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Jahrestagung 2017 Tagungen

Call for Papers: »Tucholsky, die Weltbühne und Europa«

Für die wissenschaftliche Tagung im Oktober 2017 in Berlin unter dem Thema »Tucholsky, ›Die Weltbühne‹ und Europa« ruft die Kurt Tucholsky-Gesellschaft zu Beiträgen auf.
Interessierte Beitragende sind dabei explizit eingeladen, neben historischen literatur- und kulturwissenschaftlichen Themen auch gegenwärtige Fragestellungen zu berücksichtigen.
Ein Vortrag soll 30-45 Minuten dauern, um jeweils Fragen und Diskussion zu ermöglichen.
Die Beiträge erscheinen anschließend in einem Tagungsband in der Schriftenreihe der Kurt Tucholsky-Gesellschaft.
Bitte senden Sie bis zum 15. Juni 2016 ein Exposé Ihres Themas und ihres Ansatzes (ca. 200 Worte) sowie einen Kurzlebenslauf an Dr. Ian King, 1. Vorsitzender der Kurt Tucholsky-Gesellschaft, per email an: king@tucholsky-gesellschaft.de oder per Post an:
Kurt Tucholsky-Gesellschaft e. V.
Geschäftsstelle
Besselstraße 21/II
32427 Minden
Eine publikationsfähige Ausarbeitung (inkl. vollständigen Anmerkungen und Zitat-nachweisen) sollte bis zum 31.12. 2017 vorliegen.
Ein Honorar wird gezahlt. Weitere Informationen erhalten Sie beim Tagungsleiter Dr. Ian King unter king@tucholsky-gesellschaft.de
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Tucholsky: Zum Werk

Falsche Tucholsky-Zitate

Kurt Tucholsky gilt als einer der meistzitierten deutschen Autoren und viele seiner pointierten Aussagen werden auch heute noch gerne verwendet. Das bestätigt unsere – wenig überraschende – tiefe Überzeugung, dass Tucholsky weiterhin aktuell ist.
Allerdings kursieren auch sehr viele Zitate und Texte, die Tucholsky zugeschrieben werden, jedoch entweder erwiesener Maßen oder aber höchstwahrscheinlich nicht von ihm stammen. Danke der äußerst verdienstvollen Tucholsky-Gesamtausgabe ist heute endgültig möglich festzustellen, dass ein bestimmtes Zitat eben nicht von Tucholsky stammt.
Aufbauend auf der Arbeit von sudelblog.de soll hier eine Sammlung versucht werden von Zitaten, die Kurt Tucholsky lediglich zugeschrieben werden, aber nicht von ihm stammen.
Sollte jedoch wider Erwarten jemand einen Nachweis dafür erbringen können, dass es sich bei einem der hier aufgeführten Beispiele tatsächlich um ein Tucholsky-Zitat handelt (und Nachweis meint hier: Mit exakter bibliographischer Angabe der Originalpublikation bzw. dem entsprechenden Stellennachweis in der Gesamtausgabe), so erhält der oder diejenige ein Exemplar unserer Tucholsky-Anthologie »Die Zeit schreit nach Satire« und eine Jahresmitgliedschaft in der Kurt Tucholsky-Gesellschaft.

  • »Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muss oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind.«
  • »Chanson ist Welttheater in drei Minuten.«
  • »Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.«
  • »Der Horizont des Berliners ist längst nicht so groß wie seine Stadt.«
  • »Der Tod eines Menschen: das ist eine Katastrophe. Hunderttausend Tote: das ist eine Statistik!« (findet sich zwar in einem Tucholsky-Text (»Französischer Witz«), aber als angebliches Zitat eines französischen Diplomaten)
  • »Der Vorteil der Klugheit liegt darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger.«
    (Oder auf Spanisch: La ventaja de ser inteligente es que así resulta más fácil pasar por tonto. Lo contrario es mucho más difícil.)
  • »Deutsche – kauft deutsche Bananen!« (Das Original lautet: »Deutsche, kauft deutsche Zitronen!« Erschienen in dem Text »Europa«, in: Die Weltbühne, 12. Januar 1932, S. 73
  • »›Die Juden sind an allem Schuld‹, meinte einer. ›Und die Radfahrer…‹ sagte ich. ›Wieso denn die Radfahrer?‹, antwortete er verdutzt. ›Wieso die Juden?‹, fragte ich zurück.«
  • »Freiheit stirbt mit Sicherheit.«
  • »Gesetze sind Jungfrauen im Parlament, aber Huren vor Gericht.«
  • »Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.« (von Max Liebermann)
  • »Lasst uns das Leben genießen, solange wir es nicht begreifen.«
  • »Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben.«
  • »Sie dachten, sie seien an der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung.«
  • »Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.« (vgl. hierzu Hans-Georg Gadamer: »Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte«)
  • »Unterschätze nie die Macht dummer Leute die einer Meinung sind.«
  • »Was unterscheidet Geschwister von wilden Indianerstämmen? Wilde Indianer sind entweder auf Kriegspfad oder rauchen Friedenspfeife – Geschwister jedoch können gleichzeitig beides.« (Die korrekte Version lautet: Die Familie weiß alles, mißbilligt es aber grundsätzlich. Andere wilde Indianerstämme leben entweder auf den Kriegsfüßen oder rauchen eine Friedenszigarre: die Familie kann gleichzeitig beides. Aus dem Text »Familie«, in: Die Weltbühne, 12.01.1923, Nr. 2, S. 53)
  • »Wenn Wahlen etwas änderten, wären sie längst verboten.«
    (Wird auch Emmy Goldman zugeschrieben: »If voting changed anything they would make it illegal.«)
  • »Wer nach allen Seiten offen ist, der kann nicht ganz dicht sein.«
  • »Zur Versachlichung der Impfdebatte« – Der Text stammt von Titanic-Autor Cornelius W. M. Oettle (Paul Krieghofer hat das in seinem Projekt Zitatforschung aufgeklärt).

Zum Abschluss noch ein paar Hinweise, wie Sie mit aufgefundenen Zitaten umgehen können:
Sollten Sie auf ein Zitat ohne exakte Quellenangabe stoßen (und exakt meint: Entweder aus einer der Werkausgaben oder mit Angabe der Originalpublikation (also beispielsweise eine Nummer der Weltbühne oder der Vossischen Zeitung o.ä.)), so prüfen Sie nach, ob sie die Phrase beim Projekt Gutenberg oder bei textlog.de finden. Diese beruhen beide wesentlich auf den bereits erfolgten Editionen. Sollten Sie auch dort nicht fündig werden: Lassen Sie die Finger davon. Die Wahrscheinlichkeit, auf ein pointiertes Zitat zu stoßen, das bisher noch nicht aufgefunden und publiziert wurde, ist gering – wenn auch durchaus vorhanden: Tucholsky war ein geradezu besessener Vielschreiber, es ist durchaus möglich, dass es dort Schätze zu heben gibt. Aber, mal unter uns: Wenn jemand einen solchen Schatz hebt: Würde der oder diejenige dann nicht die Quelle angeben? Wenn Sie jedoch ganz sicher gehen wollen, dann konsultieren Sie die Gesamtausgabe, gegebenenfalls in der nächstgelegenen Bibliothek, die sie im Bestand hat.
Eine gute Übersicht geprüfter Zitate findet sich bei Wikiquote.
Tucholsky veröffentlichte sehr viele kurze, pointierte Beiträge als sogenannte »Schnipsel«. Für den Einstieg kann daher eine gezielte Suche bei textlog.de schon einige sehr beeindruckende Ergebnisse bringen. Eine schöne Fundgrube für Tucholsky-Zitate, erschlossen durch einen guten Index, ist im Übrigen auch die von Wolfgang Hering und Hartmut Urban herausgegebene Sammlung »Schnipsel«, die auch zahlreiche Zitate aus längeren Texten enthält.

Steffen Ille

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Tucholsky: Zum Werk

Juden und Radfahrer – Ein angebliches Tucholsky-Zitat

Kurt Tucholsky gilt als einer der meistzitierten deutschen Autoren und viele seiner pointierten Aussagen werden auch heute noch gerne verwendet. Das bestätigt unsere – wenig überraschende – tiefe Überzeugung, dass Tucholsky weiterhin aktuell ist.
Allerdings kursieren auch sehr viele Zitate und Texte, die Tucholsky zugeschrieben werden, jedoch entweder erwiesener Maßen oder aber höchstwahrscheinlich nicht von ihm stammen. Da die höchst verdienstvolle Tucholsky-Gesamtausgabe liegt leider noch nicht digital vor, daher ist es in vielen Fällen nicht ohne weiteres endgültig möglich, den Nachweis zu erbringen, dass ein bestimmtes Zitat eben nicht von Tucholsky stammt.
Bei sudelblog.de gibt es bereits eine Sammlung Zitate, die eher nicht von Kurt Tucholsky stammen, nichtsdestotrotz jedoch unter seinem Namen kursieren. Dies ist zwar einerseits ein sehr schöner Beweis dafür, dass Tucholskys Name auch heute einen guten Klang hat und er offenkundig populär ist, es ist aber andererseits doch die Aufgabe der Kurt Tucholsky-Gesellschaft für die Verbreitung und den Erhalt seines Werkes einzutreten – und dazu gehört dann eben auch, darauf hinzuweisen, wenn sein Name mit Texten in Verbindung gebracht wird, die eben nicht Bestandteil seines Werkes sind.
Aus verständlichen Gründen wird derzeit in den sozialen Medien ein Tucholsky zugeschriebenes Zitat intensiv geteilt. Es lautet:

„Die Juden sind an allem Schuld, meinte einer. Und die Radfahrer… sagte ich. Wieso denn die Radfahrer?, antwortete er verdutzt. Wieso die Juden?, fragte ich zurück.“

Dieses Zitat findet sich auf sehr vielen Seiten und in vielen Beiträgen (z.B. auf der beliebten, jedoch nicht übermäßig zuverlässigen Seite »gutezitate.com«)
In exakt dieser Form lässt es sich nicht mit einem bestimmten Verfasser nachweisen. Jacques Schuster erwähnt es in der Rezension des Buches »An allem sind die Juden und die Radfahrer schuld« (von Avi Primor und Christiane von Korff) als alten Witz – ohne exakten Verfasser und das könnte durchaus so sein.
In Erich Maria Remarques Roman »Der schwarze Obelisk«, der in der Zwischenkriegszeit spielt und 1956 erschien, findet sich zudem eine Passage, die ganz ähnlich klingt:

»Da sehen sie es«, sagt Heinrich bitter zu Riesenfeld. »Dadurch haben wir den Krieg verloren: Durch die Schlamperei der Intellektuellen und durch die Juden.«
»Und die Radfahrer.« ergänzt Riesenfeld.
»Wieso die Radfahrer?« fragt Heinrich erstaunt.
»Wieso die Juden?« fragt Riesenfeld zurück.


Es gibt viele Forschungsdesiderate und so ist es durchaus nicht auszuschließen, dass hier eine Referenz auf Tucholsky vorliegt, die bisher unbekannt ist. Sehr wahrscheinlich ist dies jedoch nicht. Wenn also nicht Remarque selbst der Urheber ist, so dürfte es wohl eher eines der zahlreichen »Verfasser unbekannt«-Bonmots sein.
Sollte jedoch wider Erwarten jemand einen Nachweis dafür erbringen können, dass es sich tatsächlich um ein Tucholsky-Zitat handelt (und Nachweis meint hier: Mit exakter bibliographischer Angabe der Originalpublikation), so erhält der oder diejenige ein Exemplar unserer Tucholsky-Anthologie »Die Zeit schreit nach Satire« und eine Jahresmitgliedschaft in der Kurt Tucholsky-Gesellschaft.
Zum Abschluss noch ein paar Hinweise, wie Sie mit aufgefundenen Zitaten umgehen können:
Sollten Sie auf ein Zitat ohne exakte Quellenangabe stoßen (und exakt meint: Entweder aus einer der Werkausgaben oder mit Angabe der Originalpublikation (also beispielsweise eine Nummer der Weltbühne oder der Vossischen Zeitung o.ä.)), so prüfen Sie nach, ob sie die Phrase beim Projekt Gutenberg oder bei textlog.de finden. Diese beruhen beide wesentlich auf den bereits erfolgten Editionen. Sollten Sie auch dort nicht fündig werden: Lassen Sie die Finger davon. Die Wahrscheinlichkeit, auf ein pointiertes Zitat zu stoßen, dass bisher noch nicht aufgefunden und publiziert wurde, ist gering – wenn auch durchaus vorhanden: Tucholsky war ein geradezu besessener Vielschreiber, es ist durchaus möglich, dass es dort Schätze zu heben gibt. Aber, mal unter uns: Wenn jemand einen solchen Schatz hebt: Würde der oder diejenige dann nicht die Quelle angeben? Wenn Sie jedoch ganz sicher gehen wollen, dann konsultieren Sie die Gesamtausgabe, gegebenenfalls in der nächstgelegenen Bibliothek, die sie im Bestand hat.

Steffen Ille

NACHTRAG (16.3.2016):
Ergänzend zu den oben genannten Punkten seien hier noch weitere Befunde von Friedhelm Greis angefügt:
Im Werk Tucholskys findet der »Dialog« nicht, aber der Vergleich Juden/Radfahrer in der Frage der Kriegsschuld etc. ist ein häufiger Topos in seinen Texten.

Beispielsweise in folgendem Gedicht:
Ludendorff oder Der Verfolgungswahn
Hast du Angst, Erich? Bist du bange, Erich?
Klopft dein Herz, Erich? Läufst du weg?
Wolln die Maurer, Erich – und die Jesuiten, Erich,
dich erdolchen, Erich – welch ein Schreck!
Diese Juden werden immer rüder.
Alles Unheil ist das Werk der … … Brüder.
Denn die Jesuiten, Erich – und die Maurer, Erich –
und die Radfahrer – die sind schuld
an der Marne, Erich – und am Dolchstoß, Erich –
ohne die gäbs keinen Welttumult.
(…)
Theobald Tiger, WB 6.11.1928
oder in:
‹Kulissen›
Es ist ein Jammer, daß es keinen rechtschaffenen Teufel mehr gibt. Jetzt behilft man sich da mit den Welschen, mit den Juden, mit den Radfahrern, mit dem Vertrag von Versailles … aber das Richtige ist das alles nicht. Immerhin muß einer da sein, der schuld ist. Gehts gut, dann haben wir es herrlich weit gebracht – gehts aber schief, dann wirft der Fachmann wilde Blicke um sich und sucht den Teufel. (…)
Peter Panter, WB 14.6.1932
und auch in:
Sigilla Veri
Nun aber ist, um diesen Wissenslücken abzuhelfen, gegen die Radfahrer [=Juden F.G.] endlich das große und schöne Werk erschienen, dessen wir so lange entraten haben:
Ignaz Wrobel, WB 29.9.1931
„Radfahrer“ ist bei Tucholsky zudem eine Art Synonym für den typischen deutschen Untertan: „Allerdings: nicht zu diesem Deutschen da. Nicht zu dem Burschen, der untertänig und respektvoll nach oben himmelt und niederträchtig und geschwollen nach unten tritt, der Radfahrer des lieben Gottes, eine entartete species der gens humana.“
aus der „Der Untertan“, Ignaz Wrobel, WB 20.3.1919
Allerdings war dieser Vergleich in der Weimarer Republik auch bei anderen Weltbühne-Autoren üblich:
So findet man bei Hanns-Erich Kaminski:
„Alle Frankfurter sind also goldige Krätscher. Im übrigen zerfallen sie in Juden und Radfahrer.“
bei Willy Küsters:
„Dass die Franzosen am deutschen Geburtenrückgang schuld sind, ist selbstverständlich — woran sind sie nicht schuld, sie, die Juden und die Radfahrer!“
in einer Ludendorff-Satire:
„Unterstellen wir einfach als gegeben: die Juden oder die Radfahrer haben Deutschland erst auf das Kriegsvehikel gesetzt und dann Glasscherben auf die Strasse gestreut, damit seinem Pneumatik die Luft ausgehe und Champion Ludendorff als letzter Sieger ans Ziel komme. Gut also: die Juden sind daran schuld, oder die Radfahrer. „