Liebe Mitglieder und Freunde der Kurt Tucholsky-Gesellschaft,
der neue Rundbrief August 2016 ist erschienen.
Sie können ihn hier (ohne Vereinsinterna) als pdf herunterladen.
Ausgewählte Beiträge sind zudem direkt als Einträge im Blog zu lesen:
[Presseschau] Tucholsky im Spiegel
[Nachruf] Gerhard Kraiker (1937-2015)
[Rezension] Helmut Duffner: Himmler im Tunnel
[Rezension] Kurt Tucholsky: Seifenblasen
[Rezension] Boris Barth: Europa nach dem Großen Krieg
[Bericht] Schwarzwaldmuseum in Triberg wirbt mit Tucholsky
[Originaltext] Theobald Tiger: Europa
Schlagwort: August 2016
Boris Barth ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Konstanz. Nach Büchern über die deutsche Außenpolitik vor 1914 aus dem Jahre 1995, einer Arbeit zur deutschen Niederlage 1918 und der Folgen in der Zeit bis 1933 aus 2003 und einem 2006 erschienen Titel über Völkermord im 20. Jahrhundert, stellt er nun einen Band vor, der mit dem Untertitel »Die Krise der Demokratie in der Zwischenkriegszeit 1918-1938« das Thema benennt.
Barth beschäftigt sich, unter breiter Nutzung der außerordentlich umfangreichen Literatur über die anstehenden Sachverhalte, mit den Folgen, die der Ausgang des Ersten Weltkrieges den europäischen Staaten bescherte. Trotz des erkennbar wissenschaftlichen Anspruchs (722 Fußnoten am Ende des Textes und einer sehr breiten Literaturliste) bleibt der Text gut les- und verstehbar für den historisch interessierten Laien.
An eine Einführung, die den Weg zu mehr Demokratisierung und Parlamentarisierung im 19. Jahrhundert, einen Aufriss der Probleme nach 1918 und die Bedeutung des Ersten Weltkrieges und seiner Folgezeit beschreibt, schließt Barth sechs Themenblöcke an, mit denen er den zu behandelnden Stoff systematisiert. Das sind »Die Pariser Weltordnung«, »Paramilitärische Gewalt und Kriege nach dem Krieg«, »Politische Ethnisierungen und Vertreibungen«, »Die unzulängliche ökonomische Rekonstruktion«, »Der Kampf um die Staatsform« und schließlich »Die Offensive gegen den Parlamentarismus«.
Bei dem ersten Problemfeld, der Friedensordnung, wird gerade uns Deutschen klar, dass es außer dem am 28. Juni 1919 unterschriebenen ›Versailler Vertrag‹, der das Deutsche Reich betraf, noch vier weitere Verträge, nämlich die mit Österreich, Ungarn, Bulgarien und der Türkei, verhandelt wurden. Alle fünf Verträge gemeinsam sollten eine neue Weltordnung einleiten.
Barth schaut bei seiner Betrachtung auf die jeweils verschiedenen Einzelstaaten und beschreibt die differenten Lösungs- (oder Nichtlösungs)-Ansätze; dabei immer an einem der oben genannten Problemfelder orientiert. Eine recht positive Bewertung erfährt dabei generell das schwedische Modell des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates.
Ein Problem dieser Art der Querschnittsbetrachtung liegt darin, dass bei Sicht auf ein Einzelland natürlich nur der jeweilige Fragezusammenhang diskutiert wird und so eine kontinuierliche nationale Sicht nicht möglich ist. Das liegt aber in der Natur dieser Darstellungsweise und weitet den Blick auf unsere verschiedenen Nachbarn.
Auch die Staaten, die nicht in das Kriegsgeschehen eingegriffen hatten, waren umfassend mit den Kriegsfolgen beschäftigt. Die Inflation, die Finanz- und Bankenkrise, eine weit reichende Agrarkrise (eher selten thematisiert), der wachsende Nationalismus und die Weltwirtschaftskrise berührten naturgemäß alle Staaten (mehr oder weniger).
In seinem knappen Fazit analysiert Barth, dass vor allem die Nachkriegskämpfe zwischen 1919 und 1921/22 die Lage instabil hielten. Ein radikalisierter Nationalismus, der die Ethnisierung ganzer Bevölkerungsgruppen betrieb,
löste wiederum massive Vertreibungen und Fluchtbewegungen aus. […] Flüchtlinge und Vertriebene trugen nicht nur zur Destabilisierung von parlamentarischen Systemen bei, sondern konservierten auch in erheblichem Maße revanchistisches und teilweise rassistisches Gedankengut. (S. 294 f.)
Diktaturen, die sich in der besprochenen Zeit herausgebildet haben, sind nicht wegen der besonderen Anziehungskraft der Persönlichkeiten der Diktatoren entstanden, sondern wegen der Schwäche der Demokratie.
Überall, wo derartige starke Parteien [wie z.B. in Schweden oder in GB] weiter existierten, überlebte auch die Demokratie. (S. 295)
Ein lesenswertes Buch, das gerade in dieser durch territoriale, ethnische und religiöse Konflikte und Kriege, große Migrationsbewegungen und internationalen Terrorismus gekennzeichnete Zeit nachdenkenswerte Informationen bietet. Viele Fehler im Umgang mit Anderen und uns Selbst sind im 20. Jahrhundert bereits schon einmal gemacht worden und wir sollten uns unbedingt daran erinnern und daraus lernen.
Klaus Leesch
Boris Barth: Europa nach dem Großen Krieg. Campus Verlag. Frankfurt/Main 2016, 361 Seiten, gebunden, 34,95 €. ISBN: 978-3-593-50521-3
Dieser Beitrag erschien im Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft August 2016.
Diesmal beginnt die wie immer keinesfalls vollständige Übersicht mit einem Artikel im Wochenblatt für Landwirtschaft & Landleben, Heft 20, vom 20. Mai 2016, auf dessen Titelblatt die geneigte Leserin mehre Schweine verträumt bis verliebt anschauen – also nix für Vegetarier- oder Veganerinnen. Und was hat Tucholsky mit Schweinen zu tun? Natürlich nichts, außer – was wissenschaftlich-historisch wohl (noch) nicht belegt ist – dass er möglicherweise gerne Schweinefleisch aß.
Jedenfalls findet sich auf Seite 98, die den thematischen Titel »Westfälische Köpfe« trägt, ein Artikel von Gisbert Strodress mit der Überschrift: »Er hat einfach drei Augen« und dem Untertitel »Der Fotograf Albert Renger-Patzsch (1987-1966) begann seine Karriere in Hagen und lebte mehr als zwei Jahrzehnte in Wamel am Möhnesee«. Im Text heißt es dann u. a.:
Einem größeren Publikum ist Renger-Patzsch nicht wegen seines Eintretens für Bäume und naturnahe Seeufer bekannt, sondern wegen seiner bahnbrechenden Art zu fotografieren. Seit den 1920er Jahren hatte er das »Licht-Handwerk« zu einer eigenständigen Kunstgattung weiterentwickelt. Der Publizist Kurt Tucholsky nannte ihn seinen »Lieblingsmaler« […] Der Publizist Kurt Tucholsky schrieb, Renger-Patzsch sei kein »süßlicher Frauenfotograf, kein ›Malerischer‹, kein Stilfatzke – der Mann hat einfach drei Augen: zwei im Kopf, mit denen er den Bildausschnitt sieht und die Linse im Kasten.
Unser Mitglied Karl-Heinz Meilwes aus dem bäuerlich-landwirtschaftlich geprägten Vorort Mindens mit dem völlig assoziationsfreien Namen »Todtenhausen«, der diese Fundstelle eingesandt hat, hat recherchiert und herausgefunden, dass Tucholsky in einem am 16. Oktober 1927 in der Vossischen Zeitung erschienenen Artikel über eine kleine Ausstellung von Fotografien in Paris berichtet und in diesem Zusammenhang auch den Namen Renger-Patzsch erwähnt.1
Die Tucholsky in dem obigen »Schweineblatt« – dies ist ausnahmsweise und ausdrücklich nicht despektierlich gemeint – zugeschriebenen Äußerungen über Renger-Patzsch finden sich allerdings nicht in diesem Zeitungsartikel, sondern in: Peter Panter, Weltbühne v. 18.12. 1928, »Das schönste Geschenk«2. Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Besprechung des bei Kurt Wolff in München erschienenen Bildbandes von Renger-Patzsch »Die Welt ist schön«. In dieser Besprechung heißt es neben den obigen Zitaten u. a.:
Nun liegt endlich von meinem Lieblingsphotographen Alber Renger-Patzsch ein Band mit hundert Photos vor […]. Das ist das Beste vom Besten. […] Von diesem Buch kann man schwer loskommen. […] Am schönsten sind die Pflanzen und die Aufnahmen, auf denen nichts ist als Stoff, Masse, Körper – das, was man anfassen kann, was man mit den Sinnen wahrnehmen, spüren, streicheln kann. Wollbündel und Schuhleisten, kleine Näpfchen und Holz – die Materie ist so beseelt; das hat wohl noch nie ein Photograph fertig bekommen. […] Renger-Patzsch hat uns zu Weihnachten das schönste Buch von allen geschenkt.
Ganz ärgerlich ist dagegen die nächste »Fundstelle«. Ein aufmerksamer Berliner Bürger hat uns voller Empörung einen Flyer von »BärGiDa e.V. i.G« zugeschickt, den er zufällig am 21. Juni 2016 am Bahnhof Friedrichstraße (U-Bahn) gefunden hat. Dieser Flyer ruft zu einer montäglichen Demonstration auf, in der gegen die Islamisierung Deutschlands und die Asyl- und Flüchtlingspolitik der Bundesregierung protestiert (ehrlicher wäre wohl: gehetzt- [B. B.]) werden soll. Infamerweise ist folgendes Zitat abgedruckt:
»In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist als viel gefährlicher, als derjenige, der den Schmutz macht.« Kurt Tucholsky
Vor falschen Freunden kann man sich halt nicht schützen.
Wir haben dem Einsender als Dank das von unserer Gesellschaft herausgegebene Buch: »Kurt Tucholsky. Die Zeit schreit nach Satire« geschenkt.
Ralph Hartmann beginnt seinen Artikel über die aktuelle Situation in der Ukraine in Ossietzky, Nr. 13, 18. Juni 2016, S. 477, mit der Überschrift: »Lerne Lachen ohne zu weinen« und endet auch mit diesem Buchtitel unseres Namensgebers:
Und im Februar 2016 versprach Präsident Poroschenko erneut eine Rückgabe derSchwarzmeer-Halbinsel Krim und Sewastopols an die ukrainischen Bürger. Dieser »schwierige und aussichtsreiche Prozess« habe bereits begonnen. Ob ihmAnders Fogh Rasmussen diese Zuversicht eingeflößt hat? Mittlerweile ist derehemalige NATO-Generalsekretär, einer der übelsten Scharfmacher in der Heerschar der Russophoben, »Sonderberater« des ukrainischen Präsidenten. Darüber kann schon nicht mehr gelacht werden, oder man hält sich an den Titel des 1931 erschienenen letzten Buches von Kurt Tucholsky: »Lerne lachen ohne zu weinen.«
Leider ist die tageszeitung (taz) aus Berlin innerhalb von vier Tagen zweimal einem Irrtum erlegen und hat ein erneutes Beispiel für die missliche Tatsache der falschen Zitatzuschreibung geliefert.
In der Ausgabe vom 14. Juli 2016 befasst sich Johanna Roth auf Seite 14 unter der Überschrift »Lass das mal den Siggi machen«, mit der Rolle von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei der Fusion der Supermartketten EDEKA und Kaiser’s Tengelmann und vergleicht den Vizekanzler mit »Stromberg« aus der gleichnamigen ProSieben-Serie.
Man schämt sich fremd bis zum Anschlag, muss aber trotzdem hysterisch kichern – hauptsächlich deswegen, weil jeder auch im echten Leben so einen Stromberg kennt. Der sich durchs Leben tölpelt und beim Lachen grunzt. Vor allem aber verkörpert Stromberg eine große Tucholsky-Wahrheit: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Nur eben, dass er es selbst hauptsächlich gut mit sich selbst meint.
Vier Tage später, in der Ausgabe vom 18. Juli 2016, S. 14, setzt sich Nemi El-Hassan in ihrer Kolummne »Hilfe, ich bin weiß. Wie schief es gehen kann, wenn man es ›nur gut‹ meint und sich mit denen solidarisieren will, die Rassismus erleben« mit einer falsch verstandenen Solidarität einer deutschen Christin, weiß und gebildet, auseinander.
Meistens meinen Weiße es tatsächlich »nur gut« und wollen sich mit denen, die Rassismus ausgesetzt sind, solidarisieren. Dabei vergessen sie allerdings den gesellschaftlichen, historischen und politischen Kontext von Rassismus. Hautfarbe zählt, sehr sogar. Ein Kopftuch auch. Anders als ein Kreuz am Hals. Kurt Tucholsky sagte übrigens einmal: »Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.«
»Spezialist« für falsche Zitatzuschreibungen ist nach wie vor unser Mitglied Friedhelm Greis, der schon vor Jahren einen Buchpreis ausgesetzt hat, falls jemand für die von ihm gesammelten Falschzitate eine Fundstelle in Tucholskys Lebenswerk finden sollte (siehe insoweit auch: Sudelblog.de – Das Weblog zu Kurt Tucholsky)3
Mein Dank gilt diesmal Karl-Heinz Meilwes aus Minden-Todtenhausen. Sämtliche Artikel sind wie immer über die Geschäftsstelle abrufbar.
Bernd Brüntrup
Dieser Beitrag erschien im Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft August 2016.
1»Altes Licht« in: Tucholsky Gesamtausgabe Band 9, [T 137], S. 544-547
2Tucholsky Gesamtausgabe Band 10, [T 221], S. 622f.
3Siehe hierzu die auf Friedhelm Greis‘ Arbeit aufbauende Rubrik auf der Website der Kurt Tucholsky-Gesellschaft.
Prof. Dr. Gerhard Kraiker, Historiker von Rang, packender Redner, langjähriges KTG-Mitglied und letzter verbliebener Herausgeber der Tucholsky-Gesamtausgabe, ist am 22. November vorigen Jahres gestorben. Er ist vorher längere Zeit krank gewesen und hatte gerade eine schwere Operation hinter sich. Nicht nur seine Frau Gisela, auch die gesamte KTG wird Gerhard Kraiker schmerzlich vermissen.
Man muss sich nur in die chaotische Verlagspolitik der späten Raddatz-Jahre zurückdenken, um die Verdienste von Dirk Grathoff, Antje Bonitz, Michael Hepp and eben Gerhard Kraiker angemessen zu würdigen. Mehr als 50 Jahre nach Tucholskys Tod erschienen Gesammelte Werke, bei denen ein Viertel des Gesamtwerks, darunter manche sehr wichtige Artikel, einfach fehlten. Raddatz hatte diese Unterlassungssünde wohl eingesehen, ließ häppchenweise Ergänzungsbände nachdrucken, zog sich dann aus der Arbeit zurück und ließ bessere Nachwuchskräfte heran. Endlich entstand eine kommentierte Ausgabe, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügte.
Als Mitglied des Herausgeberteams konnte er auch streng kritisieren, wenn es not tat, das weiß ich aus Erfahrung. Aber er zeigte deutlich, wie man es besser machen konnte und sollte. Darauf kam es an, man lernte etwas dabei.
Auch als Vortragender ein Experte, der nicht trocken und besserwisserisch dozierte, sondern gut über die Rampe kam. Ich erinnere mich an einen packenden Vortrag 1998 im Kornhaus in Weiler, es ging um Tucholskys Verständnis von politischer Führung. Er kannte sich eben aus.
Die Gesamtausgabe war der entscheidende Schritt nach vorn für die Tucholsky-Forschung. Gerhard Kraiker und seine KollegInnen machten es möglich, suchten Band-Herausgeber aus, ermutigten und tadelten sie, freuten sich über Gelungenes. In der St Pauls-Kathedrale von London steht ein lateinischer Satz über ihren Erbauer Sir Christopher Wren: Si monumentum requieris, circumspice. Wenn Du sein Denkmal suchst, schaue um Dich. Die Gesamtausgabe war für alle vier Herausgeber das passende Denkmal. Wir sind traurig, dass sie von uns gegangen sind. Wir sind aber stolz, sie gekannt zu haben. Wir sprechen Gisela diese Trauer und diesen Stolz aus.
Ian King
Dieser Beitrag erschien im Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft August 2016.
Die Frage: »Was will uns der Autor damit sagen?«, wird immer dann gestellt, wenn der Leser eines Artikels oder eines Buches mit dem Geschriebenen nicht so ganz klar kommt.
Vor mir liegt ein hübsch gestaltetes Buch von Helmut Duffner mit dem Titel »Himmler im Tunnel« und dem Untertitel »Geschichten aus dem Schwarzwald«. Das hört sich nach Vergangenheit an und nach Bekanntem. So ist vor Jahren schon der Gremmelsbacher Heimatforscher Karl Volk dem zeitweisen Aufenthalt des ehemaligen Reichsführer SS, Heinrich Himmler, im Zweiten Weltkrieg in Triberg nachgegangen.
Dass dann noch die Besuche des Berliner Satirikers Kurt Tucholsky in Nußbach* und des späteren Nobelpreisträgers Ernest Hemingway in Triberg während der Weimarer Republik sich in diesem Buch wiederfinden, gehört zum Thema. Dann aber wird es ganz persönlich, denn Helmut Duffner greift nun auf eigenes Erleben und das von Zeitzeugen während des Weltkriegs im Bereich Nußbach, Schwenningen und Löffingen zurück.
Und das leider recht ungeordnet, denn die Titelgeschichte befindet sich z.B. erst auf Seite 117. Dass Helmut Duffner in Schwenningen aufwuchs, sein Vater Karl der Bruder des in Nußbach lebenden und bei der Eisenbahn arbeitenden Eugen Duffner ist, erfährt man eher nebenbei nur bei ganz akribischem Lesen. Schade eigentlich, denn das Buch ist ein Sammelsurium von interessanten Fakten und liebevoll zusammen getragenen Recherchen.
Allerdings ärgert Hemingway-Freunde, dass der Amerikaner mit Frau und Freunden im Wehrle in Triberg wohnte. Biografen verorten ihn im ehemaligen Löwen, heute Sparkassengebäude am Marktplatz. Was will uns Helmut Duffner, der in Moers lebt und schon zwei weitere Bücher heraus gab, nun mit seinem Werk sagen?
Nun, dass er seiner alten Heimat verbunden ist und die unsäglichen Mühen und Taten des zweiten Weltkrieges vor dem Vergessen bewahren will. Somit gehört das Duffner-Buch besonders in die Hände der Heimat- und Geschichtsvereine der Region.
Renate Bökenkamp
Helmut Duffner: Himmler im Tunnel. Geschichten aus dem Schwarzwald. Moers 2016, 147 Seiten. Festeinband. 10,90 € ISBN 978-3-00-052793-7
*siehe Brief an Mary Gerold vom 19.8. 1919 (Tucholsky GA Bd. 17, [B 37], S. 68 ff.)
Dieser Beitrag erschien im Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft August 2016.
»Hänschen klein / ging allein / wollte gerne Gretchen sein …«1
Tucholskys Film-Travestie Seifenblasen von 1931 zum Nachlesen.
Auch, wenn heute in Film, Literatur und Sozialwissenschaft der Begriff Transgender häufig eine Rolle spielt, so ist das Phänomen, das er bezeichnet, nicht neu. Das Spiel mit den Geschlechtern, das Verkleiden, waren schon vor Tucholskys Zeiten bekannt – mal gesellschaftlich geächtet und mal akzeptiert. Travestien von Transvestiten waren als Bühnengag schon vor dem 1. Weltkrieg in Cabarets und Varietés beliebt.
Peter Panter, bekanntlich in platonischer Liebe zur Kabarettistin Gussy Holl entflammt, schilderte 1913 einen Auftritt der Künstlerin als »Damenimitatorin«:
Aber die Höhe ist doch: die Imitation eines Damenimitators. Die Frau fühlt, wie unendlich weit es immer noch ist von jedem Mann, und sei er der weibischste, bis zu ihr. Wie diese Kluft doch nicht zu überspringen ist. Und so macht sie sich über die vergeblichen Anstrengungen eines Gegners lustig, den sie ja allerdings nicht mehr als Mann anerkennt, aber der doch nur ein amüsantes Zwischending ist, beileibe keine Frau. […] Am Schluß ein herrlicher Zug: sie reißt sich anstatt der Perücke triumphierend den »Shinjong« aus und hält jubelnd die Trophäe ihrer Mannheit hoch.2
Daran muss er sich erinnert haben, als Peter Panter zu Beginn der Tonfilmzeit von Nero-Film den Auftrag für das Szenarium zu einer Filmkomödie erhielt. Ideengeber war der der Nero-Regisseur G.W. Pabst, der als Hauptvertreter der »Neuen Sachlichkeit« im Film kein besonderes Verhältnis zu heiteren Stoffen hatte (aber mit dem Henny-Porten-Schwank Skandal um Eva seine leichte Hand bewies). Peter Panter schrieb also ein ausführliches Filmexposé von Barbara, einem »Fräulein Nummer« am Varieté, das als Damenimitator zu einem umjubelten Star wird, in den sich viele Frauen verlieben – Frauen und ein Mann, der auf einem Wochenendausflug entdeckt, was es mit ihr auf sich hat. Dazu kommt noch eine etwas weit hergeholte Kriminalgeschichte.
Panter-Tucholsky zeigte in seinem Filmtext, daß er durchaus filmisch denken konnte. Bei ihm spielte die moderne Technik in Gestalt von Telefonen eine Hauptrolle. Er entwickelte für den damals noch ganz neuen Tonfilm bereits in seinem Szenarium dramaturgisch begründete Geräusch-Collagen. Dazu griff er auf seine Stärken zurück, den Mutterwitz und den Einsatz zahlreicher Chansons. Wenn die Igel in der Abendstunde, war beispielsweise für diesen Film vorgesehen.
Tucholsky-Kennern ist diese Filmerzählung, die tatsächlich in der KT-Gesamtausgabe3 erstmals veröffentlicht wurde, spätestens seit der Jahrestagung über Tuchos Verhältnis zu den Medien 2005 ein Begriff. Ganz so sensationell ist also die Entdeckung des Rowohlt-Verlags nicht, aber immerhin ist es die erste Einzelpublikation dieses Textes. Michael Töteberg hat dazu ein Vorwort geschrieben, in dem er Tucholskys schwieriges Verhältnis zum Medium Film noch einmal referiert. Als 23jähriger hatte er für die Schaubühne erste Filmkritiken verfasst, in denen er dem Stummfilm mehr als kritisch gegenüberstand. Allerdings anerkannte Tucholsky schon damals technische Finessen, die nur im Film möglich waren und revidierte sein abschätziges Urteil über das Genre nach dem Kriege mehr und mehr – was bei Töteberg etwas zu kurz kommt.
Bekanntlich wurden die Seifenblasen nicht realisiert, möglicherweise, weil der einzig interessierte Regisseur Pabst die Nero-Film 1932 verließ. In einem seiner Schnipsel zeigte sich der Autor enttäuscht:
Es war einmal ein Vertrag zwischen einer Filmgesellschaft und einem Autor, der wurde von der Gesellschaft anständig und sauber erfüllt. Das war kurz vor der Erfindung der Fotografie.4
Der Stoff wurde kurz darauf von der Ufa aufgegriffen. Chefdramaturg Robert Liebmann – den Tucholsky wegen Vielschreiberei mit Sarkasmus bedachte – schrieb zusammen mit anderen die Film-Travestie Viktor und Viktoria, in dem der damalige Publikumsliebling Renate Müller einen Damenimitator spielte. (Der Stoff bot 1982 die Grundlage für den Hollywood-Film Victor/Victoria mit July Andrews.)
Tucholskys einziger Film in der Weimarer Republik war die Verfilmung Wie kommen die Löcher in den Käse? von 1932, an der er selbst allerdings nicht mitarbeitete.
Frank-Burkhard Habel
Inzwischen hat Rowohlt auch eine gedruckte Ausgabe angekündigt:
Im Dezember 2016 erscheint eine Hardcover-Ausgabe im Geschenkformat:
Kurt Tucholsky: Seifenblasen. Eine Geschichte, die ein Film werden sollte.
Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbek 2016, 128 Seiten, gebunden, 10 €. ISBN 978-3-499-29033-6
1Peter Panter: Seifenblasen. Ein Spiel. Nach einer Idee von G.W. Pabst. in: Tucholsky Gesamtausgabe Band 15, [T 144], S. 401
2 Peter Panter: Gussy Holl, Schaubühne Nr. 26, 3.7. 1913, S. 688 (Tucholsky Gesamtausgabe Band 1, [T 133], S. 224ff., hier: S. 225. Online bei textlog.
3 Peter Panter: Seifenblasen. Ein Spiel. Nach einer Idee von G.W. Pabst. in: Tucholsky Gesamtausgabe Band 15, [T 144], S. 400-462
4 Peter Panter: Schnipsel. Die Weltbühne, 03.11.1931, Nr. 44, S. 673. in: Tucholsky Gesamtausgabe Band 14, [T 129], S. 435. Online bei textlog.
Dieser Beitrag erschien im Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft August 2016.
Aus »Nußbach bei Triberg« schrieb Kurt Tucholsky am 19. August 1919 einen Brief an Mary Gerold.1 Er weilte im Haus der Familie seines Hamburger Freundes Hans Fritsch, genannt »Jakopp«, in der noch heute so benannten Villa Fritsch. Das weiß man in Triberg schon seit 1990.
Eine Tagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft im Jahre 2000 in Triberg mit Kaffeepause im »Römischen Kaiser« in Nußbach, von dem die Familie Fritsch seinerzeit ihren Wein »unter der Hand« bezog, sorgte ebenfalls für lokale Aufmerksamkeit.
Mit Gastspielen und Tucholsky-Programmen mit Marlis und Wolfgang Helfritsch wurde weiterhin die Trommel gerührt. In der Triberger Stadtchronik ist Tucholsky samt der Geschichte des über 100 Jahre alten Hauses festgehalten. Ebenso der mehrfache Besuch des amerikanischen Publizisten Ernest Hemingway in den zwanziger Jahren2.
Während Tucholsky noch die politische Ahnungslosigkeit im Schwarzwald karikierte, drosch Hemingway auf die Schwarzwaldbevölkerung ein. Lediglich das Forellenfischen fand seine Zustimmung. Nachdem der heute noch amtierende Bürgermeister den recht erfolgreichen Hemingway-Days nach Einspruch ehemaliger Wehrmachtsangehöriger ein unrühmliches Ende setzte, wurde es still um die berühmten Besucher der Wasserfallstadt.
Der Bürgermeister, Jurist wie Tucholsky, sah in einem Hemingway-Brief, in dem sich der Autor rühmte, bei der Besetzung von Paris »Krauts« eigenhändig erschossen zu haben, Schaden auf die Stadt zukommen. (Ein Gutachten der Universität Hamburg kam allerdings 2008 zur Ansicht, dass die entsprechenden Passagen fiktional waren.) Das bisherige Organisationsteam sollte – so die Bürgermeister-Idee – doch auf Tucholsky-Tage umschwenken. Nach dem Einwand, dass dieser in der Weimarer Republik zu den meistgehassten Publizisten der Nationalisten gehörte, zog der Triberger die Idee zurück.
Jetzt weist am Schwarzwald-Museum in Triberg ein großes Plakat auf Tucholskys Besuch seinerzeit hin. Im Treppenhaus hängt dazu sein Foto mit einem Zitat. Eine Veranstaltungsreihe im Museum begann mit Texten zum Thema Reisen, in denen auch Tucho-Texte verlesen wurde.
Die Villa Fritsch steht erneut zum Verkauf und das nahezu 200 Jahre alte Gasthaus »Römischer Kaiser« samt Pensionsbetrieb ist nach einem Zwischenpächter wiede-rum geschlossen. Inwieweit Tucholskys Besuch im Schwarzwaldmuseum weiteren Niederschlag findet, bleibt abzuwarten, demnächst wechselt die Leitung.
Renate Bökenkamp
1 Brief an Mary Gerold vom 19.8. 1919 (Tucholsky GA Bd. 17, [B 37], S. 68 ff.)
2 siehe die titelgebende Geschichte »Schnee auf dem Kilimandscharo«. Zuletzt erschienen in Neuübersetzung von Werner Schmitz: Ernest Hemingway: Schnee auf dem Kilimandscharo. Rowohlt Reinbek 2015, 224 Seiten, gebunden, 18,90 €. Taschenbuchausgabe für Dezember 2016 angekündigt (9,99 €, ISBN 978-3-499-27286-8).
Dieser Beitrag erschien im Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft August 2016.
Beate Schmeichel-Falkenberg, ein Urgestein in der KTG, feiert ihren 90. Geburtstag: Herzliche Gratulation und die besten Wünsche!
»Beatchen«, wie wir Dich liebevoll nennen durften und dürfen, war von Anfang an dabei und ein bestimmender Fels in der Brandung der leidenschaftlich aufbrausenden Gründungszeit der Gesellschaft. Man wünscht sich diese kontroverse, aber produktive, Tucho in allen Facetten ausleuchtende Zeit von Tucholskykennern oft sehnsüchtig zurück. Jeder hatte seinen eigenen Tucholsky im Gepäck und wusste es genauer, besser, zeigten sich aber dennoch neugierig auf die anderen Tucholskybilder der herbeigeeilten Wissenschaftler, Künstler, Journalisten und Tuchojünger.
Intellektuell und emotional ging es zu und immer freundschaftlich orientiert, menschlich stabil.
Daran besonders an Schmeichel-Falkenbergs 90. Geburtstag zu erinnern, muss bei Beate erlaubt sein. Es soll und wird sie erfreuen. Wer waren die Gründungsmitglieder am 3. April 1988 im »Gasthaus zum Kreuz« bei dem Gastgeber Harry Pross in Weiler im Allgäu? Eine Seminarrunde, gefordert vom Meister zum Diskurs. Es ist mal Zeit sie zu nennen (lt. Protokoll): Helga und Anton Austermann, Hans-Werner am Zehnhoff, Ulrich Thiele, Gangolf Arendt, Renate und Harald Vogel, William John King, Gustav Huonker, Harry Pross, Charlotte Wasser, Olle Hambert, Volker Kühn, Michael Hepp, Elke Suhr, Irene Boose, Steffen Pross, Irina Vatschenko, Antje Bonitz, Beate Schmeichel-Falkenberg, Gregor Ackermann. Beate sprach über ihre Recherchen: »Die letzten Jahre, die letzten Tage in Schweden«.
Auf Vorschlag von Harry Pross bildeten Beate und ich das Vorbereitungsteam zur satzungsgemäßen Gründung am 4.6. 1988 in Stuttgart, wo ich als Vorsitzener und Beate als Stellvertreterin gewählt wurden. Wir bildeten von Anfang ein Team, nicht immer einfach, aber produktiv, verlässlich, immer der anspruchsvollen Tuchoarbeit im vielfältigen Chor der Kenner verpflichtet.
Mein Vorteil in unserem Team, Beate kannte alle wichtigen Persönlichkeiten beim Namen, Gründe und Hintergründe, Vor- sowie vorausgeahnte Nachgechichten, war in Tucho beschlagen, redegewandt und redefreudig, leidenshaftlich ungebremst – und wenn, dann nur durch ihren bedächtigen, fast nur im Hintergrund agierenden, liebevoll bemühten Manfred, der bewusst nicht als Mitglied fungierte. Es war »wundervoll«, ein typisches Beate-Wort, das man ihr treffend zueignen darf.
Mein Glück im Tucholskykreis war, ich wurde gleich von zwei Glücksfeen in die Geheimnisse der Tucholskywelt eingeweiht. Von der Sachanwältin Antje Bonitz in das von Mary eroberte Marbacher Tucholskyzimmer, das mir den Zugang zum Nachlass eröffnete, und ihre Vermittlung zu den Gralshütern im Literaturarchiv. Und dann wie gesagt Beate, die mich mit der geistigen ›Bohéme‹-Welt der Tucholskykenner bekannt machte. Der Start in die kritische Gesamtausgabe vervollständigte das Abenteuer, an dem Beate lebhaften Anteil nahm.
Beate ganz besonders herzlichen Dank für diese gemeinsame Zeit, in der viel bewegt wurde und vor allem mit Michael Hepp die Gesellschaft ein beständiges und weiterhin menschlich beglückendes Fahrwasser fand, in der wir uns aufgehoben fühlen konnten, ohne dass eigenständige Profile aufgegeben werden mussten. Auch wenn Beates Hauptaugenmerk mit den Jahren ins »Exil« auswanderte, änderte ihre bewundernswerte Vorsitztätigkeit in der Gesellschaft für Exilautorinnen nichts an ihrer Leidenschaft und ihrem Engagement für Tucholsky. Die Gesellschaft hat Dir, liebe Tucholskyfreundin, sehr viel zu verdanken und noch mehr zu danken.
Deine Präsenz vermissen wir. Wir wissen, Deine nur noch innere Teilhabe aus der Ferne ist Deiner Gesundheit geschuldet. »Carpe diem« rufen wir Dir zu und nehmen Dich freundschaftlich in den Arm. Beatchen, bleibe so impulsgebend und erheiternd, wie wir Dich kennen, führe zusammen mit der Gesellschaft ungebeugt den Kampf für Tucholskys Anliegen und Werk und widerstehe den körperlichen Anfechtungen in satirischer Laune im Gedenken an Heinrich Heine, Tuchos Vorbild:
Tag und Nacht hab ich …
und hab doch …
Bin in Harmonien …
Und bin doch …. (Lieder, 1824)
Harald Vogel