Alternativ finden Sie hier eine Kurzbiographie oder eine Auswahl an Bildern aus Tucholskys Leben. eine Bibliographie und eine Linksammlung.
»Goldenes Herz und eiserne Schnauze« – Eine kleine Auswahl an Tucholskytexten
- Start (Kurt Tucholsky in Die Weltbühne, 27.12.1927)
- Großstadt-Weihnachten (Theobald Tiger in Die Schaubühne, 25.12.1913)
- Rosa Bertens (Kurt Tucholsky in Die Schaubühne, 07.05.1914)
- Wir Negativen (Kurt Tucholsky in Die Weltbühne, 13.03.1919)
- Der Graben (Theobald Tiger in Neue Berliner Zeitung, 1.8. 1924)
- Was darf die Satire? (Ignaz Wrobel in Berliner Tageblatt, 27.01.1919)
- Wenn der alte Motor wieder tackt (Theobald Tiger für »Schall und Rauch«, 8.12.1919)
- Das menschliche Paris (Peter Panter in Vossische Zeitung, 19.06.1924)
- Parc Monceau (Theobald Tiger in Die Weltbühne, 15.05.1924)
- Der Prozeß (Peter Panter in Die Weltbühne, 09.03.1926)
- Berlin! Berlin! (Ignaz Wrobel in Die Weltbühne, 29.03.1927)
- Hej -! (Theobald Tiger in Die Weltbühne, 29.10.1929)
- Herr Wendriner steht unter der Diktatur (Kaspar Hauser in Die Weltbühne, 07.10.1930)
- Ein älterer leicht besoffener Herr (Kaspar Hauser in Die Weltbühne, 09.09.1930)
- Vor und nach den Wahlen (Theobald Tiger in Die Weltbühne, 08.05.1928)
- Der bewachte Kriegsschauplatz (Ignaz Wrobel in Die Weltbühne, 04.08.1931)
- Schnipsel (Peter Panter in Die Weltbühne, 06.09.1932)
- Brief an Walter Hasenclever (Kurt Tucholsky, ediert in: »Politische Briefe«, 1969
Es vergeht wohl kaum ein Tag, an dem nicht in irgendeiner Zeitung ein Bonmot von Tucholsky auftaucht oder auf einer Bühne ein Couplet von ihm vorgetragen wird. Auch über 80 Jahre nach seinem Tod ist sein Werk in der Öffentlichkeit noch sehr präsent. Journalisten und Künstler bedienen sich bereitwillig aus einem Fundus von rund 2900 veröffentlichten Texten. Denn es gibt kaum ein Thema, zu dem Tucholsky sich nicht treffend und zumeist auch witzig geäußert hat.
Angesichts dieser Materialfülle erhebt die hier vorgestellte Textauswahl nicht den Anspruch, dieses Werk in seiner gesamten Breite zu repräsentieren. Sie soll statt dessen exemplarisch für Tucholskys beruflichen und persönlichen Werdegang stehen. Selbstverständlich sind alle »5 PS« mit Texten vertreten: Theobald Tiger, Peter Panter, Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser und Kurt Tucholsky.
Heitere Schizophrenie
Sammelbände, die Texte sämtlicher Pseudonyme enthielten, hatte Tucholsky selbst schon zusammengestellt. Dem ersten, Mit 5 PS, schickte er eine Art Rechtfertigung und Bilanz voraus. Tucholsky sah sich damals genötigt, seine heute viel bestaunte und bewunderte Vielseitigkeit zu verteidigen.
… denn wer glaubt in Deutschland einem politischen Schriftsteller Humor? dem Satiriker Ernst? dem Verspielten Kenntnis des Strafgesetzbuches, dem Städteschilderer lustige Verse? Humor diskreditiert
heißt es in Start, dem Vorwort des Ende 1927 erschienenen Sammelbandes.
Aber der Text diente nicht nur der Rechtfertigung für die »heitere Schizophrenie«, die sich aus dem Spiel mit den vielen Identitäten ergab. Tucholsky bedankte sich darin ausführlich bei seinem verstorbenen Freund und Mentor Siegfried Jacobsohn,
den ich im Januar 1913 in seinem runden Bücherkäfig aufgesucht habe und der mich seitdem nicht mehr losgelassen hat.
Der damals 23 Jahre alte Tucholsky hatte wenige Monate zuvor mit der kurzen Erzählung Rheinsberg auf sich aufmerksam gemacht. Jacobsohn, Begründer und Herausgeber der Theaterzeitschrift Die Schaubühne, warb ihn als freien Mitarbeiter für sein Blatt. Und bekam vier auf einmal. Jacobsohn förderte das journalistische Talent des Jurastudenten und hetzte Tucholsky auf »Bühnen, Bücher und Büldung«, wie dieser sich in der Person Peter Panters nach dem ersten Jahr der Zusammenarbeit artig bedankte.
Die im Mai 1914 in der Schaubühne erschienene Theaterkritik Rosa Bertens steht beispielhaft für die Art und Weise, wie sich Tucholsky dem Theater näherte. Er besprach in dem Text nicht nur das Stück, sondern auch seine eigene Kindheit und Jugend. In dem Auftritt der Schauspielerin Rosa Bertens erkannte er seine eigene Mutter Doris wieder, die »ungekrönte Königin einer Fünfzimmerwohnung«. Nachdem sein Vater Alex 1905 gestorben war, hatte sie – in den Augen des Heranwachsenden – ein unerbittliches Regiment in der Familie geführt.
Und da gab es einen toten Mann, der nicht auf dem Personenzettel stand – aber sie machte ihn leben. Ihre Augen weiteten sich vor Grauen, er könne wieder auferstehen
schrieb Tucholsky in der Kritik des Strindberg-Dramas Scheiterhaufen.
Deutschland nimmt übel
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges verstummte Tucholsky schlagartig. In den ersten beiden Kriegsjahren veröffentlichte er gar keine Arbeiten, bis zum Sommer 1918 schrieb der an der Ostfront eingesetzte Soldat nur wenige Texte. Nach der Novemberrevolution trat Tucholsky entschieden für die neu gegründete Republik ein und griff den preußischen Militarismus scharf an.
Schon im März 1919 musste er sich mit dem Artikel Wir Negativen des Vorwurfs erwehren, das neue Deutschland nicht positiv genug zu sehen. Der Text gibt die Position wieder, in der sich die Autoren der Weltbühne, wie die Schaubühne seit 1918 hieß, während der gesamten Weimarer Republik hineingedrängt sahen.
Wir können nicht zu einem Volk Ja sagen, das, noch heute, in einer Verfassung ist, die, wäre der Krieg zufälligerweise glücklich ausgegangen, das Schlimmste hätte befürchten lassen. Wir können nicht zu einem Land Ja sagen, das von Kollektivitäten besessen ist, und dem die Korporation weit über dem Individuum steht.
Welche Mittel bei diesem »Kampf mit Hass aus Liebe« literarisch erlaubt waren, hatte Tucholsky bereits wenige Wochen zuvor in dem Aufsatz Was darf die Satire? klar gemacht. »Alles« darf sie, forderte er, wenn sie sich gegen allgemeine Missstände richtet. Der Satiriker, ein »gekränkter Idealist«, soll sich dabei nicht von ständischem Dünkel und Korporationsgeist hemmen lassen.
In den Anfangsjahren der Weimarer Republik war Tucholsky jedoch nicht nur als Militär- und Justizkritiker, sondern auch als Coupletdichter und Chansonier viel beschäftigt. Für Künstler wie Paul Graetz, Claire Waldoff, Kate Kühl und Trude Hesterberg schrieb er heiter frivole Chansons. Wenn der alte Motor wieder tackt, ließ er Graetz im Kabarett »Schall und Rauch« singen.
Ausruhen vom Vaterlande
Die Zeit der Inflation ließ bei Tucholsky Zweifel aufkommen, ob der Beruf als Journalist und Schriftsteller langfristig seine nicht gerade niedrigen finanziellen Ansprüche sichern könnte. Nach einem Volontariat im Bankhaus Bett, Simon und Co. kehrte er jedoch wieder zum Schreiben zurück. Allerdings nicht mehr in Berlin, sondern in Paris. Dorthin zog es ihn Anfang 1924 als Korrespondent der Weltbühne und der Vossischen Zeitung. Seine ersten Texte aus der französischen Hauptstadt klangen so begeistert, dass Jacobsohn sie nicht abdruckte. Das Gedicht Parc Monceau verschwand jedoch nicht in der Schublade.
Ich sitze still und lasse mich bescheinen und ruh von meinem Vaterlande aus
lautet dessen bekannter letzter Vers. Trotz räumlichen Distanz befasste sich Tucholsky weiterhin intensiv mit der deutschen Politik und Kultur. Er versuchte die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich zu fördern und warnte vor einem neuen Krieg.
Tucholsky genoss an der französischen Hauptstadt die freundliche Art und Weise, wie die Menschen miteinander umgingen. Das menschliche Paris heißt in bezeichnender Weise ein Text, den er wenige Monate nach seiner Ankunft schrieb.
Der Franzose ist ein bürgerlicher Mensch. Ein Mensch, der, weil es so viele Fremde in Paris gibt, sehr höflich und nett mit aller Welt ist, aber im Grunde sehr abgeschlossen und sehr zurückhaltend lebt
charakterisierte Tucholsky die Pariser und beschrieb damit ein Leben, wie er es wohl selbst gerne geführt hätte.
Auch in Frankreich behielt er »Bühnen, Bücher, Büldung« im Blick. In seinen zahlreichen Rezensionen, die er häufig unter der Rubrik »Auf dem Nachttisch« zusammenfasste, zeigte Tucholsky meist ein untrügliches Gespür für den Wert eines Buches. So urteilte er treffend über James Joyces Roman Ulysses:
Liebigs Fleischextrakt. Man kann es nicht essen. Aber es werden noch viele Suppen damit zubereitet werden.
Auch kam es äußerst selten vor, dass er, wie in der Besprechung von Franz Kafkas Roman Der Prozeß, vor einem Rätsel stand.
Wir alle, die wir ein Buch zu lesen beginnen, wissen doch nach zwanzig oder dreißig Seiten, wohin wir den Dichter zu tun haben; was das ist; wie es läuft; obs ernst gemeint ist oder nicht; wohin man im groben so ein Buch zu rangieren hat. Hier weißt du gar nichts. Du tappst im Dunkel. Was ist das? Wer spricht?
fragte sich Tucholsky. Dennoch wusste er, das »stärkste Buch der letzten Jahre« gelesen zu haben und bemerkt am Ende: »Wir dürfen lesen, staunen, danken.«
Unruhiges Reisedasein
Das Korrespondentendasein in Paris fand mit dem plötzlichen Tode Jacobsohns ein jähes Ende. Tucholsky übernahm ein halbes Jahr den Posten als »Oberschriftsleitungsherausgeber« der Weltbühne, gab die Leitung jedoch Ende Mai 1927 entnervt an Carl von Ossietzky ab. An dieser Entscheidung mag auch seine Abneigung gegen seine Heimatstadt Berlin eine Rolle gespielt haben.
Ich liebe diese Stadt nicht, der ich mein Bestes verdanke; wir grüßen uns kaum
heißt es in Berlin! Berlin!.
Was Tucholsky aber nicht darin hinderte, die Stadt gegen die Angriffe aus der Provinz zu verteidigen. Trotz seines Abschiedes aus Berlin fasste er in Frankreich nicht mehr Fuß. Ein unruhiges Hin- und Herreisen setzte ein. Es zog ihn immer häufiger nach Schweden, wo er 1930 seinen offiziellen Wohnsitz anmeldete.
Gegen Ende der zwanziger Jahre war das politische Klima in Deutschland rauer geworden, radikale Parteien wie die Nationalsozialisten und die Kommunisten gewannen an Wählerstimmen. Tucholsky sah die drohende Gefahr des Faschismus frühzeitig kommen und warnte vor dem Marsch ins Dritte Reich. Seine eigene Unentschlossenheit, sich einer bestimmten Weltanschauung anzuschließen, wird in dem großen politischen Gedicht Hej! deutlich, das im Oktober 1929 erschien.
Am Beispiel der von ihm erfundenen Figur des Geschäftsmannes Wendriner zeigte er, wie viele Deutsche versuchen würden, sich mit einer Herrschaft der Nationalsozialisten zu arrangieren. Herr Wendriner steht unter der Diktatur schildert die Erwartungen eines jüdischen Bürgers, der hofft, dass alles doch nicht so schlimm werden würde.
Tucholsky, zwar 1914 »aus dem Judentum ausgetreten« und 1918 sogar evangelisch getauft worden, rechnete mit wenig Milde, sollte er den Nazis in die Hände fallen. Daher machte er seit Anfang 1931 einen Bogen um Deutschland. Auch dann, als er wegen des Artikels Der bewachte Kriegsschauplatz vor Gericht kam. Im dem Satz »Soldaten sind Mörder« sah das Reichswehrministerium eine Verunglimpfung der Armee. Die Richter sprachen Tucholsky dagegen frei.
Langsames Verstummen
Gesundheitliche Probleme und private Tiefschläge wie der Tod eines engen Freundes hemmten seine Schaffenskraft seit 1932 erheblich. Auch erschien ihm der Kampf gegen antidemokratische und militaristische Tendenzen in Deutschland zunehmend sinnloser. Immer häufiger erschienen nur noch Schnipsel von ihm, wie er seine Aphorismensammlungen nannte. Sein letzter Beitrag in der Weltbühne wurde bereits mehrere Monate vor der Machtergreifung der Nazis veröffentlicht.
Da Tucholsky sich nicht an einer Exil-Presse beteiligen wollte, – schließlich lebte er schon seit 1924 im Ausland -, erschienen nach dem Verbot der Weltbühne vom März 1933 keine Artikel mehr von ihm. Er führte jedoch bis zu seinem Tode noch eine ausführliche Korrespondenz weiter und kommentierte treffend das Zeitgeschehen, wie in einem Brief an Walter Hasenclever vom 4. März 1933. Allerdings mit einer spürbaren Resignation:
Mich geht das nichts an, nur eben als Zeichen der Zeit, in der wir ja leben. Aber sonst – ohne mich
schrieb er an seinen Freund und signierte den Brief mit:
Ihr alter Mitkolumbus, Edgar, formalz Adof. Verfasser broschierter und gebundener Werke. Ehemal. Mitglied der deutschen Republik, aufgehörter Dichter
Am 21. Dezember 1935 verstummte Tucholsky für immer. Die genauen Umstände seines Todes, ob Selbstmord oder Tod durch unbeabsichtigte Einnahme einer Überdosis Schlaftabletten, sind bis heute ungeklärt. In einem scherzhaften Requiem für sich selbst, das er bereits 1923 geschrieben hatte, hieß es am Ende:
Der freundliche Schein der Sonne fiel auf den granitenen Grabstein, mit dem sich der gute Ignaz Wrobel rechtzeitig eingedeckt hatte. In silbernen Buchstaben stand da zu lesen:
HIER RUHT EIN GOLDENES HERZ
UND EINE EISERNE SCHNAUZE.
GUTE NACHT -!
Auswahl und Text: Friedhelm Greis
- Start (Kurt Tucholsky in Die Weltbühne, 27.12.1927
- Rosa Bertens (Kurt Tucholsky in Die Schaubühne, 07.05.1914)
- Wir Negativen (Kurt Tucholsky in Die Weltbühne, 13.03.1919)
- Was darf die Satire? (Ignaz Wrobel in Berliner Tageblatt, 27.01.1919)
- Wenn der alte Motor wieder tackt (Theobald Tiger für »Schall und Rauch«, 8.12.1919)
- Das menschliche Paris (Peter Panter in Vossische Zeitung, 19.06.1924)
- Der Prozeß (Peter Panter in Die Weltbühne, 09.03.1926)
- Berlin! Berlin! (Ignaz Wrobel in Die Weltbühne, 29.03.1927)
- Hej -! (Theobald Tiger in Die Weltbühne, 29.10.1929)
- Herr Wendriner steht unter der Diktatur (Kaspar Hauser in Die Weltbühne, 07.10.1930)
- Der bewachte Kriegsschauplatz (Ignaz Wrobel in Die Weltbühne, 04.08.1931)
- Schnipsel (Peter Panter in Die Weltbühne, 06.09.1932)
- Brief an Walter Hasenclever (Kurt Tucholsky, ediert in: »Politische Briefe«, 1969