Emil Ludwig schrieb Romane, Dramen, Biographien, war Pazifist, Publizist, frühzeitiger Apostel der Vereinigten Staaten von Europa — er schrieb sogar eine Verfassung für dieses Gebilde. Nach Thomas Mann und Stefan Zweig war er der bekannteste deutsche Exil-Autor in den USA. Er verfasste Expertisen über die Behandlung Deutschlands nach der voraussehbaren Niederlage im Zweiten Weltkrieg, kannte und beriet Präsident Franklin Roosevelt . War nicht zuletzt Freund und Briefpartner Kurt Tucholskys , der Ludwigs ausgesprochene kritische Biographie vom Ex-Kaiser Wilhelm II. lobte.
Ein bedeutender Zeitgenosse — und ein heute fast vergessener Autor, an den Thomas F. Schneider und seine Mit-Verfasser durch diesen Essayband mit Recht erinnert haben. Nicht jeder Tote hat eine Witwe, die seine Schriften sammelt und herausgibt.
Der nach Themen, nicht chronologisch unterteilte Band befasst sich also mit Ludwigs Biographien und Dramen, seinen publizistischen Anbahnungen von Krieg und Moderne, seinen politischen Schriften in der Weimarer Republik — Benjamin Ziemanns Essay dürfte für Tucholsky-Freunde von besonderem Interesse sein — sowie mit Anmerkungen zu Charakter und Stil in den Biographien — darunter über Bismarck, Mussolini, Stalin und Hitler.
Ludwig war zweifellos Anhänger der Thomas Carlyle-These, dass die Geschichte von großen Männern gemacht werde, im Guten wie im Bösen. Dabei benutzte er Bismarck als Widersacher von Wilhelm II., enttarnte das Schauspielhafte des Kaisers, um durch Zerstörung einer reaktionären, überschätzten Legende die Republik indirekt zu stärken.
Ludwig zog den tschechischen Demokraten Thomas Masaryk allen Diktatoren vor und nicht nur deswegen, weil er wie Kurt Hiller und andere Exilschriftsteller in der Tschechoslowakei kurzfristig Zuflucht gefunden hatte und freundlich aufgenommen worden war. Im US-amerikanischen Exil benutzte er seinen hohen literarischen Ruf, um vor dem deutschen Gehorsam (Tucholsky nannte dies den »Untertanengeist«), dem Militarismus und den Rachegefühlen allzu vieler Landsleute zu warnen: Krieg gegen die Nazis sei nicht zu vermeiden und müsse gewonnen werden.
Diese Ideen eines besonders unreifen, bösen Nationalcharakters verleiteten ihn zum Vorschlag, sein geschlagenes Volk so lange unter Kuratel der Alliierten zu stellen,bis eine neue, vom Faschismus unverdorbene Generation erwachsen werden könnte. Helga Schreckenberger analysiert diese Exilschriften des aktiven Politikers Ludwig, der den klassenmäßigen Hintergrund der Nazis, die Herkunft vieler faschistischen Promis aus einem wild gewordenen Kleinbürgertum sowie die Verstrickung von Deutschlands Großindustriellen in die Massenverbrechen der Faschisten — kurz, den sozialen Charakter des NS-Regimes — wohl unterschätzt hat. Vom Marxismus blieb Ludwig unbeeindruckt. Dass es »die« Deutschen nie gab, sondern Täter, Mitläufer, Opfer und wenige Widerstandskämpfer — wollte er nicht wahrhaben.
Thomas Schneider selber hat einen einfühlsamen Essay (unter dem Titel Erfolg ohne Einfluss) verfasst, der an Tucholskys Formulierung »Ich habe Erfolg, aber keinerlei Wirkung« erinnert. Anders als unser Namenspatron hat Ludwig bei den Mächtigen antichambriert, statt sich nur als Anwalt der Getretenen zu fühlen. Aber Ludwig hat so wenig wie Tucholsky seine demokratischen Grundsätze verraten, zahlte dafür mit Exil und — nach 1945 in der Schweiz — mit unverdienter Nichtachtung.
Dabei waren beide überzeugte Antinationalisten und »gute Europäer«. Das wird bei unserer Tagung im Oktober zu hören sein, denn der Ludwig-Experte Schneider tritt als Referent auf.
Ian King