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Inge Jens – ein lebenszugewandter Mensch

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft betrauert den Tod ihrer Alt-Vorsitzenden.

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft betrauert den Tod ihrer Alt-Vorsitzenden. Durch die schwere Erkrankung des Vorsitzenden Michael Hepp entstand ein Vakuum in der Leitung. Inge Jens, die als „Teilhaberin“ der Arbeit ihres Mannes Walter Jens über Tucholsky ihre stille Liebe zum streitbaren Satiriker wiederentdeckte, übernahm die Funktion gern. Die Literaturwissenschaftlerin, Biographin, Briefwechselanalystin und Publizistin Inge Jens starb am 23. Dezember 2021 in Tübingen im Alter von 94 Jahren. In Hamburg 1927 geboren, wechselte sie später in die Universitätsstadt Tübingen, die zu ihrem Lebens- und Schaffensmittelpunkt wurde.

Als eine von vier Töchtern einer Hamburger Beamtenfamilie interessierte sie sich für einen medizinischen Beruf, erhielt dafür jedoch keine Zulassung. Daraufhin studierte sie Germanistik, Anglistik und Pädagogik, was ihr den späteren Zugang zum Leben und Wirken literarischer Persönlichkeiten erleichterte. Ihr gemeinsam mit ihrem Mann Walter geschriebenes Buch „Frau Thomas Mann – das Leben der Katharina Pringsheim“ wurde zum Bestseller und eröffnete unter Fachleuten eine neue Sicht auf die Familie Mann. Zu Katia und Golo Mann pflegte Inge Jens auch persönliche Kontakte.

Inge Jens zeichnete sich durch ihr Engagement in der BRD-Friedensbewegung aus. Sie nahm an Sitzblockaden gegen die Militarisierung und zur Blockade von Pershing-II-Depots teil und gewährte desertierten US-Soldaten ein illegales Domizil im Hause der Familie in der Sonnenstraße. Dafür wurde das Ehepaar auch gerichtlich belangt. Ihr Wohnsitz war ein offenes Haus und nicht selten ein Treffpunkt für Anders- und Querdenkende und diente ihnen mitunter auch als gastliche Unterkunft. Als wieder einmal ein neuer Vorsitzender für die Kurt-Tucholsky-Gesellschaft zur Debatte stand und sich die Weiterführung der Arbeit durch Michael Hepp seiner Erkrankung wegen zerschlagen hatte, ließ sich Inge Jens nicht zweimal bitten und stellte sich als Interregentin zur Verfügung. Die Achtung vor den kritischen Auffassungen und satirischen Intentionen des Autors ermutigten sie dazu – dass sich dadurch auch Walter Jens stärker für den Verein engagierte und in der Jury des Tucholsky-Preises für literarische Publizistik mitwirkte, war ein positiver Nebeneffekt dieser Entscheidung. Als damaliges Vorstandsmitglied erinnere ich mich gern an Vorstandssitzungen im Haus in der Sonnenstrasse oder in der Berliner Tucholsky-Bibliothek im Prenzlauer Berg oder in Walter Jens` Diensträumen in der Akademie in Moabit. Dort zeigte sich auch, dass Inge nicht nur passende Worte finden, sondern parallel dazu einen starken Kaffee brauen konnte. Wo auch immer: Inge Jens erwies sich als sachkundige, ausgleichende, vielseitige und einfühlsame Leiterin, die es verstand, die Vorstands- und Vereinsmitglieder einzubeziehen und ihre individuellen Fähigkeiten abzurufen. Besonders deutlich zeigte sich das bei der Vorbereitung und im Ablauf der von Renate Bökenkamp angeregten und von Inge Jens geleiteten Jahrestagung 2000 auf den Spuren Tucholskys in Triberg. Das Referat von Walter Jens in der örtlichen Kirche und den in die Konferenz eingebetteten gemeinsamen Spaziergang nach Nußbach, wo Kurt Tucholsky mit Freunden in der „Villa Fritsch“ einen Urlaub verbracht hatte, habe ich noch gut in Erinnerung.

Das Ehepaar Jens, das zweifellos zu den intellektuellen Spitzenehepaaren der Bundesrepublik gehörte, war wissenschaftlich vielseitig und sehr kulturbeflissen. Nachdem beide unser Tucholsky-Programm gehört und gesehen hatten, das wir jahrelang mit dem langjährigen DEFA- und anschließendem Babelsberger Filmorchester-Leiter Manfred Rosenberg präsentiert hatten, organisierten beide unseren Auftritt in einem Dorftheater in der Schwäbischen Alb, das aus einem ausgedienten Bauernhof entstanden war. Obwohl die Veranstaltung an einem Sonntagvormittag über die ehemaligen Scheunenbretter ging, war sie bis auf den letzten Platz ausgebucht. In den nachfolgenden Gesprächen waren die Theaterleute voller Anerkennung über die ideelle und materielle Unterstützung, die sie durch Inge und Walter Jens erfahren hatten.

Inge Jens musste noch in ihren letzten Lebensjahren einige Schicksalsschläge hinnehmen. Als Walters Kräfte durch die Demenzkrankheit dahinschwanden und der Wissenschaftler und Ehemann sichtbar verfiel, versuchte sie, die gemeinsamen Lesungen und Vorträge aufrecht zu halten, solange es noch möglich war. Wenn ihm sein Part nicht mehr einfiel, sprang sie in die Lücke und übernahm seinen Vortrag. Ihre „Unvollständigen Erinnerungen“, geschrieben im Alter von 82 Jahren, legen vom „langsamen Entschwinden seiner Kräfte“ ein erschütterndes, aber mutiges Zeugnis ab.

Und es blieb ihr auch nicht erspart, sich 2020 von ihrem Sohn Tilman verabschieden zu müssen. Aber auch in diesen schweren Jahren blieb sie, wie sie in einem Fernsehinterview betont hatte, ein „lebenszugewandter Mensch“, an den wir uns gern und mit Achtung erinnern wollen.