Berlin hat keine sehr gute Presse im Reich; voller Haß wird diese Stadt kopiert. Was geht da vor?
Einer der Oberschreier im Kampf der Wagen und Gesänge ist Hugenberg. Der hat sich aus den übelduftenden Restbeständen der schmutzigen wiener ›Stunde‹ ein paar Schaufensterdekorateure herangeholt, die, Bonifacio Kiesewettern gleich, die Mauern mit merkwürdigem Farbstoff beklecksen und ihr ottakringer ›Hoppauf!‹ in das gute ›Gib ihm Saures!‹ täppisch zu übertragen versuchen. Wie da Hunderttausende von Lesern sich selbst ausnehmen, wenn Berlin als radikale Lasterhöhle beschimpft wird, wie gleichzeitig der schlecht gelüftete Amtsgerichtsrat in der Provinz sein Germanentum attestiert bekommt und Berlin als bolschewistisches Judennest angeprangert wird – immer mit Ausnahme der geehrten Abonnenten, die wir besonders auf unsern Anzeigenteil verweisen –: das wäre zum Entzücken gar, wenn das Blatt nun auch noch auf Rollen gedruckt wäre. Nur Wilhelm der Zweite las dieses Papier in unzerschnittnem Zustande.
So weit Hugenberg, der ja wissen muß, wie er mit diesem ungeschickten Geschrei von der ›roten berliner Rotte‹ so ganz nebenbei die Geschäfte seiner Leute stört. Während die Stadt auf der einen Seite etwas komisch anmutende Versuche macht, einen ›Fremdenverkehr‹ zu organisieren, dabei außer acht lassend, daß sich kein Mensch auf dieser Welt für Geld gern unhöflich behandeln läßt (›vorbestraft‹ und ›Ausländer‹ sind für viele Polizeibüros Synonyme) – während Messeamt und Oberbürgermeister miteinander wetteifern, besudelt auf der andern Seite der tüchtige Hugenberg die eigne Stadt und das eigne Eiernest.
Die Provinz hat andre Motive.
Da erscheint vor allem der Gedanke unerträglich, daß ›die Leute in Berlin‹ alles besser wissen wollen, und Lokaldünkel, Unfähigkeit, weiter als bis zum nächsten Kirchenturm zu denken, und Ämterehrgeiz werden gern als ›kulturbedingte Interessen des Föderalismus‹ plakatiert. Berlin, Berlin!
Nun hats Preußen den Leuten in der Provinz nicht leicht gemacht. Dieser berliner Überlegenheitston, der die andern wie verständlich so maßlos reizt, diese törichte Attitüde, die sich aus Herrschergelüste, Überlegenheitsfimmel und Postenjägerei zusammensetzt, hat unendlich geschadet. Die Vormachtstellung Preußens muß fallen, auch, wenn seine Regierung uns heute besser zusammengesetzt scheint als die des Reiches. Hier allerdings liegt der seltene Fall vor, wo ein Land bedingungslos vor dem Reich kuscht, kapituliert, sich nicht mehr rührt – man stelle sich dasselbe etwa von Bayern vor, das ja in Wahrheit dem Reich nur lose angegliedert ist. Die Vormachtstellung Preußens muß fallen, wie die der Bundesstaaten, lächerliche Überbleibsel dynastischer Schachereien, fast ohne Kulturinhalt; denn es wird uns wohl kein Mensch im Ernst einreden wollen, daß die Grenzen der wahren Kulturkreise in Deutschland mit denen zusammenfallen, so durch Prinzessinnen-Prostitution und Landkauf festgesetzt worden sind.
Mein München lob ich mir; es ist ein Klein-Berlin und bildet seine Leute! Die Anti-Berliner, die am liebsten in der Landestracht ins Bett kriechen würden, die sich mit der Betonung der partikularistischen Eigenart gar nicht genug tun können, putzen sich nämlich brav den Mund mit Kaliklora, gurgeln mit Odol, benutzen das Reklame-Vaseline ihrer Zeitschrift, unterliegen denselben Einwirkungen der deutschen Allerweltsreklame … Denn die Wirtschaft läßt sich nichts vormachen, und da hören die heimischen Belange (sprich aus wie: Melange) lauf.
Im übrigen kopiert das Berlin, wo es nur kann. Nicht etwa, weil Berlin gar so schön und nachahmenswert sei. Aber es muß doch dem deutschen Volkscharakter sehr weit entgegenkommen … Die Diele und die Bar, die illustrierte Zeitung und die Verkehrsampel, Mode und Theater, Klamauk und Kunst: es gibt kaum eine Sache, mag sie noch so verdienstvoll oder noch so dämlich sein, die in der Provinz nicht ihren Nachahmer fände. Was die Herrschaften nicht hindert, voll heimlichen Gruselns und auf das Dümmste gegen Berlin, den verruchten Herd des Umsturzes, zu wettern. Oh, wäre es das –!
»Ich verstehe nicht, wie man in seinem Alter noch so radikal sein kann!« sagte einst Goethe, grade als er wieder einmal den Ernst Ritter von Possart spielte. Es goethelt sich da etwas zurecht in deutschen Landen. Bis an den Hals mit jener Sucht gefüllt, dem andern um Gottes willen eine Spirale weit vorauf zu sein, lächeln diese Kulturbadewärter leise und vornehm auf die ›berliner Radikalen‹ herunter. Ich spreche gar nicht einmal von den dummen völkischen Zeitschriften, die für sich alle paar Monate ein neues teutsches Genie entdecken, einen Bildhauer, der keusches Blond knetet, heiligen Mutterschoß und betenden Krieger; einen Maler, der von alten Kirchenbildern klaut, was ihm erreichbar ist; zur Zeit haben sie Hans Grimm beim Wickel, einen falschen Frenssen, und der echte war schon Tomback … Also von denen wollen wir uns gar nicht unterhalten.
Aber ihre Terminologie, ihre dumme Verachtungspose gibt es noch ein andres Mal, jene matten Gesten, die immer den Eindruck erwecken, als habe man einem lebhaften Ostjuden während der Rede die Hände festgebunden, und nun wedelt er nur noch leise mit dem Charakter … alles das gibt es zum zweiten Male bei den falschen Konservativen des Geistes.
Zu blutarm, um von der Zeit aufgepeitscht zu werden, zu bequem, etwas zu riskieren, sehen sie vornehm überlegen auf die windigen, die altmodischen, die berliner Radikalen.
Zu leugnen, daß es auch unter diesen des Unliebsamen, des Monomanen, des Abzulehnenden genug gibt, hieße, den deutschen Fehler begehn: alles sündhaft zu heißen, nur die eigne Gruppe nicht. Die dekorativen Philosophen, die unter ›Berlin‹ einen Radikalismus verstehn, der ihnen peinlich ist, können noch nicht einmal treffen, wenn sie schießen: Soll ich einmal -? Ich kann denen erzählen, wie oft tönende Stimme und geistiges Format im Mißverhältnis stehn, eine Erscheinung, die mein lieber Freund O. C. einmal ›Schreib-Riesen‹ getauft hat; wie snobistisch vieles ist, wie unglücklich sich diese entwurzelten Bürger, nicht wieder angewachsenen Proletarier fühlen; wie sie anlehnungsbedürftig, im Winde schwanken … Aber der letzte Schwätzer dieser ›berliner Radikalen‹ ist mir immer noch lieber als irgend eines Kaufmanns gesättigter Schwiegersohn, der maßvollgebildet historisches Fachwissen, chinesische Wandsprüche und die Kenntnis von wiener Porzellan gegen das auszuspielen versucht, was uns bewegt.
Vor dem Kriege vertrat Oscar A. H. Schmitz den Typus des Philosophen mit Bai und allem Komfort – heute haben wir deren viele. Das gedeiht besonders unter Privatdozenten. Aber wenn man näher hinblickt, was sie denn zu so vornehmer Ruhe befähigt, wie sie denn dazu kommen, so fein das Gewissen der andern zu analysieren, leise abzuwinken, wenn draußen auf der Straße geschossen oder auch nur geprügelt wird –: es ist immer, immer dasselbe. Sie sind vornehm, still und leise, weil Papa ein gutgehendes Papiergeschäft hat; weil die Zeitung, die sie anstellt, gute Inseratengeschäfte macht; weil da eine Rente mit einer Tante ist; weil sie gut gegessen haben, sauber gebadet sind, es friert sie nicht –: von sicherm Port läßt sich gemächlich raten. Aber dann doch lieber den entwurzelten Bürgerssohn, der das Maul zu weit aufreißt, dessen Lebensführung mit seinen Theorien nicht in Einklang steht –: er fühlt wenigstens, was da leidet auf der Welt; er hat ein Ohr, zu hören, ein Herz, das schlägt … „Man muß protestieren.“
Ich liebe Berlin nicht. Seine Wendriners hat Gott in den Mund genommen und sofort wieder ausgespien; seine Festlichkeiten sind sauber ausgerichtet; seine Dächer sagen nicht zu mir: „Mensch! Da bist da ja!“ Ich liebe diese Stadt nicht, der ich mein Bestes verdanke; wir grüßen uns kaum. Aber wenn man diese Kulturtrottel in allen Orten des Reiches sieht, ist zu sagen:
Es ist ein kindliches Spiel, die Angst vor der Aufteilung der Bankkonten, Angst vor Unbequemlichkeit, Kasteneitelkeit und unfruchtbare Bildung, die mit dem Blick auf Laotse über den mißhandelten Zuchthäusler nicht einmal stolpert, auf eine Schießbudenfigur ›Berlin‹ zu pappen und nun nach der Scheibe zu schießen. Scheibe. Verfaule in deiner faulen Bildung, Gebildeter. Versauf in feinen Formulierungen, Brillenkerl. Lächle überlegen – ach, bist du kultiviert!
Wenn das Berlin ist: Radikalismus in Militärfragen, Unbedingtheit gegen den Stahlund Kohlen-Patriotismus; Haß gegen Verblödung durch die Pfarrer Mumm und Pfarrer Heuss; Sabotage der Vorbereitungen zum nächsten Schlachten durch Kriegsminister Geßler, Judikatur und Schule, wenn das alles ›Berlin‹ ist –: dann sind wir und unsre Freunde im ganzen Reich, in Hagen und an der Wasserkante, in der Mark und im sächsischen Industriebezirk, dann sind wir für diese Stadt, in der immerhin Bewegung ist und Kraft und pulsierendes rotes Blut. Für Berlin.
Autorenangabe: Ignaz Wrobel
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 29.03.1927, Nr. 13, S. 499.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 9. Texte 1927, S. 397 ff.
Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 5, S. 188 ff.