Ich resigniere. Ich kämpfe weiter, aber ich resigniere. Wir stehen hier fast ganz allein in Deutschland – fast ganz allein. […] Pathos tuts nicht und Spott nicht und Tadel nicht und sachliche Kritik nicht. Sie wollen nicht hören.
Dies schrieb Kurt Tucholsky 1919 in seinem Resümee zum Prozess gegen Otto Marloh. In diesem bemerkenswerten Text sind viele Themen und Motive seines späteren Wirkens bereits enthalten: Die Kritik an der politisch motivierten Justiz, am Korpsgeist, am Militarismus, an der Mutlosigkeit der Republik, am Untertanengeist, an der Autoritätssehnsucht seiner Zeitgenossen.
Am anderen Ende seiner Wirkungszeit, im Frühjahr 1931 schrieb er als Theobald Tiger eines seiner bittersten – und stärksten – politischen Gedichte.
In »Rosen auf den Weg gestreut« ist von der Hoffnung, die in »Prozess Marloh« noch zu erkennen ist, nichts mehr geblieben. Es ist eine bitterböse Abrechnung mit einer Republik, die es nicht geschafft hat, klare Position gegen ihre Gegner zu beziehen. Man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass seine Botschaft unserer Zeit weit weniger fern ist als sie sein sollte…
Rosen auf den Weg gestreut
Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht – sie sind so zart!Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –:
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!
Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt: »Ja und Amen – aber gern!
Hier habt ihr mich – schlagt mich in Fetzen!«
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft.
Und schießen sie –: du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!
Wer möchte nicht gern Opfer sein?Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen …Und verspürt ihr auch
in euerm Bauchden Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft –:
Küßt die Faschisten, küßt die Faschisten,
küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft –!
Theobald Tiger, Die Weltbühne, 31.03.1931, Nr. 13, S. 452.
Der Text in der Lesung von Steffen Ille (aus dem Hörbuch »Gruß nach vorn«)
2 Antworten auf „Kurt Tucholsky: Rosen auf den Weg gestreut“
[…] 1931 als „Theobald Tiger“ veröffentlicht, kann ich nur jedem Menschen ans Herz legen: https://tucholsky-gesellschaft.de/2017/10/17/kurt-tucholsky-rosen-auf-den-weg-gestreut/ Gesellschaftlich ist Friedfertigkeit jedoch ein unabdingbarer Grundsatz, was ja passiven […]
[…] Ein mehr oder minder stark ausgeprägtes Engagement ist glaube ich seit meiner Jugend vorhanden. Etwa ein Jahr lang war ich mal Mitglied in der “Jungen Union”, aber das war dann irgendwie doch nicht das Richtige für mich. Ich habe mich dann tendenziell fast 25 Jahre den GRÜNEN angeschlossen. Viele Jahre folgte Arbeit in der Anti-AWK-Bewegung. Gorleben, Gleisblockaden, inhaltliche Arbeit, auch mal klandestine “Nacht und Nebel-Aktionen”. Irgendwie bin ich dann bei den Autonomen gelandet, das hat mich als junger Mensch inhaltlich sehr angesprochen. Ich habe damals in Berlin gewohnt. Kurz nach der Wende ging es da richtig rund. Besetzte Häuser, Strassenkampf mit Rechtsextremisten, Randale mit Hooligans des BFC Dynamo. Ich war damals nur am Rande dabei, beim Mauerfall war ich 14, die Politisierung war jedoch dennoch ganz enorm und hat sich tief in die eigene DNA eingebrannt. In den 90ern gab es noch starke Verbindungen zwischen den GRÜNEN und den Autonomen – heute ist das nahezu undenkbar. Das war damals hochspannende Arbeit, was wir teilweise gemeinsam geleistet haben. Arbeit in der Flüchtlingsbewegung, Aufbau von selbstverwalteten Zentren, Hausbesetzungen, Kulturarbeit, Rechtsextreme haben sich hier und dort auch mal eine blutige Nase geholt, insbesondere in der Zeit, als die NPD starken Zuwachs bekam. Globalisierungskritik, sehr sehr viel Theorie-Arbeit. Ab und an wurde auch mal eine Nacht in Polizeigewahrsam verbracht, das gehörte irgendwie dazu. Danach weiss man seine Freiheit umso mehr zu schätzen. Damals, beim G8-Gipfel in Genua flogen uns die Gaskartuschen und Gummiknüppel nur so um die Ohren. Auch in dieser Zeit spielte Umweltpolitik immer eine Rolle. Irgendwann jedoch war es an der Zeit, sich von “den Autonomen” loszusagen. Aus heutiger Sicht halte ich viele der Aktionsformen, insbesondere aktive Gewalt, für grundfalsch. Wenn man sich damit nicht mehr identifizieren kann, dann muss man gehen. Das habe ich dann getan und nach einigen Jahren Pause damit begonnen auf einer anderen Basis zu arbeiten, reine Umweltpolitik, in ihrer ureigensten schaffenden “Wald-und Wiesen”-Form. Gewalt ist kontraproduktiv und ein großer Teil des großen Problems. Es ist durchaus möglich, dass es zu dieser Thematik in jungen Jahren eine andere Sichtweise gegeben hat. Andererseits: Wenn (nur als kleines Beispiel) Rechtsextremisten Raum und gesellschaftliche Relevanz gewinnen, dann macht es wenig Sinn ihnen – frei und richtigerweise ironisch nach Kurt Tucholsky angemerkt – “Rosen auf den Weg zu streuen”. Dieses Gedicht, von Tucholsky 1931 als “Theobald Tiger” veröffentlicht, kann ich nur jedem Menschen ans Herz legen: https://tucholsky-gesellschaft.de/2017/10/17/kurt-tucholsky-rosen-auf-den-weg-gestreut/ […]