Die Jury des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik verleiht den Preis im Jahr 2005 an Erich Kuby.
Aus der Begründung der Jury:
„Die Jury ehrt damit das Lebenswerk eines leidenschaftlichen, zornigen, klarsichtigen Journalisten und Schriftstellers. Erich Kuby hat gegen die personellen und strukturellen Erbschaften des Nationalsozialismus geschrieben; er war ein unnachsichtiger Beobachter der Schattenseiten des Wirtschaftswunders und der Wirtschaftsmacht. Seine Schärfe und Lakonie speisten sich aus dem Leiden an Deutschland, seine Energie und sein Humor aus der Liebe zu dessen besten Traditionen. Kuby war ein unabhängiger Geist, erfolgreich, aber nicht zu vereinnahmen. Er war so frei zu gehen, wenn er nicht schreiben durfte, was er erfahren hatte. Bis zu seinem Tod war er ein aufmerksamer, gelegentlich bitterer Kritiker eines vom Markt ausgedünnten, von Interessen zensierten und neugierlosen Journalismus.“
Die Jury entschied einstimmig. Ihr gehörten an: Volker Braun, Daniela Dahn, Mathias Greffrath und Jan Eik.
Erich Kuby
geboren am 28. Juni 1910 in Baden-Baden, gestorben am 10. September 2005 in Venedig.
Der im September 2005 im Alter von 95 Jahren gestorbene Journalist und Schriftsteller Erich Kuby galt vielen als die letzte große Figur des deutschen Nachkriegsjournalismus. Kubys journalistische Karriere hatte 1947 begonnen, als er von der amerikanischen Besatzungsbehörde zum Chefredakteur der Zeitschrift „Der Ruf“ bestimmt worden war. Vom „Ruf“ gelangte er über die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Welt“ zu den Magazinen „Stern“ und „Der Spiegel“. Großen Erfolg hatte er gegen Ende der fünfziger Jahre mit Buch und Drehbuch über den Fall der ermordeten Prostituierten Rosemarie Nitribitt. In seiner scharfen und unnachsichtigen Kritik an gesellschaftlichen Entwicklungen schreckte er auch vor Zerwürfnissen mit seinen Verlegern nicht zurück, was jeweils zum Abschied beim „Stern“ und „Spiegel“ führte. Im Zweifel schätzte er seine persönliche Unabhängigkeit höher als die berufliche Karriere ein. Seine Gesellschaftskritik trug ihm von Seiten Heinrich Bölls den Titel „Netzbeschmutzer von Rang“ ein. Der Journalist Friedrich Sieburg bezeichnete ihn als „Bundesnonkonformisten“.
Aus seiner ersten Ehe mit Edith Schumacher (bis 1971) gingen fünf Kinder hervor. Von 1982 an lebte Erich Kuby mit seiner Frau Susanna Böhme-Kuby und ihrem gemeinsamen Sohn in Venedig. Bis 2003 begleitete er noch in der „Freitag“-Kolumne „Der Zeitungsleser“ die politische Entwicklung.
Erich Kuby erhält den Tucholsky-Preis 2005 postum für Gesamtwerk.
Anmerkung: Erich Kubys Ehefrau Susanna Böhme-Kuby, die ebenfalls als Jurorin des Tucholsky-Preises nominiert ist, hatte aufgrund des Todesfalles darum gebeten, sie in diesem Jahr aus der Jury-Arbeit zu entlassen. Sie war daher an der Entscheidungsfindung nicht beteiligt. Ebenfalls hat Susanna Böhme-Kuby auf eine Auszahlung des Preisgeldes verzichtet, das somit für die kommende Preisvergabe wieder zur Verfügung steht.
Laudatio:
Die Laudatio von Heinrich Senfft
Textauswahl:
(bei der Preisverleihung vorgetragen)
Ich über mich (1989)
Das pausenlose Programm (1950)
Kein Tucholsky heute (1965)
Veröffentlichungen:
(A. P.) Demidoff oder von der Unverletzlichkeit des Menschen. München 1947
Das Ende des Schreckens. Dokumente des Untergangs im Januar/Mai 1945. München 1955
Das ist des Deutschen Vaterland – 70 Millionen in zwei Wartesälen. Stuttgart 1957
Rosemarie, des deutschen Wunders liebstes Kind. Stuttgart 1958
Nur noch rauchende Trümmer. Das Ende der Festung Brest. Reinbek 1959
Alles im Eimer. Siegt Hitler bei Bonn? Ein politischer Monolog 1944–1960. Stuttgart 1960
Sieg! Sieg! Reinbek 1961
Im Fibag-Wahn. Oder: Sein Freund, der Herr Minister. Reinbek 1962
Richard Wagner & Co. Zum 150. Geburtstag des Meisters. Hamburg 1963
Franz Josef Strauß. Ein Typus unserer Zeit. Wien, München 1963
Die Russen in Berlin 1945, München 1965
Die deutsche Angst. Zur Rechtsdrift in der Bundesrepublik Deutschland. Bern, München 1970
Mein Krieg. Aufzeichnungen aus 2129 Tagen. München 1975
Verrat auf deutsch. Wie das Dritte Reich Italien ruinierte. Hamburg 1982
Die Deutschen in Amerika. Von den ersten Siedlern bis heute. München 1983
Der Fall »Stern« und die Folgen. Hamburg 1983
Aus schöner Zeit. Vom Carepaket zur Nachrüstung: Der kurze deutsche Urlaub. Hamburg 1984
Als Polen deutsch war 1939-1945. München 1986
Oh Ludwig. Imaginäre Rede an König Ludwig II. München 1986
Der Spiegel im Spiegel. Das deutsche Nachrichten-Magazin. München 1987
Deutsche Schattenspiele. München 1988
Mein ärgerliches Vaterland. München 1989
Der Preis der Einheit. Ein deutsches Europa formt sein Gesicht. Hamburg 1990
Deutsche Perspektiven. Hamburg 1993
Lauter Patrioten. Eine deutsche Familiengeschichte. München 1996
Der Zeitungsleser. In Wochenschritten durch die politische Landschaft 1993-1995. Hamburg 1996
Links:
Biographie Erich Kubys in der Wikipedia
Nachruf von Otto Köhler im „Freitag“
Peter O. Chotjewitz zum 95. Geburtstag Kubys im „Freitag“
Nachruf von Heinrich Senfft in der „taz“
Erich Kubys Werke im Katalog der „Deutschen Bibliothek“