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Originaltexte Tucholsky: Zum Werk

Peter Panter: Schnipsel

Kaufen, was einem die Kartelle vorwerfen; lesen, was einem die Zensoren erlauben; glauben, was einem Kirche und Partei gebieten. Beinkleider werden zur Zeit mittelweit getragen. Freiheit gar nicht.

*
   Manchmal sieht man Freunde wieder, die es zu etwas gebracht haben. Neid? Nein. Aber wenn man lange nachgedacht hat, warum sie einem so fremd und so unsympathisch geworden sind, so dürfte es wohl dieses sein: ihre süßliche Erfolgschnauze.
*
   Zitate:
Genießt der Jüngling ein Vergnügen,
so sei er dankbar und verschwiegen –
ist nicht von Wilhelm Busch.
Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen
steht nicht in Lessings Nathan.
Die Staatsgewalt geht vom Volke aus …
das steht allerdings in der Reichsverfassung.
*
   Der elektrische Stuhl geht auf eine Anregung Edisons zurück. Wie alles, was in Amerika geschieht, war auch dieses eine etwas schmierige Konkurrenzgeschichte zwischen zwei Gesellschaften. Aber vorgeahnt hat diese Strafe, wie so oft, das deutsche Gemüt. In Webers Demokritos, der in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts erschienen ist, heißt es im Kapitel ›Die Juristen und Advokaten‹:
„Die so schrecklich mißbrauchte Guillotine war eigentlich eine Erfindung der Humanität, da aber die galvanischen Versuche beweisen, daß der Kopf, den die Maschine abschlägt, noch so lange empfindet … , wie wäre es, wenn man sich an die beliebte Elektrizität hielte? Eine Statue der Gerechtigkeit, die ihr Schwert als Konduktor einer geladenen Batterie von dreißig Leydner Flaschen herabsenkte auf den Missetäter, der kaum berührt tot hinstürzte, wie vom rächenden Blitze des Himmels, wäre die humanste Todesart, und für die Zuschauer dennoch vielleicht das größte Abschreckungsmittel.“
Befehl ausgeführt.
*
   Es muß immerhin darauf hingewiesen werden, daß Ilja Ehrenburg der einzige Schriftsteller gewesen ist, der in den ›Heiligsten Gütern‹ (erschienen im MalikVerlag in Berlin) auf Herrn Ivar Kreuger vor dem Krach mit Fingern gezeigt hat. Die Finanzkenner waren entsetzt und zuckten die Achseln, soweit sie lesen konnten. „Was weiß denn dieser Literat davon!“ Man soll immer wieder auf die Torheit, die Kurzsichtigkeit, die Instinktlosigkeit und die bodenlose Ignoranz dieser Größen hinweisen. Die Dummheit der Menschen manifestierte sich früher im Militär, heute in den Wirtschaftsführern.
*
   Ein Künstler braucht keinen Erfolg zu haben. Aber ein Zahnarzt, der nicht von Schmerzen befreit; ein General, der dauernd Prügel bekommt, und ein Wirtschaftskapitän, der nicht weiß, wo Gott wohnt –: diese drei dürften nicht ganz das Richtige sein.
*
   Der Arbeiter haßt den Unternehmer lange nicht so wie der Unternehmer den Arbeiter haßt, fürchtet, verabscheut und in die tiefste Hölle wünscht. Man vergelte ihm das.
*
   Wenn Ivar Kreuger Jude gewesen wäre … oder wenn Ivar Kreuger ein kleiner Buchhalter gewesen wäre …
Er war aber nur ein konsequenter Vertreter des kapitalistischen Systems.
*
   Eine Geschichte? Dies ist eine schöne Geschichte.
Ein amerikanischer Milliardär – meine Geschichten spielen alle in vornehmer Gesellschaft – ein amerikanischer Milliardär wurde einst von einem Freunde gefragt: „Wie machen Sie das, Herr Moneymaker: auf jedem Ihrer Empfänge werden Ihnen Hunderte von Leuten vorgestellt, Menschen, die Sie nie vorher gesehn haben. Alle aber unterhalten sich mit Ihnen auf das trefflichste. Wie machen Sie das nur?“ – „Ich habe mir da eine Methode ausgedacht“, sagte der Milliardär. „Ich frage jeden Menschen, der mir vorgestellt wird: Was macht Ihr Leiden -?“


Autorenangabe: Peter Panter
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 06.09.1932, Nr. 36, S. 358.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 15. Texte 1932 und zu Lebzeiten Ungedrucktes (noch nicht erschienen)
Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 10, S. 110 ff.

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Ignaz Wrobel: Der bewachte Kriegsschauplatz

Im nächsten letzten Krieg wird das ja anders sein … Aber der vorige Kriegsschauplatz war polizeilich abgesperrt, das vergißt man so häufig. Nämlich:
Hinter dem Gewirr der Ackergräben, in denen die Arbeiter und Angestellten sich abschossen, während ihre Chefs daran gut verdienten, stand und ritt ununterbrochen, auf allen Kriegsschauplätzen, eine Kette von Feldgendarmen. Sehr beliebt sind die Herren nicht gewesen; vorn waren sie nicht zu sehen, und hinten taten sie sich dicke. Der Soldat mochte sie nicht; sie erinnerten ihn an jenen bürgerlichen Drill, den er in falscher Hoffnung gegen den militärischen eingetauscht hatte.
Die Feldgendarmen sperrten den Kriegsschauplatz nicht nur von hinten nach vorn ab, das wäre ja noch verständlich gewesen; sie paßten keineswegs nur auf, daß niemand von den Zivilisten in einen Tod lief, der nicht für sie bestimmt war. Der Kriegsschauplatz war auch von vorn nach hinten abgesperrt.
„Von welchem Truppenteil sind Sie?“ fragte der Gendarm, wenn er auf einen einzelnen Soldaten stieß, der versprengt war. „Sie“, sagte er. Sonst war der Soldat ›du‹ und in der Menge ›ihr‹ – hier aber verwandelte er sich plötzlich in ein steuerzahlendes Subjekt, das der bürgerlichen Obrigkeit untertan war. Der Feldgendarm wachte darüber, daß vorn richtig gestorben wurde.
Für viele war das gar nicht nötig. Die Hammel trappelten mit der Herde mit, meist wußten sie gar keine Wege und Möglichkeiten, um nach hinten zu kommen, und was hätten sie da auch tun sollen! Sie wären ja doch geklappt worden, und dann: Untersuchungshaft, Kriegsgericht, Zuchthaus, oder, das schlimmste von allem: Strafkompanie. In diesen deutschen Strafkompanien sind Grausamkeiten vorgekommen, deren Schilderung, spielten sie in der französischen Fremdenlegion, gut und gern einen ganzen Verlag ernähren könnte. Manche Nationen jagten ihre Zwangsabonnenten auch mit den Maschinengewehren in die Maschinengewehre.
So kämpften sie.
Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.
Es ist ungemein bezeichnend, daß sich neulich ein sicherlich anständig empfindender protestantischer Geistlicher gegen den Vorwurf gewehrt hat, die Soldaten Mörder genannt zu haben, denn in seinen Kreisen gilt das als Vorwurf. Und die Hetze gegen den Professor Gumbel fußt darauf, daß er einmal die Abdeckerei des Krieges „das Feld der Unehre“ genannt hat. Ich weiß nicht, ob die randalierenden Studenten in Heidelberg lesen können. Wenn ja: vielleicht bemühen sie sich einmal in eine ihrer Bibliotheken und schlagen dort jene Exhortatio Benedikts XV. nach, der den Krieg „ein entehrendes Gemetzel“ genannt hat und das mitten im Kriege! Die Exhortatio ist in dieser Nummer nachzulesen.
Die Gendarmen aller Länder hätten und haben Deserteure niedergeschossen. Sie mordeten also, weil einer sich weigerte, weiterhin zu morden. Und sperrten den Kriegsschauplatz ab, denn Ordnung muß sein, Ruhe, Ordnung und die Zivilisation der christlichen Staaten.


Autorenangabe: Ignaz Wrobel
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 04.08.1931, Nr. 31, S. 191.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 14. Texte 1931, S. 551 ff.
Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 9, S. 253 ff.

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Kaspar Hauser: Herr Wendriner steht unter der Diktatur

„Stieke –!
Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht so laut reden. Vorm Kino stehn SA-Leute … siehste doch. Steig aus. Wieviel macht das? Es wird schon nicht regnen … das hält sich. Komm rein. Und halt jetzt den Mund. Verzeihen Sie, bitte … Sei jetzt still. Welche haben wir denn … ? Erste Reihe – is ja famos. So – den Mantel dahin, deinen … gib mal her.
Reklamefilms. Das ist ein Reklamefilm. Ach, den haben wir schon gesehn – das … Regierer –! Na, das ist aber komisch! Wie kommen Sie denn hierher? Was, in die Loge? Na ja, feine Leute … hähähä … So, das sind Steuerkarten. Ach? Du, Regierer hat noch zwei Karten frei, die hat er nicht verwenden können. Welsch kommt auch noch. Gehn wir doch in die Loge. Warten Sie, wir kommen zu Ihnen rüber … hier … nimm mal den Mantel … So. Hier kann man wenigstens reden.
Wochenschau war eben. Parade in Mecklenburg. Gut besetzt, was? … Eine Menge Miliz ist da – wissen Sie, daß einem direkt was fehlt, wenn die nicht im Saal sind? Ja. Man ist so daran gewöhnt … Man sieht übrigens sehr gute Erscheinungen darunter. Gott, ich finds einkich ganz nett. Nich wah, Hanne? Direkt feierlich. Ja. Na, Regierer, was sagen Sie denn nu so -? Was? Man wird doch da sehn? Das sag ich auch immer. Wissen Sie: ich finde das alles nicht so schlimm. Wann haben wir uns zum letztenmal gesprochen? Vor zwei Monaten … im September … Na, sehn Sie mal an … erinnern Sie sich noch, was das für eine Panik damals war? Man ist ja direkt erleichtert, seitdem … man weiß doch wenigstens, wo und wie. Na, das war eine Stimmung, damals … meine Frau hat mich vier Tage ins Bett gesteckt, so runter war ich. Wer hat denn das auch erwarten können! Man hat doch hier am Kurfürstendamm vorher gar nichts gesehn! Nein. Sehn Se – das ist Gebühr, Otto Gebühr. Dem solln neulich die Franzosen einen Antrag gemacht haben, er soll den Napoleon spielen. Hat er nicht angenommen. Er spielt bloß den Doktor Goebbels, hat er gesagt, und allenfalls noch den Fridericus. Guter Schauspieler. Hat jetzt seine große Zeit. Doch – das hab ich auch! Ich habe … ich habe damals Staatspachtei gewählt, weil eben damals einer die Verantwortung tragen mußte … und die Einstellung der Partei hat eben die Perspektiven richtig gesehn. Ja. Hat Welsch wirklich Zentrum gewählt? Meschugge. Ich wem nachher fragen. Jedenfalls: so schlimm ist es gar nicht. Ich habe einen Geschäftsfreund aus Rom gesprochen, der hat gesagt: Dagegen wäre es hier direkt frei. Sie haben doch auch den gelben Schein? Wir haben den gelben Schein, natürlich. Zehn Jahre? Ich wohn schon über zwanzig Jahr in Berlin; da habe ich ihn sofort gekriegt. Pause! Stieke –! Nu sehn Sie sich mal diesen schwarzen Kerl da unten an! Wahrscheinlich ein Ostjude … wissen Sie, denen gegenüber ist der Antisemitismus wirklich berechtigt. Wenn man das so sieht! Ekelhafter Kerl. Wundert mich, daß er noch hier ist und daß sien noch nicht abgeschoben haben! … Na, ich kann nicht klagen. In unsrer Straße herrscht peinliche Ordnung … wir haben da an der Ecke einen sehr netten SA-Mann, ein sehr netter Kerl. Morgens, wenn ich ins Geschäft gehe, geb ich ihm immer ne Zigarette – er grüßt schon immer, wenn er mich kommen sieht; meine Frau grüßt er auch. Was hat man Ihnen? Was sagt Regierer? Sie haben ihm den Hut runtergeschlagen? Wobei? Ja, lieber Freund, da heben Sie doch den Arm hoch! Ich finde, wenn die Fahne nu mal unser Hoheitszeichen ist, muß man sie auch grüßen. Stieke –! Pulverfaß … ! Pulverfaß … ! Meinen Sie, ich fühl mich ganz sicher? Jeden Vormittag klingelt mich meine Frau im Geschäft an, ob was is. Bis jetzt war nichts. Sehr gut war das ehm, haben Sie das gesehn? Wie der sich blind gestellt hat, dabei ist er taub? Na, ich will Ihnen was sagen … Du sollst doch den Namen nicht so laut nennen! – ich will Ihnen mal was sagen: Der H. – wenn er auch aus der Tschechoslowakei ist – der Mann hat sich doch hier glänzend in die deutsche Psyche eingelebt. Na, jedenfalls herrscht Ordnung. Also, Ordnung herrscht mal. Sowie Sie Staatsbürger sind und den gelben Schein haben, also Schutzbürger, passiert Ihnen nichts … darin sind sie konsequent. Das muß man ja sagen: aufgezogen ist das ja glänzend. Phantastisch! Was? Neulich auf dem Wittenbergplatz? Wie sie da mit ihren Fahnen und mit der ganzen Musik angekommen sind. Unterm Kaiser war das auch nicht bess … Welsch – Na, ’n bißchen spät! Der halbe Film ist schon vorüber. Setzen Se sich mal dahin … nicht auf meinen Hut! Setzen Se sich auf Regierers Hut … der is nich mehr so neu!
Na, Welsch – was tut sich? Zeigen Sie mal … jetzt bei Licht kann ich Sie besser sehn! Sehn gut aus! Sie, is das wahr, daß Sie Zentrum … da kommen zwei Leute vom Dienst. Stieke! … Is das wahr, daß Sie Zentrum gewählt haben? Meschugge. Na ja – das Zentrum hat seinerzeit den Karewski auf die Liste gesetzt; das sind doch jüdische Sachen. Wir … Nich so laut! Vor allem leise! Machen Sie mir keine Unannehmlichkeiten – dazu sind die Zeiten zu ernst. Schließlich haben die Leute ganz recht, wenn sie in der Öffentlichkeit von uns Haltung verlangen. Da haben sie ganz recht. Jetzt fängts wieder an. Das ist Kortner … sehn Se, den lassen sie auch auftreten … Ich sage nehmich grade: so schlimm is es gar nicht. Nicha? Find ich auch. Hübsche Person – gucken Se mah. Wir haben grade von H. gesprochen. Bei dem weiß man wenigstens: er geht eim nich ann Safe. Bei den Kommunisten weiß ich das nicht. Oder vielmehr … ich weiß genau, was da rauskommt. Na, vorläufig können sie sich ja nich rührn; die sind ja plattgehauen. Ist ihnen ganz recht. Lieber Welsch, der Politiker hat da zu stehn, wo grade der Erfolg ist. Sonst ist er überhaupt kein Politiker. Und der Geschäftsmann auch. Das ist Realpolitik. Der eine macht die Politik, und der andre macht die Realien. Sehr richtig.
Nochmal Wochenschau? Na gut. Stieke –! Du sollst doch bei diesen Bildern nichts sagen! Laß doch den Leuten ihr Vergnügen – so schlimm ist das alles nicht. Sogar ein sehr gutes Bild … wir haben ihn neulich ganz aus der Nähe gesehn; er stand da mit seinen Unterführern … Nein! Goebbels ist doch raus … wissen Sie das nicht? Riesig populär sogar. Vielleicht grade deswegen. Der H. paßt ja sehr auf. Der Goebbels hat im Wintergarten auftreten wollen … aber sie ham ihm die Konzession nicht gegeben.
Heute wars ’n bißchen schwächer. Bißchen schwächer. Warum -? So könn Se bei der Börse doch nicht fragen! Die Börse hat eine Nase … da frägt man nicht warum. Die Leute haben eine sehr feine Witterung –: wenns gut geht, sind sie stille und verdienen alleine, und wenns schief geht, machen sie die andern meschugge. Die haben hinterher noch immer genau gewußt, was passiert ist! Reizendes Bild, sehn Se mah an! Nu sehn Se mal, haben Sie das gesehn -? Wie die französischen Soldaten da alle durcheinander laufen … ? Na, das könnte bei uns ja nicht passieren! Ja, also … wenn auch manche noch so mäkeln –: ich finde, die Sache hat doch auch ihre guten Seiten. Wieso? Wieso denn? Was hat das mit dem Krieg zu tun? Was hat der Youngplan mit dem Krieg zu tun? Laß mich! Haben wir den Krieg gemacht? Wir haben bloß Hurra geschrien. Und nachher haben wir keine Butter mehr gehabt. Ach, erzähln Sie mir doch nichts! Seit wann muß denn ein Volk für einen verlorenen Krieg auch noch bezahlen! Schlimm genug, daß wirn verloren haben; die andern haben ihn gewonnen, solln dien doch bezahlen! Lieber Welsch … ich habe … ich bin … Stieke –!
Ich habe … Lieber Welsch … ich habe gewisse Sachen genau so erwartet wie Sie. Na ja, und seit ich sehe, daß das eben nicht ist, sehe ich, daß dieses System doch auch seine guten Seiten hat. Ich meine, es hat seine geschichtliche Berechtigung – laß mich! Das kann man nicht leugnen. Es hat seine … also ich meine, die Stadt hat doch auch ein andres Gesicht. Und die Fremden kommen auch schon wieder, weil sie ehm neugierig sind. Ich muß sagen: die Leute haben was. Ich weiß nicht, was … aber sie haben was.
Aus. Na, gehn wir. Ach so … noch das Wessel-Lied. Steh auf. Was soll man tun: man muß das mitmachen. Die Engländer singen auch immer nach dem Theater ihre Nationalhymne, na, und wir Deutschen singen eben ein andres Lied … Marschieren im Geist in unsern Reihen mit … Na, schön.
Verzeihn Sie bitte … Tz … tz … tz … es regnet. Nu regnets doch. Warte mal – vielleicht kommt ’n Wagen. Stell dich da mal inzwischen unter; ich wer schon aufpassen. Das ist kein Sturmtruppführer, das ist ein Gauführer … ich kenn doch die Abzeichen. Stell dich doch unter! Wenn es regnet, soll man sich unterstellen. Haben wir nötig, naß zu werden? Laß die andern naß werden. Da kommt der Wagen.
Stieke –! Steig ein.“


Autorenangabe: Kaspar Hauser
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 07.10.1930, Nr. 41, S. 559
Wieder in: Lerne Lachen ohne zu weinen.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 13: Texte 1930, S. 530 ff.
Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 8, S. 237 ff.

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Theobald Tiger: Hej –!

Auf einem leeren Marktplatz stehst
du –
ganz allein:
die Häuser haben geflaggt, jedes trägt eine andre Fahne,
die Dächer sind schwarz vor Menschen;
eine wimmelnde Schlange ist rings um den Platz gepreßt.
Aus jedem Haus dringt Getöse, Blechmusik, Orgeln, wirres Rufen –
Und plötzlich
heben sich alle Arme, auf dich,
zehntausend ausgestreckte Zeigefinger, auf dich,
und ein Schrei steigt auf:
– „Hej!“
Was wollen sie von dir?
Was hast du getan?
Was sollst du tun?
So groß bist du doch gar nicht,
so bedeutend bist du doch gar nicht,
so wichtig bist du doch gar nicht …
Eintreten sollst du – in eines dieser Häuser,
in welches, ist ihnen gleich –
aber in eines,
und darum rufen sie:
– „Hej!“
Da ist das katholische Haus:
Würdige Junggesellen halten, verkleidet, ein Buch in der Hand;
manche sind weise,
viele klug,
alle schlau.
Sie wollen dich,
sie wollen sich
und vergessen IHN.
Sie teilen eine Art Wahrheit aus;
sie kennen die Herzen aller,
sie ordnen Regeln an, für alle:
ein Warenhaus der Metaphysik.
Aber etwas Starres ist da,
ein Trübes,
und drohend steht das Kreuz gegen den Phallus –:
geh nicht hinein.
„Hej!“
Da ist das Haus der Nationen.
Sture Gewaltmenschen
halten, kostümiert, einen Damaszenerdegen in der Hand,
aber sie schießen mit Gas.
An ihren Wänden hängen Bilder mittelalterlicher Kämpfe,
Fahnen über den Kaminen –
aber sie schießen mit Gas.
Sie wissen nicht, warum sie das tun,
sie müssen es tun;
ihr Wesen schreit nach Menschenfleisch,
nach der herrlichen, den Mann aufwühlenden Gewalt,
so liebt ihn die Frau,
so liebt er die Frau.
In ihnen ist nichts,
daher wollen sie außer sich sein –
und wann wäre man wohl so außer sich
wie bei der Zeugung und beim Mord!
Verwaltungsbeamte des Todes –:
geh nicht hinein.
„Hej!“
Da ist das Haus der feinen Leute.
Die spielen, ab sechs Uhr abends:
mit der Polaritätsphilosophie,
mit Theaterpremieren,
mit den Symphonien,
mit der Malerei,
mit dem Charme,
mit dem Stil,
mit den Versen Verstorbener,
mit den Witzen Lebendiger –
und alles darfst du bei ihnen tun,
(solange es zu nichts verpflichtet),
alles, nur eines nicht:
Nicht die Geschäfte stören,
den Ernst des Lebens,
der da ist:
Geld verdienen mit dem Schweiß der andern;
regieren auf dem geduldigen Rücken der andern;
leben vom Mark der andern …
Für die Sättigungspausen
haben sie einen Pojaz bestellt:
den Künstler.
Geh nicht hinein.
„Hej!“
Da ist das russische Haus.
Du kennst es nicht genau.
Aber bist du reif für dieses Haus?
Ist dein Tadel:
ihre starre Dogmatik,
ihr Zeloteneifer, eine neue Kirche zu gründen,
ihr scharfer Haß gegen den Einzelnen
– aber Lenin war ein Einzelner –
ihre Affenliebe für alle, die alles heilen soll –:
ist dieser Tadel nicht deine verkappte Schwäche?
Auch sie: dieser Welt hingegeben
– erwarte nicht den Himmel von ihnen –
auch sie: Nationalisten,
freilich mit einer Idee;
auch sie: für den Krieg,
auch sie: erdgebunden;
das, was sie an die Amerikaner verhökern,
heißt nicht umsonst: Konzessionen …
Bist du stark genug,
mitzuarbeiten am Werk?
Noch nicht –
geh noch nicht hinein.
„Hej!“
Tausend Gruppen umbrüllen dich,
rufen nach dir,
preisen an die warme Heimat: Herde.
Sag: Hast du nicht Sehnsucht gehabt nach dem Stall,
nach dem warmen Stall, wo nicht nur die Krippe lockt,
– die Wiesen genügen –
nein: wo die tierische Wärme der Leiber ist,
das vertraute Muh und das Gemeinschaftsgefühl der Menschen?
Sie schrein:
In die Reihn!
In den Verein!
Sie schrein:
Die Zeit des einzelnen ist vorbei,
das trägt niemand mehr!
Freiwillige Bindung!
Schwächling! schrein sie; Einzelgänger! Unentschiedener!
Her zu uns!
Zur Ordnung! Zur Ordnung!
Über den Häusern
ragen die Wipfel
geduldiger Bäume.
Rauschend bewegen sie schäumende Kronen.
Zurück zur Natur?
Hingegeben an dämmernde Herbstabende,
wo die göttliche Klarheit
des bunten Tags
sich auflöst in weich-graue Nebel?
Vergessen das Leid
der Millionen?
Und die Wirkung roten Weines
und eine Frau am Kamin
für die letzte Sprosse der göttlichen Weltordnung nehmen?
Frauen geben. Nimm. Aber erhoffe nichts.
Zurück zur Natur?
Bleib verwurzelt – aber geh nicht
mit der Laute zu ihr –:
Du gehst zurück …
„Hej!“
Da stehst du
und siehst um dich:
Die Rufer verschwimmen,
treten zurück …
Du bist nicht allein!
Um dich
stehen Hunderttausende:
frierend wie du,
suchend wie du,
jeder allein, wie du,
Trost? Nein: Schicksal.
Bleib tapfer.
Bleib aufrecht.
Bleib du.
Hör immer den Schrei:
– „Hej!“
Laß dich nicht verlocken.
Geh deinen Weg. Es gibt so viele Wege.
Es gibt nur ein Ziel.


Autorenangabe: Theobald Tiger
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 29.10.1929, Nr. 44, S. 664.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 11. Texte 1929, (erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2005)
Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 7, S. 226 ff.

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Kurt Tucholsky: Start

Wir sind fünf Finger an einer Hand.
Der auf dem Titelblatt
und:
Ignaz Wrobel. Peter Panter. Theobald Tiger. Kaspar Hauser.
Aus dem Dunkel sind diese Pseudonyme aufgetaucht, als Spiel gedacht, als Spiel erfunden – das war damals, als meine ersten Arbeiten in der ›Weltbühne‹ standen. Eine kleine Wochenschrift mag nicht viermal denselben Mann in einer Nummer haben, und so erstanden, zum Spaß, diese homunculi. Sie sahen sich gedruckt, noch purzelten sie alle durcheinander; schon setzten sie sich zurecht, wurden sicherer; sehr sicher, kühn – da führten sie ihr eigenes Dasein. Pseudonyme sind wie kleine Menschen; es ist gefährlich, Namen zu erfinden, sich für jemand anders auszugeben, Namen anzulegen – ein Name lebt. Und was als Spielerei begonnen, endete als heitere Schizophrenie.
Ich mag uns gern. Es war schön, sich hinter den Namen zu verkriechen und dann von Siegfried Jacobsohn solche Briefe gezeigt zu bekommen:
»Sehr geehrter Herr! Ich muß Ihnen mitteilen, daß ich Ihr geschätztes Blatt nur wegen der Arbeiten Ignaz Wrobels lese. Das ist ein Mann nach meinem Herzen. Dagegen haben Sie da in Ihrem Redaktionsstab einen offenbar alten Herrn, Peter Panter, der wohl das Gnadenbrot von Ihnen bekommt. Den würde ich an Ihrer Stelle … «
Und es war auch nützlich, fünfmal vorhanden zu sein – denn wer glaubt in Deutschland einem politischen Schriftsteller Humor? dem Satiriker Ernst? dem Verspielten Kenntnis des Strafgesetzbuches, dem Städteschilderer lustige Verse? Humor diskreditiert.
Wir wollten uns nicht diskreditieren lassen und taten jeder seins. Ich sah mit ihren Augen, und ich sah sie alle fünf: Wrobel, einen essigsauern, bebrillten, blaurasierten Kerl, in der Nähe eines Buckels und roter Haare; Panter, einen beweglichen, kugelrunden, kleinen Mann; Tiger sang nur Verse, waren keine da, schlief er – und nach dem Kriege schlug noch Kaspar Hauser die Augen auf, sah in die Welt und verstand sie nicht. Eine Fehde zwischen ihnen wäre durchaus möglich. Sie dauert schon siebenunddreißig Jahre.
Woher die Namen stammen -?
Die alliterierenden Geschwister sind Kinder eines juristischen Repetitors aus Berlin. Der amtierte stets vor gesteckt vollen Tischen, und wenn der pinselblonde Mann mit den kurzsichtig blinzelnden Augen und dem schweren Birnenbauch dozierte, dann erfand er für die Kasperlebühne seiner ›Fälle‹ Namen der Paradigmata.
Die Personen, an denen er das Bürgerliche Gesetzbuch und die Pfändungsbeschlüsse und die Strafprozeßordnung demonstrierte, hießen nicht A und B, nicht: Erbe und nicht Erblasser. Sie hießen Benno Büffel und Theobald Tiger; Peter Panter und Isidor Iltis und Leopold Löwe und so durchs ganze Alphabet. Seine Alliterationstiere mordeten und stahlen; sie leisteten Bürgschaft und wurden gepfändet; begingen öffentliche Ruhestörung in Idealkonkurrenz mit Abtreibung und benahmen sich überhaupt recht ungebührlich. Zwei dieser Vorbestraften nahm ich mit nach Hause – und, statt Amtsrichter zu werden, zog ich sie auf.
Wrobel – so hieß unser Rechenbuch; und weil mir der Name Ignaz besonders häßlich erschien, kratzbürstig und ganz und gar abscheulich, beging ich diesen kleinen Akt der Selbstzerstörung und taufte so einen Bezirk meines Wesens.
Kaspar Hauser braucht nicht vorgestellt zu werden.
Das sind sie alle fünf.
Und diese fünf haben nun im Lauf der Jahre in der ›Weltbühne‹ gewohnt und anderswo auch. Es mögen etwa tausend Arbeiten gewesen sein, die ich durchgesehen habe, um diese daraus auszuwählen – und alles ist noch einmal vorbeigezogen … Vor allem der Vater dieser Arbeit: Siegfried Jacobsohn.
Fruchtbar kann nur sein, wer befruchtet wird. Liebe trägt Früchte, Frauen befruchten, Reisen, Bücher … in diesem Fall tat es ein kleiner Mann, den ich im Januar 1913 in seinem runden Bücherkäfig aufgesucht habe und der mich seitdem nicht mehr losgelassen hat, bis zu seinem Tode nicht. Vor mir liegen die Mappen seiner Briefe: diese Postkarten, eng bekritzelt vom obern bis zum untern Rand, mit einer winzigen, fetten Schrift, die aussah wie ein persisches Teppichmuster. Ich höre das »Ja -?«, mit dem er sich am Telefon zu melden pflegte; mir ist, als klänge die Muschel noch an meinem Ohr … Was war es -?
Es war der fast einzig dastehende Fall, daß dem Gebenden ein Nehmender gegenüberstand, nicht nur ein Druckender. Wir senden unsere Wellen aus – was ankommt, wissen wir nicht, nur selten. Hier kam alles an. Der feinste Aufnahmeapparat, den dieser Mann darstellte, feuerte zu höchster Leistung an – vormachen konnte man ihm nichts. Er merkte alles. Tadelte unerbittlich, aber man lernte etwas dabei. Ganze Sprachlehren wiegt mir das auf, was er ›ins deutsche Übersetzen‹ nannte. Einmal fand er eine Stelle, die er nicht verstand. »Was heißt das? Das ist wolkig!« sagte er. Ich begehrte auf und wußte es viel besser. »Ich wollte sagen … « erwiderte ich – und nun setzte ich ihm genau auseinander, wie es gemeint war. »Das wollte ich sagen«, schloß ich. Und er: »Dann sags.« Daran habe ich mich seitdem gehalten. Die fast automatisch arbeitende Kontrolluhr seines Stilgefühls ließ nichts durchgehen – kein zu starkes Interpunktionszeichen, keine wilde Stilistik, keinen Gedankenstrich nach einem Punkt (Todsünde!) – er war immer wach.
Und so waren unsere Beiträge eigentlich alle nur Briefe an ihn, für ihn geschrieben, im Hinblick auf ihn: auf sein Lachen, auf seine Billigung – ihm zur Freude. Er war der Empfänger, für den wir funkten.
Ein Lehrer, kein Vorgesetzter; ein Freund, kein Verlagsangestellter; ein freier Mann, kein Publikumshase. »Sie haben nur ein Recht«, pflegte er zu sagen, »mein Blatt nicht zu lesen.« Und so stand er zu uns, so hat er uns geholfen, zu uns selbst verholfen, und wir haben ihn alle lieb gehabt.
Wir beide nannten uns, nach einem revolutionären Stadtkommandanten Berlins, gegenseitig: Kalwunde.
»Kalwunde!« sagtest du, wenn du dreiunddreißig Artikel in der Schublade hattest, »Kalwunde, warum arbeitest du gar nicht mehr -?« Und dann fing ich wieder von vorne an. Und wenn das dicke Kuvert mit einem satten Plumps in den Briefkasten fiel, dann hatte der Tag einen Sinn gehabt, und ich stellte mir, in Berlin und in Paris, gleichmäßig stark vor, was du wohl für ein Gesicht machen würdest, wenn die Sendung da wäre. Siehst du, nun habe ich das alles gesammelt … Und du kannst es nicht mehr lesen … »Mensch!« hättest du gesagt, »ick wer doch det nich lesen! Ich habe es ja alles ins Deutsche übersetzt –!«
Das hast du.
Und so will ich mich denn mit einem Gruß an dich auf den Weg machen.
Starter, die Fahne –! Ab mit 5 PS.


Autorenangabe: Kurt Tucholsky
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 27.12.1927, Nr. 52, S. 964
Wieder in: Mit 5 PS.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 9. Texte 1927, S. 953 ff.
Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 5, S. 434 ff.

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Ignaz Wrobel: Berlin! Berlin!

Berlin hat keine sehr gute Presse im Reich; voller Haß wird diese Stadt kopiert. Was geht da vor?
Einer der Oberschreier im Kampf der Wagen und Gesänge ist Hugenberg. Der hat sich aus den übelduftenden Restbeständen der schmutzigen wiener ›Stunde‹ ein paar Schaufensterdekorateure herangeholt, die, Bonifacio Kiesewettern gleich, die Mauern mit merkwürdigem Farbstoff beklecksen und ihr ottakringer ›Hoppauf!‹ in das gute ›Gib ihm Saures!‹ täppisch zu übertragen versuchen. Wie da Hunderttausende von Lesern sich selbst ausnehmen, wenn Berlin als radikale Lasterhöhle beschimpft wird, wie gleichzeitig der schlecht gelüftete Amtsgerichtsrat in der Provinz sein Germanentum attestiert bekommt und Berlin als bolschewistisches Judennest angeprangert wird – immer mit Ausnahme der geehrten Abonnenten, die wir besonders auf unsern Anzeigenteil verweisen –: das wäre zum Entzücken gar, wenn das Blatt nun auch noch auf Rollen gedruckt wäre. Nur Wilhelm der Zweite las dieses Papier in unzerschnittnem Zustande.
So weit Hugenberg, der ja wissen muß, wie er mit diesem ungeschickten Geschrei von der ›roten berliner Rotte‹ so ganz nebenbei die Geschäfte seiner Leute stört. Während die Stadt auf der einen Seite etwas komisch anmutende Versuche macht, einen ›Fremdenverkehr‹ zu organisieren, dabei außer acht lassend, daß sich kein Mensch auf dieser Welt für Geld gern unhöflich behandeln läßt (›vorbestraft‹ und ›Ausländer‹ sind für viele Polizeibüros Synonyme) – während Messeamt und Oberbürgermeister miteinander wetteifern, besudelt auf der andern Seite der tüchtige Hugenberg die eigne Stadt und das eigne Eiernest.
Die Provinz hat andre Motive.
Da erscheint vor allem der Gedanke unerträglich, daß ›die Leute in Berlin‹ alles besser wissen wollen, und Lokaldünkel, Unfähigkeit, weiter als bis zum nächsten Kirchenturm zu denken, und Ämterehrgeiz werden gern als ›kulturbedingte Interessen des Föderalismus‹ plakatiert. Berlin, Berlin!
Nun hats Preußen den Leuten in der Provinz nicht leicht gemacht. Dieser berliner Überlegenheitston, der die andern wie verständlich so maßlos reizt, diese törichte Attitüde, die sich aus Herrschergelüste, Überlegenheitsfimmel und Postenjägerei zusammensetzt, hat unendlich geschadet. Die Vormachtstellung Preußens muß fallen, auch, wenn seine Regierung uns heute besser zusammengesetzt scheint als die des Reiches. Hier allerdings liegt der seltene Fall vor, wo ein Land bedingungslos vor dem Reich kuscht, kapituliert, sich nicht mehr rührt – man stelle sich dasselbe etwa von Bayern vor, das ja in Wahrheit dem Reich nur lose angegliedert ist. Die Vormachtstellung Preußens muß fallen, wie die der Bundesstaaten, lächerliche Überbleibsel dynastischer Schachereien, fast ohne Kulturinhalt; denn es wird uns wohl kein Mensch im Ernst einreden wollen, daß die Grenzen der wahren Kulturkreise in Deutschland mit denen zusammenfallen, so durch Prinzessinnen-Prostitution und Landkauf festgesetzt worden sind.
Mein München lob ich mir; es ist ein Klein-Berlin und bildet seine Leute! Die Anti-Berliner, die am liebsten in der Landestracht ins Bett kriechen würden, die sich mit der Betonung der partikularistischen Eigenart gar nicht genug tun können, putzen sich nämlich brav den Mund mit Kaliklora, gurgeln mit Odol, benutzen das Reklame-Vaseline ihrer Zeitschrift, unterliegen denselben Einwirkungen der deutschen Allerweltsreklame … Denn die Wirtschaft läßt sich nichts vormachen, und da hören die heimischen Belange (sprich aus wie: Melange) lauf.
Im übrigen kopiert das Berlin, wo es nur kann. Nicht etwa, weil Berlin gar so schön und nachahmenswert sei. Aber es muß doch dem deutschen Volkscharakter sehr weit entgegenkommen … Die Diele und die Bar, die illustrierte Zeitung und die Verkehrsampel, Mode und Theater, Klamauk und Kunst: es gibt kaum eine Sache, mag sie noch so verdienstvoll oder noch so dämlich sein, die in der Provinz nicht ihren Nachahmer fände. Was die Herrschaften nicht hindert, voll heimlichen Gruselns und auf das Dümmste gegen Berlin, den verruchten Herd des Umsturzes, zu wettern. Oh, wäre es das –!
»Ich verstehe nicht, wie man in seinem Alter noch so radikal sein kann!« sagte einst Goethe, grade als er wieder einmal den Ernst Ritter von Possart spielte. Es goethelt sich da etwas zurecht in deutschen Landen. Bis an den Hals mit jener Sucht gefüllt, dem andern um Gottes willen eine Spirale weit vorauf zu sein, lächeln diese Kulturbadewärter leise und vornehm auf die ›berliner Radikalen‹ herunter. Ich spreche gar nicht einmal von den dummen völkischen Zeitschriften, die für sich alle paar Monate ein neues teutsches Genie entdecken, einen Bildhauer, der keusches Blond knetet, heiligen Mutterschoß und betenden Krieger; einen Maler, der von alten Kirchenbildern klaut, was ihm erreichbar ist; zur Zeit haben sie Hans Grimm beim Wickel, einen falschen Frenssen, und der echte war schon Tomback … Also von denen wollen wir uns gar nicht unterhalten.
Aber ihre Terminologie, ihre dumme Verachtungspose gibt es noch ein andres Mal, jene matten Gesten, die immer den Eindruck erwecken, als habe man einem lebhaften Ostjuden während der Rede die Hände festgebunden, und nun wedelt er nur noch leise mit dem Charakter … alles das gibt es zum zweiten Male bei den falschen Konservativen des Geistes.
Zu blutarm, um von der Zeit aufgepeitscht zu werden, zu bequem, etwas zu riskieren, sehen sie vornehm überlegen auf die windigen, die altmodischen, die berliner Radikalen.
Zu leugnen, daß es auch unter diesen des Unliebsamen, des Monomanen, des Abzulehnenden genug gibt, hieße, den deutschen Fehler begehn: alles sündhaft zu heißen, nur die eigne Gruppe nicht. Die dekorativen Philosophen, die unter ›Berlin‹ einen Radikalismus verstehn, der ihnen peinlich ist, können noch nicht einmal treffen, wenn sie schießen: Soll ich einmal -? Ich kann denen erzählen, wie oft tönende Stimme und geistiges Format im Mißverhältnis stehn, eine Erscheinung, die mein lieber Freund O. C. einmal ›Schreib-Riesen‹ getauft hat; wie snobistisch vieles ist, wie unglücklich sich diese entwurzelten Bürger, nicht wieder angewachsenen Proletarier fühlen; wie sie anlehnungsbedürftig, im Winde schwanken … Aber der letzte Schwätzer dieser ›berliner Radikalen‹ ist mir immer noch lieber als irgend eines Kaufmanns gesättigter Schwiegersohn, der maßvollgebildet historisches Fachwissen, chinesische Wandsprüche und die Kenntnis von wiener Porzellan gegen das auszuspielen versucht, was uns bewegt.
Vor dem Kriege vertrat Oscar A. H. Schmitz den Typus des Philosophen mit Bai und allem Komfort – heute haben wir deren viele. Das gedeiht besonders unter Privatdozenten. Aber wenn man näher hinblickt, was sie denn zu so vornehmer Ruhe befähigt, wie sie denn dazu kommen, so fein das Gewissen der andern zu analysieren, leise abzuwinken, wenn draußen auf der Straße geschossen oder auch nur geprügelt wird –: es ist immer, immer dasselbe. Sie sind vornehm, still und leise, weil Papa ein gutgehendes Papiergeschäft hat; weil die Zeitung, die sie anstellt, gute Inseratengeschäfte macht; weil da eine Rente mit einer Tante ist; weil sie gut gegessen haben, sauber gebadet sind, es friert sie nicht –: von sicherm Port läßt sich gemächlich raten. Aber dann doch lieber den entwurzelten Bürgerssohn, der das Maul zu weit aufreißt, dessen Lebensführung mit seinen Theorien nicht in Einklang steht –: er fühlt wenigstens, was da leidet auf der Welt; er hat ein Ohr, zu hören, ein Herz, das schlägt … „Man muß protestieren.“
Ich liebe Berlin nicht. Seine Wendriners hat Gott in den Mund genommen und sofort wieder ausgespien; seine Festlichkeiten sind sauber ausgerichtet; seine Dächer sagen nicht zu mir: „Mensch! Da bist da ja!“ Ich liebe diese Stadt nicht, der ich mein Bestes verdanke; wir grüßen uns kaum. Aber wenn man diese Kulturtrottel in allen Orten des Reiches sieht, ist zu sagen:
Es ist ein kindliches Spiel, die Angst vor der Aufteilung der Bankkonten, Angst vor Unbequemlichkeit, Kasteneitelkeit und unfruchtbare Bildung, die mit dem Blick auf Laotse über den mißhandelten Zuchthäusler nicht einmal stolpert, auf eine Schießbudenfigur ›Berlin‹ zu pappen und nun nach der Scheibe zu schießen. Scheibe. Verfaule in deiner faulen Bildung, Gebildeter. Versauf in feinen Formulierungen, Brillenkerl. Lächle überlegen – ach, bist du kultiviert!
Wenn das Berlin ist: Radikalismus in Militärfragen, Unbedingtheit gegen den Stahlund Kohlen-Patriotismus; Haß gegen Verblödung durch die Pfarrer Mumm und Pfarrer Heuss; Sabotage der Vorbereitungen zum nächsten Schlachten durch Kriegsminister Geßler, Judikatur und Schule, wenn das alles ›Berlin‹ ist –: dann sind wir und unsre Freunde im ganzen Reich, in Hagen und an der Wasserkante, in der Mark und im sächsischen Industriebezirk, dann sind wir für diese Stadt, in der immerhin Bewegung ist und Kraft und pulsierendes rotes Blut. Für Berlin.


Autorenangabe: Ignaz Wrobel
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 29.03.1927, Nr. 13, S. 499.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 9. Texte 1927, S. 397 ff.
Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 5, S. 188 ff.

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Peter Panter: Der Prozeß

Es war ein lächelnder Gerichtshof, vor dem er dringend sich seinen Freispruch verbat.

Ludwig Hardt

Wenn ich das unheimlichste und stärkste Buch der letzten Jahre: Franz Kafkas ›Prozeß‹ (im Verlag Die Schmiede zu Berlin) aus der Hand lege, so kann ich mir nur schwer über die Ursachen meiner Erschütterung Rechenschaft ablegen. Wer spricht? Was ist das?

Erstes Kapitel. Verhaftung. Gespräch mit Frau Grubach. Dann Fräulein Bürstner. Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.

So fängt es an. Es ist ein Bankbeamter, um den es sich handelt – und die zwei Gerichtsboten, die da morgens in sein möbliertes Zimmer kommen, wollen ihn verhaften. Aber sie verhaften gar nicht – der ›Aufseher‹ stellt an einem Nachttischchen ein Verhör mit ihm an, dann darf er in die Bank gehen. Er ist frei. Bitte, Sie sind frei … Der Prozeß schwebt.
Wir alle, die wir ein Buch zu lesen beginnen, wissen doch nach zwanzig oder dreißig Seiten, wohin wir den Dichter zu tun haben; was das ist; wie es läuft; obs ernst gemeint ist oder nicht; wohin man im groben so ein Buch zu rangieren hat. Hier weißt du gar nichts. Du tappst im Dunkel. Was ist das? Wer spricht?
Der Prozeß schwebt, aber es wird nicht gesagt, was für ein Prozeß. Der Mann ist offenbar eines Vergehens angeklagt, aber es wird nie gesagt, welches Vergehens. Die irdische Gerichtsbarkeit ist es nicht – also welche sonst? Eine, um Gottes willen, allegorische? Der Autor erzählt, erzählt mit unerschütterlicher Ruhe – bald merke ich, daß es nichts Allegorisches wird – deute nur, du deutest nie aus. Nein, ich deute nie aus.
Josef K. wird zum Verhör geladen – er geht. Das Verhör findet unter seltsamen Umständen im fünften Stockwerk eines Außenviertels statt – man liest, weiß nicht …
Und ganz unmerklich hat sich die Idee festgehakt, sie greift über, und nun gibt es nichts zu freudianern, und keine gebildeten, geschwollenen Fremdwörter helfen hier weiter.
Es ergibt sich, das Josef K. in eine riesenhafte Maschinerie geraten ist, in eine bestehende, arbeitende, geölt laufende Maschine des Gerichts. Er vernachlässigt seine Stellung in der Bank, er berät mit Advokaten, er geht zu den Verhören, obgleich er sich geschworen hat, nicht hinzugehen, er beschwert sich über das Betragen der Gerichtsdiener in seiner Wohnung – es sickert auch langsam durch, daß er einen ›Prozeß‹ hat, es scheint, daß alle Leute davon wissen, oder doch viele, es ist wohl etwas Legitimes. Bis es ihn in der Bank selbst erwischt.

„Als K. an einem der nächsten Abende den Korridor passierte, der sein Büro von der Haupttreppe trennte – er ging diesmal fast als der Letzte nach Hause, nur in der Expedition arbeiteten noch zwei Diener im kleinen Lichtfeld einer Glühlampe -, hörte er hinter einer Tür, hinter der er immer nur eine Rumpelkammer vermutet hatte, ohne sie jemals selbst gesehen zu haben, Seufzer ausstoßen.“ Er öffnet. Da steht ein Mann in dunkler Lederkleidung und vor ihm die beiden Gerichtsdiener. „Was tut ihr hier?“ fragt er sie. „Herr! Wir sollen geprügelt werden, weil du dich beim Untersuchungsrichter über uns beklagt hast.“ In der Bank? In dieser so realen Bank? K. unterhandelt mit ihnen, versucht, den Prügler zu besänftigen – so hart habe er seine Beschwerde nicht gemeint … Aber sie müssen sich ausziehen, die Gerichtsdiener, schon sind die Oberkörper nackt, die Rute tanzt … Da schlägt K. die Tür zu. Der Schrei der Geprügelten wird jäh abgeklemmt.
Am nächsten Tag geht er scheu an der Tür vorbei, die sein Geheimnis vor der Bank verbirgt. Er öffnet, aus Gewohnheit …
Vor dem, was er statt des erwarteten Dunkels erblickte, wußte er sich nicht zu fassen. Alles war unverändert so, wie er es am Abend vorher beim öffnen der Tür gefunden hatte. Die Drucksorten und Tintenflaschen gleich hinter der Schwelle, der Prügler mit der Rute, die noch vollständig angezogenen Wärter, die Kerze auf dem Regal und die Wächter begannen zu klagen und riefen: Herr! Sofort warf K. die Tür zu …

Ich gebe diese Probe, um die grausame Mischung von schärfster Realität und Unirdischem zu zeigen – wie neben den Büroboten der lederschwarze Prügler, aus einer Masochisten-Fotografie geschnitten, die Rute schwingt … Und K. wirft die Tür zu – nein: »er schlug noch mit den Fäusten gegen sie, als sei sie dann fester verschlossen«. Der Prozeß schwebt.
Der Prozeß braucht einen Advokaten. K. findet ihn, aber hier hat das Buch nun schon beinah ganz die Erde verlassen – wie eine schwarze Kugel schwebt es durch den Raum. Beim Advokaten ist ein Leidensgefährte, ein jämmerlicher zerprügelter kleiner Mensch – und es gibt untere und obere Advokaten, und das Schrecklichste ist, daß niemand die Spitze dieser Pyramide absehen kann, niemand dringt jemals in diese Höhen, scheint es …
Also eine Justizsatire? Nichts davon.
So wenig, wie die ›Strafkolonie‹ eine Militärsatire ist oder die ›Verwandlung‹ eine Bourgeois-Satire – es sind selbständige Gebilde, die niemals auszudeuten sind.
Der treuste Freund Max Brod, der dem Buch ein wunderschönes Nachwort geschrieben hat, und dessen unermüdlichen Anstrengungen wir erst die Drucklegung dieses Schatzes und fast aller andern Bücher Kafkas verdanken – Brod erzählt uns, das Buch sei ein Fragment geblieben. Man merkt das auch; ich fühle in diesem Punkt ein klein wenig anders als Brod. So erscheint mir bei diesem herrlichen Prosaiker zum ersten Mal dies und jenes nicht ganz ausgeglichen – auch steht für mein Empfinden das grandiose Schlußkapitel etwas unvermittelt an dem vorletzten Abschnitt, der übrigens eine Meisterleistung für sich ist. Auf meine Bitte war Max Brod so freundlich, mir seine Ansicht über den ›Prozeß‹ mitzuteilen; hier ist sie:

Der Prozeß, der da geführt wird, ist der ewige Prozeß, den ein zart empfindender Mensch mit seinem Gewissen auszufechten hat. Held K. steht vor seinen innern Richtern. Das gespenstische Verfahren vollzieht sich an den unscheinbarsten Schauplätzen und so, daß scheinbar K. immer recht hat. Ganz ebenso sind wir rechthaberisch gegen unser Gewissen und versuchen, es zu bagatellisieren. Das Besondere ist nur die fatale Feinfühligkeit gegen die innere Stimme, die auf Schritt und Tritt immer lebendiger wird.
Mit Kafka selbst konnte man natürlich nie über Deutungen sprechen, auch bei der größten Intimität nicht. Er selbst deutete so, daß die Deutungen neuer Deutungen bedürftig wären. So wie ja auch sein Prozeß nie recht entschieden werden kann.

Dieser Prozeß ist selbstverständlich, wie auch aus Brods Darlegungen im Nachwort hervorgeht, niemals eine Allegorie gewesen. Er ist sofort als Symbol konzipiert, tatsächlich hat sich das Symbol selbständig gemacht, es lebt sein eignes Leben. Und was für ein Leben …
Da ist eine Szene bei einem etwas verkommenen Maler, von dem man dem Angeklagten K. gesagt hat, er könne ihm im Prozeß durch Fürsprache bei den obern Richtern nützlich sein. Zu dem geht er. Der Mensch wohnt oben im Haus, in einer kleinen, unaufgeräumten Stube. Zum Schluß der Unterredung bittet der Maler, ihm doch ein Bild abzukaufen, vielleicht mehrere Bilder … Und holt nun immer dieselbe Heidelandschaft unter seinem Bett hervor, immer dieselbe … Und dann geleitet er den Hilfesuchenden zur Tür hinaus, und K. ist wieder in den gefürchteten Gerichtskorridoren. „Woher staunen Sie?“ fragt der Maler. „Es sind die Gerichtskanzleien. Wußten Sie nicht, daß hier Gerichtskanzleien sind? Gerichtskanzleien sind doch fast auf jedem Dachboden, warum sollten sie grade hier fehlen?“
Also ein Traum? Nichts ist für mein Gefühl verkehrter, als mit diesem verblasenen Wort Kafka fangen zu wollen. Dies ist viel mehr als ein Traum. Das ist ein Tagtraum.
Etwas Ähnliches an Zügellosigkeit gibt es nur noch in geschlechtlichen Kindheitsphantasien, wo Schule, Haus, die Stadt und die Welt einer, einer einzigen Idee untergeordnet sind – wo die Menschen Glaskleider tragen oder halt! noch besser: vom kleine Glasluken, damit man sie besser sehen kann … Das Buch ist nicht wahnsinnig – es ist vollkommen vernünftig, es ist in seiner Idee so vernünftig, wie manche Irre vernünftig sind, logisch, mathematisch in Ordnung: es fehlt eben jene leise Dosis von Irrationalem, die erst dem vernünftigen Menschen den innern Halt gibt. Nichts schrecklicher als ein reiner Mathematiker des Verstandes – nichts unheimlicher.
Nun ist aber Kafka ein Dichter seltenen Formats, und diese ultralogische Grundidee ist berankt mit realen Phantasiegebilden. Es gibt gar keine Frage mehr, ob es das alles gibt – das gibt es, das ist so wahr, wie in der Strafkolonie eine Tötemaschine steht, so wahr, wie sich der Geschäftsreisende damals in einen Käfer verwandelte … das ist so.
Das vorletzte Kapitel enthält die theologische Ausdeutung einer kleinen Geschichte Kafkas, die sich in dem Band ›Ein Landarzt‹ findet, sie heißt: ›Vor dem Gesetz‹, ein Muster reiner Prosa. Hier im Buch schwillt die Geschichte auf, wird, nach des Autors eignen Worten, unförmlich; ein Gefängniskaplan im Dom erklärt sie dem lauschenden und disputierenden Josef K., verstrickt ist er, nichts kann ihn retten.
Wie er stirbt, mag man selber nachlesen. Die letzte Minute ist eine Vision von einer nie gehörten Stärke. „Seine Blicke fielen auf das letzte Stockwerk des an den Steinbruch grenzenden Hauses. Wie ein Licht aufzuckt, so fuhren die Fensterflügel eines Fensters dort auseinander, ein Mensch, schwach und dünn in der Ferne und Höhe, beugte sich mit einem Ruck weit vor und streckte die Arme noch weiter aus. Wer war es? Ein Freund? Ein guter Mensch? Einer, der teilnahm? Einer, der helfen wollte? War es ein Einzelner? Waren es alle? War noch Hilfe? Gab es Einwände, die man vergessen hatte?“
Das Buch schließt mit einem optischen Bild, das ich hier nicht aus dem Zusammenhang reißen möchte, einer alten Fotografie von unvergeßlicher Grausigkeit.
Seit Oskar Panizza ist so etwas an eindringlicher Kraft der Phantasie nicht wieder gesehen worden. Das Deutsch ist schwer, rein, bis auf wenige Stellen wundervoll durchgearbeitet. Wer spricht?
Franz Kafka wird in den Jahren, die nun seinem Tode folgen, wachsen. Man braucht niemand zu ihm zu überreden; er zwingt. Wände beleben sich, die Schränke und Kommoden fangen an zu flüstern, die Menschen erstarren, Gruppen lösen sich auf und bleiben wieder wie angebleit stehen, nur der Wille zittert noch leise in ihnen. Man sagt von Tamerlan, er habe einmal seine Gefangenen mit Mörtel zu einer Mauer zusammenmauern lassen, zu einer brüllenden Mauer, die langsam verzuckte. So etwas ist es. Ein Gott formt eine Welt um, setzt sie neu zusammen, ein Herz steht am Himmel und scheint nicht, sondern klopft; ein Fetisch wandelt, eine Apparatur wird lebendig, nur, weil sie da ist, die Frage Warum? ist so töricht, beinah so töricht wie in der realen Welt.
Deren Teile sind da – aber sie sind so gesehen, wie der Patient kurz vor der Operation die Instrumente des Arztes sieht: ganz scharf, überdeutlich, durchaus materiell – aber hinter den blitzenden Stücken ist noch etwas andres, die Angst brüllt der Materie in alle Poren, erbarmungslos steht das Operationsbett, hab doch Mitleid! sagt der Kranke, auch du! Das Bett ist so fremd, aber es ist doch im Bunde.
Ein solcher Wille begründet Sekten und Religionen – Kafka hat Bücher geschrieben, einige wenige, unerreichbare, niemals auszulesende Bücher. Hätte sich der Schöpfer anders besonnen, und wäre dieser in Asien geboren: Millionen klammerten sich an seine Worte und grübelten über sie, ihr Leben lang.
Wir dürfen lesen, staunen, danken.


Autorenangabe: Peter Panter
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 09.03.1926, Nr. 10, S. 383.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 8. Texte 1926, S. 168 ff.
Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 4, S. 374 ff.

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Peter Panter: Das menschliche Paris

Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps.

Deutsches Soldatenwort

Vous m’excusez, monsieur, que je vous d’érange …

Eine französische Bettlerin
Worin besteht der Zauber von Paris? In der Architektur? In der silbrigen Luft? In der Mode? In den Frauen? Im Sekt? In all dem zusammen? Nein.
Das, was die einzige Atmosphäre dieser Stadt ausmacht, ist ihre Menschlichkeit.
Wenn man aus Deutschland kommt, versteht man es erst gar nicht. Wir sind doch gewöhnt, daß ein Gasbeamter ein Gasbeamter ist und weiter nichts – daß ein Gerichtsdiener Gerichtsdiener, ein Schaffner Schaffner und ein Billettverkäufer Billettverkäufer ist. Wenn sie wirklich die starre Maske des ›Dienstes‹ ein wenig lüften, so geschieht das meistens, um Unhöflichkeiten zu sagen. Herr Triebecke hat sich eine bunte Mütze aufgesetzt, und Herr Triebecke ist völlig verschwunden: vorhanden ist nur noch einer, der ›seinen Dienst macht‹. Ja, die freiwillige Einordnung in jede Kollektivität, in der man sich geborgen fühlt, geht so weit, daß man in deutschen Diskussionen oft zu hören bekommt: »Ich als Schleswig-Holsteiner«, »Ich als mittlerer Beamter« und sogar: »Ich als Vater … « Nur, einfach: ›Ich‹, ich als Mensch – das ist selten.
Es ist sehr bequem so. Aber hinter den Bergen wohnen auch Leute, und sie denken darin ganz anders. Es ist sehr preußisch gedacht, wenn man sich nach dem Ausschluß der starren Dienstauffassung gleich das Chaos vorstellt. Entweder – oder. »Na, soll vielleicht der Weichensteller im Dienst Zeitungen lesen?« – Nein. Aber er soll ein Mensch sein, der Weichen stellt, und kein Beamter, der – an besonders hohen Feiertagen – auch ›mal Mensch‹ ist.
Paris hat Herz. Das geradezu lächerliche Zerrbild, das der Völkische sich und andern von Franzosen an die Wand malt, ist nicht einmal eine Karikatur – es ist blanker Unsinn. Es ist objektiv so falsch wie etwa eine Schilderung der Eskimos, die besagte: »Der Eskimo ist ein stiller Privatgelehrter, der sein Leben in den kleinen überhitzten Kollegräumen seiner Universität verbringt.« Der Franzose ist kein Spiegelaffe – der Franzose ist ein Mensch. Und lebt sein Leben mit einer leichten Freude, mit einer Innigkeit, mit einer herzlichen Liebe zur Natur und den anderen Menschen, die wir fast vergessen haben.
Es ist mir bekannt, daß unsere entsetzlichen wirtschaftlichen Zustände da herangezogen werden. Das ist nicht ganz richtig. Ich habe das Berlin vor dem Kriege sehr genau gekannt – es konnte sich auch damals mit Paris nicht vergleichen. Ich will Ihnen ein paar Beispiele geben:
Die pariser Métro ist stippevoll. In der zweiten Klasse quetschen sich die Leute wie die Heringe – wir Berliner kennen das. Sie hören fast nie ein böses Wort. Es mag wohl hier oder da einmal vorkommen, daß eine ganz leise, ganz höfliche Diskussion anhebt … Aber die körperliche Berührung gilt hier nicht als eine Beleidigung, die – unter Rittern – nur mit Blut abgewaschen werden kann, sondern es drängen und pressen sich gewissermaßen Mitglieder einer Familie. Man ist nicht gerade übermäßig vergnügt, so zu stehen – aber man nimmt es hin. Auch ist man nicht so von Offensivgeist durchtränkt wie in Deutschland. Ich besinne mich, kurz vor meiner Abfahrt in einem Charlottenburger Bäckerladen gewesen zu sein – es war in einer sehr feinen Gegend, am Reichskanzlerplatz – und da war alles aufeinander böse: die Kunden, der Meister, die Bäckerjungen und die Hörnchen. Ohne jeden Grund übrigens. Das habe ich hier noch nie gefunden. In der Elektrischen, draußen im Südosten der Stadt, gab neulich eine dicke Frau mit vielen Markttaschen dem Schaffner eine Handvoll Kirschen – und niemand fand etwas dabei, es war die natürlichste Sache von der Welt. Und das war kein Trinkgeld oder seine Ersparnis – es war einfach Nettigkeit, die der Schaffner auch ganz richtig auffaßte: er freute sich, weil die Kirschen so schön rot waren, steckte sie ein, und alle Passagiere hätten sicherlich ebenso wie die dicke Frau gehandelt. Natürlich. Und es ist eben nicht jene übertünchte Höflichkeit, hinter der weiß Gott welche Bestie steckt, gezähmt durch die gedrechselten Formen französischer Tradition. Das ist nicht wahr. Denn es ist sehr bezeichnend, daß gerade der kleine Mann, der Handwerker, die Gemüsefrau, der Arbeiter – daß gerade sie fast immer höflich, herzlich und natürlich sind. Und das Familiäre guckt überall hindurch – man begegnet selten der absolut abweisenden Härte.
Obgleich es die sicherlich auch gibt. Denn es wäre grundverkehrt, nun die Franzosen zu Idealmenschen zu stempeln, und ich mag diese deutschen Literaten und Reisenden gar nicht, die hier in jedem Aschbecher ein ›echt französisches Dokument alter Tradition‹ sehen. (Besonders die Kunsthändler sollte man in dieser Beziehung einzeln und sorgfältig totschießen.) Ich finde den Typus dieser bedingungslos begeisterten Franzosenlecker genau so übel wie die vorpommerschen Landrichter, die von Frankreich zwar nichts wissen, aber furchtbar darauf schimpfen. Man muß die Dinge auch einmal abseits von der Ruhr und abseits von Picasso sehen können.
Und da sieht Paris so aus:
Der Franzose ist ein bürgerlicher Mensch. Ein Mensch, der, weil es so viele Fremde in Paris gibt, sehr höflich und nett mit aller Welt ist, aber im Grunde sehr abgeschlossen und sehr zurückhaltend lebt. Es gibt in allem Ausnahmen. Es gibt auch hier Postbeamte, die vor lauter Beamtenhochmut nicht antworten, wenn man sie außerhalb ihrer Dienststunden etwas fragt – aber sie sind nicht der Typus. Es gibt auch hier sicherlich Mißgriffe, Irrtümer, menschliche Niederträchtigkeiten … Ich bin keine Frau und weiß nicht, inwieweit eine alleinstehende Dame in einem Arbeiterviertel geschützt ist. Mein Eindruck ist, daß ihr unter normalen Verhältnissen kein Mensch etwas tun wird – ich habe hier noch nie beobachtet, daß man eine anständige Frau auf der Straße belästigt hätte. Was aber viel, viel wichtiger als alles dieses ist:
Die Leute sind nicht nur höflich, sie sind herzlich. Fragen Sie um Rat – Sie werden ihn fast immer, auch von wildfremden Leuten, bekommen. Ich bin in Vierteln, die ich nie gesehen hatte, in die Läden gegangen, habe eine Kleinigkeit gekauft und die Leute nach den dortigen Wohnungsverhältnissen gefragt – sie haben mir immer ausführlich, der Wahrheit gemäß und entgegenkommend geantwortet. Was sie nicht ›nötig‹ hatten – nein, gewiß nicht. Aber hier ist, primär, ein Mensch zum andern erst einmal höflich – und nur, wenn es einen Zwischenfall gibt, weicht das. Zwei, drei, vier Mal ist es mir begegnet, daß ein kleiner Ladenbesitzer nicht das Gewünschte führte. Immer – ohne jede Ausnahme – hat man mir freundlich Bescheid gesagt, wo ich die Ware sonst kaufen könnte – mitunter kam der Mann oder die Frau selbst mit heraus und zeigte mir Richtung und Weg.
Dazu kommt ein andres. Der Pariser führt sein Leben, ganz ehrlich, so, wie es ist, wie er es sich leisten kann. Nicht darüber und nicht darunter. Ein Freund erzählte mir, daß ihm im Zuge nach Paris der Sohn eines reichen Seidenfabrikanten Auskünfte über die Lokale in Paris erteilt hätte. Über manche wußte er nicht Bescheid. »Ça – c’est pour les gens du monde.« Dazu zählte er sich nicht. Die Gens du monde waren für ihn nicht höher und nicht tiefer – aber anders. Und aus dieser menschlichen Natürlichkeit, die soundso oft zu erkennen gibt: Dazu haben wir kein Geld – entspringt eine viel größere Ehrlichkeit im Verkehr. In den allermeisten Fällen kann man darauf schwören, daß das sichtbare gesellschaftliche Milieu auch der wirklichen Vermögenslage entspricht – denn es gibt keinen, für den man ein andres vorzutäuschen hätte. Sie leben ihr Leben ohne Anführungsstriche – sie verteilen ihre Ausgaben anders als wir, geben zum Beispiel für die Wohnung prozentual mehr Geld aus – aber das tun alle, und so gleicht sich das aus.
Und auch in den Familien findet man hier einen viel natürlicheren Ton als bei uns. Ich spreche nicht von den großen Salons, in denen sehr reiche, sehr bekannte Leute von Welt verkehren – sondern gerade von Frau Machin und Madame Chose. Da ist alles viel natürlicher, viel freier – nicht gespreizt und nicht feierlich oder prätentiös aufgemacht. Es ist eine Stadt der Menschlichkeit.
Und man fühlt in Paris nach einiger Zeit, wenn man gemerkt hat, daß einem keiner an den Nerven zerrt, daß alles glatt und angenehm vonstatten geht, daß das Dasein gleitet und nicht hakt – man empfindet, wie einfach im Grunde das Leben ist. Was wollen wir denn alle Großes? Gesundheit; die Mittel, die nötig sind, um in unserer Klasse zu leben; keine übermäßigen menschlichen Katastrophen in der Liebe oder mit den Kindern – schließlich, so erheblich sind unsere Ansprüche gar nicht. Und anfangs empfand ich das pariser Glück immer als etwas Negatives: keine Nervosität und keine unhöflichen Menschen in der Untergrundbahn und keine endlosen Schwierigkeiten, wenn ich einmal nachts nach Hause fahren wollte, und keine Rempeleien in Lokalen.
Heute weiß ich, was es ist: Es ist die einfache, leichte und natürliche Menschlichkeit des Parisers.


Autorenangabe: Peter Panter
Ersterscheinung: Vossische Zeitung, 19.06.1924.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 6. Texte 1923-1924
Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 3, S. 396 ff.

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Theobald Tiger: Parc Monceau

Hier ist es hübsch. Hier kann ich ruhig träumen.
Hier bin ich Mensch – und nicht nur Zivilist.
Hier darf ich links gehn. Unter grünen Bäumen
sagt keine Tafel, was verboten ist.
 
Ein dicker Kullerball liegt auf dem Rasen.
Ein Vogel zupft an einem hellen Blatt.
Ein kleiner Junge gräbt sich in der Nasen
und freut sich, wenn er was gefunden hat.
 
Es prüfen vier Amerikanerinnen,
ob Cook auch recht hat und hier Bäume stehn.
Paris von außen und Paris von innen:
sie sehen nichts und müssen alles sehn.
 
Die Kinder lärmen auf den bunten Steinen.
Die Sonne scheint und glitzert auf ein Haus.
Ich sitze still und lasse mich bescheinen
und ruh von meinem Vaterlande aus.
 
 
Autorenangabe: Theobald Tiger
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 15.05.1924, Nr. 20, S. 664.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 6. Texte 1923-1924, S. 141 f.

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Theobald Tiger: Wenn der alte Motor wieder tackt

Schiebung! Schiebung! Schiebung! Schiebung!
Schiebung! Schiebung! Schiebung! Schiebung!
Wohin du siehst, wohin du guckst,
wohin du hörst, mein Lieber!
Sehr wichtig!
Wohin du trittst, wohin du spuckst,
nur Schieber! Schieber! Schieber!
Aber richtig!
Nur Noske ist uns lieb und wert,
der treibt es täglich bunter.
Wie lange noch – und Justav fährt,
die Linden rauf und runter.
Oh Publikum, ich frage bloß,
wann werd’n wir den und andere los?
Refrain:
Wenn der alte Motor wieder tackt,
wenn die Räder rollen, die Weiche knackt,
wenn der Dreher in die Hände spuckt,
wenn der Strom den Dynamo durchzuckt,
Wenn der Omnibus für’n Sechser fährt,
wenn das Grünkramfräulein uns beehrt,
wenn die olle gute Rolle wieder wie gewöhnlich schnurrt,
sitzt die Neese wieder vorne! Marke: „Neugeburt!“.
(…)
Hörprobe: Wenn der alte Motor wieder tackt (MP3)


Autorenangabe: Theobald Tiger
Komponist: Friedrich Hollaender
Gesungen von: Paul Graetz
Erstaufführung: Kabarett „Schall und Rauch“, Berlin, 8.12.1919
Notendruck: Berlin: Fürstner 1919, Schall und Rauch Nr. 3
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 3. Texte 1919, S. 441 ff.
Musik: »Bei uns um die Gedächtniskirche rum… Friedrich Hollaender und das Kabarett der zwanziger Jahre. In Originalaufnahmen mit Hans Albers, Wilhelm Bendow, Curt Bois, Marlene Dietrich, Blandine Ebinger, Joachim Ringelnatz, Trude Hesterberg, Werner Finck, Claire Waldoff, Heinz Rühmann, den Comedian Harmonists u.a.« (Doppel-CD). Produktion: Volker Kühn; Akademie der Künste / Edel Records-CD 0014532 TLR, 1996

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