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Rundbrief August 2018

Rundbrief August 2018

Liebe Mitglieder und Freunde der Kurt Tucholsky-Gesellschaft,
der neue Rundbrief August 2018 ist erschienen. Sie können ihn (ohne Vereinsinterna) als pdf herunterladen [ca  MB].

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Darmstädter Signal: Kurt Tucholsky postum zum Ehrenmitglied ernannt

Der Arbeitskreis Darmstädter Signal hat Kurt Tucholsky posthum zu seinem Ehrenmitglied ernannt. Die Initiative dazu ging aus von unserem KTG-Mitglied Jürgen Rose, der zugleich auch im Vorstand des Darmstädter Signals sitzt.
Das Darmstädter Signal, gegründet 1983 von kritischen Führungskräften der Bundeswehr, wandte sich gegen die Nachrüstung, unterstützt die Friedensbewegung und fordert die Umsetzung des „Leitbilds vom Staatsbürger in Uniform“ in der Bundeswehr sowie die strikte Bindung des Auftrags der Bundeswehr an Moral und nationales sowie internationales Recht. Bis heute ist das Darmstädter Signal das einzige kritische Sprachrohr von Bundeswehrführungskräften und deren Angehörigen.
Auf der diesjährigen Tagung des DS am 08.04.2018 in Königswinter übergab der Vorsitzende Florian Kling die Ernennungsurkunde an unseren KTG-Vorsitzenden Ian King.
Der „Festakt“ vor 40 Teilnehmern mit Vorträgen von Jürgen Rose und Ian King machte deutlich, dass Kurt Tucholsky beim Darmstädter Signal gut aufgehoben ist.
KT kannte die Reichswehr aus allen Blick- und Erfahrungswinkeln, denn er legte im 1. Weltkrieg eine erstaunliche Karriere hin vom Armierungssoldaten im Stellungskampf an der Ostfront über den Kompanieschreiber an der Fliegerschule in Alt-Autz bis zum Feldpolizeikommissar in Rumänien. Das entspricht immerhin dem Rang eines Hauptmanns.
Direkt nach dem 1. Weltkrieg entwickelte sich Tucholsky insbesondere mit seinen „Militaria-Artikeln“ in der Weltbühne zu einem der fundiertesten Militärkritiker im linksliberalen, demokratischen und republikanischen Spektrum. Später wandelte sich Tucholsky vom Militärkritiker zu einem radikalen Pazifisten und konsequenten Militärgegner, der sich für Kriegsdienstverweigerung aussprach und mit dem Satz „Soldaten sind Mörder“ ein hartes aber treffendes Urteil über den Soldatenberuf fällte.
In seinem Einführungsvortrag verglich Jürgen Rose die Militärkritik Tucholskys mit dem Konzept der „Staatsbürgers in Uniform“ des Wolf Graf von Baudissin, das er im Jahr 1950 Im Auftrag der Bundesregierung zur Umsetzung der „inneren Führung“ in der noch zu gründenden Bundeswehr      ausgearbeitet hat. Die Gemeinsamkeiten sowohl in der Kritik am soldatischen Korpsgeist als auch bei Lösungsvorschlägen für eine Demokratisierung der Streitkräfte bis hin zu einer fast gleichen Wortwahl in manchen Punkten sind verblüffend. Hätte Kurt Tucholsky das gewusst, wäre sein Urteil „Erfolgreich, aber keinerlei Wirkung“ etwas versöhnlicher ausgefallen. Vielleicht sitzt Kurt „Nachher“ auf seiner Wolke und schmunzelt.
Baudissin beantwortet die zentrale Fragestellung der inneren Führung mit dem Konzept der „Entmilitarisierung des soldatischen Selbstverständnisses“. Seine Forderungen beziehen sich auf die innerorganisatorische, die binnengesellschaftliche und internationale Perspektive der soldatischen Berufsausübung. Eine „Zivilisierung des Militärs“ ist nach Baudissin erreicht, wenn Streitkräfte menschrechtskompatibel, demokratiekompatibel und friedenskompatibel sind.
Der elitäre Korpsgeist, der sowohl in der Reichswehr als auch in Wehrmacht herrschte, müsse überwunden werden. Die Demokratie dürfe „nicht am Kasernentor aufhören“. Baudissin knüpfte die Existenzberechtigung des Militärs an eine strikt defensive Ausrichtung der Streitkräfte zur Verteidigung von Demokratie und Freiheitsrechten und konzipierte die Bundeswehr in enger Einbindung in eine noch zu schaffende europäische Sicherheitsarchitektur.
Jürgen Rose verglich nun in seinem Vortrag die Ideen und Vorstellungen Baudissins für eine „demokratische Bundeswehr“ mit der von Kurt Tucholsky geäußerten Kritik und Änderungsvorschlägen für die Reichswehr in der Weimarer Republik ab. Dabei klopfte er die einschlägigen Aussagen Tucholskys mit Bezug auf die innerorganisatorische, die binnengesellschaftliche sowie die internationale Dimension von Streitkräften daraufhin ab, inwieweit sie zur Verbesserung der Menschenrechtskompatibilität, der Demokratiekompatibilität sowie der Friedenskompatibilität der Streitkräfte beitragen können. Jürgen Roses Ergebnisse des Vergleichs sollen hier kurz – aber hoffentlich nicht verkürzt skizziert werden.
Mit Bezug auf die innerorganisatorische Dimension rechnete Tucholsky in der 1919 in der Weltbühne erschienene „Militaria“-Reihe mit den deutschen Offizierskorps ab. Er verweist dabei auf die sadistische Schinderei von Untergebenen, die unumschränkte Macht der Vorgesetzten, deren „nerohafte Neigungen“ sowie die grassierende Korruption und attestierte dem wilhelminischen Offizierskorps den totalen moralischen Bankrott. „Der deutsche Offizier hat in sittlicher Beziehung im Kriege versagt. Der Geist des deutschen Offizierskorps war schlecht.“
Für eine zukünftige Truppe verlangte Tucholsky, dass deren Soldaten das Recht haben müssten als Menschen und nicht als Kerls behandelt zu werden. Für Tucholsky war daher klar, dass die Armeeangehörigen untereinander ungeachtet ihres Dienstgrades allesamt als Kameraden zu gelten hätten „Der Offizier sei ein befehlender Kamerad.“ Die Nähe zu Baudissins Konzept der „inneren Führung“ ist offensichtlich.
Mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Dimension der Streitkräfte forderte Tucholsky kurz nach dem Kapp-Putsch die Auflösung der Reichswehr und deren Umwandlung „in eine zuverlässige Volksmiliz“. Einer solchen Freiwilligenarmee gestand auch der spätere Pazifist Tucholsky noch das Recht für militärische Aktivitäten zu. Schon kurz nach dem 1. Weltkrieg urteilte Tucholsky aber grundsätzlich: „Eine Armee … ist – im besten Fall – ein notwendiges Übel und eine üble Notwendigkeit“
Nach Tucholskys Ansicht dürfe die neue Reichswehr nicht unpolitisch sein. Im Gegenteil sie müsse durch und durch politisch, ja sogar definitiv republikanisch sein. Damit ist Tucholsky in seiner Haltung, so urteilt Jürgen Rose, weitaus radikaler als Wolf Graf von Baudissin, der mehr als 30 Jahre später lediglich eine „Entmilitarisierung des soldatischen Selbstverständnisses“ fordert.
Auch in Bezug auf die internationale Dimension vertraten Tucholsky wie Baudissin eine europäisch-supranationale Sicht, Tucholsky schloss dabei aber bereits Militäreinsätze aus. Während Baudissin, so Jürgen Rose in seinem Vortrag, eine explizit nicht national, sondern „übernational“ strukturierte integrierte europäische Armee zum Zwecke kollektiver Verteidigung forderte, setzte Tucholsky  – als dieser sich bereits in seiner pazifistischen Phase Ende der 20ger Jahre befand – auf eine europäische Friedenspolitik ohne Einsatz des Militärs. „Der europäische Friede steht über den niederen Interessen der Vaterländer. … Wir halten den Krieg der Nationalstaaten für ein Verbrechen, und wir bekämpfen ihn, wo wir können, wann wir können, mit welchen Mitteln wir können. Wir sind Landesverräter. Aber wir verraten einen Staat, den wir verneinen, zugunsten eines Landes, das wir lieben, für den Frieden und für unser wirkliches Vaterland: Europa“ zitiert Jürgen Rose Tucholsky.
Abschließend versuchte Jürgen Rose eine Antwort auf die Frage zu geben, was von den Forderungen, Vorschlägen, Appellen, Mahnungen der beiden Militärkritiker und -reformer heutzutage als verwirklicht gelten darf. Seine Antwort: „Einiges ja, vieles nicht und insgesamt zu wenig.“ Er beklagt insbesondere den dreifachen Sündenfall gegen die Idee einer Friedenarmee nämlich 1999 bei der Beteiligung Deutschlands am Luftkrieg gegen Jugoslawien, erneut 2001 im Zuge der Invasion  in Afghanistan sowie 2003, als die Bundeswehr das völkerrechtliche nicht gedeckte Vorgehen der USA und ihrer Alliierten gegen den Irak unterstützte.
Ein weiteres gravierendes Manko, so Jürgen Rose, betreffe die bis jetzt ungenutzte Chance zur inneren Demokratisierung der Bundeswehr.
Am Ende seiner Analyse stellt Jürgen Rose fest, „dass Tucholsky zwar richtungsweisende und partiell durchaus revolutionäre Ideen und Vorschläge zu einer Militärreform zu liefern vermochte, diesbezüglich indes nie eine konsistente und umfassende Konzeption vorgelegt hat. Tuchos Denkansätze spiegeln sich nach Meinung von Jürgen Rose in der späteren Militärreform Baudissins wider, auch wenn sich in dessen Schriften keine Hinweise hierfür nachweisen lassen – der Name Kurt Tucholskys taucht jedenfalls in Baudissins umfänglichen Schriftensammlungen … nicht auf.“
Nach dem Vergleich von Tucholskys Militärkritik der frühen 20er Jahre mit Baudissins Konzept der „inneren Führung“ durch Jürgen Rose nahm Ian King in seiner „Laudatio“ den Pazifisten Tucholsky in den Blick und ging dabei auch auf den Kontext und Entstehungsgeschichte des bekannten Tucholsky-Zitates „Soldaten sind Mörder!“ sowie dessen Rezeption in den späten 80er und 90er Jahren in der Bundesrepublik ein.
Zuerst bedankte sich Ian King für den Mut des Darmstädter Signals, Kurt Tucholsky zum Ehrenmitglied zu ernennen. Würde dieser doch sehr häufig mit seinem Ausspruch „Soldaten sind Mörder“ identifiziert und als „Beleidiger der Soldatenehre“ verunglimpft, ohne Beachtung des Kontextes des Artikels, aus dem dieses Zitat stammt.
Ian King zitiert einen längeren Auszug aus „Der bewachte Kriegsschauplatz“ in dem das angeführte Zitat die letzte Schlussfolgerung ist. Der Artikel ist Ausfluss der Erfahrungen Tucholskys in seiner Dienstzeit als Militärpolizist unweit der rumänische-serbischen Grenze. Er war dort u.a. für die Aufgabe der Bewachung des Kriegsschauplatzes eingesetzt. Natürlich wusste Tucholsky als Jurist, dass der Begriff „Mörder“ niedrige Beweggründe voraussetzt. Juristisch genauer wäre der Begriff „Totschlag“ gewesen. Doch Ian King gibt mit seinem trockenen schottischen Humor zu bedenken, dass es einem Journalisten auf politische Wirkung ankommt und „Soldaten sind Totschläger“ sich nicht so effektiv angehört hätte. Übrigens wurde der Herausgeber der Weltbühne Carl von Ossietzky, der für den sich bereits in Schweden befindenden Tucholsky juristisch den Kopf hinhalten musste, 1931 in einem aufsehenerregenden Prozess von dem Vorwurf der „Beleidigung der Reichswehr“ wegen „Soldaten sind Mörder“ freigesprochen.
Die juristische Auseinandersetzung mit dem Tucholsky-Zitat in der Bundesrepublik begann im Jahr 1984, als Peter Augst, ein Mitglied der Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges, in einem Streitgespräch mit dem Bundeswehrhauptmann Klaus Peter Witt Soldaten als potenzielle Mörder bezeichnete. Der  Streit, in dem der Minister Stoltenberg als Nebenkläger auftrat und in den sich auch Weizsäcker als Verteidiger der beleidigten Soldatenehre einmischte, endete erst nach drei Jahren mit dem Sieg der Meinungsfreiheit und einem Freispruch von Augst durch das Bundesverfassungsgericht.
Ian King wies dann darauf hin, dass auf dem Höhepunkt der aufgeheizten Diskussion über das „Soldatenurteil“ sich Mitglieder des Darmstädter Signals mit einem Aufruf zur Mäßigung in die Diskussion eingeschaltet hätten. Die freie Meinungsäußerung sei wichtig, der Status von Soldaten als potenzielle Mörder sei angesichts der Strategie der atomaren Abschreckung gegeben, der Staatsbürger in Uniform brauche keinen Ehrenschutz. Für einige Unterzeichner dieser Stellungnahme zog dies empfindliche Disziplinarmaßnahmen – bis hin zur Degradierung – nach sich, die erst viele Jahre später wieder rückgängig gemacht werden mussten. Das alles könne man, so Ian King, in der im Ch. Links-Verlag erschienenen Dokumentation von Michael Hepp und Viktor Otto nachlesen.
Nach diesem Exkurs schildert Ian King die Wandlung Kurt Tucholskys vom Militärkritiker, der auf eine geistige und republikanische Erneuerung der Reichswehr setze, hin zum radikalen Pazifisten, dem Mitgründer des Friedensbunds der Kriegsteilnehmer. Als Tucholskys Mitarbeit an den Massendemonstrationen der Nie-wieder-Krieg-Bewegung nicht zu einem Meinungsumschwung im deutschen Bürgertum führte, habe er 1925 bekümmert geschrieben, Europa befinde sich wie 1900 zwischen zwei Kriegen. Er prophezeite Deutschland würde eine noch schlimmere Niederlage erleiden als 1918. Im Lichte dieser Ahnungen habe Tucholsky jede Hoffnung auf demokratische Reformen der Armee aufgegeben. Darum habe er die These vertreten, dass das einzige Mittel, neue Kriege zu verhindern, darin bestehe, den Militärdienst zu verweigern.  „Dieser Landesverrat kann eine Notwendigkeit sein, um etwas Großes und Wichtiges abzuwehren: den Landfriedensbruch in Europa. Der europäische Friede steht über den niederen Interessen der Vaterländer.“
Für Ian King steht die Idee, die Bundeswehr sei eine Friedensarmee, im krassen Gegensatz zu ihrem Einsatz am Hindukusch. Er stellt die rhetorische Frage, ob solche Einsätze den Frieden auf den Straßen von London, Berlin, Madrid oder Paris garantiert hätten. Nach Ansicht von Ian King hätte Tucholsky den Bundeswehrsoldaten geraten, niemals Mörder zu werden, sondern höchstens als eine Art Feuerwehr gegen einen Großbrand zu dienen, der hoffentlich nie ausbricht. Das sei Tucholskys Vermächtnis und darum passe der Friedenssoldat Tucholsky in die Reihen der kritischen Soldaten vom Darmstädter Signal.

Robert Färber

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Krieg dem Kriege

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft Sektion Ruhrgebiet bot an zwei Abenden (am 15. März in Herne und am 16. März 2018 in Duisburg) zusammen mit der Volkshochschule Herne, der Erich-Fried-Gesamtschule Herne und der Bürgerstiftung Duisburg ein Tucholsky-Programm der besonderen Art. Nach „Tucholsky als Humorist“ (2016) und „Tucholsky und andere Geflüchtete“ (2017) war es die dritte Veranstaltung der Veranstaltergemeinschaft. Sie stand unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ und war Thema der 39. Duisburger Akzente.
„Wir fangen erst an, wenn mehr Zuhörer als Mitwirkende anwesend sind.“ vertröstete der Moderator die erst wenigen Gäste. Die Mitwirkenden dieser Abende waren 31 Schülerinnen und Schüler des vokalpraktischen Kurses der Erich-Fried-Gesamtschule in Herne unter der Leitung von Katrin Block. Die Sorge des Moderators war unbegründet: Sowohl in Herne als auch in Duisburg kamen jeweils 70-80 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer. Sie erlebten ein Ensemble von jungen Leuten, das das schwierige Thema „Krieg dem Kriege“ souverän interpretierte. Mit einigen Tucholsky-Gedichten – zum Beispiel „der Graben“, „Rote Melodie“, „Krieg dem Kriege“ – boten sie ein schauspielerisch und gesanglich außergewöhnliches Programm. Einige Gäste kämpften mit ihren Tränen, alle waren berührt. Das Programm endete mit Tucholskys „Lied vom Kompromiss“.
Die Bürgerstiftung Duisburg berichtete anschließend über ihre Erfahrungen mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen, die aus Kriegsgebieten geflohen waren. Zwei 14-jährige Jugendliche übermittelten eine Audiobotschaft mit eindringlichen, mahnenden Gedichten.
Mit der damals wie heute umstrittenen Aussage Tucholskys „Soldaten sind Mörder“ ging Dr. Ian King Tucholskys Karriere durch, als Journalist, Satiriker, Soldat, Militärpolizist und Friedenskämpfer, der die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich anstrebte. Die von antidemokratischem Geist verdorbene Reichswehr schien Tucholsky eher Kriegs- als Friedensgarant. Also trat er für die Dienstverweigerung als einziges Mittel ein, um einen noch blutigeren Konflikt zu verhindern. Damals setzten sich seine Nazi-Gegner durch, die Menschheit zahlte die Zeche. Lehre: Nie wieder Krieg!

Klaus Becker

Das Programm für 2019 wird vorbereitet. Foto: Klaus Becker

Das Programm für 2019 wird vorbereitet. Foto: Klaus Becker

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Presseschau Publikationen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft Rundbrief August 2018 Rundbriefe Tucholsky im Spiegel

Tucholsky im Spiegel [August 2018]

Das Badische Tageblatt weist in der Ausgabe vom 28. Februar 2018 seine Leserschaft auf eine Veranstaltung am 9. März 2018 im Rastatter Kellertheater mit dem 80jährigen Schauspieler Klaus Winterhoff aus eben dieser Stadt hin, der Gedichte und Prosatexte von Kurt Tucholsky präsentiert. Die Zeitung belässt es aber nicht nur bei diesem Hinweis, sondern gibt im weiteren Text das Leben von Kurt Tucholsky wieder.
Unter anderem heißt es:

Seine polemische Feder mit Hohn, Spott und Boshaftigkeit zeigt den Mut und die Hartnäckigkeit eines engagierten Moralisten. Daneben gibt es aber auch den humorigen Feuilletonisten, den Autor heiterer Plaudereien, den Bänkelsänger Kurt Tucholsky.

In der Ausgabe vom 12. März 2018 berichtet die Zeitung dann ausführlich über die Veranstaltung. Nur ein Auszug:

Eine Stecknadel hätte man oft fallen hören, so gefesselt von den ausdrucksstark und mit großer sprachlicher Klarheit vorgetragenen Texten waren die Zuschauer. Neben vielen guten Gründen zu applaudieren gab es für sie auch viel zum Lachen, zum Beispiel bei dem Gedicht „Einigkeit und Recht und Freiheit“, dass nach Ansicht des Verfassers viele falsch verstehen und für das er daher den Refrain geschrieben hat: „Doof ist doof, da helfen keine Pillen!“

In dem Programmblatt zu dieser Veranstaltung, welches die Titel der 42 (!!) vorgetragenen Tucholskytexte enthält, ist noch ein Originalleserbrief von 1964 abgedruckt, der unserer Mitgliedschaft als historisches Zeitzeugnis nicht vorenthalten werden soll:

Brief von Prof. Dr. Adalbert Hermann* aus Kaiserslautern, vormals NSDAP, danach bis 1966 CDU-Abgeordneter, danach NPD-Abgeordneter an die Buchhandlung Schmidt:
Kaiserslautern, den 31. März 1964
Sehr geehrter Inhaber der Buchhandlung Schmidt!
Sie halten es für richtig an bevorzugter Stelle in Ihrer Auslage das Machwerk des Kurt Tucholsky „Deutschland, Deutschland über alles“ auszustellen und zu propagieren.
Ich nehme an, daß Sie wissen wer Tucholsky war. Er war Mitarbeiter der probolschewistischen „Weltbühne“ und fanatischer Anhänger eines sowjetischen Deutschland. Wenn Leute wie Tucholsky gesiegt hätten, dann hätten wir heute Zustände der Stacheldrahtzone des Ulbricht.
Ich habe, da ich in Kaiserslautern beschäftigt bin, im letzten Jahr verschiedentlich Bücher bei Ihnen gekauft. Ich werde das natürlich nicht mehr tun.
Kommen Sie mir bitte nicht mit Geistesfreiheit, Besudelung des eigenen Volkes und Nestbeschmutzung ist k e i n e Geistesfreiheit!
Unterschrift
*Name aus rechtlichen Gründen geändert

Die Zeit widmet in ihrer Ausgabe vom 15. März 2018 der Weltbühne anlässlich ihres ersten Erscheinens am 4. April 1918 eine ganze Seite (S. 21) unter dem fettgedruckten Originalschriftzug „Die Weltbühne. Republikaner ohne Republik“ und dem Untertitel „Weimars legendäre Wochenschrift wird hundert: Die „Weltbühne“ deckte auf, eckte an und wagte mehr Demokratie als vielen recht war. Bis heute scheiden sich an ihr die Geister.“
Der Autor, Alexander Gallus, lehrt Ideen- und Zeitgeschichte an der Technischen Universität Chemnitz und veröffentlichte 2012 im Wallstein Verlag sein Buch „Heimat Weltbühne“.
Es muss nicht betont werden, dass selbstverständlich Tucholsky mehrfach erwähnt und zitiert wird. Die Seite endet mit drei Fotos von Tucholsky, Ossietzky und Jacobsohn, jeweils versehen mit einer kurzen Charakterisierung, und einem Originaltitelblatt der Weltbühne.
Zu dem bekannten Foto „Tucholsky mit Pfeife und weißem Oberhemd“ heißt es:

Kurt Tucholsky (1890-1935) schreibt von 1913 an für die „Weltbühne“. Mit seinen scharfen Satiren wird er rasch zu ihrem bekanntesten Autor.“

Der Artikel endet wie folgt:

„Jungen Schriftstellern von heute“ wünschte Axel Eggebrecht noch Ende der siebziger Jahre eine vergleichbare „geistige Heimat“, doch schwant ihm, dass es eine solche Heimat nicht mehr gibt. So viel Wehmut hier anklingt: die Weimarer Weltbühne bleibt 100 Jahre nach ihrer Gründung mehr als ein Sehnsuchtsort. Denn nicht nur gibt es seit 1997 in Kleinstauflagen zwei Nachfolger, die ihren Geist wiederzubeleben versuchen – die linken Zweiwochenschriften Ossietzky und Das Blättchen.
Die Weltbühne hat auch an Kraft und Ausstrahlung nicht verloren. Bis heute müssen sich die kritische Intervention, die investigative Reportage und der ironische Spott an ihr messen lassen.

Anne Fromm befasst sich in der taz vom 23. April 2018 auf Seite 17 mit Oliver Welke und seiner freitagabends im ZDF ausgestrahlten „heute Show“ und beginnt wie folgt:

„Satire, heißt es ja immer mit Verweis auf Kurt Tucholsky, dürfe alles. „Die echte Satire ist blutreinigend“, schrieb Tucholsky 1919. „und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.“ Das scheint für ZDF-Zuschauer allerdings nur so lange zu gelten, wie sich die Satire vom Heiligsten, nämlich dem Christentum fernhält.

Anlass für ihren Kommentar war die Tatsache, dass in der „heute Show“ ein gekreuzigter Osterhase, aufgehängt an seinen langen Plüschohren, gezeigt worden war. Damit sollte die vermeintliche Affäre um Schokoladenhasen, die bei Karstadt als „Traditionshasen“ gekennzeichnet waren, persifliert werden.
Diesen Beitrag hatten die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach, gerade zur Vorsitzenden einer neugegründeten AFD-nahen Stiftung gekürt, und einige AfD-Mitglieder in der Form skandalisiert, dass sie in dem Titel „Traditionshase“, eine Bezeichnung, die das Unternehmen Lindt seit jeher verwendet, als Unterwerfung unter den Islam bezeichneten.
Wie die Staatsanwaltschaft vier Strafanzeigen gegen die „heute Show“ wegen unzulässiger Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen beschieden hat, ist leider nicht bekannt.**

Bernd Brüntrup, mit Dank an Gerhard Stöcklin.

Wie immer können alle vollständigen Texte bei der Geschäftsstelle abgerufen werden

**Nachtrag: Die Staatsanwaltschaft Mainz hat zwischenzeitlich entschieden, kein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wie u.a. der Tagesspiegel berichtet.