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Tagungen

Jahrestagung findet nicht in Mainz statt

Wie angesichts der aktuellen Entwicklung erwartbar war, kann unsere Tagung nicht wie geplant im Deutschen Kabarettarchiv in Mainz stattfinden. Wir haben uns aber über Ersatz Gedanken gemacht und sind in der Musikbrennerei Rheinsberg fündig geworden. Wir haben bereits vor einigen Jahren in Rheinsberg getagt. Passenderweise ist die Musikbrennerei die Heimspielstätte der Kabarettistin Jane Zahn, die während der Tagung auftreten soll.

Über die weiteren Details dieser Tagung, die im bisher angedachten Zeitraum stattfinden soll, werden wir euch sobald wie möglich informieren. Die meisten Tagungspunkte werden gleichbleiben! Allerdings wird es aufgrund der Hygienemaßnahmen eine Beschränkung der Teilnehmerzahl geben.

Die Details werden über die Website und den Newsletter weitergegeben. Für Anfragen und Anregungen sind wir jederzeit per Email erreichbar!

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Befreundete Institutionen Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rundbrief August 2017 Rundbriefe

Tucholsky Museum erhält wertvolle Dokumente

Eine großzügige Schenkung hat das Kurt Tucholsky Literaturmuseum in Rheins­berg Ende Juni 2017 erreicht. Brigitte Rothert, die Großcousine und letzte noch lebende Verwandte Kurt Tucholskys, übergab dem Museum einige bedeutende Sammlungsstücke aus dem Nachlass von Kurt Tucholsky, die sie wiederum zum Teil in den 1980er Jahren von Tucholskys damals noch lebender Schwester Ellen Milo aus New York, USA, erhalten hat.
Darunter sind drei wertvolle, von Tucholsky gewidmete bzw. signierte eigene Bücher, sehr seltene Erstausgaben und weitere Bücher, zum Teil mit hand­schriftlichen Anmerkungen von Ellen Milo. Im Weiteren gehören dazu originale Kinderfotos von Kurt Tucholsky und seinen Geschwistern Ellen und Fritz, einige amerikanische Publikationen mit Tucholsky-Texten und frühe Nachkriegseditio­nen.
Weitere Dokumente und Objekte, wie interessante Briefwechsel, Zeitungsaus­schnittsammlungen, weitere Fotos und ihren Briefwechsel mit der Schwester Tucholskys Ellen Milo hatte sie bereits früher dem Museum übergeben. Die Briefe von Ellen Milo an Brigitte Rothert sind sehr privater Natur, sie geben un­ter anderem Auskunft über das sehr problematische Verhältnis der Mutter Do­ris Tucholsky zu ihren Kindern.
Ein ganz besonderes Stück ist auch der einmalige Exil-Koffer von Ellen Milo, auf dem man durch diverse Aufkleber die Stationen ihres Exils über Italien in die USA ablesen kann.
Das Museum verfügt nunmehr, mit dieser Schenkung, über dreißig Auto­graphen von Tucholsky und mehr als 40 originale Objekte — von Briefschatul­len, Schreibwerkzeugen, Schreibtischutensilien über häusliche Gegenstände bis hin zu Möbeln wie seinen letzten Schreibtisch aus dem schwedischen Exil und zwei Sesseln aus der gemeinsamen Wohnung mit Mary Gerold, die wir gerade im Februar aus dem Nachlass von Fritz J. Raddatz übereignet bekamen.
Weitere Autographen, z.B. Briefe von Rudolf Arnheim, Emil Jannings, von Sieg­fried Jacobsohn, Lisa Matthias, Mary Gerold und Else Weil kommen hinzu. Dar­über hinaus gehören zur Sammlung dutzende originale Fotos und Dokumente z.B. aus dem Familienbesitz von Else Weil, sowie hunderte Erstdrucke in der Weltbühne, der Vossischen Zeitung, dem Berliner Tageblatt, dem Simplicissimus und vielen weiteren Publikationen. Selbst ein originales Blatt aus dem Flieger erhiel­ten wir vor zwei Jahren geschenkt.
Die Schenkung war von Brigitte Rothert schon 2005 testamentarisch verfügt worden, nun hatte sie sich, die mittlerweile fast 89 Jahre alt ist, dazu entschlos­sen, ihr Erbe bereits als Vorlass an das Museum zu übergeben. Wie glücklich wir über diesen bedeutenden Zuwachs unseres Archivs sind, und wie dankbar für das große Vertrauen und die Anerkennung, die Brigitte Rothert damit unse­rem Museum entgegen gebracht hat, brauchen wir nicht zu betonen. Wir wer­den uns bemühen, es mit unserer zukünftigen Arbeit für Tucholsky, sein Werk und seine Ideen, weiterhin zu rechtfertigen.

Dr. Peter Böthig

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Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rezensionen Rundbrief April 2017 Rundbriefe

[Rezension] Marc Kayser: Ein Wochenende mit Tucholsky

Linn und Gilbert in Rheinsberg

Marc Kayser hat Kurt Tucholskys weltberühmten Klassiker … ins Heute versetzt und ein neues Bilderbuch für Verliebte geschaffen

verspricht der Klappentext der mit dem Untertitel Liebeserklärung an Rheinsberg versehenen ersten Auflage des Bild- und Heimat-Verlages Berlin. Eine originelle Idee, mit heutigen Personen ein Pendant zum Original zu schaffen.
»Hätten wir es nicht besser ein wenig kleiner?« fragte sich der Re­zensent allerdings, nachdem er am 30. März die Vorstellung des Büchleins im Tucholsky-Literaturmu­seum in Rheinsberg miterlebt hatte. Wenn man schon weiß, dass die Claire-Wölf­chen-Geschichte von 1911 jungen Leuten als Vorlage für ein freieres Liebesleben im illegalen Hotelbett, im schaukelnden Kahn oder im weichen Moos diente und ein reichliches Jahrhundert nach Werthers ver­klemmtem Liebeskummer manchem dazu verhalf, auf den Suizid vorerst noch zu verzichten und selbst in einer nach wie vor verspießerten Umgebung nach anderen Lösungswegen zu suchen, erschien mir das dem Prolog vorgestellte Versprechen

Für alle Liebenden, alle Geliebten und jene, die auf der Suche waren oder noch sind

– mit Verlaub – doch ein wenig hochgestochen.
Aber bekräftigen wir erst noch einmal das Positive: Der Gedanke, ein vom Alter und von den Lebenserfahrungen her reiferes Pärchen rund 100 Jahre später auf den Spuren Tucholskys durch das märkische Städtchen wandeln und rudern und erotisch brenzeln zu lassen, ist durchaus verlockend. Von den bislang 45 Rheins­berger Stadtschreibern seit 1992 haben zwar 35 eine Beziehung zum Städtchen und zur sanft geschwungenen Landschaft hergestellt. Aber bestenfalls zehn haben sich in ihrem literarischen Praktikum um einen Bezug zur Person des unbekannten Ju­risten und später berühmten Publizisten, vielseitigen Schreibers und anspruchsvol­len Frauenfreundes K.T. bemüht. Einer von ihnen ist der in Potsdam lebende Jour­nalist, Interviewer, Kriminalschriftsteller und Sachbuchschreiber Marc Kayser.
Einen weiteren Vorzug der Veröffentlichung – bezeichnen wir sie wie Tucholskys Tagebuch für Verliebte ebenfalls als Novelle – sehen wir darin, dass der Autor Personenforschung betreibt und vor allem die Claire Pimbusch alias Else Weil aus ihrem Inkognito holt. Er greift dabei die Spurensuche von Sunhild Pflug auf, die sich vor Jahren verdienstvoll um die im Tucholsky-Literaturmuseum veröffentlichte tragische Lebensdokumentation der jüdischen Ärztin bemühte.
Ein Glück, dass sich im Gästebuch einst die Eintragung der in London lebenden Gabriele Weil fand, Else-Claires Nichte, die sich gern auf Nachfragen zu ihrer geliebten rothaari­gen Verwandtschaft einließ.
Dass sich das aktuelle Paar Linn und Gilbert nennt und nicht unbedingt englische Vornamen trägt, macht die Sache sympathisch. Dass die Angejahrten mit dem Auto über die 96 andüsen und nicht mit der Bahn über Löwenberg, ist bei der Si­tuation der ostprignitzschen Umlandanbindungen und der im Winterhalbjahr da­hinrostenden Gleise durchaus nachvollziehbar. Dagegen kann selbst Gilbert, laut Autor Kayser selbst Fahrplanmacher bei der Bahn, nichts ausrichten.
Dass die Liebe aus der Rheinsberger Umgebung und dem literarischen Vorbild Im­pulse erhalten kann, soll nicht in Zweifel gestellt werden und wird durch die Vi­gnetten Klaus Ensikats romantisch unterstrichen. Und dass Linn nicht wie weiland die Claire

… gepackt und wie ein Wickelkind davongetragen wurde bis in die blumige Mulde… (Tucholsky, Rheinsberg)

findet durchaus unser der höheren Altersgruppe geschuldetes Verständnis. »Alles hat wohl seine Zeit«, sagt der in die Erzählung eingeführte alte Mann, der wie ein schwedischer Troll unseren Zeitgenossen immer wieder über den märkischen Weg schlurft. »Was früher einmal war, ist vorbei.« (S. 19).
»Das Städtchen von heute ist nicht mehr das Städtchen von einst«, konstatiert auch der Autor Kayser. Wahrlich. Wo jetzt noch ein stattliches Gebäude das Postamt verspricht, muss längst keins mehr drin sein. Andere Dienstleister haben nur ihr Gesicht verändert und das Angebot sogar erweitert: Der Kolonialwarenhändler Krummhaar bot einst Waren aus dem fernen Indien an – heute werben Lidl, Aldi und Edeka für Orangen aus Afrika, Erdbeeren aus Neuseeland und Knoblauch aus China. »Das sind die Kolonialhändler von heute«, bemerkt Gilbert (S. 25). Wo aber bleibt denn da Tucholskys Ratschlag an den Verbraucher, nur deutsche Zitronen zu kaufen?
Zu des aufmüpfigen Dichters Zeiten gab es noch kein Tucholsky-Literaturmuse­um, keine Akademie für junge Sängerinnen und Sänger, keine Tucholsky-Buch­handlung und kein inzwischen aufgegebenes Tucholsky-Café mit nachdenklichen Lebensweisheiten an den Gasthauswänden. Zu DDR-Zeiten existierten außerdem ein Atomkraftwerk in der Nähe, ein Diabetiker-Heim im Rokoko-Schloß, und im Umfeld der Stadt warteten sowjetische Bündnis-Truppen auf den glücklicherweise nicht eingetretenen Ernstfall.
In Nachwendezeiten gab es Mobiltelefone und Smartphones, rekonstruierte und farbenfrohe Gebäude, aber auch provokatorische Veranstaltungen der Rechten, wie sie die Tucholsky-Fans zu ihrer zeitgleichen Jahrestagung im Herbst 2012 erlebten. Davon und von ähnlich gearteten Vorfällen ist allerdings in den Plaudereien zwi­schen oder mit dem Paar nicht die Rede.
Gut, dass der Autor eine Begegnung Linns und Gilberts mit dem Stadtschreiber ar­rangiert. Dadurch erfahren wir wenigstens etwas über das Wirken und das Leben des Rheinsberger Arztes Dr. Weidauer, an dessen Mut und Zivilcourage eine Ge­denktafel am Hause seiner ehemaligen Praxis erinnert. Mit dem aktuellen barfüßi­gen Stadtschreiber kommen sie beiläufig ins Gespräch über Tucholsky, über seine glücklichen Tage mit Else Weil, über die Bücherverbrennung und den Tod des Dichters in Göteborg. »Du meinst, sein Geist hat hier Frieden gefunden?« fragt Linn ihren Gilbert. Der »stupst sie in die Seite«, und alles bleibt offen.
Die Kernfragen um die Liebe sind heute nicht neumodischer, als sie es schon 1911 waren.
stellt der Autor in seinem Epilog fest. Mag sein. Aber ich hatte etwas mehr Tucholsky und noch etwas mehr an zeitgeschichtlichen Ansätzen erhofft. Anderer­seits soll man nicht mehr erwarten, als der Autor von sich aus verspricht. Immerhin erwähnt er auch Tucholskys Mitarbeit an der Weltbühne. Über deren historische Umstände und die Nachfolger des Periodikums kamen wir nach der Lesung ins Gespräch.
Wir versprachen ihm Probe-Exemplare des Ossietzky – er versprach ein Abonnement. Und über die Nähe zur Tucholsky-Gesellschaft lässt sich sicher mit ihm reden.

Wolfgang Helfritsch

Marc Kayser: Ein Wochenende mit Tucholsky. Liebeserklärung an Rheinsberg. Mit Vignetten von Klaus Ensikat. Bild und Heimat Berlin 2017. 120 Seiten, gebunden. 14,99 € ISBN 978-3-95958-077-9

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Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rezensionen Rundbrief Dezember 2016 Rundbriefe

[Bericht] Buchpremiere in Rheinsberg

Der Urenkel des Bankiers Hugo Simon stellt seinen Roman über dessen Schicksal im Kurt Tucholsky Literaturmuseum in Rheinsberg vor.
Dr. Peter Böthig, Leiter des Kurt Tucholsky Literaturmuseums,  ist stolz: In Rheinsberg fand am 13. Oktober 2016 die Premiere eines schwergewichtigen Buches statt: Auf 536 Seiten erfährt die Nachwelt vom Schicksal des zu seiner Zeit durchaus berühmten und nun vergessenenen Bankiers, Politikers und Kunstmäzen Hugo Simon.
Und der Ort hat seine Berechtigung: Auch wenn Tucholsky auf den Seiten des Romans nicht persönlich, sondern nur als Zitatengeber erscheint, es ist auch ein Teil seines Schicksals, das da verhandelt wird. Hugo Simon hatte Tucholsky 1923, mitten in der Inflation, als Privatsekretär in sein Bankhaus eingestellt (und mit Goldmark bezahlt).
Dass Tucholsky die Stelle sofort wieder aufgab, als die Währung wieder stabil wurde, hat er ihm auch nicht nachgetragen: Hugo Simon war ein bedeutender Kunstmäzen und dazu noch Pazifist und Demokrat. Nach der Novemberrevolution 1918 war er als Mitglied der USPD kurzzeitig Finanzminister im preußischen Rat der Volksbeauftragten, danach zog er sich aus dem offiziellen politischen Leben zurück. Erst im Exil in Paris war er wieder aktiv, unterstützte die Exil-Zeitung „Pariser Tageblatt“, bzw. „Pariser Tageszeitung“ finanziell und organisatorisch, war im „Bund Neues Deutschland“ zusammen mit Heinrich und Thomas Mann und war aktiv für das Flüchtlingskomitee Baron de Rothschilds, das Flüchtlinge aus Deutschland unterstützte.
Von den Faschisten vertrieben, ausgebürgert und auch im Ausland noch verfolgt, konnte er nur unter falschem Namen mit angenommener Identität und tschechischem Pass 1941 aus Frankreich entkommen. Zwar wollte er in die USA, wo auch Albert Einstein und Thomas Mann für ihn bürgten, aber er erreichte nur Brasilien.
Dort ließ Diktator Vargas bis zum Kriegseintritt Brasiliens die deutschen Faschisten wohlwollend gewähren, lieferte auch Olga Benario-Prestes an sie aus, obwohl sie mit dem Kind eines Brasilianers schwanger war. Hugo Simon sollte ausgewiesen werden, konnte sich dem aber dadurch entziehen, dass er sich im Landesinnern ansiedelte. Als Seidenraupenzüchter verdiente er seinen Lebensunterhalt bis zu seinem Tod 1950. Seine Bemühungen um Rückgabe seiner Kunstschätze und Güter, und vor allem seiner Identität, waren bis zu seinem Tod nicht erfolgreich. Das lag an der Bürokratie Brasiliens ebenso wie an der Nachkriegssituation in Deutschland.
Dieses bewegte Schicksal wird im Roman in einer Art Innenansicht erzählt. Die vielen Fakten und Namen (dankenswerterweise gibt es ein ausführliches Namensregister im Anhang) sind so psychologisch differenziert eingebettet in den Strom von Empfindungen, Gedanken und Geschehnissen, dass es sich anfühlt, als sei es das eigene Leben. Wie es in einem Menschen aussieht, der alles hinter sich lassen muss, um das nackte Leben zu retten, sogar seine Identität, seine Sprache, seine Familienbeziehungen verleugnen muss, das ist hier packend und in wundervoller Sprache geschrieben.
Rafael Cardoso, der Urenkel, ist Brasilianer, seine Sprache und seine Denkweise ist das Portugiesische, und das lässt die vortreffliche Übersetzung in einer Weise spüren, die die deutsche Sprache schöner, flüssiger, ornamentreicher erscheinen lässt. Dem Übersetzer Luis Ruby ist da etwas ganz besonderes gelungen!
Bei der Vorstellung des Buches las Frank Matthus, Regisseur und künstlerischer Leiter der Kammeroper Rheinsberg, zwei Kapitel mit klangschöner Stimme und ließ den Zauber dieses Romans auf die Hörer wirken. Der Buchstapel war im Nu leergekauft. „Das Vermächtnis der Seidenraupen“ kann ich nur wärmstens zum Lesen empfehlen.

Jane Zahn

Rafael Cardoso: „Das Vermächtnis der Seidenraupen“ , übersetzt von Luis Ruby, erschienen bei S. Fischer, 576 Seiten, 25,- €, ISBN 978-3-10-002535-7