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Über das Tucholsky-Stück: „Gegen einen Ozean pfeift man nicht an“

Dieses “szenisch-musikalische Portrait“ über unseren Namensgeber gehört seit gut einem Jahr zum Repertoire im Berliner Theater im Palais (TiP). Die nächsten Vorstellungen sind am 6.9.2025, am 3.10.2025 und am 15.11.2025 jeweils um 19.30Uhr

Im Stück werden Szenen dargestellt und Briefe und Zeitungstexte verlesen. Und, wie angekündigt, spielt die Musik eine große Rolle. Jürgen Beyer, Pianist und musikalischer Leiter, gestaltet Übergänge, etwa, vom Text zum nächsten Lied, vom Lied zur nächsten Szene. Manchmal erzeugt er durch die Musik eine spezifische Atmosphäre, einige Vorgänge und Ereignisse werden deutlich betont.

Darüber hinaus begleitet er zahlreiche, von Stefanie Dietrich und Carl Martin Spengler gesungene Tucholsky-Chansons. Drei Liedkompositionen trug er selbst bei. Bei so viel Musik verwundert es nicht, wenn man mehr wissen möchte, z. B. über die Lieder. Wie sind sie entstanden und wer sind ihre Komponisten?

Die meisten Lied-Texte dieses Programms stammen aus den Jahren zwischen 1919 – 1931. Ein Teil von ihnen wurde unter direkter Mitwirkung von Tucholsky zu Chansons, denn er arbeitete eng mit den Musikern und Diseusen verschiedener Kleinkunstbühnen zusammen, u.a. mit Gussy Holl, Trude Hesterberg, Claire Waldorf, Kate Kühl und Rosa Valetti. 

Viele Texte von Tucholsky wurden jedoch sehr viel später, lange nach seinem Tod vertont. Immer wieder gab und gibt es Musiker, die sich mit seinen Gedichten beschäftig(t)en und sie zu Liedern komponier(t)en.

Eine Auswahl der Chansons aus dem Programm „Gegen einen Ozean pfeift man nicht an“ mit einigen Hintergrundinformationen:

„Stoßseufzer einer Dame in bewegter Nacht“                   

Besagte Dame verbringt schlaflose Stunden neben ihrem Mann, den sie als “alten Affen“ tituliert. Im Gegensatz zu ihr schläft der Alte „immer gleich“ ein. In ihren einstigen Erwartungen enttäuscht, stellt sie fest, dass sich im Laufe der Jahre die Machtansprüche im gemeinsamen Bett eindeutig zu ihren Ungunsten verschoben haben. Er beansprucht alles für sich, den Platz, die Bettdecke, usw.   Mit den Beinen kommen sie sich auch ständig ins Gehege. Das wird im Lied durch den gesprochenen Refrain ausgedrückt. „Sind das meine Beine oder sind das deine Beine oder …“

Tucholsky war selbst ein guter Klavierspieler. So manches Chanson entstand, indem er am Klavier Texte und musikalische Einfälle zusammenfügte. Bei diesem Lied schuf er den Text und die Melodie, zumindest ist in dem von Mary Gerold-Tucholsky und Hans Georg Heepe herausgegebenen Kurt-Tucholsky-Chanson-Buch (1983) Theobald Tiger als Liedkomponist angegeben. Dennoch erscheinen die Angaben über die Entstehungsgeschichte dieses Liedes etwas widersprüchlich. Einerseits soll es entstanden sein, als Tucholsky noch mit Lisa Mathias liiert war – sie trennten sich1931. In der Gesamtausgabe erscheint es erst später, nämlich 1932/33. Etwas irritierend ist auch, dass bei Wikipedia Friedrich Hollaender als Komponist angegeben wird. Ob er derjenige war, der die Klavierbegleitung dazu geschrieben hat?

„Wenn der alte Motor wieder tackt“

In diesem Stück wird vom Leben in den unsicheren, schwierigen Zeiten der Nachkriegswirren erzählt, sowie von denen, die Profiteure oder Verlierer nach dem1.Weltkrieg waren. Trotzdem wird im Lied vermittelt, dass die Menschen nicht die Zuversicht verlieren sollten.

Friedrich Hollaender war der Komponist dieses Chansons. Es entstand aus Anlass der Wieder- Eröffnung der von Max Reinhardt initiierten Kleinkunstbühne „Schall und Rauch“ im Dez.1919, also nur kurz nach Ende des ersten Weltkrieges und dem Zusammenbruch des Kaiserreiches. Der Berliner Schauspieler und Komiker Paul Graetz trug das Chanson in dem für ihn sehr typischen, rhythmischen Sprechgesang vor. Bei seiner Vortragsweise war die Melodie des Chansons „nur“ aus der Begleitmusik herauszuhören. Bereits in einer Schallplatten- Aufnahme von 1920 bei Odeon ist das von Paul Graetz vorwiegend gesprochene Lied zu hören.

Im „Theater im Palais“ wurde die uns vertraute Vortragsweise, Gesang (C. M. Spengler) mit Klavierbegleitung, verwendet mit deutlich erkennbarer Melodie. Friedrich Hollaender war ein Pianist und Komponist, mit dem Tucholsky besonders gern zusammenarbeitet haben soll.

“ Fang nie was mit Verwandtschaft an“ aus der Revue „Bitte zahlen“ von 1921

Dieser Schlager mit Kultstatus beschreibt die Gesetzmäßigkeiten, denen jedes Familienmitglied unentrinnbar ausgesetzt ist. Dasselbe trifft auf die Mitglieder der erweiterten Familie zu, die sich dann „Verwandtschaft“ nennt. Tucholsky spottete auch über seine eigene Familie, in dem er über das Chanson schrieb: „Zur Erinnerung an die Sonntage meiner Jugend“ Die Musik komponierte Rudolf Nelson, Pianist, Komponist und Intendant in einer Person. Tucholsky gehörte zu denen, die Rudolf Nelson für seine graziösen Klavierbegleitungen bewundert haben sollen.

Lucindy – Lied fürs Grammophon- von Januar 1929

Ein Mann besingt seine ferne Geliebte mit träumerischen, aber gleichzeitig melancholischen Gefühlen. Er kommt zu dem Schluss, es lieber bei dem Flirt zu belassen und weiter zu träumen. „Vielleicht ist das das Glück.“

„O, Lucindy“ war ursprünglich auf einer Schlagerplatte von den Revellers, einer amerikanischen Gesangsgruppe, zu hören. Es war der neue, rhythmische Gesangsstil, weshalb diese Gruppe zur damaligen Zeit so besonders war und vermutlich auch Tucholsky begeisterte. Dies veranlasste ihn, 1929 einen neuen Text: „ Lucindy, Lied fürs Grammophon“ in der Weltbühne zu veröffentlichen.  Der Musiker Allan Gray, der bereits als Filmkomponist in Berlin bekannt war, fand Gefallen an dem Text und machte einen swingenden Song daraus. Er merkte dazu an: „Das Stück ist etwa im Stil der Revellerplatte vorzutragen, rhythmisch sehr elastisch, ziemlich ironisch im Ausdruck“. Nebenbei waren die Revellers das musikalische Vorbild für die berühmten Comedian Harmonists.

Das Lied „Lucindy, Lied fürs Grammophon“ erschien wenige Jahre später im Musikverlag „City“ in Leipzig. Es wurde aufgenommen von der Deutschen Grammophon Gesellschaft (DGG) mit dem Schauspieler Curt Bois.

In dem Tucholsky-Programm im TiP wird dieses Lied zweimal gebracht, einmal im Stück und später als schwungvolle Zugabe oder als freundlicher Rausschmeißer. 

Parc Monceau (Text von 1924 /Musik von Jürgen Beyer)

Der Text zum Lied „Parc Monceau“ entstand, als Tucholsky 1924 Korrespondent für die Weltbühne in Paris geworden war. Es werden beschauliche, fast belanglose Szenen, die sich im Parc Monceau abspielen, beschrieben. Tucholsky lässt sie unbeschwert auf sich einwirken,  hier kann er sich endlich „von seinem Vaterlande ausruhen.“ In diesem Theaterstück hat Jürgen Beyer, der musikalische Leiter, die Musik zu „Parc Monceau“ geschrieben. Im Gespräch machte Beyer deutlich, dass eine Liedkomposition seiner Meinung nach ein Ausbalancieren von Text und Musik ist und dass die Musik eine Entsprechung zum Text ausdrücken sollte. Im Fall von „Parc Monceau“ war es ihm wichtig, dem Lied etwas „Pariser Flair“ zu verleihen.

Das kongeniale Duo Hanns Eisler und Ernst Busch

In den späten zwanziger Jahren entstanden einige Tucholsky-Vertonungen von Hanns Eisler. Ob sich der Text-Autor und der Komponist persönlich begegnet sind, ist sehr fraglich, denn Eisler lebte erst seit Ende 1925 in Berlin. In dieser Zeit kam Tucholsky nur noch sporadisch in seine Geburtsstadt.

1928 entstand das erste von Eisler komponierte Tucholsky-Lied (Bürgerliche Wohltat). In ihm klangen bereits Stilelemente des Kampfliedes an. Entscheidenden Einfluss auf weitere Vertonungen unseres Namensgebers hatte der Sänger und Schauspieler Ernst Busch.

Vieles ist über die Persönlichkeiten Ernst Busch und Hanns Eisler, über ihren Umgang und ihre Freundschaft bekannt geworden. Einige Liedkompositionen entstanden in direkter Zusammenarbeit, wie Ernst Busch es auf humorvolle Weise, z.B. bei dem Anna-Louise-Lied („Wenn die Igel in der Abendstunde“) beschrieben hat. „Ich brauchte ein neues Lied für das Kabarett. Und ich hatte das Anna-Louise-Lied von Tucholsky gehört. Eine Frau sang damals eine ziemlich triste Melodie. Ich war der Meinung, das ist kein Lied für eine Frau, das muss ein Mann singen. Ich gehe also mit dem Text zu Eisler und bitte ihn um eine neue Melodie. ‚ Nein, das mache ich nicht! Ich mache nur seriöse Sachen.‘ (…) Aber ich brauchte unbedingt ein neues Lied und legte ihm 50 Mark auf den Tisch. ‚Wie willst du es denn haben?‘ fragte er. Ich sprach ihm vor, und da saß er schon am Klavier und spielte weiter.“ (zitiert nach Hoffmann /Siebert, Ernst Busch). Es muss etwa im Jahr 1930 gewesen sein, dass er in Werner Fincks „Katakombe“ sang und dort auch von Eisler auf dem Klavier begleitet wurde.

Wie von dem Schriftsteller Stephan Hermlin im Nachhinein beschrieben, traten die beiden ebenso auf politischen Veranstaltungen auf, wo sie Lieder von Brecht und Weinert vortrugen, aber auch das Lied von der Wohltätigkeit von Tucholsky. Dabei feuerte die klassenbewusste Arbeiterschaft das Busch-Eisler-Duo an, indem auf Zuruf gefordert wurde, welches Lied die beiden als nächstes vorzutragen hätten. Hierzu schrieb Stephan Hermlin (erstmals) abgedruckt in einem Nachwort in Hans Bunge, Fragen Sie mehr über Brecht. Im Gespräch mit Hanns Eisler, München 1970): „Ich weiß noch, dass ich mit einer Art von Entsetzen bemerkte, dass Eisler manchmal mit der geballten Faust auf die Tasten schlug. Zugleich belustigte mich meine eigene Empörung. Ich klatschte und schrie genauso wie die anderen Zuhörer, obwohl ich es bis dahin nicht für möglich gehalten hatte, dass man auf diese Weise Klavier spielen konnte.“

Es gibt vier frühe Liedkompositionen von Hanns Eisler, die in den Jahren (1928 – ca 1931) entstanden sind. Das Gros, 37 Lieder, vertonte Eisler erst in den Jahren zwischen 1956 und 1961.  Ernst Busch war es, der Eisler immer wieder zu neuen Liedkompositionen anregte und sie dann auf Schallplatte brachte.

Im Theater-Stück im TiP sind fünf Lieder von Eisler zu hören: „Der Graben“, „Wenn die Igel in der Abendstunde“, „Das Lied vom Kompromiss“ und „Ideal und Wirklichkeit“, nach Texten von   Theobald Tiger und „Rosen auf den Weg gestreut“, nach einem Text von Ignatz Wrobel.

Weitere Komponisten von Tucholsky-Texten

Auch andere, später entstandene Tucholsky-Lieder kommen im Programm vor, deren Komponisten in der Nachkriegszeit und zu Zeiten der deutschen Teilung ihre Haupt- Schaffenszeit hatten, u.a. Hans Herbert Winkel, Bernhard Eichhorn und Olaf Bienert. Sie waren Dirigenten, Pianisten und Komponisten an Theatern und/oder an verschiedenen Rundfunkanstalten. Sie komponierten Bühnen- und Filmmusiken, und arbeiteten für den Hörfunk und/oder für Fernseh-Kabaretts. Außerdem vertonten sie Gedichte von Kästner, Ringelnatz, Brecht, Tucholsky und anderen.

Einer von ihnen war Henry Krtschil (1932 – 2020), der die Musik schrieb zum Lied: „Wenn eener      dot is, kriste n Schreck. Denn denkste: Ick bin da, un der is weg.“, auch im TiP-Programm zu hören. Henry Krtschil war an verschiedenen Theatern als Musiker beschäftigt, u.a. am Berliner Ensemble und an der Volksbühne. Er arbeitete lange mit der Schauspielerin Gisela May zusammen und war Mitbegründer des Theaters i. Palais (1991). Gisela May war langjähriges Mitglied der KT-G und Ehrenmitglied.

Christiane Nerger-Rausch

Bildquellen:
Plakat zur Revue „Bitte Zahlen“ aus: Kurt Tucholsky Chanson Buch, Hrsg: Mary Gerlod-Tucholsky, Hans Georg Heepe, Rowohlt-Verlag 1983, Seite 63
Zeichnung von Emil Stumpp „Ernst Busch in der Katakombe….“ aus: Kurt Tucholsky Chanson Buch, Hrsg: Mary Gerlod-Tucholsky, Hans Georg Heepe, Rowohlt-Verlag 1983, Seite 347
Zeichnung von Gustav Seitz, Hanns Eisler am Klavier, aus: Eisler – Eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten, Jürgen Schebera, Schott-Verlag, 1998, Seite 69

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Satire-MAß 1 Tucholsky

Gedicht von Hansgeorg Stengel gefunden von Wolfgang Helfritsch

Wie heißt die Maßeinheit für die Satire?

Wie misst man ihren Wert und ihr Gewicht?                           

Ein solches Maß, Satire-Kanoniere,

das gibt es, leider, offiziell noch nicht!

Drum drängt es mich, Tucholsky vorzuschlagen,

als Optimum satirischer Potenz.                                      

Ein Zehntel Tucho wäre sozusagen

der Paukenschlag des schreibenden Talents.

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Was hat der Mann zu der jungen Bauersfrau gesagt?

Brief von Roland Voggenauer an die KTG mit einer wichtigen Frage

Liebe Freunde der Tucholsky Gesellschaft,

Sie alle kennen sicher die Geschichte, in der ein Ehepaar Herrn Panter einen Witz erzählt, bzw. dies versucht, dabei jedoch kläglich scheitert, schließlich türschlagend auseinander geht und den armen Herrn Panter mit der Frage sitzen lässt, was die Pointe des Witzes gewesen sei.

Trotz – oder grade wegen – der Unvollständigkeit des Witzes wird diese wundervolle Geschichte natürlich zu einem runden Ganzen und soll selbstverständlich genau so stehen bleiben.

Dennoch habe ich mir schon vor vielen Jahren beim ersten Lesen die gleiche Frage wie Herr Panter gestellt, ohne daß ich jedoch jemals von selbst auf eine Antwort gekommen wäre. Diese Frage ist immer wieder einmal zu mir zurückgekehrt, so daß ich irgendwann eine – zugegebenermaßen einschlägige – Recherche gestartet habe.

Gefunden habe ich: Nichts!

Auch meine direkte Nachfrage bei dieser Gesellschaft hat selbst unter Hinzuziehung des Ehrenvorsitzenden zu keinem positiven Ergebnis geführt, d.h. diese Frage, die ja schließlich kein Geringerer als Herr Panter selber stellt, scheint bislang keine Antwort gefunden zu haben.

Deswegen habe ich mich gefragt, ob es evtl. sinnvoll sei, die Frage einem informierten Fachpublikum vorzulegen – was ich in der Leserschaft dieses Blogs erwarten würde – denn ich bin sicher, es gibt potentielle Antworten. Ob die letztendlich dem entsprechen, was Tucholsky selber im Sinn hatte, muss dabei natürlich nebensächlich bleiben, denn in seiner Geschichte ist der Witz schließlich ein reines Mittel zum Zweck.

Mir selbst ist während der diesjährigen Ostertage ein Lösungsvorschlag in den Schoß gefallen; wahrlich kein Schenkelklopfer, aber er funktioniert leidlich und ist konsistent zu den Dialogen in Tucholskys Geschichte.

Diesen würde ich an dieser Stelle selbstverständlich auch „zum Besten geben“, allerdings würde ich ihn vorläufig zurückhalten, bis sich auch andere aus der Deckung wagen, zumindest bezüglich der Sinnhaftigkeit dieses Unterfanges.

Von daher frage ich mit Herrn Panter in die Runde:

Was hat der Mann zu der jungen Bauersfrau gesagt?

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Der Tiger schreit

Am 21.12.2020 schickte Eva Hoffmann uns dieses Gedicht in Erinnerung an Tucholskys Todestag zu (s. unten zur Autorin).

Gewidmet in Memoriam 21.12.1935

Der Zeiger zeigt
die Zeit zeitigt

Die Rassel rasselt
alles quasselt
keiner schweigt

Haare wallen
Haare in Wellen
Wale in Wellen
Wähler wählen
Stimmen zählen
Tierquäler quälen

Riemen machen Striemen
der Haifisch der hat Zähne
Politiker machen gute Mienen
zu ihrem täglichen Brot

Lobbyisten lungern
Flüchtende hungern
Geier kreisen
Marktschreier preisen

Deckmäntel verdecken
Fliehende verrecken

Rechts ruckt
Die Linke spukt
und die Mitte: die duckt

Kinderschänder missbrauchen
Opfer straucheln
Wassertaucher tauchen
nach Wasserleichen

Fetische und Faschisten
führt man auf Listen
Bettsäger und Exekutierte
hinterlassen Pfützen

Gewitter reinigen
(Cloud-)Worte steinigen
Pfeifen besänftigen
draußen nur Kännchen

Wasser bewegt Mühlen
während wir auf Wühltischen wühlen
was Inder nähen
(und deren Kinder daneben)

Anderswo: Leiden
Hierzulande knurrt es
Das Glück der Geburt
ist nun mal nicht zu teilen

Bei der Wahl
machen Nazis legal
ihre Haken
Ein Kreuz auf Papier
wird toleriert

Wahlplakate hängen
Parallelen verdrängend
dank des Genies
unserer Demokratie
Denn was ist schon dabei?
Wählen macht frei

Rechte rabiat
legitimiert im Stadtrat
Zu Naziparolen
nickt mancher verstohlen

Man spricht von Bedrohung
sieht die Rechte Verrohung
Doch was geht’s den an
der sich wegducken kann

Ob Hauser, Panter oder Tiger
er kannte die „Sieger“
die sich formierten
und uniformierten
und skandierten.

Worte aus Wut

Eva Hoffmann arbeitet als Schulbibliothekarin und hat Theaterwissenschaft und BWL studiert. Über ihren Zugang zu Tucholsky schreibt sie: „Und immer waren da Spuren: Eine erste Fährte legte Kaspar Hausers ‚Der Mensch‘ – kritisch und humorvoll, klug und pointiert – ein verändernder Blick in meinen jugendlichen Spiegel. Während des Studiums dann stellte ich erstaunt fest, die Publikumsbeschimpfung gab es lange vor Handke. Von einem, der mit 5 PS publizistische und journalistische Schneisen ins aufziehende braune Dickicht schlug, um uneitel und ohne belehrenden Zeigefinger mit stilistischer Vielfalt Missstände aufzuzeigen. Seine Spuren – auch heute noch kein Schnee von gestern: von einem heimatverbundenen glühenden Europäer auf seiner Weltbühne, um- und weitsichtig, offen und tolerant, skeptisch sich und andere(s) hinterfragend und mit der Größe, Fehler einzugestehen. Kein Neuschnee, aber immer wieder stoße ich auf seine weisen Spuren.“