunden. Am Samstagabend kann dann eine Kulturveranstaltung besucht werden. Am Sonntag wird ein Spaziergang in die Umgebung angeboten. Die Veranstalterinnen Ursula Welp und Renate Bökenkamp (Schwarzwaldstraße 4, 78112 St. Georgen, Tel. 07724-4655 - Rboekenkamp@ gmx.de) nehmen gern unverbindliche Voranmeldungen wie auch Veranstaltungsvorschläge entgegen. Es wird ein kleiner Tagungsbeitrag erhoben.

Renate Bökenkamp


 
  Das (neue) Kurt Tucholsky-Literaturmuseum in Rheinsberg

Das im Januar 2004 neu eröffnete Literaturmuseum in Rheinsberg präsentiert sich nach über zehn Jahren (bis dahin unter dem Namen "Gedenkstätte") mit einer neuen, komplett überarbeiteten Dauerausstellung.

Fast drei Jahre dauerten die Vorbereitungen, bis endlich eine Finanzierung zusammengebracht werden konnte, an der sich neben dem Bund (BKM, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien) und dem Land Brandenburg auch der Landkreis Ostprignitz-Ruppin, die Ostdeutsche Sparkassenstiftung, die Stiftung der Sparkasse Ostprignitz-Ruppin, die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten, der Rheinsberger Kunst- und Kulturverein und private Sponsoren beteiligten. Die Liste deutet an, wie schwierig es heutzutage, in Zeiten knapper Haushaltsmittel, geworden ist, ein Projekt vom Ausmaß einer Neugestaltung einer musealen Einrichtung zu finanzieren.

Die finanzielle Hauptlast bestand neben der kompletten Renovierung der Räume (einschließlich Fußböden und Elektro-Anlage) in der - erstmaligen - Anschaffung von museumstauglichen Vitrinen (verschließbar, staubdicht, 98 Prozent UV-Schutz), die das kostbare Ausstellungsmaterial nicht nur optisch angemessen präsentieren, sondern auch schützen. Denn im Gegensatz zur Vorgänger-Ausstellung präsentiert "die Neue" wesentlich mehr und vor allem wertvollere Originale.

Die Literatur bleibt in der Regel - trotz "Eventkultur" und quotenmächtiger Talkshows - ein stiller, einvernehmlicher Vorgang zwischen Text und Leser. Eine Ausstellung dagegen soll und will ein anderes Erlebnis bieten: eine möglichst intensive Begegnung mit dem geistigen Kosmos des Autors, seinen Prägungen, Wirkungen, Widersprüchen und Leistungen. Anders als beim stillen Lesen wird eine Ausstellung ja nicht in erster Linie mit den Augen und dem Verstand im Sitzen, sondern mit den Sinnen beim Durchschreiten wahrgenommen. Ziel war es also, eine Art "begehbare geistige Biografie" zu schaffen, in der sich der Besucher selbständig, frei und lustvoll orientieren kann.

Das Wort "Erlebnis" gibt eine weitere Aufgabe für die Gestaltung vor: Der Besucher soll nicht belehrt oder durch Materialfülle irritiert werden, sondern ein sinnlich reizvolles Angebot zu einem entdeckenden, verstehenden Erleben erhalten. Die Ausstellung versucht dies mit einem differenzierten Angebot: sowohl dem flüchtigen Besucher einen Eindruck zu vermitteln (ohne ihn durch Informationsfluten zu verschrecken), dem Interessierten genügend Material zu bieten, und dem Spezialisten noch Möglichkeiten zur Vertiefung zu geben. Das ist - scheinbar - die Quadratur des Kreises. Lösbar ist sie nur durch möglichst klare Strukturierung und rationelle Gestaltung der Ausstellung. Dazu gehört auch der "Mut zur Farbe": ein farbiges Leitsystem unterstützt die Orientierung.

Im Eingangsbereich wird der Besucher zunächst optisch eingestimmt: eine großflächige Abbildung aus der "Rheinsberg"-Erzählung und eine minimale biografische Information sagen ihm, in welchem Jahrhundert und in welchem geistigen Raum er sich befindet. Wendet er sich in den Ausstellungsraum, wird er (in einem zweiten Schritt) - wiederum verbunden mit einem Großfoto - mit der biografischen Gliederung und mit dem farbigen Leitsystem vertraut gemacht.

Die biografischen Informationen sind aus den Vitrinen und Tafeln herausgelöst und werden auf extra Informationsträgern (Pfeilern, oder "Halfpipes") geboten. Diese farbigen Pfeiler gliedern den Raum in sechs "Kapitel", die biographisch-thematisch orientiert sind. Zu jedem Lebensabschnitt sind thematische Schwerpunkte zugeordnet, die in kurzen, aphoristischen Zitaten angedeutet sind.

Auf einer zweiten Ebene werden Text-Auszüge aus repräsentativen Texten zum jeweiligen Thema mit Bildmaterial auf Text-Bild-Tafeln präsentiert. Diese tragen ebenfalls Zitate als Titel: Außen jüdisch und genialisch; Es schrein die Toten!; Langweilig ist noch nicht ernsthaft; oder Gegen einen Ozean pfeift man nicht an. Antworten auf die oft gestellte Frage nach Tucholskys kompliziertem Verhältnis zu den Frauen werden beispielsweise auf einer dieser Text-Bild-Tafeln unter dem Titel Daß man nicht alle haben kann veranschaulicht. Die Farben der biografischen "Halfpipes" kehren auf den Text-Bild-Tafeln wieder; jeder Besucher kann somit leicht zuordnen, in welchem Kapitel er sich gerade befindet.

In den Vitrinen sind Tucholskys Bücher (in der Regel in Erstausgaben), Dokumente, Programmhefte, Zeitschriften, faksimilierte Autographen, Fotos und einige persönliche Gegenstände, wie Schreibmappen, Schreibmaschine, Karaffen, Bleistifte u.a., zu sehen. Die gegenständlichen Exponate (z.B. ein Grammophon mit Zinkschallplatte) rufen nicht nur Zeitkolorit auf, sondern sorgen als optisch interessante "Eye-Catcher" für Ruhepunkte im Fluss der Informationen.

Dennoch: Die "drei B´s" (Bücher, Bilder, Briefe) - sie bilden, wie in den allermeisten Literatur-Ausstellungen, auch hier das Gros der gezeigten Exponate. "Flachware" heißt das böse Wort dafür bei den Museumsfachleuten; sie sei das Unattraktivste überhaupt, das ein Museum bieten könne. Zwar zeigt eine Literaturausstellung in der Regel nicht "die Literatur", sondern den Dichter - doch wie soll man einen Autor präsentieren ohne seine Arbeitsmaterialien und Produkte? Eine gute Auswahl und Selbstbeschränkung (Motto: Im Zweifelsfall ist weniger immer mehr) waren notwendig. Der visuellen Wirkung wurde der Vorrang vor der Vollständigkeit gewährt.

Wiederum sind zu den Vitrinen zur schnellen Übersicht - und/oder zur gedanklichen Durchdringung und Einordnung des Gesehenen - charakteristische Zitate gestellt: Der Geist ist ein Bestandteil des Lebens - nicht sein Gegensatz; Zeitungsdeutsch: Erst denken sie nicht, und dann drücken sies schlecht aus; Es gibt ein Kunstgesetz, das ewig gilt: Wir wollen nicht gelangweilt werden; Gut geschrieben ist gut gedacht; Es kommt nicht darauf an, daß der Staat lebe - es kommt darauf an, daß der Mensch lebe; oder: Untergang? Ein Volk geht nicht unter. Es verlaust oder gruppiert sich anders.

Der Besucher ist ausdrücklich aufgefordert, Schubladen aus den Vitrinen aufzuziehen. Auf dieser Ebene sind vor allem zeitgenössische Diskurszusammenhänge zu verfolgen. Die Themen in den Schubladen sind weit gefächert: Tucholsky und das Judentum, Theodor Fontane, Franz Kafka, Else Weil, Die Militaristen, Arthur Schopenhauer, "Soldaten sind Mörder", "Im Westen nichts Neues", Die Weltbühne, Siegfried Jacobsohn, Feme-Morde, "Die Verfassung und ihre Gegner", Pyrenäen-Reise, "Europa", Rollenprosa: Lottchen / Wendriner, "Auf dem Nachttisch", "Deutschland, Deutschland über alles", Der erste und der zweite Weltbühnenprozess / Carl von Ossietzky, Hedwig Müller (Nuuna) und Walter Hasenclever.

Größere Textmengen und Selbstkommentare werden so angeboten, dass sie zwar verfügbar sind, jedoch nicht die optische Gesamtwirkung zerstören: die Ausstellungszeitung "Pseudonym" wurde (in einer inzwischen vierten Auflage) neu eingerichtet; sie liefert die wesentlichen Texte, die der Ausstellung zugrunde liegen, und kann für drei Euro erworben werden - ein Angebot, das viele Besucher gerne nutzen.

Die sechs Kapitel oder Bereiche führen den Besucher durch die Ausstellung:
1. Student mit einiger stilistischer Begabung, 1890 - 1914
2. Im Irrgarten des Militärs, 1915 - 1918
3. Ein gradezu irrsinniger Beruf, 1919 - 1923
4. Hier bin ich Mensch, 1924 - 1928
5. Ein geduldeter Intellektueller, 1929 - 1932
6. Aufgehörter Dichter, 1933 - 1935

Zwischen dem Senat von Berlin, vertreten von der Stiftung Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Künste, und dem Kurt Tucholsky Literaturmuseum wurde im Vorfeld der Neueinrichtung ein Vertrag über die Dauerleihgabe der musealen Sammlung des schwedischen Teilnachlasses von Kurt Tucholsky abgeschlossen. Ca. 40 Exponate aus Tucholskys letzter Wohnung in Hindas in Schweden, darunter sein Schreibtisch, einige Möbel, persönliche Gegenstände und Autographen wurden von Berlin nach Rheinsberg übergeben. Das Land Berlin hatte diese museale Sammlung, neben dem im Königlichen Museum Stockholm bewahrten schriftlichen Nachlass, in den 80er Jahren aus Schweden erhalten. Nachdem sie in den letzten Jahren im Depot der Akademie der Künste lagerten, konnten damit authentische Teile des Nachlasses Tucholskys in die neue Dauerausstellung integriert werden: sie bilden die auratischen Höhepunkte der Exposition. Durch einen Zufall erhielt das Museum Mitte 2003 außerdem das Angebot, eine der vier vorhandenen originalen Totenmasken des Dichters zu erwerben: mit einer Blitzaktion wurde der Ankauf durch den Bund (BKM) und den Kunst- und Kulturverein Rheinsberg e.V. ermöglicht. Im Kontrast zur emotionalen Wucht des authentischen Schreibtischs und der Totenmaske ist die Inszenierung der Ausstellung betont sachlich und übersichtlich gehalten.

Der Schreibtisch ist leer, neben ihm steht der Koffer des Exilanten: Hier fehlt einer, der vertrieben wurde; der sich mit all seiner Intelligenz, seinem Witz und seinem Charme für die Menschen eingesetzt hat, der sich gegen Unterdrückung und Ausbeutung und gegen die Selbstzerstörungskräfte der Menschen gewehrt hat; einer, der aufklärerisch, aber nicht sinnenfeindlich, der antiheroisch, aber lernfähig, der analytisch, aber dogmenfern, der individualistisch, aber von einem hohen Begriff von Freiheit beseelt war.

Die Ausstellung richtet sich sowohl an Besucher mit Vorkenntnissen, Tucholsky-Leser und -Verehrer, als auch an interessierte Laien und Zufallsbesucher. Auch Schulklassen und Reisegruppen sollen angesprochen werden - mit Hörbeispielen, mit den Verfilmungen seiner Werke und mit speziellen Führungen und Vorträgen werden Einführungen in Leben und Werk geboten. Ein museumspädagogisches Konzept, als ein alters- und gruppenspezifisches Angebot, soll ab nächstes Jahr das Angebot des Museums vervollständigen. Die Ausstellung stellt einen Dichter vor, der sich in die Konflikte seiner Zeit einmischte und der bereits 1926 für die Idee der "Vereinigten Staaten von Europa" eintrat. Tucholskys Haltung und seine Formulierungskunst werden noch heute von vielen Menschen als beispielhaft, mitunter auch als Herausforderung empfunden.

Peter Böthig

Links

Website der Gedenkstätte

Die "Berliner Morgenpost" hat sich das Museum angeschaut


 
  "Nachher" - Ein Interview über Tucholsky in München

Aribert Mog ist Komponist und Schauspieler. Er hat in München die "Nachher"-Skizzen von Tucholsky auf die Bühne gebracht. Eine minimalistische Darstellung mit Mog am Klavier und der Schauspielerin Antoinette Wosien, bei der Sylvia Renschau Regie geführt hat. Ausgerechnet die fast untypischen "Nachher"-Texte? Ein Grund, nachzufragen.

KTG: Herr Mog, Sie haben vor einigen Wochen die Premiere Ihres Zwei-Personen-Stückes "Nachher" gefeiert. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet die schwierigen Skizzen Tucholskys, seine skurril anmutenden Betrachtungen einer Nach-Welt zu interpretieren?

Aribert Mog: Ich hatte schon vor 10 Jahren vor, ein Tucholsky-Programm auf die Beine zu stellen, eher eine kabarettistische Revue. Dabei bin ich über die "Nachher"-Texte gestolpert. Die blieben einfach hängen, und daher habe ich immer wieder überlegt, wie ich sie umsetzen könnte. Ich dachte an Klanginstallationen, an DJs, die durch Video-Leinwände unterstützt werden sollten, ich schickte die Texte an alle möglichen bildenden Künstler, aber erst Antoinette Wosien reagierte ganz begeistert. Sie schlug vor, die Texte für sich wirken zu lassen. Sie empfand die "Nachher"-Skizzen wie einen frühen Beckett.

KTG: Wie war die Entstehungsphase des Stückes? Was ist von Ihnen, was von Tucholsky?

Mog: Eigentlich ist gar nichts von uns. Wir haben zwei kleine Textänderungen vorgenommen, das war alles. Die Texte sind interessanterweise sehr gut komponiert. Ursprünglich hatten wir vor, den Charakter der "Skizzen" zu erhalten - einfach kleine Szenen zu spielen und dazwischen die Bühne komplett abzudunkeln. Dann fiel uns auf, dass die Texte einen regelrechten Spannungsbogen ergeben. Das war die größte Überraschung während unserer Vorbereitungen. Wir haben ein Jahr am Stück gefeilt. Dabei sind wir auf immer mehr Ungereimtheiten gestoßen, wir haben jeden Satz in Frage gestellt.

KTG: Sie haben die Musik selbst komponiert. Wie war hier der Prozess?

Mog: Es war witzig. Als ich überlegte, was ich zur Unterstützung der Stimmung schreiben könnte, war das Erste, das mir in den Kopf kam, eine Musette. Einen Tag später kam Antoinette Wosien zu mir und meinte: "Weißt du, wo Tucholsky die Nachher-Skizzen geschrieben hat? In Paris!" Ich wollte eine Art Filmmusik schaffen, die Zwischentöne einfangen und die Atmosphäre unterstützen sollte, die aber auch die starken Schwankungen unterstreichen musste. Ich habe ein einfaches Dreiton-Motiv gewählt und daraus alles entworfen. Das Schöne daran war die Tatsache, dass man mit diesem Motiv auch zwischen Dur und Moll wechseln konnte.

KTG: Worauf kam es Ihnen in Bezug auf die Wirkung an? Welche Stimmung wollten Sie vermitteln, welche Themen und Gedanken sind Ihnen besonders wichtig?

Mog: Der Zuschauer muss sich auf den Text einlassen. Er muss sozusagen selbst auf der Wolke sitzen und das Experiment "Auszeit von der Welt" mitmachen. Dabei soll er sich auch mit dem gar nicht so himmlischen Himmel auseinandersetzen. Er wird keine Antworten finden. Vielleicht wird dabei das Diesseits auch attraktiver?

KTG: Wo liegen denn sonst Ihre Schwerpunkte? Welche Stücke gab es schon von und mit Ihnen?

Mog: Ich mache eigentlich Kleinkunst im weitesten Sinne. Ich bin Regisseur, Komponist, Schauspieler, Texter, Musiker ... Daher ist es nicht leicht, Schwerpunkte festzulegen. Mein letztes Programm, das mich so sehr beschäftigt hat wie jetzt Tucholsky, war ein Kästner-Programm, allerdings eher der saftige Kästner für Erwachsene. Ich habe sehr großen Ärger mit einem Lehrer bekommen, der seine Schulklasse mit einem Bus zu uns gekarrt hatte und hinterher sehr enttäuscht war.

KTG: Ich habe das Stück gesehen und war sehr begeistert. Wie ist allgemein die Reaktion? Lässt sich Tucholsky vermitteln? Wer kommt in die Vorstellungen?

Mog: Es ist ein sehr gemischtes Publikum, aber alle bringen unwahrscheinlich viel mit. Sie kennen entweder Tucholsky sehr gut oder haben sich mit dem "Nachher"-Thema schon intensiv auseinander gesetzt. Von mehreren Seiten habe ich gehört, dass die Zuschauer zum Teil mit geschlossenen Augen im Raum sitzen, weil sie sich nur auf den Text konzentrieren wollen. Wir Schauspieler sind da nur Medium.

KTG: Nun planen Sie eine Ausstellung über Tucholskys Zeit in Paris. Welche Facetten wollen Sie zeigen?

Mog: Ich möchte das Vorher und das Nachher zeigen, den Schriftsteller und den Menschen - und die Parallelen. Ein bisschen zeitgeschichtlicher Hintergrund wird wohl auch sinnvoll sein. Insgesamt soll aber das Bild überwiegen. Ich möchte keine spartenspezifische Ausstellung schaffen, sondern eine allgemeinverständliche, die auch absolute Nichtkenner von Tucholsky anspricht.

KTG: Gibt es bereits Partner für Ihr Projekt?

Mog: Es gibt Wunschpartner, aber leider nichts Konkretes. Da ich noch in der Planungsphase bin, strecke ich sowohl nach Paris, wo das Goethe-Institut natürlich eine gute Adresse wäre, als auch innerhalb von Deutschland die Fühler aus.

KTG: Nun dürfen Sie noch Werbung in eigener Sache machen: wann und wo kann man Ihren Tucholsky denn noch einmal sehen?

Mog: Auf jeden Fall noch einmal im Team-Theater in München, vom 29. bis 31. Januar. Auch im Raum rund um München gibt es noch Aufführungen, aber die Termine stehen noch nicht endgültig fest.

KTG: Herr Mog, vielen Dank für dieses Gespräch.

Die Fragen stellte Maren Düsberg


 
  Patenschaften für verbrannte Bücher

1933 verbrannten deutsche Akademiker und Nazis in über 50 Städten die Bücher der besten deutschen Autoren wie Bertolt Brecht, Max Brod, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Anna Seghers, Kurt Tucholsky und Arnold Zweig.

Bis heute ist ein großer - oder gar der größte - Teil der damals vernichteten Bücher aus den Bücherschränken, aus den Bibliotheken, aus Lehrplänen und aus den Köpfen verschwunden. Wer kennt die Werke von Jakob Wassermann, Bruno Frank, Mascha Kaleko oder Berthold Viertel?

Seit vielen Jahren sammelt Georg P. Salzmann Erstausgaben der verbrannten Bücher - mit viel zeitlichem Aufwand, mit großer Liebe zu diesen Werken und mit ausschließlich eigenem Geld. 10.000 Bücher, kostbare und zum Teil aufwändig illustrierte oder auch signierte Exemplare, die irgendwie die deutsche Kulturbarbarei überdauerten. Von 77 Autoren ist das gesamte Werk nahezu vollständig in Erstausgaben enthalten. Darüber hinaus sind Erstausgaben von Büchern weiterer verfolgter Autoren enthalten, sowie Biografien, Bücher zur Zeitgeschichte und Sekundärliteratur. Einige seiner Bücher reisten bis nach Washington in eine Ausstellung zur Bücherverbrennung im United States Holocaust Memorial Museum.

Die Bibliothek soll nach dem Wunsch von Herrn Salzmann eine benutzbare öffentliche Denkstätte im Land der verbrannten Bücher werden und als zeitgeschichtliches und literaturhistorisches Denkmal das literarische Werk und das Schicksal der von den deutschen Nazis verbotenen Schriftsteller vermitteln durch Ausstellungen, Lesungen und Vorträge - insbesondere an junge Menschen, Schüler und Studenten.

Jede deutsche Stadt könnte sich glücklich preisen, diese einmalige Sammlung aufnehmen zu dürfen - könnte man denken. Aber die Wirklichkeit sah leider bisher anders aus. Jahrelang war der Versuch, einen Ort für diesen Kulturschatz zu finden, vergeblich: in Berlin, München, Hamburg, Frankfurt, Leipzig, Mainz oder in irgendeiner anderen deutschen Stadt, in der 1933 diese Bücher öffentlich verbrannt wurden.

Seit Januar 2004 gibt es die "Aktion Patenschaften für verbrannte Bücher", einen gemeinnützigen Verein, der Patenschaften ab 100 Euro sammelt, um die Bibliothek für eine sehr günstigen Preis erwerben und erhalten zu können. Sie wird dann einer deutschen Stadt geschenkt, die daraus eine öffentlich benutzbare Denkstätte macht. (Zu den Gründungsmitgliedern zählen Dr. Ulrich Dittmann (Oskar Maria Graf Gesellschaft), Jürgen Heckel (Bibliothekar), Gerd Holzheimer (Autor), Wolfram Kastner (Künstler), Albert Völkmann (Verleger) und Dr. Edda Ziegler (Uni-München).

Die ersten Patenschaften sind eingegangen - von Schulen, einigen Schriftstellern, einem Verleger und einigen Bücherfreunden. Namentliche Unterstützer sind u.a. der Bundespräsident Wolfgang Thierse, Ralph Giordano, Johannes Mario Simmel, Prof. Dr. Guy Stern, Prof. Dr. Rita Süssmuth, Prof. Klaus Staeck, Uwe Timm, Hans-Jochen Vogel, Antje Vollmer MdB, Konstantin Wecker, Christa Wolf und Dr. Hans Wollschläger.

Noch ist es bei weitem nicht möglich, die Bibliothek wirklich retten zu können. Aber wir hoffen, dass es genügend Bücherfreunde in diesem Land gibt, die bereit sind, für die Rettung dieser wundervollen Bibliothek eine oder mehrere Patenschaften zu übernehmen und andere darauf aufmerksam zu machen.

Weitere Informationen sind auf der website www.aktion-patenschaften.de zu finden. Patenschaften, die zu 100% für den Erwerb der Sammlung verwendet werden, können auf das Konto Nr. 260 799 bei der VR Bank Starnberg (BLZ 700 932 00) überwiesen werden.

Wolfram Kastner

Die KTG hat sich den Aufruf zu Herzen genommen. Der Vorstand hat die Patenschaft für Tucholskys "Deutschland, Deutschland über alles" übernommen. Wir werden in nächster Zeit die Bibliothek besuchen und in der kommenden Ausgabe darüber noch einmal berichten. Wenn Sie eine Patenschaft übernehmen möchten oder einen Kontakt zu einer möglichen neuen "Heimat" herstellen können, melden Sie sich bei der Aktion Patenschaften!


 
  Tucholsky-Reise durch Norddeutschland

Auf Anregung von Brigitte Rothert hat unser Mitglied Frank-Burkhard Habel eine fünftägige Reise in den deutschen Nordosten auf den Spuren von Kurt Tucholsky entwickelt, die 2005 dreimal stattfinden soll. Ausgangspunkt ist Berlin, wo die Teilnehmer im Grünau-Hotel wohnen. Stationen in der Hauptstadt sind u.a. Tucholskys Geburtshaus sowie das Kriminalgericht in Moabit, wo Tucho arbeitete, die Humboldt-Universität, wo er studierte und das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, das er als Kritiker besuchte. Im Zimmertheater Karlshorst kann man das Tucholsky-Programm mit Marlis und Wolfgang Helfritsch erleben. Von Berlin aus gibt es einen Tagesausflug nach Rheinsberg mit einem Besuch des Kurt-Tucholsky-Literaturmuseums und audiovisuellen Vorträgen.

Frank-Burkhard Habel wird die Reisen leiten. Interessierte wenden sich an die Globetrotter GmbH (www.globetrotter-reisen.de, Tel. 04108 - 430321, Fax 04108 - 430391) für die Termine 20.-24.4 und 28.9. - 2.10.2005
oder an JDR-Reisen (www.jdr-reisen.de, Tel. 0931 - 50313, Fax 0931 - 50313, Fax 0931 - 12373) für den Termin 1.-6.6.2005.


Redaktion: Maren Düsberg + Anne Schneller + Uwe Wiemann


Anmerkungen

"shanghaien": "Seeleute gegen ihren Willen oder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Dienst auf Schiffen überreden."