»Hänschen klein / ging allein / wollte gerne Gretchen sein …«1
Tucholskys Film-Travestie Seifenblasen von 1931 zum Nachlesen.
Auch, wenn heute in Film, Literatur und Sozialwissenschaft der Begriff Transgender häufig eine Rolle spielt, so ist das Phänomen, das er bezeichnet, nicht neu. Das Spiel mit den Geschlechtern, das Verkleiden, waren schon vor Tucholskys Zeiten bekannt – mal gesellschaftlich geächtet und mal akzeptiert. Travestien von Transvestiten waren als Bühnengag schon vor dem 1. Weltkrieg in Cabarets und Varietés beliebt.
Peter Panter, bekanntlich in platonischer Liebe zur Kabarettistin Gussy Holl entflammt, schilderte 1913 einen Auftritt der Künstlerin als »Damenimitatorin«:
Aber die Höhe ist doch: die Imitation eines Damenimitators. Die Frau fühlt, wie unendlich weit es immer noch ist von jedem Mann, und sei er der weibischste, bis zu ihr. Wie diese Kluft doch nicht zu überspringen ist. Und so macht sie sich über die vergeblichen Anstrengungen eines Gegners lustig, den sie ja allerdings nicht mehr als Mann anerkennt, aber der doch nur ein amüsantes Zwischending ist, beileibe keine Frau. […] Am Schluß ein herrlicher Zug: sie reißt sich anstatt der Perücke triumphierend den »Shinjong« aus und hält jubelnd die Trophäe ihrer Mannheit hoch.2
Daran muss er sich erinnert haben, als Peter Panter zu Beginn der Tonfilmzeit von Nero-Film den Auftrag für das Szenarium zu einer Filmkomödie erhielt. Ideengeber war der der Nero-Regisseur G.W. Pabst, der als Hauptvertreter der »Neuen Sachlichkeit« im Film kein besonderes Verhältnis zu heiteren Stoffen hatte (aber mit dem Henny-Porten-Schwank Skandal um Eva seine leichte Hand bewies). Peter Panter schrieb also ein ausführliches Filmexposé von Barbara, einem »Fräulein Nummer« am Varieté, das als Damenimitator zu einem umjubelten Star wird, in den sich viele Frauen verlieben – Frauen und ein Mann, der auf einem Wochenendausflug entdeckt, was es mit ihr auf sich hat. Dazu kommt noch eine etwas weit hergeholte Kriminalgeschichte.
Panter-Tucholsky zeigte in seinem Filmtext, daß er durchaus filmisch denken konnte. Bei ihm spielte die moderne Technik in Gestalt von Telefonen eine Hauptrolle. Er entwickelte für den damals noch ganz neuen Tonfilm bereits in seinem Szenarium dramaturgisch begründete Geräusch-Collagen. Dazu griff er auf seine Stärken zurück, den Mutterwitz und den Einsatz zahlreicher Chansons. Wenn die Igel in der Abendstunde, war beispielsweise für diesen Film vorgesehen.
Tucholsky-Kennern ist diese Filmerzählung, die tatsächlich in der KT-Gesamtausgabe3 erstmals veröffentlicht wurde, spätestens seit der Jahrestagung über Tuchos Verhältnis zu den Medien 2005 ein Begriff. Ganz so sensationell ist also die Entdeckung des Rowohlt-Verlags nicht, aber immerhin ist es die erste Einzelpublikation dieses Textes. Michael Töteberg hat dazu ein Vorwort geschrieben, in dem er Tucholskys schwieriges Verhältnis zum Medium Film noch einmal referiert. Als 23jähriger hatte er für die Schaubühne erste Filmkritiken verfasst, in denen er dem Stummfilm mehr als kritisch gegenüberstand. Allerdings anerkannte Tucholsky schon damals technische Finessen, die nur im Film möglich waren und revidierte sein abschätziges Urteil über das Genre nach dem Kriege mehr und mehr – was bei Töteberg etwas zu kurz kommt.
Bekanntlich wurden die Seifenblasen nicht realisiert, möglicherweise, weil der einzig interessierte Regisseur Pabst die Nero-Film 1932 verließ. In einem seiner Schnipsel zeigte sich der Autor enttäuscht:
Es war einmal ein Vertrag zwischen einer Filmgesellschaft und einem Autor, der wurde von der Gesellschaft anständig und sauber erfüllt. Das war kurz vor der Erfindung der Fotografie.4
Der Stoff wurde kurz darauf von der Ufa aufgegriffen. Chefdramaturg Robert Liebmann – den Tucholsky wegen Vielschreiberei mit Sarkasmus bedachte – schrieb zusammen mit anderen die Film-Travestie Viktor und Viktoria, in dem der damalige Publikumsliebling Renate Müller einen Damenimitator spielte. (Der Stoff bot 1982 die Grundlage für den Hollywood-Film Victor/Victoria mit July Andrews.)
Tucholskys einziger Film in der Weimarer Republik war die Verfilmung Wie kommen die Löcher in den Käse? von 1932, an der er selbst allerdings nicht mitarbeitete.
Frank-Burkhard Habel
Inzwischen hat Rowohlt auch eine gedruckte Ausgabe angekündigt:
Im Dezember 2016 erscheint eine Hardcover-Ausgabe im Geschenkformat:
Kurt Tucholsky: Seifenblasen. Eine Geschichte, die ein Film werden sollte.
Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbek 2016, 128 Seiten, gebunden, 10 €. ISBN 978-3-499-29033-6
1Peter Panter: Seifenblasen. Ein Spiel. Nach einer Idee von G.W. Pabst. in: Tucholsky Gesamtausgabe Band 15, [T 144], S. 401
2 Peter Panter: Gussy Holl, Schaubühne Nr. 26, 3.7. 1913, S. 688 (Tucholsky Gesamtausgabe Band 1, [T 133], S. 224ff., hier: S. 225. Online bei textlog.
3 Peter Panter: Seifenblasen. Ein Spiel. Nach einer Idee von G.W. Pabst. in: Tucholsky Gesamtausgabe Band 15, [T 144], S. 400-462
4 Peter Panter: Schnipsel. Die Weltbühne, 03.11.1931, Nr. 44, S. 673. in: Tucholsky Gesamtausgabe Band 14, [T 129], S. 435. Online bei textlog.
Dieser Beitrag erschien im Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft August 2016.