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Tucholsky im Spiegel [August 2016]

Diesmal beginnt die wie immer keinesfalls vollständige Übersicht mit einem Ar­tikel im Wochenblatt für Landwirtschaft & Landleben, Heft 20, vom 20. Mai 2016, auf dessen Titelblatt die geneigte Leserin mehre Schweine verträumt bis ver­liebt anschauen – also nix für Vegetarier- oder Veganerinnen. Und was hat Tucholsky mit Schweinen zu tun? Natürlich nichts, außer – was wissenschaft­lich-historisch wohl (noch) nicht belegt ist – dass er möglicherweise gerne Schweinefleisch aß.

Jedenfalls findet sich auf Seite 98, die den thematischen Titel »Westfälische Köpfe« trägt, ein Artikel von Gisbert Strodress mit der Überschrift: »Er hat ein­fach drei Augen« und dem Untertitel »Der Fotograf Albert Renger-Patzsch (1987-1966) begann seine Karriere in Hagen und lebte mehr als zwei Jahrzehnte in Wamel am Möhnesee«. Im Text heißt es dann u. a.:

Einem größeren Publikum ist Renger-Patzsch nicht wegen seines Eintre­tens für Bäume und naturnahe Seeufer bekannt, sondern wegen seiner bahnbrechenden Art zu fotografieren. Seit den 1920er Jahren hatte er das »Licht-Handwerk« zu einer eigenständigen Kunstgattung weiterentwi­ckelt. Der Publizist Kurt Tucholsky nannte ihn seinen »Lieblingsmaler« […] Der Publizist Kurt Tucholsky schrieb, Renger-Patzsch sei kein »süßlicher Frauenfotograf, kein ›Malerischer‹, kein Stilfatzke – der Mann hat einfach drei Augen: zwei im Kopf, mit denen er den Bildausschnitt sieht und die Linse im Kasten.

Unser Mitglied Karl-Heinz Meilwes aus dem bäuerlich-landwirtschaftlich ge­prägten Vorort Mindens mit dem völlig assoziationsfreien Namen »Todtenhau­sen«, der diese Fundstelle eingesandt hat, hat recherchiert und herausgefun­den, dass Tucholsky in einem am 16. Oktober 1927 in der Vossischen Zeitung erschienenen Artikel über eine kleine Ausstellung von Fotografien in Paris be­richtet und in diesem Zusammenhang auch den Namen Renger-Patzsch er­wähnt.1

Die Tucholsky in dem obigen »Schweineblatt« – dies ist ausnahmsweise und ausdrücklich nicht despektierlich gemeint – zugeschriebenen Äußerungen über Renger-Patzsch finden sich allerdings nicht in diesem Zeitungsartikel, sondern in: Peter Panter, Weltbühne v. 18.12. 1928, »Das schönste Geschenk«2. Bei die­sem Artikel handelt es sich um eine Besprechung des bei Kurt Wolff in Mün­chen erschienenen Bildbandes von Renger-Patzsch »Die Welt ist schön«. In die­ser Besprechung heißt es neben den obigen Zitaten u. a.:

Nun liegt endlich von meinem Lieblingsphotographen Alber Ren­ger-Patzsch ein Band mit hundert Photos vor […]. Das ist das Beste vom Bes­ten. […] Von diesem Buch kann man schwer loskommen. […] Am schönsten sind die Pflanzen und die Aufnahmen, auf denen nichts ist als Stoff, Masse, Körper – das, was man anfassen kann, was man mit den Sinnen wahrneh­men, spüren, streicheln kann. Wollbündel und Schuhleisten, kleine Näpf­chen und Holz – die Materie ist so beseelt; das hat wohl noch nie ein Pho­tograph fertig bekommen. […] Renger-Patzsch hat uns zu Weihnachten das schönste Buch von allen geschenkt.

Ganz ärgerlich ist dagegen die nächste »Fundstelle«. Ein aufmerksamer Berliner Bürger hat uns voller Empörung einen Flyer von »BärGiDa e.V. i.G« zugeschickt, den er zufällig am 21. Juni 2016 am Bahnhof Friedrichstraße (U-Bahn) gefunden hat. Dieser Flyer ruft zu einer montäglichen Demonstration auf, in der gegen die Islamisierung Deutschlands und die Asyl- und Flüchtlingspolitik der Bundes­regierung protestiert (ehrlicher wäre wohl: gehetzt- [B. B.]) werden soll. Infa­merweise ist folgendes Zitat abgedruckt:

»In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist als viel ge­fährlicher, als derjenige, der den Schmutz macht.« Kurt Tucholsky

Vor falschen Freunden kann man sich halt nicht schützen.

Wir haben dem Einsender als Dank das von unserer Gesellschaft herausgegebe­ne Buch: »Kurt Tucholsky. Die Zeit schreit nach Satire« geschenkt.

Ralph Hartmann beginnt seinen Artikel über die aktuelle Situation in der Ukrai­ne in Ossietzky, Nr. 13, 18. Juni 2016, S. 477, mit der Überschrift: »Lerne Lachen ohne zu weinen« und endet auch mit diesem Buchtitel unseres Namensgebers:

Und im Februar 2016 versprach Präsident Poroschenko erneut eine Rück­gabe derSchwarzmeer-Halbinsel Krim und Sewastopols an die ukraini­schen Bürger. Dieser »schwierige und aussichtsreiche Prozess« habe be­reits begonnen. Ob ihmAnders Fogh Rasmussen diese Zuversicht eingeflö­ßt hat? Mittlerweile ist derehemalige NATO-Generalsekretär, einer der übelsten Scharfmacher in der Heerschar der Russophoben, »Sonderbera­ter« des ukrainischen Präsidenten. Darüber kann schon nicht mehr gelacht werden, oder man hält sich an den Titel des 1931 erschienenen letzten Bu­ches von Kurt Tucholsky: »Lerne lachen ohne zu weinen.«

Leider ist die tageszeitung (taz) aus Berlin innerhalb von vier Tagen zweimal ei­nem Irrtum erlegen und hat ein erneutes Beispiel für die missliche Tatsache der falschen Zitatzuschreibung geliefert.

In der Ausgabe vom 14. Juli 2016 befasst sich Johanna Roth auf Seite 14 unter der Überschrift »Lass das mal den Siggi machen«, mit der Rolle von Wirt­schaftsminister Sigmar Gabriel bei der Fusion der Supermartketten EDEKA und Kaiser’s Tengelmann und vergleicht den Vizekanzler mit »Stromberg« aus der gleichnamigen ProSieben-Serie.

Man schämt sich fremd bis zum Anschlag, muss aber trotzdem hysterisch kichern – hauptsächlich deswegen, weil jeder auch im echten Leben so einen Stromberg kennt. Der sich durchs Leben tölpelt und beim Lachen grunzt. Vor allem aber verkörpert Stromberg eine große Tucholsky-Wahr­heit: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Nur eben, dass er es selbst hauptsächlich gut mit sich selbst meint.

Vier Tage später, in der Ausgabe vom 18. Juli 2016, S. 14, setzt sich Nemi El-Hassan in ihrer Kolummne »Hilfe, ich bin weiß. Wie schief es gehen kann, wenn man es ›nur gut‹ meint und sich mit denen solidarisieren will, die Rassismus er­leben« mit einer falsch verstandenen Solidarität einer deutschen Christin, weiß und gebildet, auseinander.

Meistens meinen Weiße es tatsächlich »nur gut« und wollen sich mit denen, die Rassismus ausgesetzt sind, solidarisieren. Dabei vergessen sie allerdings den gesellschaftlichen, historischen und politischen Kontext von Rassismus. Hautfar­be zählt, sehr sogar. Ein Kopftuch auch. Anders als ein Kreuz am Hals. Kurt Tucholsky sagte übrigens einmal: »Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.«

»Spezialist« für falsche Zitatzuschreibungen ist nach wie vor unser Mitglied Friedhelm Greis, der schon vor Jahren einen Buchpreis ausgesetzt hat, falls je­mand für die von ihm gesammelten Falschzitate eine Fundstelle in Tucholskys Lebenswerk finden sollte (siehe insoweit auch: Sudelblog.de – Das Weblog zu Kurt Tucholsky)3

Mein Dank gilt diesmal Karl-Heinz Meilwes aus Minden-Todtenhausen. Sämtli­che Artikel sind wie immer über die Geschäftsstelle abrufbar.

Bernd Brüntrup

Dieser Beitrag erschien im Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft August 2016.

1»Altes Licht« in: Tucholsky Gesamtausgabe Band 9, [T 137], S. 544-547

2Tucholsky Gesamtausgabe Band 10, [T 221], S. 622f.

3Siehe hierzu die auf Friedhelm Greis‘ Arbeit aufbauende Rubrik auf der Website der Kurt Tucholsky-Gesellschaft.

2 Antworten auf „Tucholsky im Spiegel [August 2016]“

Ich bin 1944 geboren, hatte aber durch Zufall m.14 J.schon erstmals sein Werk angelesen; bin aber nur ein K.T.-Fan geblieben; auch das Glück anno 1975 i.Rottach-Egern seine 2.Frau Mary G.-T. u.Alleinerbein besuchen zu können; zufällig ca. anno 2009 seine einzige noch lebende Großcousine Brigitte Rother, Berlin, Sültstr. jetzt in Dresden wohnend auch m.meiner Frau besuchen zu dürfen; sie ist Jg. 1928.
Das sind s die kleinen Freuden eines ganz normalen Mitbürgers ohne Abi aus Düsseldorf,der als ehem.Beamter b.d.Kommune und Polizei K.T. heimlich auch
im Büro las.

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