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Rundbrief August 2018

Rundbrief August 2018

Liebe Mitglieder und Freunde der Kurt Tucholsky-Gesellschaft,
der neue Rundbrief August 2018 ist erschienen. Sie können ihn (ohne Vereinsinterna) als pdf herunterladen [ca  MB].

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Befreundete Institutionen Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rundbrief August 2018 Rundbriefe

Darmstädter Signal: Kurt Tucholsky postum zum Ehrenmitglied ernannt

Der Arbeitskreis Darmstädter Signal hat Kurt Tucholsky posthum zu seinem Ehrenmitglied ernannt. Die Initiative dazu ging aus von unserem KTG-Mitglied Jürgen Rose, der zugleich auch im Vorstand des Darmstädter Signals sitzt.
Das Darmstädter Signal, gegründet 1983 von kritischen Führungskräften der Bundeswehr, wandte sich gegen die Nachrüstung, unterstützt die Friedensbewegung und fordert die Umsetzung des „Leitbilds vom Staatsbürger in Uniform“ in der Bundeswehr sowie die strikte Bindung des Auftrags der Bundeswehr an Moral und nationales sowie internationales Recht. Bis heute ist das Darmstädter Signal das einzige kritische Sprachrohr von Bundeswehrführungskräften und deren Angehörigen.
Auf der diesjährigen Tagung des DS am 08.04.2018 in Königswinter übergab der Vorsitzende Florian Kling die Ernennungsurkunde an unseren KTG-Vorsitzenden Ian King.
Der „Festakt“ vor 40 Teilnehmern mit Vorträgen von Jürgen Rose und Ian King machte deutlich, dass Kurt Tucholsky beim Darmstädter Signal gut aufgehoben ist.
KT kannte die Reichswehr aus allen Blick- und Erfahrungswinkeln, denn er legte im 1. Weltkrieg eine erstaunliche Karriere hin vom Armierungssoldaten im Stellungskampf an der Ostfront über den Kompanieschreiber an der Fliegerschule in Alt-Autz bis zum Feldpolizeikommissar in Rumänien. Das entspricht immerhin dem Rang eines Hauptmanns.
Direkt nach dem 1. Weltkrieg entwickelte sich Tucholsky insbesondere mit seinen „Militaria-Artikeln“ in der Weltbühne zu einem der fundiertesten Militärkritiker im linksliberalen, demokratischen und republikanischen Spektrum. Später wandelte sich Tucholsky vom Militärkritiker zu einem radikalen Pazifisten und konsequenten Militärgegner, der sich für Kriegsdienstverweigerung aussprach und mit dem Satz „Soldaten sind Mörder“ ein hartes aber treffendes Urteil über den Soldatenberuf fällte.
In seinem Einführungsvortrag verglich Jürgen Rose die Militärkritik Tucholskys mit dem Konzept der „Staatsbürgers in Uniform“ des Wolf Graf von Baudissin, das er im Jahr 1950 Im Auftrag der Bundesregierung zur Umsetzung der „inneren Führung“ in der noch zu gründenden Bundeswehr      ausgearbeitet hat. Die Gemeinsamkeiten sowohl in der Kritik am soldatischen Korpsgeist als auch bei Lösungsvorschlägen für eine Demokratisierung der Streitkräfte bis hin zu einer fast gleichen Wortwahl in manchen Punkten sind verblüffend. Hätte Kurt Tucholsky das gewusst, wäre sein Urteil „Erfolgreich, aber keinerlei Wirkung“ etwas versöhnlicher ausgefallen. Vielleicht sitzt Kurt „Nachher“ auf seiner Wolke und schmunzelt.
Baudissin beantwortet die zentrale Fragestellung der inneren Führung mit dem Konzept der „Entmilitarisierung des soldatischen Selbstverständnisses“. Seine Forderungen beziehen sich auf die innerorganisatorische, die binnengesellschaftliche und internationale Perspektive der soldatischen Berufsausübung. Eine „Zivilisierung des Militärs“ ist nach Baudissin erreicht, wenn Streitkräfte menschrechtskompatibel, demokratiekompatibel und friedenskompatibel sind.
Der elitäre Korpsgeist, der sowohl in der Reichswehr als auch in Wehrmacht herrschte, müsse überwunden werden. Die Demokratie dürfe „nicht am Kasernentor aufhören“. Baudissin knüpfte die Existenzberechtigung des Militärs an eine strikt defensive Ausrichtung der Streitkräfte zur Verteidigung von Demokratie und Freiheitsrechten und konzipierte die Bundeswehr in enger Einbindung in eine noch zu schaffende europäische Sicherheitsarchitektur.
Jürgen Rose verglich nun in seinem Vortrag die Ideen und Vorstellungen Baudissins für eine „demokratische Bundeswehr“ mit der von Kurt Tucholsky geäußerten Kritik und Änderungsvorschlägen für die Reichswehr in der Weimarer Republik ab. Dabei klopfte er die einschlägigen Aussagen Tucholskys mit Bezug auf die innerorganisatorische, die binnengesellschaftliche sowie die internationale Dimension von Streitkräften daraufhin ab, inwieweit sie zur Verbesserung der Menschenrechtskompatibilität, der Demokratiekompatibilität sowie der Friedenskompatibilität der Streitkräfte beitragen können. Jürgen Roses Ergebnisse des Vergleichs sollen hier kurz – aber hoffentlich nicht verkürzt skizziert werden.
Mit Bezug auf die innerorganisatorische Dimension rechnete Tucholsky in der 1919 in der Weltbühne erschienene „Militaria“-Reihe mit den deutschen Offizierskorps ab. Er verweist dabei auf die sadistische Schinderei von Untergebenen, die unumschränkte Macht der Vorgesetzten, deren „nerohafte Neigungen“ sowie die grassierende Korruption und attestierte dem wilhelminischen Offizierskorps den totalen moralischen Bankrott. „Der deutsche Offizier hat in sittlicher Beziehung im Kriege versagt. Der Geist des deutschen Offizierskorps war schlecht.“
Für eine zukünftige Truppe verlangte Tucholsky, dass deren Soldaten das Recht haben müssten als Menschen und nicht als Kerls behandelt zu werden. Für Tucholsky war daher klar, dass die Armeeangehörigen untereinander ungeachtet ihres Dienstgrades allesamt als Kameraden zu gelten hätten „Der Offizier sei ein befehlender Kamerad.“ Die Nähe zu Baudissins Konzept der „inneren Führung“ ist offensichtlich.
Mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Dimension der Streitkräfte forderte Tucholsky kurz nach dem Kapp-Putsch die Auflösung der Reichswehr und deren Umwandlung „in eine zuverlässige Volksmiliz“. Einer solchen Freiwilligenarmee gestand auch der spätere Pazifist Tucholsky noch das Recht für militärische Aktivitäten zu. Schon kurz nach dem 1. Weltkrieg urteilte Tucholsky aber grundsätzlich: „Eine Armee … ist – im besten Fall – ein notwendiges Übel und eine üble Notwendigkeit“
Nach Tucholskys Ansicht dürfe die neue Reichswehr nicht unpolitisch sein. Im Gegenteil sie müsse durch und durch politisch, ja sogar definitiv republikanisch sein. Damit ist Tucholsky in seiner Haltung, so urteilt Jürgen Rose, weitaus radikaler als Wolf Graf von Baudissin, der mehr als 30 Jahre später lediglich eine „Entmilitarisierung des soldatischen Selbstverständnisses“ fordert.
Auch in Bezug auf die internationale Dimension vertraten Tucholsky wie Baudissin eine europäisch-supranationale Sicht, Tucholsky schloss dabei aber bereits Militäreinsätze aus. Während Baudissin, so Jürgen Rose in seinem Vortrag, eine explizit nicht national, sondern „übernational“ strukturierte integrierte europäische Armee zum Zwecke kollektiver Verteidigung forderte, setzte Tucholsky  – als dieser sich bereits in seiner pazifistischen Phase Ende der 20ger Jahre befand – auf eine europäische Friedenspolitik ohne Einsatz des Militärs. „Der europäische Friede steht über den niederen Interessen der Vaterländer. … Wir halten den Krieg der Nationalstaaten für ein Verbrechen, und wir bekämpfen ihn, wo wir können, wann wir können, mit welchen Mitteln wir können. Wir sind Landesverräter. Aber wir verraten einen Staat, den wir verneinen, zugunsten eines Landes, das wir lieben, für den Frieden und für unser wirkliches Vaterland: Europa“ zitiert Jürgen Rose Tucholsky.
Abschließend versuchte Jürgen Rose eine Antwort auf die Frage zu geben, was von den Forderungen, Vorschlägen, Appellen, Mahnungen der beiden Militärkritiker und -reformer heutzutage als verwirklicht gelten darf. Seine Antwort: „Einiges ja, vieles nicht und insgesamt zu wenig.“ Er beklagt insbesondere den dreifachen Sündenfall gegen die Idee einer Friedenarmee nämlich 1999 bei der Beteiligung Deutschlands am Luftkrieg gegen Jugoslawien, erneut 2001 im Zuge der Invasion  in Afghanistan sowie 2003, als die Bundeswehr das völkerrechtliche nicht gedeckte Vorgehen der USA und ihrer Alliierten gegen den Irak unterstützte.
Ein weiteres gravierendes Manko, so Jürgen Rose, betreffe die bis jetzt ungenutzte Chance zur inneren Demokratisierung der Bundeswehr.
Am Ende seiner Analyse stellt Jürgen Rose fest, „dass Tucholsky zwar richtungsweisende und partiell durchaus revolutionäre Ideen und Vorschläge zu einer Militärreform zu liefern vermochte, diesbezüglich indes nie eine konsistente und umfassende Konzeption vorgelegt hat. Tuchos Denkansätze spiegeln sich nach Meinung von Jürgen Rose in der späteren Militärreform Baudissins wider, auch wenn sich in dessen Schriften keine Hinweise hierfür nachweisen lassen – der Name Kurt Tucholskys taucht jedenfalls in Baudissins umfänglichen Schriftensammlungen … nicht auf.“
Nach dem Vergleich von Tucholskys Militärkritik der frühen 20er Jahre mit Baudissins Konzept der „inneren Führung“ durch Jürgen Rose nahm Ian King in seiner „Laudatio“ den Pazifisten Tucholsky in den Blick und ging dabei auch auf den Kontext und Entstehungsgeschichte des bekannten Tucholsky-Zitates „Soldaten sind Mörder!“ sowie dessen Rezeption in den späten 80er und 90er Jahren in der Bundesrepublik ein.
Zuerst bedankte sich Ian King für den Mut des Darmstädter Signals, Kurt Tucholsky zum Ehrenmitglied zu ernennen. Würde dieser doch sehr häufig mit seinem Ausspruch „Soldaten sind Mörder“ identifiziert und als „Beleidiger der Soldatenehre“ verunglimpft, ohne Beachtung des Kontextes des Artikels, aus dem dieses Zitat stammt.
Ian King zitiert einen längeren Auszug aus „Der bewachte Kriegsschauplatz“ in dem das angeführte Zitat die letzte Schlussfolgerung ist. Der Artikel ist Ausfluss der Erfahrungen Tucholskys in seiner Dienstzeit als Militärpolizist unweit der rumänische-serbischen Grenze. Er war dort u.a. für die Aufgabe der Bewachung des Kriegsschauplatzes eingesetzt. Natürlich wusste Tucholsky als Jurist, dass der Begriff „Mörder“ niedrige Beweggründe voraussetzt. Juristisch genauer wäre der Begriff „Totschlag“ gewesen. Doch Ian King gibt mit seinem trockenen schottischen Humor zu bedenken, dass es einem Journalisten auf politische Wirkung ankommt und „Soldaten sind Totschläger“ sich nicht so effektiv angehört hätte. Übrigens wurde der Herausgeber der Weltbühne Carl von Ossietzky, der für den sich bereits in Schweden befindenden Tucholsky juristisch den Kopf hinhalten musste, 1931 in einem aufsehenerregenden Prozess von dem Vorwurf der „Beleidigung der Reichswehr“ wegen „Soldaten sind Mörder“ freigesprochen.
Die juristische Auseinandersetzung mit dem Tucholsky-Zitat in der Bundesrepublik begann im Jahr 1984, als Peter Augst, ein Mitglied der Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges, in einem Streitgespräch mit dem Bundeswehrhauptmann Klaus Peter Witt Soldaten als potenzielle Mörder bezeichnete. Der  Streit, in dem der Minister Stoltenberg als Nebenkläger auftrat und in den sich auch Weizsäcker als Verteidiger der beleidigten Soldatenehre einmischte, endete erst nach drei Jahren mit dem Sieg der Meinungsfreiheit und einem Freispruch von Augst durch das Bundesverfassungsgericht.
Ian King wies dann darauf hin, dass auf dem Höhepunkt der aufgeheizten Diskussion über das „Soldatenurteil“ sich Mitglieder des Darmstädter Signals mit einem Aufruf zur Mäßigung in die Diskussion eingeschaltet hätten. Die freie Meinungsäußerung sei wichtig, der Status von Soldaten als potenzielle Mörder sei angesichts der Strategie der atomaren Abschreckung gegeben, der Staatsbürger in Uniform brauche keinen Ehrenschutz. Für einige Unterzeichner dieser Stellungnahme zog dies empfindliche Disziplinarmaßnahmen – bis hin zur Degradierung – nach sich, die erst viele Jahre später wieder rückgängig gemacht werden mussten. Das alles könne man, so Ian King, in der im Ch. Links-Verlag erschienenen Dokumentation von Michael Hepp und Viktor Otto nachlesen.
Nach diesem Exkurs schildert Ian King die Wandlung Kurt Tucholskys vom Militärkritiker, der auf eine geistige und republikanische Erneuerung der Reichswehr setze, hin zum radikalen Pazifisten, dem Mitgründer des Friedensbunds der Kriegsteilnehmer. Als Tucholskys Mitarbeit an den Massendemonstrationen der Nie-wieder-Krieg-Bewegung nicht zu einem Meinungsumschwung im deutschen Bürgertum führte, habe er 1925 bekümmert geschrieben, Europa befinde sich wie 1900 zwischen zwei Kriegen. Er prophezeite Deutschland würde eine noch schlimmere Niederlage erleiden als 1918. Im Lichte dieser Ahnungen habe Tucholsky jede Hoffnung auf demokratische Reformen der Armee aufgegeben. Darum habe er die These vertreten, dass das einzige Mittel, neue Kriege zu verhindern, darin bestehe, den Militärdienst zu verweigern.  „Dieser Landesverrat kann eine Notwendigkeit sein, um etwas Großes und Wichtiges abzuwehren: den Landfriedensbruch in Europa. Der europäische Friede steht über den niederen Interessen der Vaterländer.“
Für Ian King steht die Idee, die Bundeswehr sei eine Friedensarmee, im krassen Gegensatz zu ihrem Einsatz am Hindukusch. Er stellt die rhetorische Frage, ob solche Einsätze den Frieden auf den Straßen von London, Berlin, Madrid oder Paris garantiert hätten. Nach Ansicht von Ian King hätte Tucholsky den Bundeswehrsoldaten geraten, niemals Mörder zu werden, sondern höchstens als eine Art Feuerwehr gegen einen Großbrand zu dienen, der hoffentlich nie ausbricht. Das sei Tucholskys Vermächtnis und darum passe der Friedenssoldat Tucholsky in die Reihen der kritischen Soldaten vom Darmstädter Signal.

Robert Färber

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Rundbrief August 2018

Krieg dem Kriege

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft Sektion Ruhrgebiet bot an zwei Abenden (am 15. März in Herne und am 16. März 2018 in Duisburg) zusammen mit der Volkshochschule Herne, der Erich-Fried-Gesamtschule Herne und der Bürgerstiftung Duisburg ein Tucholsky-Programm der besonderen Art. Nach „Tucholsky als Humorist“ (2016) und „Tucholsky und andere Geflüchtete“ (2017) war es die dritte Veranstaltung der Veranstaltergemeinschaft. Sie stand unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ und war Thema der 39. Duisburger Akzente.
„Wir fangen erst an, wenn mehr Zuhörer als Mitwirkende anwesend sind.“ vertröstete der Moderator die erst wenigen Gäste. Die Mitwirkenden dieser Abende waren 31 Schülerinnen und Schüler des vokalpraktischen Kurses der Erich-Fried-Gesamtschule in Herne unter der Leitung von Katrin Block. Die Sorge des Moderators war unbegründet: Sowohl in Herne als auch in Duisburg kamen jeweils 70-80 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer. Sie erlebten ein Ensemble von jungen Leuten, das das schwierige Thema „Krieg dem Kriege“ souverän interpretierte. Mit einigen Tucholsky-Gedichten – zum Beispiel „der Graben“, „Rote Melodie“, „Krieg dem Kriege“ – boten sie ein schauspielerisch und gesanglich außergewöhnliches Programm. Einige Gäste kämpften mit ihren Tränen, alle waren berührt. Das Programm endete mit Tucholskys „Lied vom Kompromiss“.
Die Bürgerstiftung Duisburg berichtete anschließend über ihre Erfahrungen mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen, die aus Kriegsgebieten geflohen waren. Zwei 14-jährige Jugendliche übermittelten eine Audiobotschaft mit eindringlichen, mahnenden Gedichten.
Mit der damals wie heute umstrittenen Aussage Tucholskys „Soldaten sind Mörder“ ging Dr. Ian King Tucholskys Karriere durch, als Journalist, Satiriker, Soldat, Militärpolizist und Friedenskämpfer, der die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich anstrebte. Die von antidemokratischem Geist verdorbene Reichswehr schien Tucholsky eher Kriegs- als Friedensgarant. Also trat er für die Dienstverweigerung als einziges Mittel ein, um einen noch blutigeren Konflikt zu verhindern. Damals setzten sich seine Nazi-Gegner durch, die Menschheit zahlte die Zeche. Lehre: Nie wieder Krieg!

Klaus Becker

Das Programm für 2019 wird vorbereitet. Foto: Klaus Becker

Das Programm für 2019 wird vorbereitet. Foto: Klaus Becker

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Presseschau Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rundbrief August 2018 Rundbriefe Tucholsky im Spiegel

Tucholsky im Spiegel [August 2018]

Das Badische Tageblatt weist in der Ausgabe vom 28. Februar 2018 seine Leserschaft auf eine Veranstaltung am 9. März 2018 im Rastatter Kellertheater mit dem 80jährigen Schauspieler Klaus Winterhoff aus eben dieser Stadt hin, der Gedichte und Prosatexte von Kurt Tucholsky präsentiert. Die Zeitung belässt es aber nicht nur bei diesem Hinweis, sondern gibt im weiteren Text das Leben von Kurt Tucholsky wieder.
Unter anderem heißt es:

Seine polemische Feder mit Hohn, Spott und Boshaftigkeit zeigt den Mut und die Hartnäckigkeit eines engagierten Moralisten. Daneben gibt es aber auch den humorigen Feuilletonisten, den Autor heiterer Plaudereien, den Bänkelsänger Kurt Tucholsky.

In der Ausgabe vom 12. März 2018 berichtet die Zeitung dann ausführlich über die Veranstaltung. Nur ein Auszug:

Eine Stecknadel hätte man oft fallen hören, so gefesselt von den ausdrucksstark und mit großer sprachlicher Klarheit vorgetragenen Texten waren die Zuschauer. Neben vielen guten Gründen zu applaudieren gab es für sie auch viel zum Lachen, zum Beispiel bei dem Gedicht „Einigkeit und Recht und Freiheit“, dass nach Ansicht des Verfassers viele falsch verstehen und für das er daher den Refrain geschrieben hat: „Doof ist doof, da helfen keine Pillen!“

In dem Programmblatt zu dieser Veranstaltung, welches die Titel der 42 (!!) vorgetragenen Tucholskytexte enthält, ist noch ein Originalleserbrief von 1964 abgedruckt, der unserer Mitgliedschaft als historisches Zeitzeugnis nicht vorenthalten werden soll:

Brief von Prof. Dr. Adalbert Hermann* aus Kaiserslautern, vormals NSDAP, danach bis 1966 CDU-Abgeordneter, danach NPD-Abgeordneter an die Buchhandlung Schmidt:
Kaiserslautern, den 31. März 1964
Sehr geehrter Inhaber der Buchhandlung Schmidt!
Sie halten es für richtig an bevorzugter Stelle in Ihrer Auslage das Machwerk des Kurt Tucholsky „Deutschland, Deutschland über alles“ auszustellen und zu propagieren.
Ich nehme an, daß Sie wissen wer Tucholsky war. Er war Mitarbeiter der probolschewistischen „Weltbühne“ und fanatischer Anhänger eines sowjetischen Deutschland. Wenn Leute wie Tucholsky gesiegt hätten, dann hätten wir heute Zustände der Stacheldrahtzone des Ulbricht.
Ich habe, da ich in Kaiserslautern beschäftigt bin, im letzten Jahr verschiedentlich Bücher bei Ihnen gekauft. Ich werde das natürlich nicht mehr tun.
Kommen Sie mir bitte nicht mit Geistesfreiheit, Besudelung des eigenen Volkes und Nestbeschmutzung ist k e i n e Geistesfreiheit!
Unterschrift
*Name aus rechtlichen Gründen geändert

Die Zeit widmet in ihrer Ausgabe vom 15. März 2018 der Weltbühne anlässlich ihres ersten Erscheinens am 4. April 1918 eine ganze Seite (S. 21) unter dem fettgedruckten Originalschriftzug „Die Weltbühne. Republikaner ohne Republik“ und dem Untertitel „Weimars legendäre Wochenschrift wird hundert: Die „Weltbühne“ deckte auf, eckte an und wagte mehr Demokratie als vielen recht war. Bis heute scheiden sich an ihr die Geister.“
Der Autor, Alexander Gallus, lehrt Ideen- und Zeitgeschichte an der Technischen Universität Chemnitz und veröffentlichte 2012 im Wallstein Verlag sein Buch „Heimat Weltbühne“.
Es muss nicht betont werden, dass selbstverständlich Tucholsky mehrfach erwähnt und zitiert wird. Die Seite endet mit drei Fotos von Tucholsky, Ossietzky und Jacobsohn, jeweils versehen mit einer kurzen Charakterisierung, und einem Originaltitelblatt der Weltbühne.
Zu dem bekannten Foto „Tucholsky mit Pfeife und weißem Oberhemd“ heißt es:

Kurt Tucholsky (1890-1935) schreibt von 1913 an für die „Weltbühne“. Mit seinen scharfen Satiren wird er rasch zu ihrem bekanntesten Autor.“

Der Artikel endet wie folgt:

„Jungen Schriftstellern von heute“ wünschte Axel Eggebrecht noch Ende der siebziger Jahre eine vergleichbare „geistige Heimat“, doch schwant ihm, dass es eine solche Heimat nicht mehr gibt. So viel Wehmut hier anklingt: die Weimarer Weltbühne bleibt 100 Jahre nach ihrer Gründung mehr als ein Sehnsuchtsort. Denn nicht nur gibt es seit 1997 in Kleinstauflagen zwei Nachfolger, die ihren Geist wiederzubeleben versuchen – die linken Zweiwochenschriften Ossietzky und Das Blättchen.
Die Weltbühne hat auch an Kraft und Ausstrahlung nicht verloren. Bis heute müssen sich die kritische Intervention, die investigative Reportage und der ironische Spott an ihr messen lassen.

Anne Fromm befasst sich in der taz vom 23. April 2018 auf Seite 17 mit Oliver Welke und seiner freitagabends im ZDF ausgestrahlten „heute Show“ und beginnt wie folgt:

„Satire, heißt es ja immer mit Verweis auf Kurt Tucholsky, dürfe alles. „Die echte Satire ist blutreinigend“, schrieb Tucholsky 1919. „und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.“ Das scheint für ZDF-Zuschauer allerdings nur so lange zu gelten, wie sich die Satire vom Heiligsten, nämlich dem Christentum fernhält.

Anlass für ihren Kommentar war die Tatsache, dass in der „heute Show“ ein gekreuzigter Osterhase, aufgehängt an seinen langen Plüschohren, gezeigt worden war. Damit sollte die vermeintliche Affäre um Schokoladenhasen, die bei Karstadt als „Traditionshasen“ gekennzeichnet waren, persifliert werden.
Diesen Beitrag hatten die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach, gerade zur Vorsitzenden einer neugegründeten AFD-nahen Stiftung gekürt, und einige AfD-Mitglieder in der Form skandalisiert, dass sie in dem Titel „Traditionshase“, eine Bezeichnung, die das Unternehmen Lindt seit jeher verwendet, als Unterwerfung unter den Islam bezeichneten.
Wie die Staatsanwaltschaft vier Strafanzeigen gegen die „heute Show“ wegen unzulässiger Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen beschieden hat, ist leider nicht bekannt.**

Bernd Brüntrup, mit Dank an Gerhard Stöcklin.

Wie immer können alle vollständigen Texte bei der Geschäftsstelle abgerufen werden

**Nachtrag: Die Staatsanwaltschaft Mainz hat zwischenzeitlich entschieden, kein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wie u.a. der Tagesspiegel berichtet.

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Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rundbrief April 2018 Rundbriefe

Rundbrief April 2018

Liebe Mitglieder und Freunde der Kurt Tucholsky-Gesellschaft,
der neue Rundbrief April 2018 ist erschienen. Sie können ihn (ohne Vereinsinterna) als als pdf herunterladen [ca 1 MB].
Ausgewählte Beiträge sind zudem direkt als Einträge im Blog zu lesen:
[Presseschau] Tucholsky im Spiegel
[Bericht] Ende eines Provisoriums
[Pressemitteilung] KTG beruft neue Jury für den Kurt Tucholsky-Preis
[FreeDeniz] Zur Freilassung von Deniz Yücel
[Rezension] Rüdiger Wolff vertont Tucholsky-Texte
[Bericht] Wir sind ja nicht zum Spaß hier
[Bericht] Auf die Freiheit

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Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rundbrief April 2018 Rundbriefe

Auf die Freiheit

Im Festsaal Kreuzberg war Deniz Yücel am 24. März zum ersten Mal nach seiner Freilassung in Deutschland zu erleben. „Auf die Freiheit“ war eine überaus zahl­reich besuchte Veranstaltung, die auch etliche Presseberichte nach sich zog. Eingeladen hatten der „Freundeskreis #FreeDeniz“ und „Reporter ohne Gren­zen“.

Für die Kurt Tucholsky-Gesellschaft hat Christiane Ille an den Freundeskreis die ersten Erlöse aus dem Verkauf der Solidaritäts­broschüre „Bester Preisträger wo gibt“ (die weiterhin in der Ge­schäftsstelle zum Preis von 10 € er­hältlich ist) übergeben. Immerhin 700 € durfte Ivo Bozic stellvertre­tend entgegen nehmen.

Außerdem hat sie die Ehrengast-Einladung an den Tucholsky-Preisträger von 2011 für die nächste Tagung wiederholt.

Die Veranstaltung selbst wurde vom WDR übertragen und kann noch bis zum 24.3.2019 nachgeschaut werden.

Steffen Ille (der seine Teilnahme erkrankt absagen musste )

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Wir sind ja nicht zum Spaß hier

Deniz Yücel: Wir sind ja nicht zum Spaß hierAm 14. Februar 2018, genau ein Jahr nach der Verhaftung und kurz vor der un­erwarteten Freilassung Deniz Yücels feierte in Berlin der Freundeskreis das Er­scheinen eines neuen Buches, verbunden mit einem eindrucksvollen Autokorso für Deniz durch mehrerer Berliner Bezirke. Es folgte ein Lese-abend aus Yücels neuestem Buch unter Mitwirkung namhafter Persönlichkeiten u.a. Herbert Grö­nemeyer, Hanna Schygulla, Anne Will, Mark Waschke, Gustav Seibt, Aynur Doğan, Igor Levit, Thees Uhlmann unter der Veranstaltungsleitung von Doris Akrap (taz-Berlin). Sie war es, die in Absprache mit Deniz Yücel, 45 Zeitungsveröffentlichungen des Autors zusam-mengestellt und noch einmal veröffentlicht hat. Das Buch gliedert sich nach fünf inhaltlich zusammen-hängenden Themenbereichen, als da wären:

Scheißefinden und Besserwissen – Texte über Journa­lismus; Mathe für Ausländer – Texte über Deutsche und Ausländer; Biokoks und Vokalmangel – Über Dieses und Jenes; Ein irres Land – Über die Türkei; Korrespondent müsste man jetzt sein – Texte aus der Haft. In seinen Beiträgen bietet Deniz Yücel die Spannbreite eines objektiven bis ironisch –satirischen Journalismus für den er zu Recht im Jahre 2011 Preisträger der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft wurde. Eine Spannbreite, die auch der Na­mensgeber des Preises im Laufe seines viel zu kur­zen Lebens zeigte. Beispielge­bend sei auf zwei Artikel in Yücels Buch verwiesen, die aber keineswegs den Kauf des Bandes ersetzen können.

In seinem Beitrag „Super, Deutschland schafft sich ab“, in Anlehnung an einen ehemaligen Finanzsenator in Berlin, der bereits während seiner Senatorenzeit in einen Nationalismus übelster Sorte abgedriftet ist, macht sich Deniz Yücel

lustig über die Zukunft der Deutschen. Zitat: „Endlich! Super! Wunderbar! Was im vergangenen Jahr noch als Gerücht die Runde machte, ist nun wissenschaft­lich (so mit Zahlen und Daten) erwiesen: Deutschland schafft sich ab! Nur noch 16,5 Prozent der 81 Millionen Deutschen, so hat das Statistische Bundesamt er­mittelt, sind unter 18 Jahre alt, nirgends in Europa ist der Anteil der Minderjäh­rigen so niedrig. … Besonders erfreulich: Die Einwanderer, die jahrelang die Ge­burtenziffern künstlich hochgehalten haben, verweigern sich nicht länger der Integration und leisten ihren (allerdings noch steigerungs-fähigen) Beitrag zum Deutschensterben. Noch erfreulicher: Die Ossis schaffen sich als erste ab…“ (er­schienen am 4. 8.2011 in der taz)

An dieser Stelle bricht der Autor dieses Beitrages aus Rücksicht auf die ostdeut­schen Mitglieder der Gesellschaft lieber ab.

Wesentlich ernster ist Deniz Yücel in seinem Beitrag „Der Putschist“, indem er die Ereignisse und Zweifel der türkischen oppositionellen Bevölkerung an den wahren Urhebern des „Putsches“ von 2016 darstellt. War es wirklich das Militär unter Führung der „Gülenbewegung“, dann stellt sich die Frage, wieso ein gut ausgebildetes und mit westlicher Hilfe hervorragend ausgebildetes Heer nicht wissen sollte, dass Erdogan zu diesem Zeitpunkt in einem kaum bewachten Ho­tel Urlaub machte, und statt dessen das türkische Parlament bombardierte. Wieso verfügte Erdogan, der den „Putsch“ als „Geschenk Gottes“ bezeichnete, über eine Liste mit tausenden angeblicher beteiligter „Putschisten, die in den darauf folgenden Tagen verhaftet wurden?

Deniz Yücel erzählt in seinem Beitrag, der erstmals am 6.11.2016 in der „Welt am Sonntag“ erschien, sachkundig über die Ursachen der türkischen Rückent­wicklung unter Erdogan hin zu einem totalitären, kriegstreibenden Staat, wie er in den Anfangsjahren der „modernen“ Türkei unter seinem Staatsgründer Ke­mal Atatürk und seinen Nachfolgern bis hin in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bestanden hatte.

Der Abend für Deniz Yücel am 14.Februar 2018 endete ab 22 Uhr mit einer

Tanzparty, der ich mich aber erschöpfungshalber entzogen habe.

H. Jürgen Rausch

Deniz Yücel: Wir sind ja nicht zum Spaß hier. Reportagen, Satiren und andere Gebrauchstexte. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Doris Akrap. Hamburg 2018, Edition Nautilus, 224 S., 16 Euro, ISBN 978-3-96054-073-1
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Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rezensionen Rundbrief April 2018 Rundbriefe

[Rezension] Rüdiger Wolff vertont Tucholsky-Texte

Stationen: Rüdiger Wolff singt Tucholsky„STATIONEN“ – so heißt die CD von Rüdiger Wolff mit 13 neuen Vertonungen von Tucholsky-Gedichten.

Rüdiger Wolff hat den Texten ein abwechslungsreiches musikalisches Gewand gegeben. Das Spektrum reicht von Balladen mit Gitarrenbegleitung über Cou­plets mit Berliner Schnauze bis zu jazzigen saxophondominierten Melodien. Alle Kompositionen passen glänzend zu den Gedichten und lassen durch die ruhigen und melodiösen Vertonungen Text und Melodie zu gleichen Teilen gut zur Geltung kommen. Die heiter-verspielte Melodie zu „Park Monceau“ sowie die klassische Tangomelodie zu Tuchos „Pfau“ ragen heraus. Selten vorgetragene Gedichte wie „Stationen“ oder das kirchen- und gesellschaftskritische „Kirche und Wolkenkratzer“ kombiniert mit Klassikern wie „Der Graben“ aber in neuem musikalischen Gewand machen die CD zu einem wunderbaren, herausragenden Hörerlebnis, auch für Tucholsky-Kenner.

Zu Rüdiger Wolff: Jahrgang 1953, studierter Litera­turwissenschaftler. Dem norddeutschen Fernsehpublikum ist er auch bekannt als Moderator der „Aktuellen Schaubude“ und der Sendung „Wunderschöner Norden“. Seit gut zehn Jahren konzentriert sich Wolff auf Literatur-Vertonun­gen. Er komponiert am Klavier die Melodien zu den Gedichten seiner Lieblings­lyriker. Seit zwei Jahren lebt er mit einer schweren, unheilbaren Muskelerkran­kung.

Robert Färber

 

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Ende eines Provisoriums

Kurt Tucholskys 128. Geburtstag stand am 9. Januar 2018 unter einem besonderen Stern. Hatte doch die nach ihm benannte Bibliothek im Berliner „Prenzelberg“, inzwischen integrierter Be­standteil Pankows, ihre Nutzer und Fans ausgerechnet an diesem Tage freudig dazu eingeladen, nach 10 Jahren Selbstverwaltung die Wiedereingliederung des über 130jährigen Buchtempels in die hauptamtliche fachliche Anleitung und Betreuung des Bezirksamtes zu befeiern. Und der dreigeschossige Altbau in der Esmarchstraße platzte aus allen Nähten – nicht nur wegen der gewichtigen Foli­anten, sondern vor allem wegen der zahlreichen Besucher, deren selbstloses Engagement sich gelohnt hatte oder die einfach ihrem Interesse und ihrer Er­folgsfreude Ausdruck geben wollten.

Aber halten wir ein wenig Rückschau. Als Berlin noch zweigeteilt war, existier­ten bereits zwei Tucholsky-Bibliotheken in der Stadt: eine in des Autors und Satirikers Geburtsgegend Moabit, die andere am Luxemburg-Platz in Berlin-Mit­te. Letztere hatte den Namen des Schriftstellers anlässlich dessen 70. Geburts­tages im Jahre 1960 erhalten. Wie mir Klaus Neumann, im Oktober 2017 wie­der zum Vorstandsmitglied der Tucholsky-Gesellschaft gewählt, am 9. Januar 2018 in der Esmarchstr. berichtete, nahm er auf Einladung des Schriftstellers Walter Victor als Leiter eines Schülerkabaretts – er selbst war damals noch Be­rufsschüler – an der Veranstaltung teil. Er erinnerte sich daran, dass Mary Ge­rold-Tucholsky ebenfalls zugegen war, eine kleine Festrede hielt und das Zere­moniell der Namensverleihung vornahm. Er kam mit ihr anschließend auch ins Gespräch, wobei sie ihre Freude darüber zum Ausdruck brachte, dass Tuchols­kys Texte auch von jungen Leuten in der DDR gepflegt und verbreitet werden.

Beide Bibliotheken bildeten einen wichtigen Anlaufpunkt für Tucholsky-Fans und für Mitglieder der 1988 im Allgäu gegründeten Kurt-Tucholsky-Gesell­schaft, die ihr Freundesnetz in den späteren „alten“ und „neuen“ Bundeslän­dern dadurch noch enger knüpfen konnte. Ich erinnere mich noch gut daran, dass an den Namen Kurt Tucholsky gebundene literarische Veranstaltungen und thematische Diskussionsrunden in den Räumen am Luxemburgplatz stattfan­den, unter anderem mit Roland Links und Wolfgang Hering, und dass wir dort später im Beisein Brigitte Rotherts Ausschnitte aus unseren Tucholsky-Program­men vorstellten.

Dann stellte sich leider heraus, dass die Institution am historischen Platz, der von der Volksbühne, dem Liebknecht-Haus und dem Kino Babylon geradezu symbolisch eingerahmt wurde, aus Sparsamkeits-, Immobilien- und anderen Gründen verschwinden musste. Dagegen setzten sich Tuchos Großcousine Bri­gitte Rothert und die Tucholsky-Gesellschaft zwar energisch, leider aber vergeb­lich zur Wehr. Nun wäre Brigitte aber nicht Stammbaumzweig des Tuchols­ky-Clans gewesen, hätte sie sich damit abgefunden. Sie ging den Kulturpolitikern des Prenzlauer Berges auf den Docht und erreichte die Übertragung des Na­mens auf eine florierende Stadtteil- und Kinderbibliothek im prosperierenden Bötzow-Viertel. Und in dem Lesetempel in der Esmarchstr. fand der Name Tucholsky eine neue Anziehungs- und Begegnungsstätte, die überdies zu Vor­trägen über Literarisches, Verfilmtes und andere Diskussionswürdigkeiten gera­dezu einlud.

In besonderer Erinnerung sind mir Roland Links` Vorträge über den Berliner Arzt und Autor Alfred Döblin, Jochanan Trilse-Finkelsteins vergleichende Analy­sen über das Wirken und die Befindlichkeiten Heines und Tucholskys in Paris, Diskussionen mit den Schöpfern der Rheinsberg- und Gripsholm-Filme sowie Meinungsaustausche mit den Redaktionen der „Weltbühnen“-Nachfolger „Os­sietzky“ und „Das Blättchen“. Unter ihrer erfahrenen Leiterin Frau Bechtle und der energisch-unermüdlichen Tucholsky-Nachfahrin Brigitte Rothert festigte sich der Standort und machte seinem Namensgeber alle Ehre, und es sei auch nicht vergessen, dass die damaligen Vorstände der Tucholsky-Gesellschaft gern das Gastrecht des Hauses für ihre Beratungen in Anspruch nahmen. Soweit, aber leider nicht so gut.

Die fortschreitenden hauptstädtischen Sparzwänge, die Anfang des neuen Jahr­tausends über die Spreestadt hereinbrachen und offensichtlich vorwiegend auf kulturellem Gebiet ausgetragen werden mussten, fuhren unter der Equipe des Finanzsenator Sarrazin erneut ihre Krallen aus und führten zum Auflösungsbe­schluss der Tucholsky-Bibliothek. Da aber hatten die Behörden die Rechnung ohne den Wirt, in diesem Falle ohne die Leser gemacht.

Die Anwohner verbrüderten sich mit ebenfalls von der Raspel bedrohten Ein­richtungen wie dem „Theater unterm Dach“, der „Wabe“ und deren Betreibern, versicherten sich der Solidarität der Tucholsky-Gesellschaft, protestierten auf der Straße, warnten in der Fragestunde der Bezirksverordnetenversammlung vor der kulturellen Kahlrasur und machten der örtlichen Nähe zum fauchenden „Stierbrunnen“ durch ihr Verhalten alle Ehre. Eine besondere Zuspitzung erleb­te der Kampf gegen die Schließung durch die zeitweilige Besetzung der Biblio­thek durch die bisherigen Nutzer. In diesem Zusammenhang kam es auch zur Gründung des Vereins „Pro Kiez e.V.“, der die Einrichtung notfalls übernehmen wollte. Und das anfangs fast aussichtslose Unterfangen bewirkte, dass das Be­zirksamt der kostenlosen Verwendung der Bibliotheksräume durch ehrenamtli­che Betreuer zustimmte und so die Beräumung der Bestände verhinderte. Zehn Jahre lang überlebte die Tucholsky-Bibliothek als Muster mit hohem Wert und kleinem Geld und zur Freude der Anwohner und ihrer heranwachsenden Kinder sowie zur Selbstbestätigung der Gesinnungsfreunde des aufmüpfigen „Welt­bühnen“-Schreibers Kurt Tucholsky. Sie konnten weiterhin seinen Ratschlägen folgen, ihren belletristischen Interessen nachgehen und seinen Warnungen fol­gen, die Lektüre nicht durch Zeitungsaugen zu betrachten.

Erwähnenswert ist auch, dass die Tradition der Literaturveranstaltungen, Lesun­gen und Begegnungen das als „Durststrecke“ befürchtete Dezennium weiterhin begleitete und der Bibliothek neue Interessenten zuführte. Und in den Veran­staltungen kamen sowohl Zeitgenossen des Mannes mit den diversen Deckna­men als auch Schriftsteller und Persönlichkeiten aus dem Kiez zu Wort.

So gradlinig, wie sich das hier liest oder anhört, ging das Unterfangen allerdings nicht über die Bühne. Widerstand nämlich erhob sich aus der eigenen Sippe, fürchteten doch die noch festangestellten Mitarbeiter anderer Bibliotheken, das Beispiel der Esmarchstraße könne übertragen werden und zum Verlust ihrer Jobs führen. Solidarität ist zwar eine gute Sache, sie ist aber schwierig zu reali­sieren, wenn es ums eigene Eingemachte geht. Bereits am Nachmittag hatte Pro-Kiez-Mitglied Christine Kahlau in ihrer Dokumentation „Die kleine Biblio­thek“ auch darüber berichtet und engagierte Zuhörer und Fragesteller gefun­den.

Dass Danilo Vetter, Fachbereichsleiter der Pankower Bibliotheken, und Klaus Lemmnitz vom Vereinsvorstand in ihren Statements gemeinsam den Erfolg 10-jährigen ehrenamtlichen Engagements, 10-jähriger Solidarität und 10-jähriger Suche nach realisierbaren Lösungen hervorhoben, war eine Genugtuung für alle Beteiligten und stärkte letztlich die Erkenntnis, dass auch in fast aussichts­losen Situationen durch Solidarität und Kontinuität Sinnvolles erreicht werden kann.

Nuancenreiche Ausschnitte aus mehreren Tucholsky-Programmen rundeten den Fest- und Geburtstag nach fünf ereignisreiche Sternstunden ab.

Die Tatsache, dass die Tucholsky-Gesellschaft, repräsentiert durch drei Vor­standsmitglieder, einen Ex-Vorsitzenden und einen Ex-Vizevorsitzenden sowie weitere Vereinsmitglieder an der Veranstaltung teilnahm, soll nicht unerwähnt bleiben – und das nicht nur der Vollständigkeit halber.

Wolfgang Helfritsch

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Tucholsky im Spiegel [April 2018]

In der Badischen Zeitung vom 20. November 2017 beginnt auf Seite 9 ein Kom­mentar von Thomas Hauser zu Leserbriefen, die er zuvor wegen eines Kom­mentars zu der Ermordung einer jungen Frau in Freiburg durch einen Flüchtling erhalten hat, mit einem Tucholsky-Zitat: „Ereignisse können irren, Zeitungen tun das nie, ätzte der große Satiriker Kurt Tucholsky vor 100 Jahren.“
Der von „Andere Zeiten e. V.“ herausgegebene Kalender 2017/18 zum Thema „Der andere Advent“ enthielt den Hinweis auf einen käuflich zu erwerbenden Magnetstreifen: „FREUNDSCHAFT, DAS IST WIE HEIMAT“ KURT TUCHOLSKY
„Tucholsky und Harfe“ war ein Bericht im Mindener Tageblatt, Nr. 4, vom 5. Ja­nuar 2018, Seite 1, überschrieben, dazu der Untertitel „Außergewöhnliches Konzert in Bad Hopfenberg“.
Ein stimmungsvolles Programm unter dem Motto „Harfenmusik und Textvorträ­ge“ gestaltete Gertraude Büttner aus Dipenau-Essern im Kursportsaal von Bad Hopfenberg.
Mit Harfenklängen aus der Renaissance (…) und dem Barock (…) bis hin zu in­ternationaler Folkmusik (…) war für jeden Geschmack des Publikums im gut be­suchten Kursportsaal etwas dabei.(…) Zur Auflockerung zwischen der Musik trug Gertraude Büttner heitere und ernste Texte von Rainer Maria Rilke (…), Erich Kästner (…) und Kurt Tucholsky („Park Monceau“) vor.“
Matthias Biskupek erinnert in der Zweiwochenschrift Ossietzky“, Heft 2, 27. Ja­nuar 2018, auf Seite 60ff. an den 70. Todestag von Karl Valentin, der im Februar 1948 just zu Rosenmontag in München verstorben ist.
„Er starb am Tag, da die närrische west- und süddeutsche Welt sich nicht zu las­sen weiß vor Spaß, am Rosenmontag. Schuld war die Erkältung(…).
Er hatte sich aber auch jene Krankheit zugezogen, die viele Satiriker und Humo­risten gegen Lebensende trifft, heißen sie nun Jonathan Swift oder Walter Meh­ring, Kurt Tucholsky oder Wilhelm Busch. Die Krankheit hat den Namen Resi­gnation.“
In derselben Ausgabe ist in der regelmäßigen Rubrik B e m e r k u n g e n unter der Überschrift Geklopfte Sprüche zu lesen:
„Von Kurt Tucholsky ist der Spruch überliefert: „Die Frauen haben es ja von Zeit
zu Zeit auch nicht leicht, wir Männer aber müssen uns rasieren.“ Das klingt, als ob der Mann geglaubt hat es gebe nur zwei Geschlechter.“ Günter Krone
In der Süddeutschen Zeitung findet sich regelmäßig auf Seite 4 eine Rubrik AK­TUELLES LEXIKON, in der Ausgabe vom 7. Februar 2018 zum Stichwort Pusteku­chen:
„Vorhersagen zur Bundespolitik sollte man sich in diesen Zeiten ja eigentlich
verkneifen. Unbeeindruckt davon zeigt sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber. Zu den Anträgen, die beim Bundesverfassungsgericht gegen den SPD-Mitgliederentscheid über eine Koalition vorlagen, twitterte er: „Vorhersage Pustekuchen.“ Das lässt an eine Satire von Kurt Tucholsky denken, der einer Katze Fischköpfe herbeisehnt: „Son richtichen Kopp von nem Zanderchen – Pus­tekuchen!“
Dem Duden zufolge steht dieser Ausdruck umgangssprachlich für: „Das Gegen­teil, von dem, was man sich vorgestellt oder gewünscht hat, ist eingetreten.“
Ingrid Zwerenz bespricht in Ossietzky, Heft 3, 10. Februar 2018, S. 92f., die Au­tobiographie von Gregor Gysi und schreibt dazu u. a.:
„Während viele Zeitgenossen auf der Suche nach künstlichen oder außerirdi­schen Intelligenzen sind, schaut man besser nach bei Gregor Gysi, ein ähnlicher Charakter und Typ wie Kurt Tucholsky, beide tüchtige Juristen, sprachmächtig, geborene jüdische Berliner, ausgestattet mit unnachahmlicher Ironie, kongru­entem Witz und hochtourigem Humor. Differenzen sehe ich bei ihrem Urteil über Frauen, da hat Tucho mal einen Fehlgriff getan, als er formulierte: „Die Menschheit zerfällt in zwei Teile, einen männlichen der denken will, und einen weiblichen, der nicht denken kann.“ Hier bleibt einem etwas die Luft weg, und es tröstet auch nicht, dass er an anderer Stelle schrieb: „Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen.“
In einer Buchbesprechung von Eva Berger in der tageszeitung, Wochenendaus­gabe vom 10./11. Februar 2018, S. 15 (politisches Buch) taucht unser Namens­geber bereits im Untertitel auf: „Ein Berserker gegen Hitler, Weggefährte von Kurt Tucholsky und Joseph Roth: Mit der Schrift „Deutschland ist Caliban“ ist der große Polemiker Walther Rode wiederzuentdecken.“
Im Text heißt es dann weiter:
„Eine der ersten Streitschriften gegen Hitler und den Nationalsozialismus ist wiederzuentdecken: Walther Rodes „Deutschland ist Caliban“: (…) Walther Rode (geborener Rosenzweig) steht in einer Geistesreihe mit dem berühmten Literaten und Feuilletonisten der Zwischenkriegszeit von Kurt Tucholsky bis Joseph Roth und ist doch ein großer Unbekannter geblieben. (…)
Er schrieb es 1933 „zum Zeitvertreib“, während er darauf wartete (resignierend), dass Hitler „der Schlag trifft“.
Als gern gesehener Gast verkehrt er auch in Künstlerkreisen, in deren Mitte im
August 1934 zu früh und überraschend sein Herz aussetzt. Er ist 58 Jahre alt. Zu
diesem Zeitpunkt sind seine Schriften in vorauseilendem faschistischen Gehor­sam längst auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ein Jahr später begeht Tucholsky in Schweden Suizid, und Joseph Roth trinkt sich 1939 in Paris zu Tode. Keine Brüder im Geiste mehr da also, die an ihn hätten erinnern können. Die Nazis haben ganze deutsche Arbeit geleistet.“
In der Ausgabe des Ossietzky vom 24. Februar 2018, Heft 4, S. 116ff., befasst sich Christophe Zerpka unter dem Titel Solferino mit dem politischen Nieder­gang sowohl der französischen Sozialisten als auch Kommunisten und führt u. a. aus:
„Doch das links Blinken, rechts Abbiegen hat Tradition. Schon in der Weimarer
Republik lieferte Kurt Tucholsky diese hochaktuelle Beschreibung: „Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt: Hieße sie seit dem 1. August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleineren Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas. Vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahin gegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Ge­schäfte unter einem ehemals guten Namen.“
Die „taz-Berlin“ nahm den 80. Geburtstag von Klaus Staeck, studierter Jurist und bekannt geworden durch seine politischen Plakate und Postkarten, inzwi­schen mehr als 380, zum Anlass, ein Interview zu führen. Überschrift: „David hat eine reale Chance gegen Goliath.“ Auf die Frage von Pascal Beuker „Gibt es für Sie Grenzen der Satire?“ antwortete Klaus Staeck:
„Satire bleibt immer eine Gratwanderung. Aber ich kannte für mich immer die Grenzen, bis zu denen ich gehen konnte und wollte. Tucholskys Diktum „Satire darf alles“ habe ich deswegen stets noch zwei Worte hinzugefügt: „in Verant­wortung. Das ist mir wichtig.“ (taz, 27.02.18, S. 4f.)

Wie immer können alle vollständigen Texte bei der Geschäftsstelle abgerufen werden.

Bernd Brüntrup, mit Dank an Gerhard Stöcklin.