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Tucholsky Museum erhält wertvolle Dokumente

Eine großzügige Schenkung hat das Kurt Tucholsky Literaturmuseum in Rheins­berg Ende Juni 2017 erreicht. Brigitte Rothert, die Großcousine und letzte noch lebende Verwandte Kurt Tucholskys, übergab dem Museum einige bedeutende Sammlungsstücke aus dem Nachlass von Kurt Tucholsky, die sie wiederum zum Teil in den 1980er Jahren von Tucholskys damals noch lebender Schwester Ellen Milo aus New York, USA, erhalten hat.
Darunter sind drei wertvolle, von Tucholsky gewidmete bzw. signierte eigene Bücher, sehr seltene Erstausgaben und weitere Bücher, zum Teil mit hand­schriftlichen Anmerkungen von Ellen Milo. Im Weiteren gehören dazu originale Kinderfotos von Kurt Tucholsky und seinen Geschwistern Ellen und Fritz, einige amerikanische Publikationen mit Tucholsky-Texten und frühe Nachkriegseditio­nen.
Weitere Dokumente und Objekte, wie interessante Briefwechsel, Zeitungsaus­schnittsammlungen, weitere Fotos und ihren Briefwechsel mit der Schwester Tucholskys Ellen Milo hatte sie bereits früher dem Museum übergeben. Die Briefe von Ellen Milo an Brigitte Rothert sind sehr privater Natur, sie geben un­ter anderem Auskunft über das sehr problematische Verhältnis der Mutter Do­ris Tucholsky zu ihren Kindern.
Ein ganz besonderes Stück ist auch der einmalige Exil-Koffer von Ellen Milo, auf dem man durch diverse Aufkleber die Stationen ihres Exils über Italien in die USA ablesen kann.
Das Museum verfügt nunmehr, mit dieser Schenkung, über dreißig Auto­graphen von Tucholsky und mehr als 40 originale Objekte — von Briefschatul­len, Schreibwerkzeugen, Schreibtischutensilien über häusliche Gegenstände bis hin zu Möbeln wie seinen letzten Schreibtisch aus dem schwedischen Exil und zwei Sesseln aus der gemeinsamen Wohnung mit Mary Gerold, die wir gerade im Februar aus dem Nachlass von Fritz J. Raddatz übereignet bekamen.
Weitere Autographen, z.B. Briefe von Rudolf Arnheim, Emil Jannings, von Sieg­fried Jacobsohn, Lisa Matthias, Mary Gerold und Else Weil kommen hinzu. Dar­über hinaus gehören zur Sammlung dutzende originale Fotos und Dokumente z.B. aus dem Familienbesitz von Else Weil, sowie hunderte Erstdrucke in der Weltbühne, der Vossischen Zeitung, dem Berliner Tageblatt, dem Simplicissimus und vielen weiteren Publikationen. Selbst ein originales Blatt aus dem Flieger erhiel­ten wir vor zwei Jahren geschenkt.
Die Schenkung war von Brigitte Rothert schon 2005 testamentarisch verfügt worden, nun hatte sie sich, die mittlerweile fast 89 Jahre alt ist, dazu entschlos­sen, ihr Erbe bereits als Vorlass an das Museum zu übergeben. Wie glücklich wir über diesen bedeutenden Zuwachs unseres Archivs sind, und wie dankbar für das große Vertrauen und die Anerkennung, die Brigitte Rothert damit unse­rem Museum entgegen gebracht hat, brauchen wir nicht zu betonen. Wir wer­den uns bemühen, es mit unserer zukünftigen Arbeit für Tucholsky, sein Werk und seine Ideen, weiterhin zu rechtfertigen.

Dr. Peter Böthig

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Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rezensionen Rundbrief Dezember 2016 Rundbriefe

[Bericht] Buchpremiere in Rheinsberg

Der Urenkel des Bankiers Hugo Simon stellt seinen Roman über dessen Schicksal im Kurt Tucholsky Literaturmuseum in Rheinsberg vor.
Dr. Peter Böthig, Leiter des Kurt Tucholsky Literaturmuseums,  ist stolz: In Rheinsberg fand am 13. Oktober 2016 die Premiere eines schwergewichtigen Buches statt: Auf 536 Seiten erfährt die Nachwelt vom Schicksal des zu seiner Zeit durchaus berühmten und nun vergessenenen Bankiers, Politikers und Kunstmäzen Hugo Simon.
Und der Ort hat seine Berechtigung: Auch wenn Tucholsky auf den Seiten des Romans nicht persönlich, sondern nur als Zitatengeber erscheint, es ist auch ein Teil seines Schicksals, das da verhandelt wird. Hugo Simon hatte Tucholsky 1923, mitten in der Inflation, als Privatsekretär in sein Bankhaus eingestellt (und mit Goldmark bezahlt).
Dass Tucholsky die Stelle sofort wieder aufgab, als die Währung wieder stabil wurde, hat er ihm auch nicht nachgetragen: Hugo Simon war ein bedeutender Kunstmäzen und dazu noch Pazifist und Demokrat. Nach der Novemberrevolution 1918 war er als Mitglied der USPD kurzzeitig Finanzminister im preußischen Rat der Volksbeauftragten, danach zog er sich aus dem offiziellen politischen Leben zurück. Erst im Exil in Paris war er wieder aktiv, unterstützte die Exil-Zeitung „Pariser Tageblatt“, bzw. „Pariser Tageszeitung“ finanziell und organisatorisch, war im „Bund Neues Deutschland“ zusammen mit Heinrich und Thomas Mann und war aktiv für das Flüchtlingskomitee Baron de Rothschilds, das Flüchtlinge aus Deutschland unterstützte.
Von den Faschisten vertrieben, ausgebürgert und auch im Ausland noch verfolgt, konnte er nur unter falschem Namen mit angenommener Identität und tschechischem Pass 1941 aus Frankreich entkommen. Zwar wollte er in die USA, wo auch Albert Einstein und Thomas Mann für ihn bürgten, aber er erreichte nur Brasilien.
Dort ließ Diktator Vargas bis zum Kriegseintritt Brasiliens die deutschen Faschisten wohlwollend gewähren, lieferte auch Olga Benario-Prestes an sie aus, obwohl sie mit dem Kind eines Brasilianers schwanger war. Hugo Simon sollte ausgewiesen werden, konnte sich dem aber dadurch entziehen, dass er sich im Landesinnern ansiedelte. Als Seidenraupenzüchter verdiente er seinen Lebensunterhalt bis zu seinem Tod 1950. Seine Bemühungen um Rückgabe seiner Kunstschätze und Güter, und vor allem seiner Identität, waren bis zu seinem Tod nicht erfolgreich. Das lag an der Bürokratie Brasiliens ebenso wie an der Nachkriegssituation in Deutschland.
Dieses bewegte Schicksal wird im Roman in einer Art Innenansicht erzählt. Die vielen Fakten und Namen (dankenswerterweise gibt es ein ausführliches Namensregister im Anhang) sind so psychologisch differenziert eingebettet in den Strom von Empfindungen, Gedanken und Geschehnissen, dass es sich anfühlt, als sei es das eigene Leben. Wie es in einem Menschen aussieht, der alles hinter sich lassen muss, um das nackte Leben zu retten, sogar seine Identität, seine Sprache, seine Familienbeziehungen verleugnen muss, das ist hier packend und in wundervoller Sprache geschrieben.
Rafael Cardoso, der Urenkel, ist Brasilianer, seine Sprache und seine Denkweise ist das Portugiesische, und das lässt die vortreffliche Übersetzung in einer Weise spüren, die die deutsche Sprache schöner, flüssiger, ornamentreicher erscheinen lässt. Dem Übersetzer Luis Ruby ist da etwas ganz besonderes gelungen!
Bei der Vorstellung des Buches las Frank Matthus, Regisseur und künstlerischer Leiter der Kammeroper Rheinsberg, zwei Kapitel mit klangschöner Stimme und ließ den Zauber dieses Romans auf die Hörer wirken. Der Buchstapel war im Nu leergekauft. „Das Vermächtnis der Seidenraupen“ kann ich nur wärmstens zum Lesen empfehlen.

Jane Zahn

Rafael Cardoso: „Das Vermächtnis der Seidenraupen“ , übersetzt von Luis Ruby, erschienen bei S. Fischer, 576 Seiten, 25,- €, ISBN 978-3-10-002535-7