[Berlin] Kurt Tucholsky: Lachen ohne Weinen

„Ich habe Erfolg, aber keinerlei Wirkung!“

Kurt Tucholsky: Lachen ohne Weinen

Literarisch-musikalisches Programm
von und mit
Ilona Blumenthal-Petzold (Rezitation)
Wolfgang Geiger (Piano)
Max Dollinger (Gesang, Rezitation)

Das musikalisch-literarische Programm widmet sich in kurzweiligen 80 Minuten dem künstlerischen Schaffen Kurt Tucholskys. Vor allem die Gleichzeitigkeit scheinbarer Gegensätze prägte den Werdegang und die Werke des Satirikers, da er sowohl die tagesaktuelle Politik als auch die ganz alltäglichen Probleme des einfachen Mannes in seinen Texten thematisierte, die Gesellschaft in der Zeitung scharf verurteilte und gleichzeitig diese im Varieté bestens bespaßte.
Diese Diskrepanz spiegelt sich auch in der Konzeption von „Lachen ohne Weinen – Ich habe Erfolg, aber keinerlei Wirkung!“ wieder: Der erste Teil widmet sich der Politik, Arbeitswelt und Gesellschaft, der zweite dem Alltag und zwischenmenschlichen Beziehungen. Tucholskys eigene Gedankenblitze, sogenannte „Schnipsel“ aus seinen Notizen, verbinden die abwechselnden Musiknummern, die von Kabarettstücken über erschütternde Chansons bis hin zum Schlager reichen, und Rezitationen miteinander. Neben Kompositionen seiner Zeit von Friedrich Hollaender, Hanns Eisler sowie Benedikt Eichhorn wird auch eine Uraufführung erklingen. Über manche Zeitlosigkeit von Geschlechterklischees bis hin zur Erstarkung der Rechten wird der Zuhörer sich wundern, erschrocken sein – über die Satire lachen und weinen?
Karten gibt es beim Theater im Palais.
Ilona Blumenthal-Petzold
wurde in Lauchhammer/Lausitz geboren. Nach dem Abitur studierte sie zunächst Schauspiel an der Theaterhochschule „Hans Otto“ Leipzig u.a. bei Erika Solbrig, anschließend Gesang in der Abteilung für Popularmusik bei Christiane Kluge an der HMT Leipzig „Felix Mendelssohn Bartholdy“. Des Weiteren absolvierte sie ein Postgradualstudium in Sprecherziehung am Institut für Sprechwissenschaft und Phonetik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und begann 1980 mit der Lehrtätigkeit in Sprecherziehung in der Fachrichtung Gesang/Musiktheater.
Als Chanson- und Liedinterpretin arbeitet sie u.a. im Trio „Corazon“ und konzipiert literarisch-musikalische Programme wie „Berührungen“ mit dem Komponisten Wolfgang Mader, Jazz-Lyrik mit dem Komponisten Frank Petzold und Tucholsky/Eisler-Programme mit dem Gitarristen Thomas Blumenthal.  Außerdem war sie bisher in Lesungen wie „Maxi Wander – Auskunft und Offenbarung“, „Chopin in Wien“, „Hölderlin“ und Goethes „West-östlicher Divan“ als Sprecherin zu erleben.
Wolfgang Geiger
wurde 1991 im oberfränkischen Marktredwitz geboren. Nach dem Abitur in Hof/ Saale absolvierte er ein künstlerisches Aufbaujahr an der Berufsfachschule für Musik in Sulzbach-Rosenberg und begann 2012 sein Schulmusikstudium an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar mit dem Schwerpunktfach Schulpraktisches Klavierspiel. Zurzeit schließt Wolfgang Geiger den Studiengang „Master of Education“ in Schulmusik ab und studiert parallel dazu im Master Musiktheorie. Neben dem Klavierspiel und weiteren musikalischen Tätigkeiten als Chorsänger oder Tubist des Landes- und Bundesjugendorchesters ist er Präsident des Vereins BundesSchulMusikChor und -Orchester e.V.
Er ist Träger des Kulturpreises der Stadt Marktredwitz und Gesamtsieger des 12. Bundeswettbewerbs Schulpraktisches Klavierspiel in Weimar. Im April 2018 gründete er das Palais-Orchester und steht zusammen mit seinem Freund und Sänger Max Dollinger aus Leipzig regelmäßig auf der Bühne.

Max Dollinger
Der 1996 in Hof/Saale geborene Max Dollinger studiert seit 2015 Gesang-Musiktheater an der HMT Leipzig bei KS Prof. Roland Schubert. Seine Liebe zur Musik entdeckte der junge Bariton bereits früh durch intensiven Gitarren-, Klavier- und Trompetenunterricht: Nachdem er als Junge Teil des Windsbacher Knabenchors war, sang er bereits mit zwölf Jahren die Partie des Zweiten Knaben in „Die Zauberflöte“ am Theater Hof.
Seitdem wirkte der mehrfache Jugendmusiziert-Bundespreisträger in über 25 Musiktheaterproduktionen u.a. an der Oper Leipzig, am Theater Hof, am Theater Nordhausen und am Renaissance-Theater Berlin schwerpunktmäßig im Bereich des unterhaltenden Musiktheaters mit. Für den Musical-Bereich erhält er dabei wichtige Impulse von Prof. Noelle Turner (Essen).
Zu seinem Repertoire gehören u.a. Partien wie Blasius Römer im „Schwarzwaldmädel“, Oberst Pickering in „My fair Lady“, Zahnarzt u. Audrey 2 in „Der kleine Horrorladen“ und Nick in „Fame“. Seit Oktober 2018 ist er im Kammermusical „Pink – Manchmal braucht’s nur einen Lippenstift“ (UA) in der männlichen Hauptrolle des Lewis am Renaissance-Theater Berlin zu erleben. Im Mai 2019 hat er in Leipzig und Jena sein Debüt als Oberst Ollendorf in „Der Bettelstudent“ geben.
Konzerte führten ihn bereits an den Friedrichstadt-Palast Berlin, das Gewandhaus zu Leipzig, zum Altenburger Musikfestival sowie zum Bachfest Leipzig. Als Conférencier tourt er seit 2018 mit dem Palais-Orchester und seinem Musikerfreund Wolfgang Geiger mit ihrer Revue „Der verspielte Mann“, sowie mit dem Tucholsky-Programm „Lachen ohne Weinen“.Beim Bundeswettbewerb Gesang Berlin 2017 für Musical-Chanson wurde er mit dem Förderpreis der Stiftung Rosenbaum und dem Sonderpreis der Staatsoperette Dresden ausgezeichnet.
 

 

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Originaltexte Tucholsky: Zum Werk

Kurt Tucholsky: Ein älterer, aber leicht besoffener Herr

1930 erschien eine der besten Satiren auf die Parteienlandschaft der Weimarer Republik Tucholskys. »Ein älterer, aber leicht besoffener Herr« ist zugleich auch einer der Texte, die zeigen, dass Tucholsky immer Berliner geblieben ist, egal wie weit er sich innerlich und äußerlich von Deutschland entfernt hatte.
Der Text ist ein typisches Beispiel für Tucholskys ambivalentes Verhältnis zur Republik, deren Schwächen er nicht übersehen konnte und die es doch zu schützen galt. Gerade in den letzten Jahren, als er mit zunehmender Verzweiflung gegen ihren Untergang anschrieb, zeigt sich dies besonders stark. Für den heute anstehenden Wahlgang sei aber diese Zeile herausgegriffen:

Denn winsch ick Sie ooch ne vajniechte Wahl! Halten Sie die Fahne hoch!

Eine der wohl besten Interpretationen stammt denn auch von einem Ur-Berliner, dem Schauspieler Gerd E. Schäfer, der den Text, wenn auch nicht buchstabengetreu, im Rahmen des Projektes Jazz – Lyrik – Prosa unübertroffen vortrug.

Zum Vergleich hier noch der Originaltext:

Ein älterer, aber leicht besoffener Herr

– Wie Sie mich hier sehn, bin ick nämlich aust Fensta jefalln. Wir wohn Hochpachterr, da kann sowat vorkomm. Es ist wejn den Jleichjewicht. Bleihm Se ruhich stehn, lieber Herr, ick tu Sie nischt – wenn Se mir wolln mah aufhehm … so … hopla … na, nu jeht et ja schon. Ick wees jahnich, wat mir is: ick muß wat jejessen ham … !
Jetrunken? Ja, det auch … aber mit Maßen, immer mit Maßen. Es wah – ham Sie ’n Auhrenblick Sseit? – es handelt sich nämlich bessüchlich der Wahlen. Hips … ick bin sossusahrn ein Opfer von unse Parteisserrissenheit. Deutschland kann nich untajehn; solange es einich is, wird es nie bebesiecht! Ach, diß wah ausn vorjn Kriech … na, is aber auch janz schön! Wenn ick Sie ’n Sticksken bejleiten dürf … stützen Sie Ihnen ruhig auf mir, denn jehn Sie sicherer!
Jestern morjen sach ick zu Elfriede, wat meine Jattin is, ick sahre: »Elfriede!« sahr ick, »heute is Sonntach, ick wer man bißken rumhörn, wat die Leite so wählen dhun, man muß sich auf den laufenden halten«, sahr ick – »es is eine patt … patriotische Flicht!« sahr ick. Ick ha nämlich ’n selbständjen Jemieseladn. Jut. Sie packt ma ’n paar Stulln in, und ick ßottel los.
Es wücht ein ja viel jebotn, ssur Sseit … so ville Vasammlungen! Erscht war ich bei die Nazzenahlsosjalisten. Feine Leute. Mensch, die sind valleicht uffn Kien! Die janze Straße wah schwarz … un jrien … von de Schupo … un denn hatten da manche vabotene Hemden an … dies dürfen die doch nich! »Runta mit det braune Hemde!« sachte der Wachtmeister zu ein, »Diß iss ein weißes Hemde!« sachte der. »Det is braun!« sachte der Jriene. Der Mann hat ja um sich jejampelt mit Hände und Fieße; er sacht, seine weißen Hemden sehn imma so aus, saubrer kann a nich, sacht a. Da ham sen denn laufen lassen. Na, nu ick rin in den Saal. Da jabs Brauselimmenade mit Schnaps. Da ham se erscht jeübt: Aufstehn! Hinsetzn! Aufstehn! Hinsetzn! weil sie denn nämlich Märsche jespielt ham, und die Führers sind rinjekomm – un der Jöbbels ooch. Kenn Sie Jöbbels? Sie! Son Mann is det! Knorke. Da ham die jerufen: »Juden raus!« un da habe ick jerufen: »Den Anwesenden nadhierlich ausjenomm!« un denn jing det los: Freiheit und Brot! ham die jesacht. Die Freiheit konnte man jleich mitnehm – det Brot hatten se noch nich da, det kommt erscht, wenn die ihr drittes Reich uffjemacht ham. Ja. Und scheene Lieda ham die –!

Als die liebe Morjensonne
schien auf Muttans Jänseklein,
zoch ein Rejiment von Hitla
in ein kleines Städtchen ein … !

Na, wat denn, wat denn … man witt doch noch singen dürfn! Ick bin ja schon stille – ja doch. Und der Jöbbels, der hat ja nich schlecht jedonnert! Un der hat eine Wut auf den Thälmann! »Is denn kein Haufen da?« sacht er – »ick willn iebern Haufn schießen!« Und wir sind alle younge Schklavn, hat der jesacht, und da hat er ooch janz recht. Und da war ooch een Kommenist, den ham se Redefreiheit jejehm. Ja. Wie sen nachher vabundn ham, war det linke Oohre wech. Nee, alles wat recht is: ick werde die Leute wahrscheinlich wähln. Wie ick rauskam, sachte ick mir: Anton, sachte ick zu mir, du wählst nazzenahlsosjalistisch. Heil!
Denn bin ick bei die Katholschen jewesn. Da wollt ick erscht jahnich rin … ick weeß nich, wie ick da rinjekomm bin. Da hat son fromma Mann am Einjang jestandn, der hatte sich vor lauter Fremmichkeit den Krahrn vakehrt rum umjebunden, der sacht zu mir: »Sind Sie katholischen Jlaubens?« sacht er. Ick sahre: »Nich, dass ick wüßte … « – »Na«, sacht der, »wat wollen Sie denn hier?« – »Jott«, sahre ick, »ick will mir mal informieren«, sahre ick. »Diß is meine Flicht des Staatsbirjers.« Ick sahre: »Einmal, alle vier Jahre, da tun wa so, als ob wa täten … diß is ein scheenet Jefiehl!« – »Na ja«, sacht der fromme Mann, »diß is ja alles jut und scheen … aber wir brauchen Sie hier nich!« – »Nanu … !« sahre ick, »sammeln Sie denn keene Stimm? Wörben Sie denn nich um die Stimm der Stimmberechtichten?« sahre ick. Da sacht er: »Wir sind bloß eine bescheidene katholische Minderheit«, sacht er. »Und ob Sie wähln oder nich«, sacht er, »desderwejn wird Deutschland doch von uns rejiert. In Rom«, sacht er, »is et ja schwierijer … aber in Deutschland … « sacht er. Ick raus. Vier Molln hak uff den Schreck jetrunken.
Denn wak bei die Demokratn. Nee, also … ick hab se jesucht … durch janz Berlin hak se jesucht. »Jibbs denn hier keene Demokraten?« frahr ick eenen. »Mensch!« sacht der, »Du lebst wohl uffn Mond! Die hats doch nie jejehm! Und nu jippse iebahaupt nich mehr! Jeh mal hier rin«, sacht er, »da tacht die Deutsche Staatspachtei – da is et richtich.« Ick rin. Da wah ja so viel Jugend … wie ick det jesehn habe, mußt ick vor Schreck erscht mal ’n Asbach Uralt trinken. Aber die Leute sinn richtich. Sie – det wa jroßachtich! An Einjang hattn se lauter Projamms zu liejn … da konnt sich jeder eins aussuchen. Ick sahre: »Jehm Sie mir … jehm Se mia ein scheenet Projamm für einen selbständigen Jemieseladen, fier die Interessen des arbeitenden Volkes«, sahre ick, »mit etwas Juden raus, aber hinten wieder rin, und fier die Aufrechterhaltung der wohlerworbenen Steuern!« – »Bütte sehr«, sacht det Frollein, wat da stand, »da nehm Sie unsa Projramm Numma siemundfürrssich – da is det allens drin. Wenn et Sie nicht jefällt«, sacht se, »denn kenn Siet ja umtauschn. Wir sind jahnich so!« Diß is eine kulante Pachtei, sahre ick Ihn! Ick werde die Leute wahrscheinlich wähln. Falls et sie bei der Wahl noch jibbt.
Denn wak bei die Sozis. Na, also ick bin ja eijentlich, bei Licht besehn, ein alter, jeiebter Sosjaldemokrat. Sehn Se mah, mein Vata war aktiva Untroffssier … da liecht die Disseplin in de Familie. Ja. Ick rin in de Vasammlung. Lauta klassenbewußte Arbeita wahn da: Fräser un Maschinenschlosser un denn ooch der alte Schweißer, der Rudi Breitscheid. Der is so lang, der kann aus de Dachrinne saufn. Det hat er aba nich jetan – er hat eine Rede jehalten. Währenddem dass die Leute schliefen, sahr ick zu ein Pachteigenossn, ick sahre: »Jenosse«, sahre ick, »woso wählst du eijentlich SPD –?« Ick dachte, der Mann kippt mir vom Stuhl! »Donnerwetter«, sacht er, »nu wähl ick schon ssweiunsswanssich Jahre lang diese Pachtei«, sacht er, »aber warum det ick det dhue, det hak ma noch nie iebalecht! – Sieh mal«, sachte der, »ick bin in mein Bessirk ssweita Schriftfiehra, un uff unse Ssahlahmde is det imma so jemietlich; wir kenn nu schon die Kneipe, un det Bier is auch jut, un am erschten Mai, da machen wir denn ’n Ausfluch mit Kind und Kejel und den janzen Vaein … und denn ahms is Fackelssuch … es is alles so scheen einjeschaukelt«, sacht er. »Wat brauchst du Jrundsätze«, sacht er, »wenn dun Apparat hast!« Und da hat der Mann janz recht. Ick werde wahrscheinlich diese Pachtei wähln – es is so ein beruhjendes Jefiehl. Man tut wat for de Revolutzjon, aber man weeß janz jenau: mit diese Pachtei kommt se nich. Und das is sehr wichtig fier einen selbständjen Jemieseladen!
Denn wah ick bei Huchenberjn. Sie … det hat ma nich jefalln. Wer den Pachteisplitter nich ehrt, is det Janze nich wert – sahr ick doch imma. Huchenberch perseenlich konnte nich komm … der hat sich jrade jespaltn. Da hak inzwischen ’n Kimmel jetrunken.
Denn wak noch bei die kleinern Pachteien. Ick wah bei den Alljemeinen Deutschen Mietabund, da jabs hellet Bia; und denn bei den Tannenberchbund, wo Ludendorff mitmacht, da jabs Schwedenpunsch; und denn bei die Häußerpachtei, die wähln bloß in Badehosn, un da wah ooch Justaf Nahrl, der is natürlicher Naturmensch von Beruf; und denn wak bei die Wüchtschaftspachtei, die sind fier die Aufrechterhaltung der pollnschen Wüchtschaft – und denn wark blau … blau wien Ritter. Ick wollt noch bei de Kommenistn jehn … aber ick konnte bloß noch von eene Laterne zur andern Laterne … Na, so bink denn nach Hause jekomm.
Sie – Mutta hat valleicht ’n Theater jemacht! »Besoffn wie son oller liiijel –!« Hat se jesacht. Ick sahre: »Muttacken«, sahre ick, »ick ha det deutsche Volk bei de Wahlvorbereitung studiert.« – »Besoffn biste!« sacht se. Ick sahre: »Det auch … « sahre ick. »Aber nur nehmbei. Ick ha staatspolitische Einsichten jewonn!« sahre ick. »Wat wißte denn nu wähln, du oller Suffkopp?« sacht se. Ich sahre: »Ick wähle eine Pachtei, die uns den schtarkn Mann jibt, sowie unsan jeliebtn Kaiser und auch den Präsidenten Hindenburch!« sahr ick. »Sowie bei aller Aufrechterhaltung der verfassungsjemäßichten Rechte«, sahr ick. »Wir brauchen einen Diktator wie Maxe Schmeling oder unsan Eckner«, sahre ick. »Nieda mit den Milletär!« sahre ick, »un hoch mit de Reichswehr! Und der Korridor witt ooch abjeschafft«, sahre ick. »So?« sacht se. »Der Korridor witt abjeschafft? Wie wißte denn denn int Schlafzimmer komm, du oller Süffel?« sacht se. Ick sahre: »Der Reichstach muß uffjelöst wem, das Volk muß rejiern, denn alle Rechte jehn vom Volke aus. Na, un wenn eener ausjejang is, denn kommt a ja sobald nich wieda!« sahre ick. »Wir brauchen eine Zoffjett-Republik mit ein unumschränkten Offsier an die Spitze«, sahre ick. »Und in diesen Sinne werk ick wähln.« Und denn bin ick aust Fensta jefalln.
Mutta hat ohm jestanden und hat jeschimpft … ! »Komm du mir man ruff«, hat se jebrillt. »Dir wer ick! Du krist noch mal Ausjang! Eine Schande is es –! Komm man ja ruff!« Ick bin aba nich ruff. Ick als selbstänjdja Jemieseladen weeß, wat ick mir schuldich bin. Wollen wa noch ne kleene Molle nehm? Nee? Na ja … Sie missn jewiß ooch ze Hause – die Fraun sind ja komisch mit uns Männa! Denn winsch ick Sie ooch ne vajniechte Wahl! Halten Sie die Fahne hoch! Hie alleweje! Un ick wer Sie mal wat sahrn: Uffjelöst wern wa doch … rejiert wern wa doch …
Die Wahl is der Rummelplatz des kleinen Mannes! Det sacht Ihn ein Mann, der det Lehm kennt! Jute Nacht –!

Kaspar Hauser, Die Weltbühne, 09.09.1930, Nr. 37, S. 405, wieder in: Lerne Lachen.

Gesamtausgabe Band 10, Text 126, S. 345-349