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Allgemein Kurt Tucholsky Preis für literarische Publizistik

Kusche für immer – Zum Tod von Lothar Kusche

Lothar Kusches Glossen und Schnappschüsse erschienen häufig als Taschenbücher, und das war gut so. Sein erstes bb-Taschenbuch wurde 1960 unter dem Titel »Nanu, wer schießt denn da?« herausgegeben.
Es lohnte sich, seine lockeren Weisheiten in der Akten- oder Westentasche mit sich zu führen und im Tagesverlauf ab und zu einen verstohlenen Blick hineinzuwerfen. Darüber hinaus bürgten seine nüchternen Ideenspritzer und Schnapsideen auch im Eulenspiegel und in der Weltbühne für Originalität, egal, ob der Autor sich mit seinem eingetragenen Namen outete oder sich in seinen Mantel vornamens Felix  verzog. Nun ist der ehemalige dienstälteste DDR- und spätere bundesdeutsche Satiriker dahingegangen, und das tut weh, obgleich wir schon lange von seinem angeschlagenen Gesundheitszustand wussten. Er litt wohl selbst am meisten darunter, dass ihm das Schreiben nicht mehr wie gewollt von der Hand ging.
Lothar Kusche diente schon beim Eulenspiegel-Vorgänger Frischer Wind, schrieb für die Weltbühne und brachte nachfolgend die Ossietzky-Leser mit seinen  Beobachtungen und Texten zum Schmunzeln und Abnicken. Als Distel-Autor glossierte er Erscheinungen, die jeder kannte, für deren Dramatisierug aber manchem der Mut fehlte.
Ich erinnere mich an eine Szene, die ich in den 60er Jahren gesehen habe, als die Sowjetunion in ihrer Vorbild-und Beispielwirkung noch unantastbar war: Eine Delegation aus dem Brudervolk wird auf dem Flughafen Schönefeld (das werden Sie nicht mehr wissen, den gab es damals schon)  überschwenglich empfangen und ob ihrer Beispielleistungen auf allen Gebieten über den grünen Klee gelobhudelt. Im Hintergrund flattert die Losung »Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen!« über das Flughafen-Areal. Die Gastgeber überbieten sich mit Bewunderung, bis es dem Delegationsleiter zu viel wird.  »Wissen Sie, werter Genosse,« fragt er den Chef des Empfangskomiteés, »was Sie vor allem lernen sollten? Aufrichtigkeit!« Das war ein Tabu-Bruch.
Lothar Kusches Zugehörigkeit zur Tucholsky-Gesellschaft war logisch, und seine Ehrung mit dem Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2007 war mehr als verdient. Das traf für den Heinrich-Heine-Preis im Jahre 1960 auch schon zu, und vielleicht ist es fast symbolisch, dass sein Lebenswerk von Heine und Tucholsky als Namensgebern seiner Ehrungen geradezu eingerahmt wurde.
Er war ein verschmitzter, guter Beobachter. »Kollege P. hat seit gestern einen Pickel,« bemerkte er in einer Groteske. »Aber er ist sich noch nicht ganz sicher, ob dieser als Stoff für eine neue literarische Arbeit ausreichen wird.«
Wenn er im Cabinett oder anderswo um die Jahrtausendwende las, zuckte sein Spitzbart voller Mitfreude. Wenn er seine Glosse über die Herstellung der originalen märkischen Reiblinge vortrug, blieb kein Auge trocken.
Nun hat er sich selber in die Phalanx der unvergesslichen märkischen Reiblinge eingebracht.
Seine Ideen und unsere jährlichen Begegnungen zu Ossietzkys Geburtstag in der Ossietzky-Redaktion werden uns fehlen.
Lebend wäre er uns lieber, aber richtig totzukriegen ist Felix Kusche nicht.

Wolfgang Helfritsch

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Kurt Tucholsky Preis für literarische Publizistik

Kurt-Tucholsky-Preis 2007 an Lothar Kusche und Otto Köhler

Lothar Kusche und Otto Köhler. Quelle: privat.
Lothar Kusche und Otto Köhler. Quelle: privat.

(in hoher Auflösung)

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft vergibt den mit 3000 € dotierten Kurt Tucholsky-Preis für literarische Publizistik zu gleichen Teilen an Lothar Kusche und Otto Köhler. Sie erhalten den Preis für ihr Lebenswerk.
Die Begründung der Jury:

Lothar Kusche, seit nunmehr sechzig Jahren Feuilletonist, Redakteur und Kabarettautor, hat die DDR 40 Jahre lang satirisch begleitet und kommentiert.
Durchaus in der Tradition Tucholskys stehend, haben Kusches urwüchsiger Humor und die spöttisch-zweifelnde Ironie des gebürtigen Berliners in zahllosen Texten und unter etlichen Pseudonymen ihren Niederschlag gefunden. Seit 1950 war er ständiger Mitarbeiter und zeitweise auch Redakteur der „Weltbühne“ und hat wesentlich zu deren misstrauisch beäugter Popularität in der DDR beigetragen. Kusche ist auch nach der Wende ein kritischer Beobachter und Kritiker unserer Zeit geblieben, dessen in zahlreichen Büchern gesammelte Feuilletons den Lesern heute wie schon vor fünfzig Jahren mehr als nur Spaß bereiten.
Otto Köhler hat die vielfach verschwiegene, verleugnete, verdrängte und gerade deswegen nicht überwundene Nazi-Vergangenheit bundesdeutscher Eliten und Institutionen aufgedeckt und damit zu einer Auseinandersetzung beigetragen, die für eine demokratische Neugestaltung der Gesellschaft unerlässlich ist. Mit seiner glasklaren, nie von Betulichkeit getrübten Sprache ist er als scharfer Sprach- und Medienkritiker in der Bundesrepublik zu einem gefürchteten und bewunderten Gesellschaftskritiker in der Nachfolge Tucholskys geworden.

Lothar Kusche
geboren am 2. Mai 1929 in Berlin-Neukölln, ist ein deutscher Feuilletonist, Schriftsteller und Satiriker.
Kusche begann seine Laufbahn 1947 bei Zeitschriften wie „Ulenspiegel“, „Fuffzehn“ und „Frischer Wind“ als Redakteur und schrieb später für den „Eulenspiegel“ zahlreiche satirische Texte. Besonders verbunden war er mit der DDR-„Weltbühne“, für die er seit 1950 schrieb und als deren stellvertretender Chefredakteur er auch für einige Zeit wirkte. Seinem Vorbild Kurt Tucholsky verpflichtet arbeitete Lothar Kusche bei der „Weltbühne“ unter verschiedenen Pseudonymen, unter denen er Texte ganz unterschiedlichen Charakters, die aber stets den satirischen Einschlag nicht verkennen ließen, veröffentlichte.
Seine Geschichten, Feuilletons und Reisereportagen erschienen in zahlreichen Sammlungen, wie Das bombastische Windei, Käse und Löcher, Überall ist Zwergenland, Die Patientenfibel, Wie man einen Haushalt aushält und Was hat Napoleon auf St. Helena gemacht?. Die Gesamtauflage seiner Bücher beträgt mehr als 2,5 Millionen. Daneben schrieb Kusche für das Berliner Kabarett Die Distel sowie Szenarien für zahlreiche Filme, in denen er gelegentlich auch mitspielte.
Seit 1998 arbeitet Lothar Kusche vorrangig für den „Weltbühnen“-Nachfolger „Ossietzky“, für den er auch unter dem inzwischen bekannten Pseudonym Felix Mantel seine sprachkritische Rubrik „Press-Kohl“ fortsetzt.
Dankesrede von Lothar Kusche.
Veröffentlichungen (Auswahl):
Quer durch England in anderthalb Stunden. Illustrationen von Elizabeth Shaw. Berlin, Aufbau Verlag, 1961
Überall ist Zwergenland. Berlin, Aufbau Verlag, 1960
Eine Nacht mit sieben Frauen. Geschichten und Feuilletons. Berlin, Aufbau Verlag, 1964
Lothar Kusche’s Drucksachen. Geschichten, Feuilletons und Satiren aus zwei Jahrzehnten. Illustrationen von Klaus Vonderwerth. Berlin, Eulenspiegel Verlag, 1976
Donald Duck siehe unter Greta Garbo. Einige Stichworte über Nordamerika. Illustrationen von Thomas Schleusing. Berlin, Eulenspiegel Verlag, 1981
Kein Wodka für den Staatsanwalt. Berlin, Aufbau Verlag, 1967
Der Mann auf dem Kleiderschrank. Geschichten und andere Späße. Berlin, Eulenspiegel Verlag, 1985
Nasen, die man nicht vergißt. Illustrationen von Elizabeth Shaw. Berlin, Eulenspiegel Verlag, 1987
Das verpaßte Krokodil. Geschichten und Feuilletons. Illustrationen von Klaus Vonderwerth. Berlin, Verlag Tribüne, 1988
Wo die Rosinenbäume wachsen, Berlin, Eulenspiegel Verlag 2004
Otto Köhler
geboren 10. Januar 1935 in Schweinfurt, ist ein deutscher Journalist und Publizist.
Köhler studierte von 1953 bis 1963 Philosophie, Germanistik, Geschichte und Volkswirtschaft in Würzburg und West-Berlin. Parallel arbeitete er für die „Andere Zeitung“, den „Vorwärts“, „konkret“, den RIAS und „Die Zeit“. Von 1963 bis 1966 war er Redakteur beim Satiremagazin „Pardon“, anschließend bis 1972 Medienkolumnist beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Danach Mitarbeiter beim Magazin „Stern“, der Gewerkschaftszeitung „metall“, dem WDR und wieder bei „konkret“ und der „Zeit.
Heute tätig für die Wochenzeitung „Freitag“ und die Tageszeitung „junge welt“ und die Zweiwochenschrift „Ossietzky“, deren Mitherausgeber er ist.
Köhler lebt bei Hamburg. Seit 1963 ist er mit der Schriftstellerin Monika Köhler verheiratet.
Auszeichnungen
Deutscher Journalistenpreis 1963 für die „Zeit“-Reportage „Würzburg, dein Lied will ich singen“
Deutscher Journalistenpreis 1983 für den „konkret“-Beitrag „IG Farben – Geschichte einer bürgerlichen Vereinigung“
Buchveröffentlichungen:
Kongo-Müller oder Die Freiheit, die wir verteidigen. Frankfurt 1966
…und heute die ganze Welt. Die Geschichte der IG Farben und ihrer Väter. Hamburg 1986
Wir Schreibmaschinentäter. Köln 1989
Die große Enteignung. Wie die Treuhand eine Volkswirtschaft liquidierte. München 1994
Unheimliche Publizisten. Die verdrängte Vergangenheit der Medienmacher. München 1995
Rudolf Augstein. Ein Leben für Deutschland. München 2002